China beansprucht das Südchinesische MeerCHINA

Der schwierige Nachbar im Meer

Über Macht und Widerstand in den Beziehungen Chinas zu den ASEAN-Ländern und die Gründe, weshalb der Versuch eines friedlichen Aufstiegs der Region vielleicht schon an seine Grenzen stößt.

Von Vu Truong

China probt eine neue außenpolitische Strategie im Umgang mit den Nachbarstaaten mit denen es Streitigkeiten im Südchinesischen Meer hat. Im Vergleich zu der Periode vor 2009, in der Chinas „New Diplomacy in Asia” zu beobachten war, kann man seit 2009 diese „Kursänderung“ chinesischer Außenpolitik erkennen. Die „New Diplomacy in Asia“ vor 2009 war nach dem Urteil des amerikanischen Politikwissenschaftlers David Shambaugh durch vier Merkmale bestimmt: Die aktive Teilnahme an regionalen Organisationen, die Festigung strategischer Partnerschaften sowie eine Vertiefung bilateraler Beziehungen, den Ausbau der regionalen Wirtschaftsbeziehungen und die Reduzierung des Misstrauens vor einer  „chinesischen Bedrohung“ im Bereich der Sicherheit.

Die Kursänderung ist auf einige Entwicklungen im Laufe der Jahre 2009-2011 zurückzuführen, die die Chinafrage wieder stärker in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit rückten. Beispielhaft wären hier die offizielle Veröffentlichung eines großen Entwurfs für das Staatsgebiet im Südchinesischen Meer, die fortschreitende Modernisierung der chinesischen Streitkräfte im Marinebereich sowie der wiederholte militärische und politische Druck auf Anrainer zur Durchsetzung maritimer Territorialansprüche zu nennen.

Machtpolitik und Hegemoniestreben Chinas

In den letzten Jahren hat China sich bemüht, seinen maritimen Einflussbereich im Südchinesischen Meer zu festigen. Das Ausmaß der territorialen Ambitionen Chinas wurde völkerrechtlich durch die Vorlage der u-förmigen „9-Striche-Linie“ . Demnach gehören 80 Prozent des Südchinesischen Meeres und die kompletten Spratly-Inseln zu Chinas Souveränitätsgebiet. Der Anspruch wurde bei der United Nations Commission on the Limit of the Continental Shelf (CLCS) geltend gemacht. Dieser Plan hat zum ersten Mal offiziell die Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer erklärt. Als Beleg hierfür dient die Landkarte Chinas, die nicht nur alle Inselgruppen und Meergebiete in der Region beansprucht, sondern ebenfalls die übliche Anerkennung der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ, 200-Meilen-Zone ab der Basislinie) im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) in Frage stellt.

Nach UNCLOS kann ein Küstenstaat – in diesem Fall China - verschiedene seerechtliche Zonen beanspruchen, in denen er auch verschiedene Souveränitätsrechte wahrnehmen kann (für innere Gewässer ist das Souveränitätsrecht absolut, für Hoheitsgewässer sind hoheitliche Befugnisse vorgesehen). In der AWZ kann der Küstenstaat jedoch nur eine beschränkte Souveränität ausüben. Andere Staaten haben die Freiheit der Schifffahrt, des Überflugs, der Verlegung unterseeischer Kabel und Rohrleitungen, sowie der wissenschaftliche Erforschung unter der Bedingung, dass sie die besonderen Rechte des Küstenstaates beachten.

Nach dem neuen Verständnis Chinas sollte der Küstenstaat allerdings nicht nur das Souveränitätsrecht auf wirtschaftliche Aktivitäten wie Fischerei, Ausbeutung von Ressourcen und alle Formen der wissenschaftlichen Meeresforschung besitzen, sondern auch im vollen Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse wahrnehmen, und zwar sowohl in Bezug auf die inneren Gewässer als auch auf die Hoheitsgewässer. Danach müsste jedes Schiff mit einem Forschungsauftrag von Küstenstaat zugelassen werden, wenn es seine AWZ vermessen möchte.

