Siebenbürger Sachsen zurückgeblieben in RumänienRUMÄNIEN

Die Reste Siebenbürgens

Nach der rumänischen Revolution 1989 verließen rund hunderttausend Siebenbürger Sachsen ihre Heimat und wanderten nach Deutschland aus. Die wenigen, die in Rumänien blieben, quält das Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Denn auch sie haben ihre Heimat verloren.

Von Eva Konzett

Siebenbürger Sachsen beim Oktoberfestumzug 2014 in München.
Foto: Sieglinde Schuster
Siebenbürger Sachsen beim Oktoberfestumzug 2014 in München.
Foto: Sieglinde Schuster

Geschätzt mehr als 225.000 Siebenbürger Sachsen haben ihre Heimat im rumänischen Karpatenbogen seit den 1970er Jahren verlassen. Rund die Hälfte von ihnen verkaufte das sozialistische Regime von Nicolae Ceausescu als Devisenbringer in die BRD, weitere 115.000 Menschen nutzten nach 1989 den Systemwechsel und die großzügige Unterstützung Deutschlands. Da die deutsche Minderheit im Land auch andere Gruppen umfasste, etwa die Banater Schwaben, gibt es keine offiziellen Zahlen, wie viele Sachsen einst in Rumänien gewohnt haben. Sicher jedoch ist: Nur mehr ein Bruchteil lebt in Siebenbürgen, weniger als 15.000 Menschen.

Die Auswanderer haben ihre Häuser und ihre Kultur zurückgelassen. Die Bräuche und Traditionen verstauben nun sorgfältig in Kisten weggepackt. Eine Geschichte, die im 12. Jahrhundert mit dem Zuzug von deutschsprachigen Siedlern aus dem mittelrheinischen und moselfränkischen Raum begonnen hatte, hat nach wenigen Jahrzehnten Kommunismus ein Ende gefunden. Die Gemeinde Keisd (rumänisch Saschiz) zählt von den einst mehr als 1.200 noch 26 Sachsen. Vor allem die Alten haben den großen Schritt nach Deutschland nicht gewagt.

Ihre Kirchen sind zerfallen – ihre Häuser stehen leer

Die Zwillingssäulen des sächsischen Lebens aber sind in Keisd baulich erhalten geblieben, wenn auch in jämmerlichem Zustand. Der Turm der Wehrkirche steht mehr hängend denn thronend auf dem Hauptplatz neben dem Kirchenschiff. Ihm gegenüber ziert noch die Aufschrift „Evangelische deutsche Volksschule“ die Fassade eines ausgedienten Jahrhundertwendebaus. Die Wehrburg hatte im Mittelalter und danach als Schutz gegen die Tartaren und Osmanen an diesem Außenposten Europas gedient, die Schule den kulturellen Zusammenhalt mit Hilfe der deutschen Sprache und vor allem mit Hilfe des siebenbürgischen Dialekts vermittelt.

Heute bewacht der von Mauerrissen durchzogene Turm nur mehr die bunten Häuser der Sachsen. Doch viele stehen leer, die Farben sind verblasst, Ziegel fehlen. Und in dem verfallenden Schulgebäude wird seit Jahren nicht gelernt. Sächsische Kinder gibt es keine mehr. Nur noch der Durchreiseverkehr donnert hier auf der Landstraße in Richtung der 100 Kilometer entfernten Kreisstadt Kronstadt (Brasov) vorbei.
 
„Die Straße wird uns den Turm noch endgültig zerstören“, sagt Dorothea Ziegler-Badea verärgert. Sie verwaltet den Besitz der evangelischen Kirchengemeinde in Keisd: Turm, Kirche, zwei Veranstaltungssäle, den verwilderten Garten, der das Pfarrhaus einsäumt, und ein bisschen Ackerland. Dafür bezahlt sie die evangelische Kirche. Das Engagement, den Geist des sächsischen Lebens in den Räumen zu behalten, legt sie unentgeltlich dazu. 

Dorothea Ziegler-Badea hat dem Auszug der Sachsen nach 1989 mit Sorge zugeschaut. Sich anzuschließen kam für sie nicht in Frage. Derart große Hoffnungen habe sie in den demokratischen Aufbruch Rumäniens gesetzt, erzählt die 51-Jährige. Sie, die in den 1980er Jahren noch einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik gestellt hatte und danach nicht mehr als Lehrerin arbeiten durfte, wollte Siebenbürgen nicht den Rücken kehren, nachdem der Diktator nach 1989 dem Land endlich nicht mehr im Weg stand.

Ihre Eltern und die Schwester haben sich anders entschieden und sind ausgewandert. Mehrfach hat die Schwester auf Dorothea Ziegler-Badea eingeredet, nachzukommen. Ohne Erfolg. „Ich hatte doch mein Häuschen hier und ein Stück Land. Ich habe mich dieser Gegend immer verbunden gefühlt“, sagt die Frau.

