Der unsterbliche TitoEX-JUGOSLAWIEN

Der unsterbliche Tito

Der unsterbliche Tito

Keinem anderen in der Geschichte Jugoslawiens gelang das kokette Spiel zwischen Ost und West so wie Marschall Josip Broz Tito. Er überwarf sich mit der Sowjetunion, hypnotisierte mit seinem Charisma die bunte Völkergemeinschaft Jugoslawiens, aber auch die internationalen politischen Größen. Am 7. Mai 1892 wurde Tito geboren - nur drei Tage vor seinem 88. Geburtstag verstarb er, am 4. Mai 1980. Seit einigen Jahren erlebt der Personenkult um Tito eine Renaissance, die ihresgleichen sucht.

Von Veronika Wengert

Tito-Kult in der Ausstellung: Museum Moderner Kunst in Belgrad.  
Tito-Kult in der Ausstellung: Museum Moderner Kunst in Belgrad.  

D er legendäre Staatschef Josip Broz Tito ist zwar schon eine ganze Weile tot – aber so ganz scheint man im ehemaligen Jugoslawien noch nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben. Vielmehr lässt die Nostalgiewelle kräftig die Kassen klingeln. So finden Urlauber in Montenegro heute wohl kaum einen Souvenirstand, an dem nicht Kaffeetassen, T-Shirts oder Schlüsselanhänger mit Titos Konterfei oder der allmächtigen Parole des jugoslawischen Vielvölkerstaates - „Brüderlichkeit und Einheit“ - angeboten werden. Tanja, die an der Strandpromenade von Budva Souvenirs verkauft, kennt den ehemaligen Staatschef allerdings nur aus den Erzählungen ihrer Eltern: „Er hatte Charisma, er hielt unsere Völker zusammen und überhaupt war er ein echter Held“, schwärmt die junge Frau, die vier Jahre nach Titos Tod geboren wurde.

In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo treffen sich junge Kneipengänger unterdessen im Cafe „Tito“, wo sie unter dem Porträt des Marschalls taurinhaltige Modegetränke konsumieren. Und vergangenen Winter wurde vor allem in Bosnien, Serbien und Mazedonien und sogar in Kroatien zum Pophit von „Genossin“ Tijana Dapcevic in den Diskos getanzt.

„Alles ist, wie es war - nur er ist nicht mehr da“

Geschenk für den unvergessenen Tito im Haus der Blumen.  
Geschenk für den unvergessenen Tito im Haus der Blumen.  

In Kroatien hält man sich jedoch ein wenig zurück mit dem Tito-Kult. Der Partisanenkämpfer wird hier vor allem für das Massaker von Bleiburg 1945 verantwortlich gemacht. Zudem befindet sich die Gefängnisinsel Goli Otok in Kroatien, wo unliebsame politische Gegner in den Nachkriegsjahren weggesperrt wurden. Ab er auch hier heißt es: „Alles ist, wie es war - nur er ist nicht mehr da“ - so trällert die attraktive blonde „Genossin“ in Pionieruniform ins Mikrofon. Und die Massen tanzen. Dass der charismatische Tito sogar Kinoformat hat, bewies der kroatische Regisseur Vinko Bresan bereits im Jahr 2000, als er mit „Marschall Titos Geist“ den Personenkult parodierte - und damit prompt einen Sonderpreis auf der Berlinale abräumte.

In Slowenien ist es ebenfalls eine ganz andere Generation, als man zunächst vermuten würde, die den Tito-Kult pflegt: Hier haben zwei Studenten dem Marschall bereits 1994 die eigene Homepage www.titoville.com gewidmet, die sogar der „New York Times“ einen Artikel wert war. Und im Vorjahr organisierte die lokale Studentenvereinigung in der slowenischen Küstenstadt Portoroz ein großes Rockfestival anlässlich des 25. Mai, an dem einst der „Tag der Jugend“ gefeiert wurde. Der 25. Mai ist seit dem Zweiten Weltkrieg auch offiziell als Titos Geburtstag begangen worden, obwohl Tito ja eigentlich am 7. Mai 1892 geboren wurde.

In Bosnien-Herzegowina: Fünfundzwanzig Tito-Vereinigungen, 8.000 Mitglieder

Das Grabmal des „Marschall Josip Broz Tito“ in Belgrad  
Das Grabmal des „Marschall Josip Broz Tito“ in Belgrad  

Über die Verlegung des Geburtstages gibt es unzählige Theorien. Die Tito-Dachvereinigung in Kroatien hält sich davon unbeeindruckt an den 25. Mai. An diesem Tag werden erneut 10.000 Besucher am Geburtsort des ehemaligen Metallarbeiters im kroatischen Kumrovec erwartet. Hier kam Josip Broz zur Welt - das Pseudonym „Tito“ trug er erst seit 1934, als er für die Kommunistische Partei in den Untergrund ging.

In Bosnien-Herzegowina scheint die Tito-Erinnerung im Hinblick auf Organisationen noch präsenter zu sein: Hier gibt es mit rund 25 lokalen Tito-Vereinigungen, die 8.000 Mitglieder umfassen, fast drei Mal so viele wie in Kroatien.

Titos Letzter-Reise-Zug rollt heute für Hochzeitspaare

Auf die Nostalgiewelle sind auch die staatlichen Eisenbahnen in Serbien aufgesprungen:  Hochzeitsgesellschaften können für weniger als 3.000 Euro den „Blauen Zug“ zwischen Belgrad und dem Kurort Vrnjacka Banja anmieten, mit dem sich Tito früher über Land fahren ließ. Die Waggons sind luxuriös ausgestattet, unter anderem mit dicken Teppichen. Zuletzt wurde damit am 5. Mai 1980 Titos Sarg von Ljubljana nach Belgrad transportiert, wo er im „Haus der Blumen“, einer Art Mausoleum, beigesetzt ist. Hunderttausende Trauernde säumten die Schienen entlang der Strecke.

Titos Beerdigung gilt als eine der größten Polit-Versammlungen in der neueren Geschichte: Vier Könige, 31 Staatspräsidenten, 22 Premierminister und 47 Außenminister - aus Ost, West und den blockfreien Staaten -, sollen Abschied von Tito genommen haben. Und dennoch - als hätte es dieses Ereignis niemals gegeben, lebt er im ehemaligen Jugoslawien immer noch weiter - zumindest manchmal.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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