China lässt die Muskeln spielen

Um die u-förmige „9-Striche-Linie“ zu verwirklichen, lässt China mit Schiffen der maritimen Vollzugsbehörden die militärischen Muskeln spielen. Die Zahl der Zwischenfälle mit Nachbarländern, insbesondere philippinischen und vietnamesischen Fischern, ist in den letzten zwei Jahren rapid angestiegen. In den ersten drei Monaten des Jahres 2010 gab es allein 30 Fälle, in denen vietnamesische Fischer von chinesischen Schiffen vertrieben, Mannschaften festgenommen und wegen „unbefugtem Eindringen“ in chinesisches Territorium bestraft wurden.

Seit ein paar Jahren wendet die chinesische Regierung (genauer the Haikou Municipal Government, Hainan province) eine unilaterale Fischfangverbotsvorschrift im nördlichen Gebiet des Südchinesischen Meeres an. Anfang April 2010 sollten zwei Patrouillenboote der Fischereivollzugsbehörde zu den Spratly-Inseln geschickt werden, um chinesische Fischerboote zu schützen und gleichzeitig die Fischfangverbotsvorschrift einzuhalten.
In der ersten Hälfte des Jahres 2011 wurden sechs Zwischenfälle zwischen philippinischen Fischern und chinesischen Schiffen der maritimen Vollzugsbehörden festgestellt. Alleine im Februar 2011 wurden drei philippinische Fischereifahrzeuge, die in den Gewässern 140 nautische Meilen westlich von Palawan (eine Insel im Westen der Philippinen) tätig waren, von China durch Anwendung militärischer Mittel gezwungen, die Region zu verlassen.

Nicht nur die willkürliche Verteilung, Bestimmung und Regelung von Fischereizonen verdeutlicht eine Erhöhung der Präsenz und Verstärkung der Kontroll- und Überwachungsfunktion der chinesischen Marine in den gesamten „jurisdiktionellen Territorialgewässern“ Chinas, sondern auch der Anstieg an Zwischenfällen zwischen China und vietnamesischen und philippinischen Öl- und Gas-Exploratoren zeigt diese Tendenz. Dabei haben diese lediglich in der vietnamesischen und philippinischen AWZ nach neuen Ressourcen gesucht.

Daneben startete die China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) im März ein Projekt,  um eine Mega-Öl- und Gasdrilling-Plattform einzurichten, die im Südchinesischen Meer eingesetzt werden soll. Hierfür wurden am 26. Mai die Kabel eines vietnamesischen Vermessungsschiffes, der Binh Minh 02, von einem chinesischen „Fischereifahrzeug“ vorsätzlich überlaufen und durchtrennt. Die Binh Minh 02 ließ den Schaden reparieren und wurde danach von acht Schiffen bei der Arbeit „begleitet“. Zehn Tage später hatte, vietnamesischen Medienberichten zufolge, wieder ein chinesisches „Fischereifahrzeug“ ein anderes Vermessungsschiff  Vietnams behindert und seine Kabel gekappt.
 
Ausländische Beobachter sehen in Chinas Außenverhalten den Versuch, dank seiner militärischen Überlegenheit in der Region die AWZ und die noch umstrittenen Gewässer de facto zu inneren Gewässern (also als Binnenmeer mit der absoluten Souveränität) zu transformieren und danach de jure zu legitimeren.

Gegenmachtbildung durch Aufrüstung

Die ASEAN-Staaten reagieren auf die zunehmende Neigung zu militärischen Muskelspielen in Beijing mit einer Mischung aus verschiedenen Strategien von unterschiedlichen Balancierungs-Politiken bis hin zu zahlreichen Versuchen, die umstrittensten Territorien durch regionale Organisationen, internationale Verfahren und das Völkerrecht zu regeln.

Sie haben mit der Wiederaufrüstung angefangen und ihren militärischen Modernisierungsprozess in der jüngsten Vergangenheit beschleunigt. Aus diesem Grund haben Vietnam, Malaysia und die Philippinen ihre konventionellen Rüstungsapparate erheblich ausgebaut und versuchen damit die bestehenden Machtasymmetrien in ihren Regionen teilweise zu reduzieren. Exemplarisch ist Vietnam zu nennen, das seinen Verteidigungshaushalt im Jahr 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent erhöht hat. In Zukunft konzentriert sich die Regierung auf die Modernisierung der Streitkräfte, insbesondere der Marine und der Luftwaffe. Darunter fällt eine Bestellung für zwanzig Kampfflugzeuge vom Typ Sukhoi SU30MK2 und sechs U-Booten der Kiloklasse (Wert: 1,8 Milliarden US-Dollar) aus Russland, die im Jahr 2014 geliefert werden sollen.

