Das schwarze Loch EuropasBOSNIEN-HERZEGOWINA

Das schwarze Loch Europas

Das schwarze Loch Europas

Bosnien-Herzegowina sei die erfolgreichste Friedensmission aller Zeiten. Zu diesem Urteil verstieg sich der Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen, Paddy Ashdown, zehn Jahre nach dem Friedensvertrag von Dayton. Tatsächlich ist kein Land in Ost- und Südosteuropa so rückständig wie der Vielvölkerstaat auf dem Balkan.

Von Wolf Oschlies

Paddy Ashdown, Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen (VN) in Bosnien-Herzegowina  
Paddy Ashdown, Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen (VN) in Bosnien-Herzegowina  

P addy Ashdown ist seit dem Jahr 2002 Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen (VN) in Bosnien-Herzegowina – zumindest lautet so die offizielle Bezeichnung seines Amtes. Faktisch ist der Brite Statthalter des VN-Protektorats, das mit dem Anhang Nummer 14 des Friedensvertrages von Dayton geschaffen wurde. Der am 21. November 1995 in Dayton (US-Bundesstaat Ohio) unterzeichnete Pakt übertrug dem Hohen VN-Repräsentanten immense Vollmachten: z.B. kann er Politiker aus ihrem Amt entlassen, wenn sie gegen Bestimmungen des Dayton-Abkommens verstoßen.

Mit dem Friedensvertrag von Dayton wurde ein Krieg beendet, der zwischen März 1992 und August 1995 unermeßliche materielle Schäden verursachte. Vor allem kostete er 278.000 Menschen das Leben und vertrieb über drei Millionen Menschen aus ihren Heimstätten: Davon blieben 1,2 Millionen im Lande, rund zwei Millionen flohen in 110 Staaten über den ganzen Globus verteilt. Zur Implementierung des Dayton-Vertrages wurden anfänglich über 60.000 Soldaten bereitgestellt. Ihr von der NATO geführter Einsatz firmierte unter dem Kürzel IFOR, später SFOR. Im Dezember 2004 übernahm die Europäische Union die Aufgabe der Friedenssicherung und stellte zu diesem Zweck die EUFOR-Truppe (knapp 7.000 Mann) zusammen.

„Die erfolgreichste Friedensmission, die die Welt je gesehen hat.“

Bosnien-Herzegowina ist ein multiethnisches Land. Im Jahr 1991 lebten hier 43,7 Prozent bosnische Muslime, 31 Prozent Serben und 17,3 Prozent Kroaten. Der Vertrag von Dayton brachte eine militärische Entflechtung, jedoch keine zivile Befriedung. Diese existiert nur in den Vorstellungen von Paddy Ashdown. Anfang Oktober 2005 sagte er im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „Bosnien ist weit davon entfernt, ein schwarzes Loch zu sein. Es ist die erfolgreichste Friedensmission, die die Welt je gesehen hat. (…) Die wahren Helden in diesem Land sind die einfachen Menschen, die an jene Orte zurückkehrten, von denen sie zuvor vertrieben worden waren. Heute leben sie dort wieder miteinander, etwa in Srebrenica. Das ist ein Wunder“.

Ashdowns Befund ist eine verschrobene Mischung aus Schönrederei und Unwahrheit. In den Augen seiner Bevölkerung wurde Bosnien-Herzegowina infolge des Vertrages von Dayton durchaus zum crna rupa Evrope, zum schwarzen Loch Europas. Und hierfür lassen sich gute Argumente finden:

Über zwei Drittel der Jugendlichen sind ohne Arbeit

Bosnien-Herzegowina: Ein Gefahrenherd in Europa

Zehn Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Dayton stellt Bosnien-Herzegowina eine Gefahr für Europa dar: Drogenschmuggler, Menschenhändler und islamische Fundamentalisten nutzen das Land als Ausgangsbasis. Der Sprengstoff, der bei den Anschlägen in London im Juli dieses Jahres verwendet wurde, stammte laut US-Experten aus Bosnien! Al-Qaida-Chef bin Laden ist, wie bekannt, bosnischer Staatsbürger.   

Bosnien will bis 2007 eine Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union abschließen, zwei Jahre später will das Land die Vollmitgliedschaft erreichen. Bislang konnte die Regierung in Sarajewo aber nicht einmal die Aufnahmekriterien für die „Partnerschaft für den Frieden“ der NATO erfüllen. In einer Umfrage in diesem Jahr bekundeten rund 70 Prozent der Bevölkerung, daß man das Land so rasch wie möglich verlassen wolle. Die internationale Gemeinschaft hat mindestens 53 Milliarden US-Dollar in das Land gepumpt, dieses dabei aber faktisch zerstört.

Dennoch meint Ashdown, Bosniens Entwicklung in den zehn Jahren nach Dayton sei ein „Wunder“. Was dazu zu sagen ist, formulierte die bosnische Wochenzeitung „Dani“ am 7. Oktober höchst eindeutig: „Entweder sitzt im Amt des Hohen Repräsentanten ein Idiot, oder er hält die Bürger Bosnien-Herzegowinas für Idioten.“ („Ili u Uredu Visokog predstavnika sjedi idiot ili on idiotima drži gradane Bosne i Hercegovine.“)

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Der Autor: Prof. Dr. Dr. h.c. Wolf Oschlies (geb. 1941) ist Osteuropa- und Balkanexperte und lehrt an der Universität Gießen.

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