Das vergessene LandABCHASIEN/GEORGIEN

Das vergessene Land

Zehn Jahre nach dem Ende des Burgerkriegs mit Georgien macht sich Abchasien auf den Weg nach Rußland. Mehr als die Hälfte der Bewohner haben bereits die russische Staatburgerschaft angenommen

Von Andrea Jeska

EM – Als die Revolution gegen den Wahlfälscher Schewardnadsein der georgischen Stadt Tiflis eine rosige, keine blutige wurde, rieb mansich in Abchasien, welches gerne als abtrünnig bezeichnet wird, nervösdie Hände. Im vergangenen Herbst erst hatte das Land den 10. Jahrestagseiner Unabhängigkeit von Georgien gefeiert. Ein weiteres Mal wurde beschworen,das abchasische Volk werde sich nie wieder den Georgiern unterordnen. Nachder Rosenrevolution aber schienen die Karten neu gemischt, und mit Sorge wurdendie politische Intervention der Amerikaner betrachtet. Eiligst flogen die abchasischenDelegierten, denen man der politischen Korrektheit halber ein de facto voranstellenmuß, nach Moskau, um sich den Schutz der russischen Großmacht zusagenzu lassen. Abchasien sucht einen starken Verbündeten für den Fall,daß die Georgier mit der amerikanischen Unterstützung im Rückeneinen Krieg gegen Abchasien anzetteln. Ein Gedanke, der auf den ersten Blickparanoid erscheint, deshalb aber noch lange nicht unberechtigt ist.

Der Präsidentenwechsel in Georgien kommt für Abchasien äußerstungelegen. Gerade hat man dort den Weg nach Rußland eingeschlagen, habendie ersten russischen Investoren Geld in den Wiederaufbau des Tourismus gesteckt.Zum ersten Mal seit Jahren glaubten die Abchasen an eine helle Zukunft. AnBadegäste und neuen Reichtum, an Luxus und den Einzug des Kapitalismus.

Suchumi – einst mondäner Badeort

Zu Sowjetzeiten war Suchumi die „weiße Stadt am Meer“, ein Sommerparadiesfür Georgier und Russen zugleich, eine Art sowjetisches Heiligendamm,mit exklusiven Hotels, Cafés, einer lebhaften Künstlerszene. Alsnach zweijährigem Bürgerkrieg im Herbst 1993 Georgier und Abchasenaufhörten, einander zu erschießen, waren die warmen Sommer der Unschuldscheinbar für immer entschwunden. Aus weißen Häusern warenschwarze Ruinen geworden. Die georgischen Truppen hatten sich brandschatzendaus dem Land zurückgezogen, mit ihnen flohen rund 200.000 Georgier: inunzulänglichen Booten zu Wasser und in bitterer Kälte über dieBerge des Kaukasus. Ihr Auszug erlangte nur marginale Aufmerksamkeit in derWelt. Europa blickte zu jener Zeit entsetzt auf Serbien. Amerika kannte Abchasiennicht. Das Interesse der USA am Südkaukasus erwuchs erst mit dem Bau derPipeline, die einst Öl vom Kaspischen Meer bis zum Mittelmeer führensoll.

Suchumi, das schöne Suchumi mit seinen palmengesäumten Straßen,lag da als Trümmerhaufen, durch den der Wind der Armut und Not pfiff.In den Ruinen wuchsen Bäume, vom subtropischen Klima in die Höheund Breite getrieben, sprengten sie bald die letzten Wände und decktenihre Zweige gnädig über den Verfall. Nach dem Exodus der Georgier,die mehr als die Hälfte der Landesbevölkerung ausmachten, breitetesich Leere und Vergessen über Abchasien. Mit einem internationalen Embargobelegt, ohne Industrie, Handel und Investitionen, war an Wiederaufbau nichtzu denken.

