Die eurasische Karriere des TabaksRAUCHEN

Die eurasische Karriere des Tabaks

Was sich doch Menschen so alles „durch die Blume sagen“, wie sich Völker oder Stämme bestimmte Pflanzen als Symbol aussuchen! Die Bourbonen-Lilie, die Tudor-Rose, das vierblättrige Kleeblatt, die deutsche Eiche, die russische Birke, der Lindenbaum am Brunnen vor dem Tore und endlos weiter so. Aber nur eine Pflanze scheint wahrhaft international zu sein, wissenschaftlich „Nicotiana“, vulgo „Tabak“ genannt.

Von Wolf Oschlies

In historischer Sicht ist der Name relativ „jung“. Es gibt ein paar nicht uninteressante Indizien, dass Tabak in Persien bereits vor der Entdeckung Amerikas bekannt war, aber sein offizielles Auftauchen ist nun einmal mit der Neuen Welt verknüpft. Die erste Erwähnung des Tabaks findet sich im Schiffstagebuch von Columbus unter dem Datum des 13. Oktober 1492, als er eine seltsame Gewohnheit der von ihm entdeckten „Indianer“ notierte: Sie saugen an brennenden Blätterbündeln und stoßen den Rauch durch die Nase wieder aus.
 
Sehr bald kam auch die restliche Welt auf den Geschmack, und sehr lange galt der Tabak als wahres Allerheilmittel, wurde selbst dann noch gelobt und besungen, als seine Gesundheitsgefährdung längst bekannt war. Das ohrwurmigste Lied gefällt auch militanten Gegnern des Rauchens. Es stammt aus der Operette „Der Orlow“ von 1924 und war schon oft die Glanznummer von Tenören oder Buffos: „Dann nehm’ ich meine kleine Zigarette/ und blas’ die Wölkchen vor mich hin/ Was tät’ das arme Herz, wenn es nicht hätte/ das süße Gift, ein kleines bissel Nikotin“. Daneben gibt es noch ungezählte Lieder und Gedichte, wie den Nachkriegsschlager „Tabak und Rum, braucht ein Cowboy“. Verblassende Erinnerungen an eine Zeit, in der Rauchen noch zum guten Ton gehörte und Prominente wie Churchill oder Ludwig Erhard lebten, die man sich ohne Zigarre gar nicht vorstellen konnte.

Knaster, Tabak und Machorka

Urheber und Namensgeber dieser weltweiten Sucht waren die südamerikanischen Maya, die die Blätter einer bestimmten Pflanze „tabako“ nannten und die daraus gerollten Glimmstängel „zikar“, was uns ja höchst vertraut ist. Daneben gibt es ein paar andere Benennungen, etwa bei den Russen „machorka“, ein fürchterlicher Knaster aus Blattstängeln und –rippen, dessen Name angeblich eine Verballhornung der niederländischen Stadt Amersfoort ist, die im 18. Jahrhundert ein Zentrum des europäischen Tabakhandels war.

In Südosteuropa ist bei Rumänen, Makedonen etc. der Begriff „tutun“ im Umlauf, abgeleitet vom türkischen „tütün“, der seinerseits von Persern und Arabern stammt. Griechen nennen den Tabak „kapnos“ (κάπνος), was eigentlich „Rauch“ bedeutet und eine wörtliche Übersetzung des arabischen Wortes „duhan“ ist. Dieser „duhan“ oder „duvan“ findet sich bei Serben, Albanern, Bosniern etc. als Bezeichnung von „Tabak“ wieder, ist aber im Grunde nichts anderes als der „tutun“.

Kurz nach der Entdeckung Amerikas verbreitete sich der Tabak in Europa, gewiss eingeschleppt von Columbus’ Matrosen. Umstritten ist bis heute, wer der eigentliche Propagator des Tabaks war. Die einen votieren für den französischen Geistlichen, Weltreisenden und Naturforscher Andre Thevet (1516-1590), der 1556 Tabaksamen nach Europa brachte. Die anderen stimmen für den französischen Diplomaten Jean Nicot (1530-1604), der die angebliche Heilwirkung des Krauts beschrieb und nach dem das Nikotin benannt ist. Nicot zog Tabakpflanzen in seinem Garten als Zierblumen und Heilkräuter und schickte Proben davon an Königin Caterina de Medici (1519-1589), um deren Migräne zu beseitigen. Das entsprach dem Geschmack der Zeit, als man Tabak weniger rauchte oder schnupfte und mehr als heilendes Wunderkraut behandelte.