„In Rumänien hat sich in den vergangenen 25 Jahren nichts geändert. Und schon gar nicht zum Guten“

Frisch verliebt setzt sie damals ihre Hoffnungen auf Rumänien. „Wir dachten, dass in Rumänien ein Leben wie im Westen bald möglich sein würde. Das Land hätte die Voraussetzungen gehabt. Rohstoffe, Menschen, alles!“ Sie klopft mit der Faust auf den Tisch. Aber am Entscheidendsten, dem Verstand, habe es gefehlt. Das zeige sich heute überall. Die Politiker korrupt, die Gemeinschaft abgeschafft. Und die Freiheit? „Welche Freiheit, wenn ich es mir nur leisten kann, bis hinter den Hühnerstall zu reisen?“ In Rumänien habe sich in den vergangenen 25 Jahren nichts geändert. Und schon gar nicht zum Guten.

In Scharen laufen der Gemeinde nach 1989 die Sachsen davon, wie überall in Siebenbürgen. Die meisten packen ihre Koffer gleich nach der Wende. Bis zum Herbst 1990, so schätzen sie in Keisd, verlassen rund 80 Prozent der sächsischen Gemeinde Haus und Hof. Wer bleibt, muss über Nacht ohne die Gemeinschaft zurechtkommen, die den Alltag regelte, Sicherheit für die Schwachen garantierte und soziale Kontrolle über die Anderen ausübte. Die Verbundenheit der Sachsen, vom evangelischen Arbeitsethos geprägt, geht irgendwo auf dem Weg verloren. Sogar der Geistliche siedelt Anfang der 1990er Jahre aus. Ein Zusammenleben mit den Rumänen und Roma, die zuziehen, stellt sich nicht ein.

„Durch die deutschen Firmen habe ich hier eine Perspektive“

Dass der Pastor nicht mehr im Pfarrhaus in der Mitte des Dorfes wohnt und nur noch zu den Gottesdiensten aus der Stadt anreist, ist Rudi Ziegler, Dorothea Ziegler-Badeas Sohn, gewöhnt. Dem 28-Jährigen, der als Ingenieur bei einem deutschen Unternehmen in der nahen Stadt Schässburg (Sighisoara) arbeitet, fällt es leichter als seiner Mutter, die neuen Realitäten in Keisd zu akzeptieren. Er kennt es seit Kindestagen nicht anders. Denkt er an die Möglichkeit auszuwandern? „Ich hoffe, dass es in Siebenbürgen besser wird“, meint er vorsichtig. Noch wolle er das Leben hier versuchen, inmitten der Hügellandschaft, am Rande eines kleinen Wäldchens, im Rhythmus von Natur und Tier. „Durch die deutschen Firmen habe ich hier eine Perspektive“, erklärt der Mann mit dem jungenhaften Gesicht.

Ohne die ausländischen Investoren aber sähe die Lage ganz anders aus: Die rumänische Industrie hat die Wendezeit nicht überlebt, in der Gegend leben die meisten Menschen als Selbstversorger von den kleinen Höfen. „Vielleicht ist Geld nicht das Wichtigste“, sagt Rudi dann leise. Er, der seine Verwandten in Deutschland jeden Sommer besucht und zeitweise in Stuttgart studiert hat, mag sich ein Leben in einer deutschen Mietwohnung und mit einem Pendlerauto noch nicht vorstellen. Und die große weite Welt komme ja mit dem Internet bis nach Keisd.

Die Frauen trinken Tee und erzählen sich von früher

Wenige Schritte weiter wartet in der Kirche Katharina Ziegler auf die Handvoll Besucher. Auch sie hat sich für Keisd entschieden, als nicht nur das sozialistische System, sondern auch die Keisder Welt zusammenbrach – wenn auch nicht ganz freiwillig. Ihre Eltern wollten bleiben, so tat die schmale Frau es auch. „Am meisten fehlen die Freunde“, sagt die 48-Jährige. Manchmal kommt Dorothea, mit der sie der Nachname, aber keine Verwandtschaft verbindet, zu ihr. Dann trinken die Frauen Tee und erzählen sich von früher, zeichnen gemeinsam Bilder einer verlorenen Zeit. Dorothea sei die letzte Vertraute, auf der sie sich auf Sächsisch unterhalten könne, sagt Katharina. Die Kinder lernen den Dialekt nicht mehr.

Wenn die Tassen ausgetrunken sind, geht Dorothea Ziegler-Badea zu Fuß nach Hause. Auf der menschenleeren Straße, an der verfallenen deutschen Schule vorbei. Sie schließt das Haustor hinter sich und streichelt die Katze. In diesen Momenten denkt sie, dass es für sie in Deutschland wohl besser gekommen wäre. Doch nun sei es zu spät.

*

Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de. Der Beitrag ist Teil der n-ost-Artikelreihe: „Überwundene Mauern, unüberwindbare Grenzen?“ – Erstellt in Kooperation mit Renovabis.

Rumänien

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