Nach zehn Jahren der Armut scheint es heute, als habe sich das beharrlicheFesthalten an der Loslösung von Georgien gelohnt. Abchasiens PräsidentWladimir Ardsinba, dessen Name mit dem Bürgerkrieg verbunden ist, liegtseit über einem Jahr im Krankenhaus, das Geschick des Landes längstin anderen Händen. Die Neuen haben enge Kontakte zu Moskau geknüpftund sich dort des Erhalts ihrer Macht und der wirtschaftlichen Unterstützungfür ihr Land versichert. Vorbei sind die Zeiten, in denen die abchasischenPolitiker, allen voran Außenminister Sergej Shamba, von der Angst vorAssimilation erzählten. Längst ist offensichtlich, daß dieFreiheit nur als Freiheit von Georgien begriffen werden kann, das abchasischeLand am russischen Busen hängt und von diesem auch nicht lassen will.Zwar wird noch immer erzählt, die Abchasen hätten die Russen zu Hilfegerufen, als sie von den Georgiern niedergemetzelt wurden, doch dem Gegenargument,man habe die Russen nicht rufen müssen, denn sie seien längst dortgewesen, wird nicht mehr widersprochen. Schulterzuckend erzählt man sich,daß die Russen den Abchasen die Loslösung von Georgien ins Ohr flüsterten,na und?

Russische Pässe für das unabhängige Abchasien

Das karge Leben hat den Hunger nach Verheißungen ins Unermeßlichewachsen lassen. Der Kriegsgeneration, die viel Idealismus für die Unabhängigkeitaufbrachte, um die Not zu ertragen, ist eine junge Generation von selbstbewußtenAbchasen gefolgt, die nicht von der Welt ausgeschlossen sein will. Nach Europa,wo man Abchasien vergessen hat, wahrscheinlich nicht einmal seine Lage kennt,wagt man die Gedanken nicht zu schicken. Die Erfüllung der Verheißungenliegt jenseits der russischen Grenze, über die Tag für Tag alte Frauenund Männer die Früchte des Landes tragen – Apfelsinen, Tee, Feigen.Auf der anderen Seite dieser Grenze liegt Sotschi, der Nobelbadeort der neureichenRussen. Und: weiter nördlich liegt Moskau. Da Rußland sich offiziellam Embargo gegen Abchasien beteiligt, darf es diesen Grenzverkehr nicht geben.Um zu legalisieren, was ein offenes Geheimnis war, boten die Russen den Abchasenim vergangenen Jahr russische Pässe an. Mehr als die Hälfte der Abchasenhaben seitdem ihre Staatsbürgerschaft abgelegt, die ohnehin nur auf demPapier abchasisch, de jure nach wie vor georgisch war.

Pünktlich zum Dezennium kamen die russischen Investitionen in den WiederaufbauAbchasiens. Die einstigen Prachthotels mit ihren Jugendstilornamenten wurdenweiß gestrichen, die Häuser der Innenstadt renoviert. Sofort lag überSuchumi ein Hauch von Süden. In Impromptu-Straßencafés standCappuccino auf der Karte, auch wenn es den gar nicht gab. Allein das Wort schienden jungen Abchasierinnen Verlockung zu sein. Auf wackeligen billigen Plastikstühlenschlugen sie ihre Beine graziös übereinander, wühlten in Handtaschenmit schlecht gefälschtem Designerlabel und ließen lasziv den KlangItaliens über die Zunge rollen. Selbst die Auslagen der Geschäfteschienen über Nacht mit wunderbarer Dekadenz erfüllt zu sein. Dagab es Stereoanlagen aus Korea, Kinderwägen aus China, Dampfbügeleisenaus Polen, beheizbare Lockenwickler aus Rußland, Champagner aus Frankreichund in rosa Spitze gekleidete Puppen mit blondem Haar, die auf Knopfdruck einenitalienischen Sommerhit singen.

Der Platz der Republik wurde mit bunten Fahnen geschmückt. Dort standenauf den Grabplatten der abchasischen Gefallenen im Bürgerkrieg gegen Georgienstolz die Jahre der Souveränität geschrieben: 1993-2003. Schwarzgekleidete Frauen und Männer mit zerfurchten Gesichtern legten daraufBlumen für die jugendlichen Alekseis und Konstantins, Georges und Sergeis.Sie starben auf den Schlachtfeldern, die zuvor nichts anderes als die Getreide-oder Kartoffeläcker ihres Heimatdorfs waren. Erschossen von anderen jungenMännern, mit denen sie die Kindheit teilten.