Der Dreißigjährige Krieg, eine einzige Tabakwerbung

Erst im späten 16. Jahrhundert kam in Westeuropa das Rauchen von Tabak in Mode, meist als Heilmittel gegen Zahnschmerzen. 1586 machte der englische Seefahrer und Koloniengründer Sir Walter Raleigh (1552-1618) am englischen Hof das Pfeiferauchen populär, Ähnliche Wirkung erzielte in Italien der Kleriker Nicolo Tornabuoni (+1598), während in Deutschland, Schweden, Dänemark, Österreich und Russland der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) eine einzige Tabakwerbung war. Etwa zur selben Zeit fielen auch der Nahe und Mittlere Osten dem Rauchgenuss anheim, zumal das Schnupfen aufkam und sich so verbreitete, dass es im 18. Jahrhundert das Rauchen zeitweilig zu verdrängen schien.

Alle diese Ereignisse und Zusammenhänge sind oft und ausführlich beschrieben worden, nicht aber die Rolle des Tabaks im Osmanischen Imperium, das sich weit nach Asien hinein erstreckte und weit über ein halbes Jahrtausend lang große Teile Südosteuropas in Besitz hielt. Es gibt auch nur relativ wenige Dokumente dazu in den osmanischen Archiven, weil sich der Tabak bei den Türken langsam und unauffällig verbreitete.

Für die Osmanen oder Türken war der Tabak mehr als für andere ein Symbol, besonders wenn er in der „Nargile“, der Wasserpfeife, geraucht wurde, also in der türkischen Weiterentwicklung der persisch-arabischen „Shisha“ (Glas), die im 16. Jahrhundert in Ägypten aufkam.

Der türkische Chronist Ibrahim Peçevi (1527-1650) behauptete, die „ungläubigen Engländer“ hätten den Tabak 1600 ins Reich eingeschleppt, wo ihn die Behörden zunächst nicht beachteten, dann ihn auf jede Weise zu verbieten und zu unterdrücken bemüht waren und ihn erst zuletzt als profitable Quelle von Zöllen und Steuern erkannten.

Die subtropische Tabakpflanze ist mit ihrem hohen Bedarf an Wärme und Feuchtigkeit wie gemacht für den Balkan, wo man sie erst als Heil-, dann als Genussmittel anbaute. Als anfänglich unbekannte Pflanze wurde sie nicht besteuert, was den Bauern einen enormen Profit eintrug.

Verdammen oder daran verdienen?

Diese „Freiheit“ ging rasch vorüber und wurde von einer Phase abgelöst, die die Sultane in Verlegenheit stürzte: Sollten sie als politische Herrscher am Tabak steuerlich kräftig verdienen, oder mussten sie als geistliche Oberhäupter dieses „Teufelskraut“ verdammen? Sie entschieden sich für die zweite Alternative, hierbei übereinstimmend mit christlichen Kirchenfürsten wie Papst Urban VIII., der 1624 anordnete, dass jeder Raucher oder Schnupfer exkommuniziert würde. Erst Papst Benedikt XII. hob diese Prohibitionsordre 1734 wieder auf. Auch weltliche Herrscher wie der französische König Louis XIII. (1601-1643), sein englischer „Kollege“ Jakob I. (1566-1625) und andere Monarchen erließen strenge Gebote gegen das Rauchen. Nicht einmal die Russen machten eine Ausnahme, wie die barbarischen Strafen verrieten, die Zar Michail I. (1596-1645) gegen Raucher erließ. Erst Peter der Große (1672-1721) gab per Ukas 1697 „Feuer frei“, nachdem er auf seiner Westeuropareise auf den Geschmack des blauen Dunstes gekommen war.

