Die längste Pipeline der WeltKAUKASUS

Die längste Pipeline der Welt

Die längste Pipeline der Welt

Gerade wurden die ersten Abschnitte der BTC-Pipeline in Aserbaidschan eingeweiht. Die 1.800 Kilometer lange Ölröhre von der Kaspischen See zur Mittelmeerküste soll den Westen unabhängiger vom arabischen Öl machen. Doch das drei Milliarden Dollar teure Projekt ist nicht unumstritten. Die BTC verläuft durch ökologisch sensible Regionen und erdrutschgefährdete Bereiche.

Von Timo Vogt

Der bullige Schotte Bill Craig freut sich schon, daß es bald losgehen soll. Seit 17 Jahren ist er für British Petrol (BP) in aller Welt unterwegs. Hier in der gut bewachten „Pumpstation 1“ nahe der ostgeorgischen Trabantenstadt Rustawi kommt die BTC in der baumlosen Halbwüste ans Tageslicht. Bill Craig tätschelt die im Durchmesser über einen Meter messende Pipeline wie eine alte Bekannte. Für den Namen der Rohrleitung standen die wichtigsten Städte entlang ihres Weges durch den Kaukasus und Ostanatolien Pate: Baku, Tiflis und Ceyhan. Acht Pumpstationen sollen bald dafür sorgen, daß das von den riesigen Bohrplattformen in der Kaspischen See geförderte Rohöl zur Tanker-Verladestation im türkischen Ceyhan strömt. 1.760 Kilometer muß das „schwarze Gold“ durch drei Länder zurücklegen und benötigt dafür zwei Wochen, wenn alles gut geht.

Wenn der Wind vom Meer herüberweht liegt ein beißender Geruch über der sich immer weiter ausdehnenden Metropole Baku. Der Geruch von Öl prägt den Eindruck der Stadt genauso wie die emporschießenden Büro- und Wohngebäude oder die schweren Luxus-Geländewagen auf den Straßen. Die aserbaidschanische Hauptstadt lebt seit über 100 Jahren vom Öl. Doch mit dem Abschluß des „Jahrhundertvertrages“ vor zehn Jahren begann ein neuer Boom. Die postsowjetische Republik am Kaspischen Meer öffnete sich damals für westliche Ölkonzerne und ging damit eine Allianz ein, die den Firmen Förderrechte zusprach und der despotischen und korrupten Regierungsclique um die Alijew-Familie Einnahmen und Macht sicherte. Aserbaidschan ist nicht Mitglied der OPEC und entsprechend nicht an die Preisabsprachen der Organisation gebunden. Das macht das kaspische Öl für westliche Multikonzerne aus Europa und den USA interessant. Bei der Festlegung der BTC-Route setzten sich die USA gegen Rußland durch und sicherten damit ihren Einfluß in der Region.

Noch heute wird auf den ersten Ölfeldern des frühen 20. Jahrhunderts mit rostigen Fördertürmen Öl an die Oberfläche gefördert. Das Selimkhanow-Ölfeld ist eine apokalyptische Landschaft am Südrand Bakus. Unzählige Fördertürme und Pumpen rosten vor sich hin, schwarze Seen aus stinkenden Bohrschlämmen und Ölresten verseuchen den Küstenstreifen. Die lächelnden und schmutzverschmierten Gesichter der Arbeiter können nicht verbergen, daß ihr Körper unter den Arbeitsbedingungen zu leiden hat. „Die Hauptsache ist doch, daß wir Arbeit haben“, sagt einer der Männer.

Ölarbeiter Bill Craig und seine alte Bekannte. In der Pumpstation nahe dem ostgeorgischen Rustawi kommt die BTC ans Tageslicht.  
Ölarbeiter Bill Craig und seine alte Bekannte. In der Pumpstation nahe dem ostgeorgischen Rustawi kommt die BTC ans Tageslicht.  
  Die Pumpstation 1 bei Rustawi in Georgien ist eine von insgesamt acht Pumpen, die entlang der knapp 1.800 Kilometer langen BTC Pipeline in Aserbaidschan, Georgien und der Türkei verteilt sind.
  Die Pumpstation 1 bei Rustawi in Georgien ist eine von insgesamt acht Pumpen, die entlang der knapp 1.800 Kilomter langen BTC Pipeline in Aserbaidschan, Georgien und der Türkei verteilt sind.
   