Alles schien gut. Zumindest in Suchumi. Doch schon in der Grenzregion zwischendem georgischen Zugdidi und dem abchasischen Gali waren Luxus und Frieden eineSchimäre. Einmal am Tag fährt von dort ein klappriger Omnibus indie abchasische Hauptstadt Suchumi. Wer kann, haut aus der Gegend ab und kommtnicht wieder. Es gibt keine Arbeit, das Leben gilt hier als gefährlich.Am Ufer des Flusses Inguri, der Georgien von Abchasien trennt, liegen Landminen.Dazwischen treiben sich Partisanen, Freischärler und Banditen herum. Ander Verschiebung von Autos, Waffen, Drogen und manchmal auch Menschen, verdienendie Grenzsoldaten, vermutlich auch die russischen Blauhelme mit. Die in Galiverbliebenen Georgier leben in Furcht vor Anschlägen. Alle Monate langgibt es neue Geschichten über Morde und Vergewaltigungen, manchmal sinddiese sogar wahr.

Abchasen und Georgier – vereint seit der griechischen Antike?

Trotz der offensichtlichen Antipathien sind die Georgier nicht bereit, vonAbchasien zu lassen. Zum Zeitpunkt der Abspaltung stellten die Abchasen inAbchasien gerade mal 17 Prozent der Bevölkerung, da will den Georgiernnicht in den Sinn, warum gerade sie weichen mußten. Für die Altenist Abchasien zudem Nostalgie. Da hatten sie ein Haus, einen Garten. Kühe,Pferde, Schweine. Eine Wäscheleine von Apfelbaum zu Apfelbaum. Nach dergeorgischen Legendenbildung haben Abchasen und Georgier seit der Zeit, alsAbchasien zur Kolchis gehörte und Jason mit seinen Argonauten zum Raubdes Goldenen Vlies kam, friedlich zusammengelebt. Dieser kaukasische Hang zurLegendenbildung hat die Frage, wer den Krieg aus welchen Gründen begannund dann fahrlässig zwei Jahre lang weiterführte, unbeantwortet gelassen.Beide Seiten schieben sich die Schuld zu. Der Funke des Hasses ist noch immerschnell zu entzünden, schnell auch eine neue Drohung ausgesprochen.

In Abchasien konnte man nach dem Krieg über Georgien nur Schreckensmeldungenlesen. Die regierungsabhängigen Zeitungen und Agenturen ergingen sichin Artikeln über die georgischen Zustände: Kriminalität, Korruption,Menschenhandel, Anarchie. Die Botschaft lautete stets, man könne frohsein, die Georgier vom Hals zu haben. Daß die ethnische Vertreibung nichtnur ein völkerrechtlich illegales Mittel der Politik ist, sondern über200.000 Georgier auch großes Leid brachte, wurde stets als periphereBegleiterscheinung des Kampfes um Souveränität dargestellt.

Der Protest der Georgier gegen Schewardnadse brachte die abchasische Presseein wenig in Erklärungsnot. Die Lösung auf die Frage, wie man sichdavor drückt, die georgische Rosenrevolution als Sieg des Volkes überUnterdrückung darzustellen, war bald gefunden: Schewardnades Sturz unddie Wahl Michail Saakashvilis zum Präsidenten seien Teil eines imperialistischerKomplotts der Amerikaner, das auch vor Abchasien nicht haltmachen würde,hieß es. Als die neue First Lady in einem Interview sagte, ihr Mann wolleAbchasien wieder holen, sah man sich bestätigt. Seitdem gibt es mal wiederKriegsgerüchte, weht auch in Suchumi ein kalter Winterwind und die jungenFrauen haben aufgehört „Cappuccino“ zu flöten.

Kaukasus Russland

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