Was immer sich westliche Potentaten gegen das Rauchen einfallen ließen – es war Kleinkram im Vergleich zu dem, was türkische Sultane verordneten. Der Tabak wurde aus dem christlichen Westeuropa importiert, was schon verdächtig war – dass angesehenste Würdenträger Raucher waren, ließ im ganzen Imperium Widerborstigkeit gegen die politische und geistliche Ordnung aufkommen. Rauchen wurde als „mekruh“ (widerlich, verboten) abqualifiziert, zusammen mit dem Alkohol und den Restaurants, in denen dieser ausgeschenkt wurde (obwohl diese bereits seit 1554/55 in Betrieb waren). Erste Verbote erließ Sultan Ahmed I. vor 1617, hob sie aber bald wieder auf. Strenger war sein Nachfolger Osman II., und bis ins später 17. Jahrhundert suchte ein Sultan den nächsten in der Rigorosität gegen Raucher zu überbieten. Der berühmte Historiograph Naima (um 1655 – 1716) beschrieb und berechnete, wie viele Raucher geköpft, aufgehängt, mit gebrochenen Armen oder Beinen bestraft, gevierteilt usw. wurden.

„Der qualmt wie ein Türke“, sagen die Balkan-Slaven, wenn sie einen „starken“ Raucher charakterisieren wollen. Die Rigorosität der Sultane war völlig zwecklos, der legendäre türkische (und allgemein balkanische) „inat“ (Trotz, Eigensinn) blieb siegreich. Die Türken qualmten weiter ungeachtet aller Strafandrohungen, zumal sich diese im Verlauf des 17. Jahrhunderts immer mehr und immer ausschließlicher auf Alkoholgenuss bezogen.

Staatliche Monopole

Als erste nahmen die Briten Vernunft an, die unter König Carlo I. (1600-1649) ein staatliches Monopol für Tabak einführten. Ihnen folgte 1674 der französische Staatsmann Jean Baptiste Colbert (1619-1683), der sich damit den Ruhm verschaffte, der „Erfinder des Merkantilismus“ zu sein. Am 13. August 1688 hob Sultan Suleiman II. das alte Tabaksverbot auf und belegte den Tabak mit deftigen Steuern und Zöllen, denn das im Chaos steckende Imperium brauchte jede „akçe“ (Münze) für seine leeren Kassen. So groß war die Finanznot, dass auch Verkauf und Ausschank von Alkohol erlaubt wurden. Das wiederum nahmen religiöse Führer übel – was sie im Grunde nicht durften, da gemäß dem Kalifat von 1517 der steuereintreibende Sultan religiöses Oberhaupt war - und bemühten sich um eine Restitution der alten Verbote.

Früher mussten sich die Raucher verstecken, mit dem beginnenden 18. Jahrhundert versteckten die Produzenten ihren Tabak, um den Steuereintreibern zu entgehen. Das wiederum ließ die offiziellen Bestimmungen härter werden, und Tabaktransporte innerhalb des Reichs wurden fast so hoch wie Tabakimporte aus dem Ausland besteuert. Das war nicht unbedingt Marktwirtschaft, ebenso wenig die immer üblicher werdende Praxis, den Tabakpreis alljährlich willkürlich und ohne Anhörung der Produzenten festzusetzen.

Aber gegen osmanische Despotie war wenig auszurichten. Beispielsweise galt Makedonien, das vom späten 14. Jahrhundert bis 1912 unter türkischer Fremdherrschaft stand, wegen seiner Fruchtbarkeit als „goldener Apfel des Reichs“. Allerdings wussten die Türken damit nicht viel anzufangen: Sie wollten aus Makedonien die „Getreidekammer“ des Imperiums machen und bürdeten darum den Tabakproduzenten laufend neue Abgaben auf, um ihnen den Tabakanbau zu „vermiesen“. Das klappte natürlich nicht, denn der Profit vom Tabak war doppelt so hoch wie der vom Getreide, und die ganze Affäre verstärkte nur die in Makedonien und ganz Europa herrschende Ansicht, dass die Türken unfähig zu vernünftiger Wirtschaft und Politik seien.
Französische Experten hatten längst erkannt, was Türken nie merkten, dass nämlich „Makedonien vermutlich von allen Ländern der Welt das für Tabakanbau geeignetste ist“. Darum entstanden seit 1771 in Makedonien laufend neue französische, italienische, englische, niederländische, deutsche und amerikanische Firmen für die Verarbeitung von und den Handel mit Tabak. Anfänglich Etikettenkonflikte, ob es sich um „türkischen“, „thrakischen“ oder „makedonischen Tabak“ handele, wurden damit beendet, dass alle Sorten als „Orientabak“ in alle Welt gingen – ausgenommen das Osmanische Imperium selber, dem nur die minderwertigen Reste überlassen wurden, die man in Makedonien nicht verbrauchte. Den Gewinn hatten die Menschen Makedoniens, von denen 120.000 Personen im Tabakanbau tätig waren. Ein Achtel des urbaren Landes in Makedonien war mit Tabak bepflanzt, dessen Verkauf jährlich 4 Millionen Groschen einbrachte. Zum Vergleich: 300 Groschen waren das Jahresgehalt eines hohen türkischen Offiziers.

