Die Gefahr aus den BüschenUKRAINE

Die Gefahr aus den Büschen

In einem Wutanfall löste der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko die wegen Korruption berüchtigte Verkehrspolizei des Landes auf.

Von Ulrich Heyden

Autofahrer in Kiew haben von der Polizei in diesen Tagen nichts zu befürchten. Die Beamten halten sich zurück. Zum Wochenbeginn war der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko dem Vorbild seines georgischen Amtskollegen Michail Saakaschwili gefolgt und hatte die wegen der Korruption berüchtigte Verkehrspolizei kurzerhand aufgelöst. Dreimal habe er die Minister verwarnt, erklärte ein wütender Präsident zum Wochenbeginn auf einer Versammlung hoher Beamter des Innenministeriums. Doch wenn die Verkehrspolizisten „weiter unter den Holunderbüschen sitzen“, um von den Autofahrern Wegezoll einzutreiben, „werde es in diesem Land keine Verkehrspolizei mehr geben.“ Die Beamten senkten die Köpfe, keiner wagte zu widersprechen. Einen Tag nach der Erklärung unterschrieb Juschtschenko eine entsprechende Anordnung.

Auslöser für den Wutausbruch des ukrainischen Präsidenten war offensichtlich ein Gespräch mit einem Bürger aus dem Dorf Choruschiwki - in dem Dorf wohnt auch der Präsident. Der Dorfbewohner hatte erzählt, daß im Frühjahr auf den Straßen ein leichtes Durchkommen war, doch jetzt würde von den Polizisten wieder Wegezoll kassiert und zwar weit mehr als früher. Juschtschenko war außer sich. Die Verkehrspolizisten würden sich nur auf den Straßen zeigen, „um die Leute zu foltern“, schimpfte er vor den hohen Beamten.

In Kiew wird der Verkehr von den Autofahrern selbst geregelt

Was aus den 23.000 ukrainischen Verkehrspolizisten wird, ist unklar. Sie dürfen jetzt nur noch bei offensichtlichen Verletzungen der Verkehrsregeln Autos anhalten. Viele Verkehrspolizisten machen aber inzwischen nur noch „Dienst nach Vorschrift“. In Kiew wird der Verkehr offenbar inzwischen von den Autofahrern selbst reguliert. Höchstgeschwindigkeiten von 120 km/h und das Ignorieren der Ampeln sind keine Seltenheit. Wer in einen Autounfall verwickelt ist, muß jetzt allerdings auch Stunden auf die Polizei warten.

Innenminister Juri Luzenko will nun innerhalb von drei Monaten eine neue Straßenpatrouille nach „europäischem Vorbild“ aufbauen. Der neue Dienst solle sich „ausschließlich“ um die Sicherheit auf den Straßen kümmern. Bis der neue Dienst funktioniert, sollen die Leiter der Verkehrspolizei im Amt bleiben, erklärte der Minister.

Der neue Straßen-Patrouille soll mit wesentlich weniger Mitarbeitern auskommen. Die gefürchteten einstöckigen Betonhäuschen an den Landstraßen, von denen aus die Verkehrspolizisten nach Opfern Ausschau hielten, sollen an Privatfirmen vermietet werden.

In Rußland finden 75 Prozent der Bürger das ukrainische Vorgehen gut

Präsident Juschtschenko will nicht nur die Verkehrspolizei, sondern die gesamte ukrainische Polizei reformieren. Wer Schimpfwörter gebraucht, soll entlassen werden. Die Polizisten sollen Kurse besuchen, in denen sie über Fragen der Rechtskultur und Dienstethik aufgeklärt werden. Innenminister Juri Luzenko will die Führung der Polizei von belasteten Beamten reinigen. Die Polizei müsse von nun an „saubere Mitarbeiter“ einstellen. Mitarbeiter, „die nicht mit Kriminellen zusammen in der Sauna sitzen und Schutzgelder bei Firmen eintreiben.“

Die Verkehrspolizei ist ein Überbleibsel der Sowjetunion. Die reformorientierten Präsidenten lösen sie jetzt auf. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili hatte vor einem Jahr den Anfang gemacht und die Verkehrspolizei durch eine kleine mobile Straßenpatrouille ersetzt. Die Beamten fahren moderne „Volkswagen“ und bekommen mit 250 Dollar ein für georgische Verhältnisse stattliches Gehalt. Nach Berichten von Verkehrsteilnehmern scheint der neue Dienst bisher ohne Korruption zu funktionieren.

Die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten fand in Rußland ein starkes Echo. Nach einer Umfrage der „Iswestija“ sind 77 Prozent der Bürger für eine Auflösung der russischen Verkehrspolizei. Die stellvertretende Sprecherin der Duma Ljubow Sliska – sie ist Mitglied der Kreml-treuen Partei „Einiges Rußland“ - erklärte, der Zustand der russischen Sicherheitsorgane lasse zu wünschen übrig. Viele Sicherheitsstrukturen „muß man auflösen“ und „wieder Bürgerwehren einführen“. Heute wisse man nicht, „vor wem man mehr Angst haben soll, vor den Banditen oder der Polizei.“

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