„Die Demokratie und ihre Feinde: Wer gestaltet die neue Weltordnung?“ von Robert KaganGELESEN

„Die Demokratie und ihre Feinde: Wer gestaltet die neue Weltordnung?“ von Robert Kagan

Das Machtspiel geht weiter. Für den US-Schriftsteller und Polit-Denker Robert Kagan ist die Welt zum Großmachtnationalismus alter Prägung zurückgekehrt.

Von Rudolf Maresch

Robert Kagan, „Die Demokratie und ihre Feinde: Wer gestaltet die neue Weltordnung?“  
Robert Kagan, „Die Demokratie und ihre Feinde: Wer gestaltet die neue Weltordnung?“  

I st die Geschichte zu Ende oder nicht? Hat das Ende des Kalten Krieges eine neue Ära in der Menschheitsentwicklung eingeläutet? Oder sind die ehernen Gesetze von Geschichte und Politik, die Kämpfe um Einfluss, Ansehen und Rang, nach wie vor intakt? Werden Rivalität und Konkurrenz unter den großen Mächten auch dieses Jahrhundert prägen? Oder gibt es Hoffnung auf eine Kantische Friedensordnung, wo die Weltmächte sich als gleichwertige Partner achten und ihr Handeln eher an Recht und Gesetz als an Macht und Stärke ausrichten? 

Eherne Gesetze

Es war Samuel Huntington, der schon bald, nachdem Francis Fukuyama die Losung vom end of history ausgegeben hatte, die Idee vom weltweiten Siegeszug der Demokratie ins Reich der Träume verwies. Trotz einer Vielzahl neuer Demokratien, die sich im Osten Europas konstituiert hatten, sah er längst neue Bruchlinien und Konflikte am Horizont, dort, wo unterschiedliche Kulturen aufeinander prallten und sich unversöhnlich gegenüberstünden.
Und die blutigen Ereignisse in Zentralasien, im Mittleren Osten oder am Kaukasus scheinen ihm da Recht zu geben. Die Geschichte hatte höchstens eine kleine Auszeit genommen. Diese „geopolitische Verschnaufpause“, so Robert Kagan, hochgeschätzter Kolumnist des Wall Street Journal, US-Korrespondent bei der NATO in Brüssel und außenpolitischer Berater John McCains, vor fünf Jahren in seiner bekanntesten Streitschrift Macht und Ohnmacht, ist aber spätestens mit dem Angriff auf die Zwillingstürme passé.

Die „neue Weltordnung“, die Fukuyama und Bush-Vater verkündet hatten, sei „Trugbild“ geblieben. Die Erwartung, dass sich die Demokratie zwangsläufig durchsetzen werde, habe sich nicht erfüllt. Stattdessen sei das „Zeitalter der Geopolitik“ zurückgekehrt und mit ihr jener „Großmachtnationalismus“, der schon das 19. und 20. Jahrhundert geprägt hat. Im Brennpunkt stünden wieder politische Interessen, die von Macht diktiert werden, und nicht Geoökonomie, Ideologieschwund und harmonischer Austausch unter den Nationen.
Den Grund hierfür sieht er im rasanten wirtschaftlichen Aufstieg, den Russland und China genommen haben. Er zwingt der liberalen Welt einen neuen Antagonismus „welthistorischen Ausmaßes“ auf. So lautet in etwa die Kernthese seines neuen Essays: The Return of History and the End of Dreams, der vom deutschen Verlag den irreführenden Titel: Die Demokratie und ihre Feinde bekommen hat.

Demokratie vs. Autokratie

Nach der schlimmen Erfahrung, die es mit dem Wirtschaftsmodell der Chicago-Boys gemacht hat, habe Putins Russland seine Liebe zum politischen Kurs des Westens wieder verloren und sich dem Autokratismus neu verschrieben. Gestärkt durch die Milliarden, die es aus dem Öl- und Gasgeschäft bezieht, sei das Land zu den Ambitionen einer Großmacht zurückgekehrt, das globale Interessen und globalem Einfluss an seinen Grenzen verfolge. Ähnliches gelte für das „Reich der Mitte“. Seitdem China den Turbokapitalismus als neues Aufbauprogramm entdeckt habe, baue es seine Wirtschaftsmacht und militärischen Ansprüche stetig aus. Selten habe sich eine Nation derart schwungvoll vom Zustand der Schwäche in einen Zustand der Stärke entwickelt wie China.

Der wirtschaftliche Höhenflug der Beiden beweise, dass sich Wohlstand und Autokratie keinesfalls widersprechen müssen. Prosperität und Sicherheit lassen sich herstellen, ohne dass ein Land gezwungen wird, den Preis politischer Liberalisierung zu zahlen. Damit würde die alte Rivalität zwischen Liberalismus und Absolutismus neu angeheizt, die man längst für überwunden gehalten hatte. Sollten sich andere Länder die Erfolge Russlands und Chinas zum Vorbild nehmen, könnte das zu einem globalen Wettbewerb führen, bei dem der Westen sein „Monopol auf den Globalisierungsprozess“ gänzlich verlieren könnte.

