09.08.2023 13:11:56
RUßLAND UND DIE NATO
Von Nico Lange
Zur Person: Isabelle Francois | |
![]() Isabelle Francois arbeitete von 1998-2004 im Planungsstab des Hauptquartiers der NATO in Brüssel. Seit 2004 ist sie Direktorin des Informationsbüros der NATO in Moskau. |
urasisches Magazin: Frau Francois, in den letzten Monaten zeigte die Europäische Union sowohl ernsthafte Initiativen zur Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) als auch intensive Bemühungen um eine sicherheitspolitische Partnerschaft mit Rußland. Verliert die NATO an Bedeutung?
Isabelle Francois: Aus meiner Sicht stellen die NATO-Rußland-Beziehungen etwas Einzigartiges dar. Der NATO-Rußland-Rat erweist sich als erfolgreiches Forum für politischen Dialog und praktische Kooperation in Sicherheitsfragen. Auch in kritischen Punkten wie zum Beispiel der Lage in Georgien führen wir dort einen ergebnisoffenen Dialog auf gleicher Augenhöhe. Im Hinblick auf die praktische Kooperation ist die NATO den Europäern weit voraus, was zuletzt durch die in Vilnius besiegelte Mitarbeit Rußlands im „Partnership for Peace“-Programm zum Ausdruck kam.
Aus meiner Sicht verliert das transatlantische Bündnis in keiner Weise an Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Beziehungen zu Moskau. Die NATO ist eine privilegierte Plattform für die sicherheitspolitischen Beziehungen des Westens zu Rußland.
EM: Gibt es einen Wettbewerb zwischen der ESVP und der NATO um die Integration Rußlands in eine künftige Sicherheitsarchitektur?
IF: Ich erkenne keinen Konflikt. Beide Organisationen setzen auf Dialog und Transparenz und verfolgen Politiken, die einander ergänzen und sich sogar gegenseitig verstärken.
In Ihrer Frage stört mich insbesondere das Wort „Sicherheitsarchitektur“, dem wir auch hier in Rußland sehr häufig begegnen. Dieses statische Konzept gibt in keiner Weise wider, was in der heutigen Welt passiert. Vielmehr ist die aktuelle „Sicherheitsumwelt“ sehr dynamisch und verändert sich ständig. Alle wichtigen Sicherheitsorganisationen stecken in Reformprozessen. Innerhalb dieser Prozesse sehe ich derzeit keinen Wettbewerb im negativen Sinne.
EM: Die kürzlich ausgerufene „Schicksalsgemeinschaft“ führender europäischer Staaten mit Rußland stellt die NATO also nicht in Frage?
IF: Es handelt sich nicht um eine „Entweder-Oder“-Frage. Sowohl die EU als auch die NATO können gleichzeitig die Kooperation mit Rußland weiterentwickeln.
EM: Wie weit soll die Kooperation der NATO mit Rußland entwickelt werden? Wollen Sie die Russische Föderation zur NATO-Mitgliedschaft führen?
IF: Für mein persönliches Mandat im Moskauer Informationsbüro der NATO sehe ich zwei Hauptaufgaben. Zum einen möchte ich die russische Öffentlichkeit über die Politik der NATO informieren. Zum anderen habe ich den Auftrag, die Zusammenarbeit im NATO-Rußland-Rat zu begleiten und zu unterstützen.
Unsere konkrete Arbeit richtet sich dabei vor allem an die Zivilgesellschaft. Wir haben das Ziel, eine öffentliche Debatte zum Thema NATO anzustoßen. Wir verfolgen dieses Ziel durch die Organisation von Konferenzen, Veröffentlichungen und die Vermittlung von Kontakten russischer Eliten zu NATO-Institutionen. Ich beschäftige mich also im Grunde genommen ausschließlich mit Öffentlichkeitsarbeit.
In der Frage der Mitgliedschaft haben wir als Informationsbüro keine Absichten, jemanden zu „führen“. Wir stellen lediglich Informationen zur Verfügung und die Bürger entscheiden für sich selbst.
EM: Sind die Russen offen für Ihre Versuche, das schlechte Image der Allianz zu verbessern?
IF: Unsere Politik, möglichst viele Bürger zu erreichen, ist erfolgreich. Was die Veränderung von Stereotypen in der Meinung der breiten Öffentlichkeit betrifft, so handelt es sich um einen langfristigen Prozeß. Es gelingt uns jedoch zunehmend, die NATO in den Augen der Russen zu entmystifizieren. Die politischen Eliten sehen die Allianz schon seit einiger Zeit nicht mehr als Gegner an.
EM: Welche Ziele der NATO präsentieren Sie in Rußland?
IF: Eines meiner Lieblingsthemen ist die Transformation. Die NATO von heute ist nicht mehr die Organisation, die unsere Eltern kannten. Hier liegt aus meiner Sicht die große Stärke des transatlantischen Bündnisses. Es kann sich verändernden Umweltbedingungen immer wieder flexibel anpassen.
In der Region der ehemaligen Sowjetunion ist es außerdem sehr wichtig zu verstehen, daß es keinen Masterplan gibt, den wir vor 15 Jahren ausgearbeitet haben und nun konsequent durchsetzen. Die Politik der NATO entsteht vielmehr auf der Grundlage von Werten und in ständiger Anpassung an das volatile Sicherheitsumfeld.
EM: Was sind die Hintergründe der russischen Öffnung für eine Zusammenarbeit mit der NATO? Welche außenpolitischen Ziele verfolgt Rußland damit?
IF: Es ist mir nicht möglich, die Außenpolitik der Russischen Föderation zu kommentieren.
EM: Gibt es konkrete Pläne für die Einbindung russischer Truppen in NATO-Strukturen?
IF: Die praktische Zusammenarbeit auf der Arbeitsebene läuft hervorragend. Es existieren nicht nur Pläne für gemeinsame Einsätze, sondern sogar bereits laufende Missionen unter Beteiligung russischer Truppen. An der Mission „Active Endavour“ im Mittelmeer nehmen russische Soldaten teil, zunächst vorrangig zu Ausbildungszwecken.
Aus unserer Sicht gibt es ein großes Potential für zukünftige gemeinsame „Peace-Keeping“-Einsätze. Im NATO-Rußland-Rat diskutieren wir derzeit über einen Rahmen, um die Interoperabilität zwischen NATO-Truppen und den russischen Streitkräften zu erhöhen und gemeinsame Operationen möglich zu machen.
EM: Nach einem halben Jahr Ihrer Arbeit - ist das NATO-Informationsbüro ein Erfolg?
IF: Wir haben ein umfangreiches Netzwerk aufgebaut und breite Teile der russischen Öffentlichkeit mit unserer Arbeit erreicht. Viele Aussagen russischer Politiker und auch Artikel in der russischen Presse in den letzten Monaten enthielten positive Tendenzen hinsichtlich der Einstellung zur Allianz. Natürlich handelt es sich um langfristige Entwicklungen, aber ich denke, daß wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
EM: Vielen Dank für das Gespräch.
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