Tamara Gogoladse vor ihrem zerstörten Haus im Bergdorf Dgvari, das seit Jahrzehnten Erdrutschen ausgeliefert ist.  
Tamara Gogoladse vor ihrem zerstörten Haus im Bergdorf Dgvari, das seit Jahrzehnten Erdrutschen ausgeliefert ist.  
  Unzählige Risse durchziehen die Wände – ein Haus im Bergdorf Dgvari, das vom Erdrutsch beim Pipelinebau zerstört wurde.
  Unzählige Risse durchziehen die Wände – ein Haus im Bergdorf Dgvari, das vom Erdrutsch beim Pipelinebau zerstört wurde.
   
Am Hang des Berges Oschara ist die BTC bereits vergraben. Hier liegt die Pipeline auf 17 Kilometer Länge in stark erdrutschgefährdetem Gebiet.  
Am Hang des Berges Oschara ist die BTC bereits vergraben. Hier liegt die Pipeline auf 17 Kilometer Länge in stark erdrutschgefährdetem Gebiet.  
  STOP! BTC-Pipeline-Baustelle in Südgeorgien.
  STOP! BTC-Pipeline-Baustelle in Südgeorgien.

 

Spiel mit verdeckten Karten

Das Öl für den Export wird von Multikonzernen aus Europa und den USA auf zeitgemäßere Weise aus der Erde geholt. Hundert Kilometer vor der Küste Bakus werden im Meeresboden fünfeinhalb Milliarden Barrel vermutet. Dem Azeri-Chirag-Gunashli Ölfeld (ACG) ist mit antiqierten Methoden nicht mehr beizukommen. Riesige moderne Stahlkolosse ankern überall in der Kaspisee. Im April begann eine dieser Plattformen damit, das erste Öl für die BTC ans Festland zu pumpen und die großen weißen Tanks des Exportterminals Sangachal südlich der Hauptstadt zu füllen.

Wer sich dem Terminal nähert, wird mit Argusaugen beobachtet und unter Umständen von Uniformierten gestellt. Eine spezielle Polizeitruppe wurde dem Betreiberkonsortium zugeteilt, das Gelände zu bewachen. Ölprojekte sind von „strategischer Bedeutung“ und daher besonders schützenswert. Einen Ortstermin im Innern des Terminals bekommt man von BP nur selten. Hier, an der Westküste des Kaspischen Meeres, läßt man sich nicht gerne in die Karten schauen.

500 Pipelinekilometer weiter westlich steht der dreißigjährige Bürgermeister Vano Tsiklauri auf der verbeulten Haupttrinkwasserleitung seiner georgischen Kleinstadt Tetritskaro. Er wolle auf keinen Fall den Eindruck eines Pipelinegegners machen, „aber wie kann es sein, daß BP bei den Erdarbeiten für die BTC unsere Wasserleitung zerstört und ich die Reparatur selber leisten muß?“ Tetritskaro hat einige Stücke des Pipelinekuchens abbekommen. Die Weltbank stiftete rund 64.000 Euro für Infrastrukturmaßnahmen in der 4.000-Einwohner-Stadt. Die marode gewordenen Straßen, Wasserleitungen und die Kanalisation wurden und werden erneuert. Um so ärgerlicher ist für den nach der georgischen „Rosenrevolution“ mit überwältigender Mehrheit ins Amt gewählten Bürgermeister, daß vor einem Jahr auch noch Planierraupen den Weg für die Baufahrzeuge der BTC freischoben und dabei außerhalb der Stadt das Abwasserrohr aufriß – auf einer Länge von einem Kilometer. Merab Tsiklauri, zuständig für die Kommunalentsorgung, schätzt den Schaden auf 35.000 Euro. „BP hat bis heute nicht reagiert und so haben wir jetzt Klage einreichen müssen“, erklärt Merab. Bis das geklärt ist, fließen die Abwässer weiterhin direkt in die Landschaft.