In sicherheitspolitischer und militärischer Hinsicht kann sagen, dass sich die vietnamesisch-amerikanische Beziehung man in den letzten Jahren fast zu einer „stillschweigenden“ Allianz entwickelt hat. Die reparaturbedingte Anwesenheit eines US-Kriegsschiffes in dem strategisch wichtigen Tiefseehafen Cam Ranh Bay, der aufgrund seiner geostrategischen Lage in der Vergangenheit von den Franzosen, Amerikanern und nach dem Vietnamkrieg 1975 von den Russen als Marinestützpunkt genutzt wurde, ist ein wichtiges Signal dafür. Ein anderes Zeichen war die Einladung der USA an Vietnam zur gemeinsamen multilateralen militärischen Ausbildung.

Manöver mit den USA und internationalen Institutionen

Neben Vietnam habe auch die Philippinen im Haushaltsjahr 2010/11 das Verteidigungsbudget erhöht. Daneben hat Präsident Benigno Aquino zusätzliche 255 Millionen US-Dollar für The Armed Forces of the Philippines (AFP) für den Verteidigungshaushalt 2011 versprochen. Die AFP haben darum gebeten, dass das zusätzliche Geld verwendet wird, um für die Luftverteidigung Radarsysteme, Kommunikationseinrichtungen, Langstrecken-Patrouillen-Flugzeuge und Schnellboote zu kaufen. Offenbar aus Unsicherheit über das chinesische Verhalten im Südchinesischen Meer hat die philippinische Regierung die Wichtigkeit einer Bündnispartnerschaft mit den USA betont. Fünf Monaten nach den militärischen Operationen von chinesischen Schiffen in den umstrittenen Gewässern haben die Philippinen und die Vereinigten Staaten ein gemeinsames Marinemanöver im Südchinesischen Meer durchgeführt, das 22 Tage dauerte.

Darüber hinaus haben sich die ASEAN-Staaten  durch die Institution der Vereinten Nationen und basierend auf der Grundlage der Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen  (UNCLOS) bemüht, die im Jahr 2009 von China vorgelegte u-förmige „9-Striche-Linie“ in Zweifel zu ziehen. Die philippinische Regierung hat dazu ausdrücklich kritisiert, dass diese Politik mit Verfahren und Prinzipien im Sinn von „no basis under international law, specifically UNCLOS“ kollidiert, die die internationale Gesellschaft jahrzehntelang unterstützt hat.

Indonesien und Vietnam haben die u-förmige Landkarte und die Ansprüche Chinas ebenfalls heftig kritisiert. Zuletzt im August 2011 forderte die philippinische Regierung dazu auf, die umstrittenen Fragen bezüglich der Inselgruppen und das aggressive Verhalten Chinas dem Internationalen Seegerichtshof vorzulegen. Im Rahmen des ASEAN Regional Forum (ARF) 2010 wird berichtet, dass der Gastgeber Vietnam, der auch den ASEAN Vorsitz dieses Jahres übernahm, die Vereinigten Staaten und anderen Teilnehmern ermutigen, um auf die aktuellen Geschehen aufmerksam zu machen.

Hanoi hat zum einen anhand der von China und den ASEAN-Ländern unterschriebenen Vereinbarungen UNCLOS und DOC die anderen Parteien aufgerufen, die Einhaltung des Völkerrechts und der gemeinsamen Erklärung im Südchinesischen Meer zu gewährleisten. Zum anderen wurden Staaten, die zwar keine territorialen Ansprüche in dem Meeresgebiet haben, aber aufgrund einer Konfrontationslage wirtschaftlich sehr schwer betroffen wären (Seehandelsrouten und Transport), ein Signal gegeben, dass aus Sicht der kleinen ASEAN-Länder eine „Internationalisierung“ bzw. Multilateralisierung der Gebietskonflikte nötigt ist. Die ASEAN setzen weiterhin im Rahmen der ASEAN-Organisation den Plan fort, die DOC in die Wirklichkeit umzusetzen und sich hin zu einem formalen Code of Conduct (COC) zu bewegen, der eine rechtsverbindliche Verhaltensregel für die Territorialkonflikte darstellen würde.

