Die Außenpolitik Georgiens. Ein „Failing State“ zwischen internem Teilversagen und externen Chancen, von Silke KleinhanßGELESEN

Die Außenpolitik Georgiens. Ein „Failing State“ zwischen internem Teilversagen und externen Chancen, von Silke Kleinhanß

Es ist in den Medien und geopolitischen Studien zum guten Ton geworden, die Geschehnisse in Georgien nach dem Motiv des „Kaukasischen Kreidekreises" zu interpretieren. Dargestellt als Fabel eines Ringens der Machtzentren Russlands und der USA um den Transformationsstaat Georgien. Und dies mit vermeintlich klarer Rollenbesetzung und geschickt eingesetztem Verfremdungseffekt. Das mag zwar die auf der moralischen Präsupposition von Beobachtern und Richtern basierende ethische Urteilsbildung vereinfachen. Dennoch übersieht man bei dieser Perspektivierung, dass Georgien in der kaukasischen Aufführung ein selbständiger Akteur mit einer entsprechenden Rollenverteilung ist.

Von Michail Logvinov

Die Außenpolitik Georgiens. Ein „Failing State“ zwischen internem Teilversagen und externen Chancen, von Silke Kleinhanß  
Die Außenpolitik Georgiens. Ein „Failing State“ zwischen internem Teilversagen und externen Chancen, von Silke Kleinhanß  

D er Politikwissenschaftlerin Silke Kleinhanß ist es in ihrem aktuellen Buch zur Außenpolitik  Georgiens (erscheint im März 2008) mit Erfolg gelungen, hinter die Kulissen des südkaukasischen Dramas zu schauen und Motive der wichtigsten „Figuren" ins Rampenlicht zu rücken.  

Internes Teilversagen eines Failing State

Es ist durchaus berechtigt, wie Frau Kleinhanß das tut, von externen Akteuren - der USA und der Russländischen Föderation - zu reden, die strategische Interessen in Georgien haben. Diese beiden Mächte betreiben engagierte Politiken gegenüber Tiflis, verfügen über die Mittel der Einflussnahme, betrachten sich als Bezugspunkte und werden von Georgien als die entscheidenden Pole seiner außenpolitischen Ausrichtung wahrgenommen.
 
Dennoch dürfen die Determinanten der Außenpolitik Georgiens nicht übersehen werden, zu denen primär der innenstaatliche und regionale Kontext zählen. Georgien verfügt über eine schwach ausgeprägte Staatlichkeit und fungierte im Laufe seiner Unabhängigkeit nie als ein konsolidierter Staat, der seine Aufgaben in den Bereichen Sicherheit, Legitimität und Rechtsstaat sowie Wohlfahrt erfüllte (siehe dazu Kap. 3: Georgien - ein Failing State aufgrund einer gescheiterten Transformation).

Nur vor diesem Hintergrund der innenpolitischen Schwäche sei der regionale Kontext so bedeutend für die außenpolitische Orientierung Georgiens, argumentiert die Autorin. Die innenpolitische Dimension des Failing State gebe gleichzeitig externen Akteuren vielfältige Instrumente zur Verfolgung ihrer Interessenpolitik und Einflussnahme. „[...] Georgien [macht] die Interessen der externen Akteure aber auch für sich nutzbar und [betreibt] so eine Außenpolitik, mit der es zum einen von seinen innenpolitischen Schwächen ablenken und zum anderen diese zum Teil auch kompensieren kann" (ausführlich darüber in Kap. 4: Die Interessen und Mittel der Einflussnahme der Russländischen Föderation und der USA).

Dramatic actor

Die Autorin zeigt auf, dass die dreifache Transformation Georgiens in einem multiplen Versagen in den Bereichen der Nationalstaatsbildung, der Demokratisierung und der marktwirtschaftlichen Modernisierung mündete. „Dieses multiple Versagen hat zwei wichtige Auswirkungen auf die Außenpolitik des Staates. Erstens wird er, um sein Versagen zu kompensieren, aktive Beziehungen mit wohlhabenderen Staaten eingehen, damit diese ihn mittels Entwicklungshilfe bei der Erfüllung seiner Staatsaufgaben unterstützen. Zweitens wird der Staat eine Außenpolitik betreiben, die von seinem Versagen im Inneren ablenkt. Dies kann zum einen erfolgen, indem der Akteur eine Außenpolitik verfolgt, die ihm international hohes Prestige verschafft, oder er wird eine Außenpolitik betreiben, deren Ziel es ist, einen externen Sündenbock für das innenpolitische Versagen zu finden", so die Autorin (S. 19-20).

Im Falle Georgiens kamen beide Strategien zur Geltung. Zur Erklärung der nach innen gerichteten und der Legitimierung des politischen Systems dienenden Entscheidungsfindung des südkaukasischen Transformationslandes biete sich das Modell des dramatic actor an. Demzufolge agiert der „dramatische Akteur" nicht aufgrund eines Kosten-Nutzen-Kalküls, um außenpolitische Ergebnisse zu erzielen, sondern folgt der innenpolitischen Logik und erfüllt den individuellen Zweck einer Selbstpräsentation.