Über tausend Liter Öl in der Sekunde

Sorgen vor ganz anderen Umweltproblemen hat Kacha Torlodawa. Er ist Sprecher der Umweltorganisation WWF in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Die Organisation betreibt den ersten Nationalpark Georgiens, der in den Bergen um den westgeorgischen Kurort Borjomi vor eineinhalb Jahren eingerichtet wurde. Der Borjomi-Kharagauli Nationalpark umfaßt über ein Prozent des Staatsgebietes der Kaukasusrepublik und soll zur Erhaltung einzigartiger Tiere und Pflanzen der Region beitragen. Die BTC wird derzeit durch die Pufferzone des Nationalparks verlegt. Zwar schließt Torlodawa direkte Auswirkungen der Pipeline auf den Park aus, denn zwischen der Ölleitung und der Parkgrenze liegen mehrere Kilometer. Schlimm sei jedoch, daß die BTC oberhalb der Städtchens Borjomi in einem stark erdrutschgefährdeten Gebiet gebaut wurde und sie den Borjumula Fluß durchquere. Der Bergfluß stürzt sich ins Tal und vereinigt sich mit der größeren Kura, die durch Georgien und Aserbaidschan ins Kaspische Meer fließt. Ein Rohrbruch in Flußnähe könnte eine Katastrophe auslösen. „Was nutzt es uns, wenn BP zusichert, der Ölfluß durch die BTC könne im Schadensfall innerhalb von zehn Minuten abgestellt werden?“, fragt Kacha Torlodawa rhetorisch und fügt hinzu: „Tausende Gallonen Öl wären dann schon im Fluß und würden das einzigartige Borjomital verseuchen. Unter Vollauslastung kann die Pipeline bis zu einer Million Barrel am Tag befördern. Allein in jeder Sekunde würden so zukünftig rund 1.185 Liter Öl durch die Leitung strömen.“

In der Borjomi-Region wird die Pipeline skeptisch gesehen. Zwar wissen alle, daß Georgien mit der Inbetriebnahme jährlich viele Millionen Dollar Transitgebühren einnehmen wird, doch Borjomi braucht sauberes Wasser. Um die warmen und schwefelhaltigen Quellen herum wurde die Stadt einst errichtet. Ein Kurort in dem schon die Romanows und Stalin entspannten. Dem schnellen Verfall nach dem Ende der Sowjetunion wird heute entgegengearbeitet. So soll eines Tages wieder ein gemütliches Städtchen entstehen und Kurgäste empfangen können.

Am Stadtrand von Borjomi wird in zwei Werken Trinkwasser aus Borjomi für den europäischen Markt getrimmt. Hundert Jahre wird hier nun schon Wasser abgefüllt. In der Sowjetunion war das als besonders gesund geltende Naß überall bekannt. Noch heute gehen 90 Prozent der Produktion nach Rußland. Insgesamt werden 26 Staaten beliefert und die Jahresproduktion steigt zusehends. Im Jahr 2000 sind noch 10 Millionen Flaschen abgefüllt worden, während es in Jahr 2004 schon stolze 40 Millionen Flaschen waren. Die Georgian Glass & Mineral Water Company (GG&MW) wurde in den 1990ern mit Hilfe der Weltbank wieder aufgebaut. Der damals marode Betrieb arbeitet heute wirtschaftlich und hat noch Entwicklungspotential. So viel, daß Danone in die GG&MW investieren wollte. Doch als die Pipelinepläne offenbar wurden zog sich der französische Konzern wieder zurück. Zu heikel schien wohl das Geschäft mit Wasservorkommen gewesen zu sein, über denen eine Erdölleitung mit den Dimensionen der BTC gebaut werden sollte.

Die BTC-Route und die Angst vor dem russischen Militär

Das Borjomi Trinkwasser wird aus Tiefen zwischen 18 und 1.500 Metern heraufgepumpt. Unter dem Borjumula Fluß sind die Vorkommen nur 130 Meter unter der Oberfläche. Direkte Verbindungen durch Risse und Spalten, durch die bei einem Leck in der BTC-Röhre Öl sickern könnte und das Wasser verunreinigen würde, seien nicht auszuschließen, meinen Fachleute. Merab Jobaschwili ist sich natürlich der Gefahr bewußt, die von der Pipeline ausgehen kann. Doch der stellvertretende Direktor des „2. Borjomi Werks“ glaubt den Versicherungen von British Petrol. Was soll er auch anderes sagen, denn die Führungen von BP und GG&MW hätten sich geeinigt. BP verstärkte daraufhin die Rohrabschnitte in den gefährdeten Gebieten. „Zu 99 Prozent ist unser Wasser sicher“, sagt Jobaschwili. Läge er mit dieser Prognose falsch, stünden rund 1.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel und eine ganze Region mit Kurort, Nationalpark und Wasserwirtschaft hätte ein kaum wieder gut zu machendes Imageproblem.

