Das Geschäft mit Scheinehen blüht von Indien bis IrlandEURASISCHE EHETRICKS

Das Geschäft mit Scheinehen blüht von Indien bis Irland

Osteuropäerinnen, die für eine Aufenthaltsgenehmigung einen Deutschen heiraten, gibt es seit dem EU-Beitritt der osteuropäischen Länder immer weniger. Doch Frauen aus Lettland, Litauen oder der Slowakei werden für eine andere Zielgruppe interessant: Männer aus Indien und Pakistan, die in Irland arbeiten wollen. Die Scheinehen werden durch eine Lücke im EU-Recht und die Ignoranz irischer Behörden begünstigt.

Von Mathias Kolb

D as Angebot klang verlockend: Eine Freundin hatte Anna gefragt, ob sie in den Herbstferien etwas Aufregenderes erleben wollte als ihre lettische Heimatstadt Cesis. „Kristina fragte mich, ob ich nach Irland fliegen wolle, um mit einem Pakistaner über eine Scheinehe zu reden. Es würde mich nichts kosten, das Ticket werde man mir zusenden. Sie sei selbst in Dublin gewesen, habe tolle Sachen gekauft und die Heirat einfach abgesagt“, erinnert sich Anna.

Das war vor einem Jahr. Inzwischen ist die 19-jährige Lettin aus Irland zurückgekehrt. Sie sitzt in einem Café in Riga. Mit dem rosa T-Shirt unter dem grauen Pulli und den perfekt lackierten Fingernägeln wirkt sie wie eine normale lebenslustige Frau.

Was sie durchgemacht hat, ist ihr nicht anzusehen: Am Flughafen in Dublin wurde die Schülerin von zwei Pakistanern abgeholt. Schnell musste Anna erkennen, dass ihre Freundin gelogen hatte. Sie durfte nicht shoppen gehen, sondern musste im Haus der Familie bleiben. „Mein potenzieller Ehemann sagte ganz offen, dass er eine osteuropäische Frau bestellt habe, um in Irland bleiben zu können.“

Männer aus Indien und Pakistan ordern Schein-Ehefrauen

Während Anna erzählt, blickt sie immer wieder zu Aleksandra Jolkina hinüber. Die Journalistin hat seit 2007 in Lettland und Irland über Scheinehen recherchiert. „Viele Studenten aus Indien, Pakistan oder Bangladesch suchen nach einer Möglichkeit, um in der EU bleiben zu können“, erklärt Jolkina. Sie wüssten genau, dass eine Heirat mit einer Ausländerin aus einem anderen EU-Land dafür ideal sei.

Denn der Tatbestand der Scheinehe ist auf der grünen Insel nicht definiert: In den Standesämtern wird kaum überprüft, ob sich die Partner überhaupt kennen, berichtet die Journalistin. Anders als in Deutschland findet keine getrennte Befragung der künftigen Eheleute statt. Ein Grund dafür ist die Macht der katholischen Kirche: In Irland werden fast alle Ehen von einem Pfarrer geschlossen, und die Urkunde, die er ausstellt, wird von allen zivilen Stellen akzeptiert.

Trauschein als Gold-Karte zur Einwanderung

Auch das EU-Recht begünstigt den Schwindel. Die Richtlinie über die Freizügigkeit für Arbeitnehmer gewährt einem EU-Bürger und dessen Ehepartner aus einem Nicht-EU-Land ein fünfjähriges Aufenthaltsrecht. Die Voraussetzung dafür ist, dass beide in einem Drittstaat leben. Irische Schein- Ehepartnerinnen seien also nicht interessant, erklärt Jolkina: „Wenn ein Inder eine Irin heiratet, darf er ein Jahr bleiben. Doch wer in Dublin eine Lettin heiratet, darf nach fünf Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen. Die Eheurkunde ist die goldene Karte für die Einwanderung.“

Dass es in dem lukrativen Geschäft nicht zimperlich zugeht, bekam Anna zu spüren. Als sie merkte, in welche Falle sie geraten war, gab sie an, ihre Geburtsurkunde vergessen zu haben. Doch die Lüge flog auf. Das Mädchen sagt mit leiser Stimme: „Ich habe gefleht, dass sie mich gehen lassen. Mein Ehemann entgegnete, er habe tausend Euro an einen Freund überwiesen. Ich müsse das Geld zurückzahlen.“

Die Gefahren sind groß

Anna bat ihre Freundin Kristina, den Betrag zu überweisen. Die Antwort kam per E-Mail: Sie habe das Geld schon ausgegeben. Anna war zwar eingesperrt, aber sie fand im Internet die E-Mail-Adresse eines lettischen Journalisten in Dublin. Sechs Stunden später klingelten Polizisten an der Tür. Die Beamten brachten Anna auf die Wache, und nach einer Nacht im Hotel konnte sie mit Hilfe der lettischen Botschaft nach Riga fliegen.

Anna habe Glück im Unglück gehabt, erklärt Arturs Vaisla von der lettischen Staatspolizei, denn sie sei nur psychisch unter Druck gesetzt worden. Der Beamte kennt auch Fälle, in denen Frauen geschlagen und vergewaltigt werden, wenn sie nicht aufs Standesamt gehen wollen. Vaisla leitet eine Sondereinheit zur Bekämpfung von Menschenhandel und kennt aktuelle Zahlen: Im ersten Halbjahr 2010 beantragten 253 Pakistaner ein Aufenthaltsrecht in Irland mit der Begründung, sie seien Ehepartner einer EU-Bürgerin. Fast jeder Dritte hatte eine lettische Frau.

Vaisla erklärt den Boom der Scheinehen mit der Wirtschaftskrise in Lettland. „Die Arbeitslosigkeit beträgt bei uns über 20 Prozent. Immer mehr Lettinnen sind deshalb bereit, für Geld nach Irland zu gehen.“ Dort würden seine Warnungen kaum beachtet, so der Polizist: „Die Verbrecher wissen, dass die irische Polizei nichts tut.“

Die globale Krise lässt die Preise sinken

Viele Frauen schweigen nach ihrer Rückkehr - aus Scham und aus Furcht vor Rache. Denn mögen die Organisatoren des Menschenhandels auch in Irland sitzen, in Lettland haben sie ihre Komplizen, die dort gegen Provision nach neuen Opfern suchen. Oft sind es Bekannte, die junge Mädchen in die Falle locken. 

Aleksandra Jolkina hat Dutzende Fälle analysiert: „Früher waren die Frauen Anfang 20, arbeitslos und vom Lande. Oft hatten sie kleine Kinder, die sie zurückließen.“ Nun seien auch immer mehr Frauen über 30 bereit, eine Scheinehe einzugehen. Zudem lässt die globale Krise die Preise sinken. 2005 wurden den Frauen noch 10 000 Euro für eine Scheinehe geboten - heute ist es nur noch ein Zehntel davon.

Anna hat inzwischen den Kontakt zu Kristina abgebrochen und ist nach Riga gezogen. Dort studiert sie Medizin und lernt Englisch, um möglicherweise später im Ausland arbeiten zu können. Nur nach Irland möchte sie nie wieder.

*

 

Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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