Der Weg des „Istrischen Esels“KROATIEN

Der Weg des „Istrischen Esels“

Der Weg des „Istrischen Esels“

Wanderer, kommst Du nach Pula, frage nie einen Einheimischen nach dem Weg! Es sei denn, Du willst mit dem Auto an Dein Ziel kommen. Für Fußmärsche sind die Menschen auf der istrischen Halbinsel denkbar schlechte Auskunftspersonen. Und Wandern nach dem Prospekt des Tourismusverbands ist eine echte Herausforderung.

Von Gretel Weiblen

E Das Wandern in der Natur ist die vollkommenste Form der Erholung, eine ausgezeichnete Erfrischung in körperlicher und seelischer Hinsicht.“ So heißt es im „Willkommensgruß“ des Tourismusverbands von Pula, der dessen Wanderprospekt aus dem Jahr 2004 vorangestellt ist.

„In dieser wunderschönen Stadt und seiner herrlichen unmittelbaren Umgebung bieten wir den Touristen, den Bewohnern unserer Stadt und den Reisenden ein Netz von erkundeten und gut ausgesuchten 12 Wanderwegen in der Natur in einer Gesamtlänge von 70 Kilometern.“ Das klingt wirklich verheißungsvoll. Denn wir suchen nicht die fetzigen, kraftzehrenden  Biker-Trekking-Touren für die Fünfzehn- bis 25-jährigen, sondern erholsame Wanderungen mit Freunden, mit der Familie, als Abwechslung vom Leben am Strand.

Wir entscheiden uns als erstes für Wanderweg Nr. 10. Er ist wie alle zwölf Routen nach einem Tier benannt, in unserem Fall trägt er die Bezeichnung „Istrischer Esel“. Der Weg führt  zunächst über das nahe bei Pula gelegene Stinjan durch das Landesinnere zum Küstenort Puntizela. Man kommt vorbei an Olivenhainen und kleinen Siedlungen. Der Duft von Schafen und Ziegen liegt in der Luft. Von Puntizela aus soll es dann überwiegend an der Küste entlang in einem langgezogenen Oval wieder zurück nach Stinjan gehen.

Buschbrände auch in Istrien?

Wir haben kaum die erste Ortschaft hinter uns gelassen, schon lockt uns ein schattiger Olivenhain zu einer kurzen Rast. Danach geht es längere Zeit leicht bergan in westlicher Richtung auf die Küste zu. Um die Mittagszeit weht uns leichter Geruch nach verbranntem Holz um die Nase. Er kommt nicht aus dem nächsten Dorf, an dessen zerfranstem Siedlungsrand uns nicht enden wollendes Hundebell empfängt. Er weht von der Höhe herunter, der wir in praller Sonne entgegengehen.

Und da sehen wir plötzlich den Grund: abgefackelte Macchia, soweit das Auge reicht. Verbrannte Büsche und geschwärzte Erde – Bilder vom griechischen Peloponnes  kommen uns in den Sinn, auf dem es während mehrerer Wochen in diesem Sommer gebrannt hat. Gar so heftig ist es hier nicht, die Fläche ist begrenzt. Vielleicht haben zündelnde Jugendliche die Brände verursacht. Wir haben später nichts mehr dergleichen vorgefunden.

In den Senken stehen hellgrüne Pinienwälder und auf den Höhen Zypressen. Vor uns senkt sich der Weg, und wir erblicken plötzlich die weite blaue Adria, die dort, wo die südlich stehende Sonne auf das Wasser trifft, silbern schimmert. Am Rande des Trampelpfades, der hinunter an ihre Gestade führt, stehen überall Stauden blühenden Thymians. Er wächst hier überall wild und verleiht der Luft die unverwechselbare mediterrane Würze.

Wege, die im Nichts enden

An der Küste vor Puntizela herrscht reges Treiben. Boote werden zu Wasser gelassen. Segler genießen die leichte Brise. Kinder planschen am steinigen Strand. An einem Lichtmast entdecken wir die vorerst letzte Wegmarkierung. Ein Pfeil weist von hier geradewegs in den weitläufigen Campingplatz hinein.

Da das Gelände sich an der azurblauen Küste mit ihren weißen Felsen hinzieht, vermuten wir, dass auch der Weg eine Weile durch den Platz verläuft. Eine andere Möglichkeit sehen wir weit und breit nicht.  Aber die Angestellte der Campingeinrichtung erklärt kategorisch, hier führe kein Weg weiter. Hinter dem Platz, wenn wir denn hindurch liefen, gäbe es nur noch dichtes Gestrüpp, dort ginge dann gar nichts mehr. Sie sei schon fünf Jahre hier und in dieser ganzen Zeit hätte sie noch nie Wanderer einen Weg durch ihren Platz nehmen sehen.

Was sollten wir tun? Die felsige Küste ließ nur einen schmalen Streifen, auf dem man allenfalls halb kletternd weiterkommen könnte. Und auf der anderen Seite des Platzes kam eine Verkehrsstraße, auf der weiterzugehen nicht ratsam war.

Plötzlich entdeckten wir einen Pfeil an einem der Bäume des Campingplatzes. Und 50 Meter weiter dann das Zeichen der Wegmarkierung „Istrischer Esel“. Die Route führte geradewegs durch den Campinglatz, auf gemächlichen Pfaden zwischen Zelten und Wohnwagen hindurch, immer in der Nähe der Küste, an einem Nobelrestaurant vorbei leicht aufwärts.