„Zusammengefasst wird Außenpolitik gemäß des dramatic actor Modells von Individuen mit dem Ziel betrieben, die eigene Legitimität zu erhöhen, indem das nation-bilding untermauert und innenpolitisches Versagen durch Entwicklungshilfe gemindert oder durch Außenpolitik von ihm abgelenkt" wird, behauptet die Politikwissenschaftlerin (S. 21).

Russland als innenpolitischer Sündenbock      

Kleinhanß Untersuchung kommt zum Ergebnis, dass das anti-russische Paradigma bereits der Außenpolitik Gamsachurdias innewohnte. Besonders deutlich trete dieses in Verbindung mit den Auseinandersetzungen um die abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien zutage. Die Autorin macht deutlich, wie es Tiflis unter Schewardnadse gelang, eine russozentrische Sicht des Abchasienkrieges durchzusetzen.

„Russland wird zum alleinigen Sündenbock gemacht, der die Verantwortung für die Situation in Abchasien und für das Versagen Georgiens, die Kontrolle über sein gesamtes Staatsterritorium auszuüben, trage. So habe Russland zum einen Schuld daran, dass Abchasien überhaupt nach Unabhängigkeit von Georgien strebt, da es die ethnischen Minderheiten gegen Georgien aufgestachelt habe. Zum anderen sei Russland auch für die Niederlage der Georgier im Krieg verantwortlich, denn nur durch sein Zutun sei es den Abchasen gelungen, die georgischen Truppen zu schlagen" (S. 80).
 
Das Ablenkungsmanöver gelingt - nun ist nicht mehr von dem misslungenen nation- und state-building die Rede. Das unangenehme Thema des geringen Leistungsniveaus der georgischen Armee ist ebenso vom Tisch. Durch „Russifizierung" des Krieges verschleierte Tiflis darüber hinaus die fehlende Konfliktmanagementkompetenz.  Bis heute sehe Georgien keine Teilschuld für diese Entwicklungen bei sich liegen, stellt die Autorin fest (S. 33, 96).

Russland als Sündenbock in den internationalen Beziehungen

Die georgische Außenpolitik ist dermaßen erfolgreich, dass es Tiflis immer wieder gelingt, Moskau auch als Sündenbock nach außen wirken zu lassen. Dadurch erreicht Georgien das aktivere Engagement der USA, die die dominante Stellung Russlands in Eurasien zu brechen und Demokratie im Südkaukasus zu stabilisieren suchen. 

Positionierung zu Russland und den USA

Die unterschiedliche Positionierung Georgiens zu Russland und den USA erklärt Kleinhanß aus innenpolitischer Perspektive und aufgrund des Prestiges. Während russische Mittel der Einflussnahme aus den staatlichen Schwächen Georgiens resultieren, bieten die USA Tiflis „eine Teilhabe an der Macht sowie an den internationalen Beziehungen an und übertragen ihm Aufgaben, die es mit Stolz erfüllen und sich den USA ebenbürtig fühlen lässt - Georgien, das seine innere Ordnung nicht selbstständig aufrechterhalten kann, stellt Truppenkontingente im Kosovo und im Irak, kann damit seine Staatlichkeit untermauern und erhält das Gefühl, tatsächlich einen Beitrag zur internationalen Sicherheit zu leisten" (S. 101-102).

Während die US-Regierung die Unabhängigkeit der Neuen Unabhängigen Staaten (NUS/GUS) von Moskau und deren Staatsaufbau unterstützten, hob Russland dagegen den wichtigsten Unterschied zwischen dem international anerkannten Staat Georgien und De-facto-Staaten auf seinem Territorium auf, indem es Abchasien und Südossetien „eine gewisse Teilhabe an den internationalen Beziehungen" ermöglichte und dergestalt eine weitere Unterminierung der georgischen Staatlichkeit vollzog.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Russlands Georgien-Politik ihr Ziel verfehlte. Obwohl Moskau als Veto-Akteur zur Konfliktregelung und damit zur Wiedererlangung der Kontrolle über georgisches Staatsterritorium durch Tiflis hätte beitragen können, überließ es wegen falscher Einschätzung der Handlungslogik des dramatic actor das Spielfeld Washington.
Benutzt man die Metapher des Spielballs, so hat Moskau selbst einen sauberen Pass gegeben. Die Anerkennung beider abtrünnigen Republiken macht es der georgischen Regierung weiterhin möglich, sich der Verantwortung für internes Versagen und den aggressiven Nationalismus mittels außenpolitischer Ablenkungsmanöver zu entziehen.
  
Gewiss ist das von Kleinhanß auf die Außenpolitik Georgiens angewandte Untersuchungsmodell lediglich einer der Ansätze. Dennoch sei auf seine Schlüssigkeit und das Erklärungspotential hinsichtlich der Kluft zwischen der Innen- und Außenpolitik Georgiens hingewiesen.

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Rezension zu „Die Außenpolitik Georgiens -Ein ‚Failing State’ zwischen internem Teilversagen und externen Chancen“ von Silke Kleinhanß, LIT Verlag 2008, 144 S., 29.90 EUR, br., ISBN 978-3-8258-0817-4 (erscheint im März 2008).

Kaukasus Rezension

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