Als die ersten Zigaretten kamen

Bis ins 18. Jahrhundert hinein war der meiste Tabak zu grob geschnittenem Pfeifentabak verarbeitet worden. Um 1760 tat sich die erste Manufaktur für Schnupftabak auf, wofür die drei christlichen Pächter eine hohe Tagesmiete zahlen mussten. Dafür besaßen sie das Monopol im ganzen Imperium, in welchem sie 40 Spezialgeschäfte eröffnen durften und mit denen Geld scheffelten.

Eine ähnliche, jedoch tiefergreifende Wende ereignete sich 1843, als die ersten Zigaretten auf den Markt kamen. In balkanslavischen Sprachen unterscheidet man nicht zwischen „Zigarette“ und „Zigarre“, was insofern belanglos ist, als beide Formen von Tabakwaren feinblättriges und aromatisches Blattgut erforderten. Dem zu genügen, bedingte erneute Investitionen und Preissteigerungen, garantierte aber auch Erfolg – Schnupfen kam immer mehr aus der Mode, Rauchen von Zigaretten wurde allgemeines Volkslaster. Die Tabakproduktion erreichte nie gekannte Höhen, speziell in Makedonien beteiligten sich alle Volksgruppen daran, die neuerlich von den osmanischen Behörden erlassenen Gesetze und Vorschriften waren vernünftig und ökonomisch überlegt. Vorher waren die Regionen, in denen Türken kompakt siedelten, Schwerpunkte der Tabakproduktion. Zu Recht galten die Türken als die geschicktesten und erfahrensten Tabakbauer, jetzt ließen sie andere bereitwillig an ihren Fertigkeiten partizipieren.

Heute bemüht sich China um das Tabakwissen Makedoniens

Ein Sonderfall war der Kautabak, in Deutschland auch „Priem“ genannt, was um 1800 vom niederländischen Wort „pruim“ (Pflaume) abgeleitet ist. Eigentlich ist Tabakkauen die Urform des Tabakgenusses, von Christoph Columbus bei Eingeborenen noch vor dem Rauchen beobachtet. Später war der Priem vor allem in der Seefahrt beliebt, da auf den hölzernen Segelschiffen das Rauchen wegen der Brandgefahr streng verboten war. Aber Schiffahrt spielte bei den notorisch wasserscheuen Slaven und Türken nie eine große Rolle, damit auch der Kautabak nicht. Generell soll er nur noch bei US-Baseballspielern eine gewisse Bedeutung haben, aber wer spielt weltweit schon Baseball?

Mit den Balkankriegen 1912/13 endete die Türkenherrschaft auf dem Balkan, mit den abziehenden türkischen Truppen und Behörden verließen auch viele „normale“ Türken Südosteuropa. Es hätten auch noch weit mehr sein können, wie aber auch viele blieben und bis heute dort leben. Wer im Sommer durch Süd-Makedonien fährt, sieht überall die Holzgestelle, an denen der gepflückte Tabak trocknet. Bei einer Jahresweltproduktion von rund 6 Millionen Tonnen, wovon die Hälfte auf die Volksrepublik China entfällt, spielt Makedonien quantitativ keine Rolle. Dafür aber qualitativ, denn anders wäre es nicht erklärbar, warum sich China derzeit angestrengt um makedonisches Know-how in Tabakdingen bemüht.

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