Doch plötzlich standen wir tatsächlich vor gewaltigen Felsbrocken und ein paar Schritte weiter wurde die Macchia undurchdringlich. Sollte die Campingplatzangestellte doch Recht behalten?

Wer das blanke Abenteuer sucht, findet hier viele Voraussetzungen

Aber so schnell waren wir nicht gewillt aufzugeben. Als erfahrene Wanderer wussten wir, wie schnell Wegmarkierungen mit umgestürzten Bäumen verschwinden oder vom Dickicht überwuchert werden konnten. Tatsächlich entdeckten wir einen verblassten Pfeil, der in das weit über mannshohe Gestrüpp hinein zeigte. Nach fünf, sechs Versuchen, die alle im Wildwuchs endeten und nicht weiterführten, stießen wir auf einen offenbar gut begangenen Pfad. Er verlief auch in der richtigen Richtung, also parallel zur Küste wie es der Wanderprospekt zeigte. Auch wenn für den Augenblick keine Wegmarkierung zu sehen war, beschlossen wir, dieser Route zu folgen. Das sollte sich schon bald als richtig erweisen, denn nach einigen hundert Metern mündete unser schmaler Weg wieder in den markierten Pfad ein.

So gelangten wir schließlich in der Abenddämmerung wieder nach Stinjan. Ein Bus brachte uns zurück nach Pula. Geschafft! Der nächste Tag diente der Erholung und der Regeneration. Für uns war diese Tour von über 30 Kilometern zu bewältigen gewesen. Mit einer unerfahrenen Gruppe oder gar einer Familie, die einen Tagesausflug mit Kindern machen wollte, wäre es wohl unvermeidlich zu einem mittleren Drama gekommen. Wer das blanke Abenteuer sucht, wird eine solche Wanderung vielleicht als Herausforderung sehen – wer eher Erholung sucht, wird ziemlich in die Irre geführt durch den Wanderprospekt von Pula, der im übrigen auch keinen Maßstab enthält und dessen Entfernungsangaben reichlich ungefähr ausfallen.

In den Ucla-Bergen und der Cicarija-Bergkette im Nordosten des Landes, wo es auch geführte Wanderungen gibt, mag es anders sein. Hier trifft man vielleicht auf andere Personen, die ebenfalls die Wanderschuhe lieben. Aber auf unserer gesamten Tour von über 30 Kilometern, ist uns nicht eine Menschenseele begegnet, schon gar nicht wandernd. Lediglich ein paar junge Leute aus einem österreichischen Campingbus standen in der Nähe von Stinja im Wald, um die gewaltigen Befestigungswerke ihrer Großväter aus der Kaiserzeit zu besichtigen.

Eine Küste wie aus dem Bilderbuch – am Strand aber leider Dreck ohne Ende

Gewandert ist niemand. Die Leute in den kleinen Dörfern, die wir nach dem Weg gefragt haben, kannten im Prinzip nur eine Reaktion: sie schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und stießen serbokroatische Laute aus, die unschwer als Warnungen zu verstehen waren. -  Mit dem Auto sollten wir fahren, aber doch niemals soweit zu Fuß gehen!

Dort, wo die einheimische Bevölkerung mit allen möglichen Fahrzeugen vom Motorrad bis zum dicken Wagen direkt an die einsamsten Stellen der Küste fahren kann, steht in penetranter Manier auf jedem Felsen, der sich besprühen lässt, in blauer Schrift „FKK“. Und hier ist die schöne Adriaküste grausam verdreckt. Kilometer weit Unrat. Wilde Müllbeseitigung. Unrathaufen oft hinter jeder Steineiche und unter jedem Erdbeerbaum der immergrünen Macchia. Auf dem Strand selbst sieht es nicht besser aus. Sogar auf den weißen Felsen, die zum Liegen von Badenden aufgesucht werden: Styroporverpackungen, leere Motorenölflaschen, Autoreifen, Glassplitter, Folien, verfaulte Essensreste, Kühlschränke, ja ganze Altautos, Matratzen…

Eine Bilderbuchküste mit Wasser dessen Tiefe man sehen kann, so klar und so sauber. Ein Meer frei von Quallen und Algen. Ein Strand ohne Mücken. Und dann dies.

Fairerweise muss man sagen, dass zwei weitere dieser Wege in der näheren Umgebung von Pula leichter auffind- und gangbar waren. Und auch mit weniger Müll belastet. Aber leider gab es keinerlei Anfahrtsskizzen für den Wanderbeginn, auch nicht für das Erreichen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das ist leider ziemlich unprofessionell und führt dazu, dass man  viel zu viel Zeit  mit der Suche für den Ausgangspunkt der Tour verplempert. – Schade, dass ausgerechnet bei dem erholsamen Vergnügen des Wanderns, bei dem man Land und Leute am besten kennenlernen kann, organisatorisch noch ziemlich viel im Argen liegt.

PS: Auffallend war – aber das ist uns erst im Nachhinein wieder zu Bewusstsein gekommen -  dass der Faltprospekt „Pula – Wanderwege in der Natur“ leicht angestaubt war und im  Tourismusbüro unten aus einem Schrank gekramt werden musste. Das hätte uns vielleicht schon misstrauisch machen sollen.

*

Die Autorin ist Mitglied des Schwäbischen Albvereins Nürtingen und hat Wandererfahrung in Mittel- und Osteuropa, Griechenland und Skandinavien.

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