Der „friedliche Aufstieg“ vor dem Aus?

Über fünfzehn Jahren nach dem Kalten Krieg zeichnete sich ein Bild ab, das anscheinend  die pessimistischen Einschätzungen zum Teil widerlegt: Der weitere Aufstieg Chinas scheint sich friedlich zu vollziehen und statt einer Konfrontation findet ein intensiver Kooperationsprozess zwischen den Ländern im asiatisch-pazifischen Raum statt. Die Regierung Beijings hat seit einigen Jahren den Versuch unternommen, durch verschiedene Konzepte wie “good neighborly relations”, “new concept of security” oder “peaceful rise“ die Angst vor der chinesischen Bedrohung zu reduzieren und die regionalen Kooperationsprozesse unter seiner Führung voranzutreiben.

Doch das positive Bild wandel sich: Statt „Charme Offensiven“ hat China im Zeitraum von 2009-2011 die ASEAN-Länder durch eine Kombination des Einsatzes seiner Machtressourcen, der Ausübung von militärischen Zwängen und der Entwicklung neuer Überzeugungsmuster dazu bewegt, eine neue marine Ordnung in seinem Sinne zu akzeptieren. Dadurch wird das Misstrauen gegenüber den „peaceful rise“-Versprechungen verstärkt.

So bleiben die Südostasien-Staaten zum einen skeptisch, ob China wirklich bereit ist, einen Mechanismus für die Konflikteindämmung in der Region mit aufzubauen und auch die vereinbarten Regeln zu befolgen, selbst wenn sie chinesischen Interessen widersprechen. Zum anderen ist es auch fraglich, wie lange die „Stabilisierung des regionalen Umfeldes“ die erste Präferenz der Außenpolitik Chinas in Südostasien bleibt. Denn die künftige Großmachtrolle Chinas, verbunden mit einer angestrebten Hegemonialstellung in der Region, ist das komplette Gegenteil einer Stabilisierungspolitik.

Dass sich Chinas Ansätze und Bereitschaft zu einer friedlichen Konfliktlösung Anfang des Jahres 2009 verändert haben, könnte auf verschiedene Gründe zurückgehen: Von innenpolitischer Unruhe innerhalb Chinas bis hin zu einer qualitativen Veränderung der globalen Machtkonstellation nach der Finanzkrise 2008, die die Wahrnehmung schürte, dass China bereits zu einer neuen Supermacht im asiatischen Pazifik geworden ist.

Die wiederholten militärischen Machtdemonstrationen und die Stärke Chinas haben bis dahin keinen Einfluss auf die Politikergebnisse in seinem Sinn ausgeübt, sondern im Gegenteil zu verschiedenen Versuchen auf Seiten der ASEAN-Länder geführt, sich gegen die zunehmende Bedrohung Chinas zu wehren und ihre Emanzipationspolitik auf unterschiedliche Art und Weise fortzuführen. Dies wird vor allem durch die Gegenmachtbildungsstrategie der ASEAN-Staaten deutlich. Das Experiment eines „friedlichen Aufstiegs“ ohne die vorhandene internationale Ordnung in Frage zu stellen, scheint an seine Grenzen zu stoßen.

Vu TruongVu Truong

Vu Truong wurde am 17.05.1984 in Ho-Chi-Minh Stadt, Vietnam, geboren. Seit 2005 studiert er in Deutschland: European Studies an der Universität Siegen, und Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Seit Juni 2010 ist er Doktorand an Center for Global Studies, Universität Bonn. Truong arbeitet als freier Journalist für vietnamesische Print- und Online-Medien und hat bereits 150 Hintergrundberichte, Analysen und Kommentare über die Politik und Wirtschaft Vietnams, der ASEAN-Staaten, Chinas und Deutschlands veröffentlicht.

Südchinesisches Meer Asien China Geopolitik

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