Um sich für diese ideologische Auseinandersetzung zu wappnen, sollten sich laut Kagan die großen Demokratien dieser Welt zu einer machtvollen Allianz zusammenschließen. Ein solcher „Bund der Demokratien“ sollte die UN ergänzen, aber nicht ersetzen. Was diese „Achse der Guten“ allerdings politisch zusätzlich bewirken sollte; ob Länder wie Indien, Indonesien oder Japan sich einer solchen US-geführten Liga vorbehaltlos anschließen; und ob dazu auch so zweifelhafte Demokratien wie Pakistan, Ägypten oder Saudi-Arabien zählen, darüber schweigt sich der Machtpolitiker beharrlich aus.

Von der Realität geküsst

Wer den politischen Weg des Autors kennt, den werden seine jetzige Haltung, Einstellung und Positionierung überraschen. Noch vor mehr als zehn Jahren hatte er, zusammen mit seinem neokonservativen Förderer Bill Kristol, in Foreign Affairs das genaue Gegenteil verkündet. Seinerzeit war er noch der Ansicht, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die Welt grundlegend verändert hat. Die USA hätten eine globale Hegemonie erreicht, wie sie einst nur noch „das alte Rom im Mittelmeerraum innehatte“. Die „Geopolitik“, deren Rückkehr der Autor nun feiert, hätte sich erledigt, weil die Weltmacht aufgrund ihrer Macht und Stärke fortan in der Lage wäre, alle „Monster dieser Welt“ zu beseitigen oder zumindest zurechtzustutzen. Im Focus hatte er damals „Bagdad und Belgrad, Pjöngjang und Beijing“. Die Unabhängigkeitserklärung, die nicht die Besonderheiten einer Kultur wiedergibt, sondern universale Geltung beansprucht, lieferte ihm die Berechtigung dafür.  

Vom Dreiklang aus Preemption, Regime Change und Demokratie-Export, dem er lange Zeit gehuldigt hatte, lesen wir nichts mehr. Während am Hindukusch und im Zweistromland immer noch Kriege toben und US-Soldaten sterben, ist der Machtanalytiker längst zu den Konfliktfeldern von morgen weitergezogen. Mit keiner Silbe geht Kagan auf den Schlamassel ein, den die neokonservative Politik im Irak oder in Afghanistan angerichtet hat. Sowohl der Irak, den er noch 2003 als „historischen Pivot“ bezeichnet hat, als auch den Irak-Feldzug, den er so leidenschaftlich gefordert und unterstützt hat, werden konsequent ignoriert.

Das neokonservative Geschwätz von gestern, es interessiert ihn nicht mehr. Der Gipfelstürmer von einst hat längst die Seiten gewechselt und ist ins Lager der politischen Realisten „desertiert“. „Die Realisten“, lesen wir, die Augen verwundert reibend, „hätten ein wesentlich klareres Verständnis von der unverwechselbaren Natur des Menschen“. Als Gewährsleute für den Kampf gegen den neuen Autokratismus gelten jetzt die „Realisten“ Henry Morgenthau jr. und der Theologe Reinhold Niebuhr, aber auch Dean Acheson, der als Vater der Truman-Doktrin und Architekt der US-Containmentpolitik gilt.

Das Ende des amerikanischen Zeitalters

Trotz aller politischen und militärischen Rückschläge bleiben die USA für Kagan auch weiterhin die „unverzichtbare Nation“. „Wie leben“, zitiert er einen chinesischen Strategen, „in einer Welt, in der eine einzige Supermacht und mehrere Großmächte nebeneinander existieren“. Angesichts des Zerfalls der US-dominierten Finanzweltordnung ist das eine eher gewagte Behauptung und optimistische Perspektive. Der Rest der Welt sitzt längst nicht mehr, wie Acheson zu Beginn des Kalten Krieges noch formulieren konnte, „im Dienstwagen“, während die USA die „Lokomotive an der Spitze der Menschheit“ bilden.

Mit dem Börsencrash steht in Frage, ob „die Sache Amerikas“ wirklich „die Sache der ganzen Menschheit“ (B. Franklin) ist und die Weltmacht die Hoheit über den Globalisierungsprozess behalten kann. Vieles spricht dafür, dass er „das Ende des amerikanischen Zeitalters“, das Fareed Zakaria jüngst prognostiziert hat, nochmals beschleunigt hat.

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Rezension zu: Robert Kagan, „Die Demokratie und ihre Feinde: Wer gestaltet die neue Weltordnung?“, Siedler Verlag München 2008, 128 Seiten, 16,95 Euro, ISBN-978-3886808908.

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