Es hätte eine Alternativroute für die BTC gegeben, um den neuralgischen Punkt Borjomi südlich zu umgehen. Doch politisches Kalkül machte diese Überlegungen zunichte: Die Route wäre in direkter Nachbarschaft mit Dörfern verlaufen, die von ethnischen Minderheiten bewohnt sind – vor allem das Verhältnis zu den Armeniern ist in Georgien gestört. Doch ausschlaggebender war wohl die russische Militärbasis im südwestgeorgischen Akhalkalaki. Die Russen weigern sich seit Jahren den bereits beschlossenen Abzug aus der Kaukasusrepublik Georgien durchzuführen. Wegen des Schreckgespenstes, russisches Militär könnte eines Tages einen der zahlreichen georgischen BTC-Hähne zudrehen, um damit die westliche Welt unter Druck zu setzen, verwarf man die ausweichende Trassenführung über das Dschawacheti-Massiv schnell.

Problemen mit Minderheiten zum Trotz wurde die Pipeline an der südgeorgischen Stadt Tsalka vorbei verlegt. Die Menschen der Region freuen sich über die Ölleitung. Auf einem Hügel vor der Stadt liegen die schwarzen Rohre mehrere Meter hoch gestapelt. Ein Bagger belädt die Allrad-Brummis einer deutschen Spezialfirma mit den tonnenschweren Rohrelementen. Die Pipeline, über die Berge aus dem Osten des Landes kommend, verläuft einige Kilometer nördlich von Tsalka entfernt am Ufer eines großen Sees, der als Trinkwasserreservoir für die 50 Kilometer entfernte Hauptstadt Tiflis dient. Die Pipeline bringt der Stadt 200 Arbeitsstellen. Fahrer und Hilfsarbeiter wurden unter den Georgiern rekrutiert. Angestellt mit Zweimonatsverträgen verdienen sie in der Pipeline-Bauphase ein vielfaches des üblichen georgischen Lohns. BP ist beliebt hier in Tsalka, bringt der Konzern doch auch neue Asphaltdecken und Ausländer, die in den kleinen Geschäften Geld ausgeben.

Am Rand der Trabantenstadt Rustawi liegen BTC-Abschnitte bereit, um vergraben zu werden.  
Am Rand der Trabantenstadt Rustawi liegen BTC-Abschnitte bereit, um vergraben zu werden.
 
  Pipelinearbeiter nahe Rustawi
  Pipelinearbeiter nahe Rustawi
   
Ein Bagger frißt sich bei Tsalka durchs Land.  
Ein Bagger frißt sich bei Tsalka durchs Land.  
  Ein langer schwarzer Wurm. BTC-Baustelle in Georgien.
  Ein langer schwarzer Wurm. BTC-Baustelle in Georgien.
   
Nach ihrer Fertigstellung soll man die BTC nicht mehr sehen können. Nicht zuletzt, um Anschläge zu erschweren.  
Nach ihrer Fertigstellung soll man die BTC nicht mehr sehen können. Nicht zuletzt, um Anschläge zu erschweren.  
  Ölarbeiter Bill Craig vor den großen Tanks der BTC-Pumpstation bei Rustawi.
  Ölarbeiter Bill Craig vor den großen Tanks der BTC-Pumpstation bei Rustawi.

 

Entlang der Geisterstadt

Doch der Anblick der zentralgeorgischen Stadt Tsalka lassen einen Weg in bescheidenen Wohlstand nur in einer utopischen Vorstellung erscheinen. Denn Visionen hat hier niemand mehr. Zumindest niemand von den jungen und alten Männern, die schon vormittags sich gegenseitig stützend um den Verkehrskreisel torkeln. Die Innenstadt sieht aus wie ausgebombt. Dächer sind eingestürzt, Fensterglas von seit Jahren geschlossenen Geschäften zerborsten. Die Hauptstraße besteht aus einer Aneinanderreihung von Schlaglöchern. Vorbeifahrende Autos ziehen eine lange Staubwolke hinter sich her.

Vor 15 Jahren lebten noch überwiegend Griechen in Tsalka, neben Armeniern und Aserbaidschanern. Doch die damals zunehmenden Anfeindungen wollten sich die Griechen nicht bieten lassen und wanderten aus in ihr Mutterland. 30.000 Einwohner verließen so die Stadt. Um das Ausbluten der Region zu stoppen wurden 10.000 Georgier angesiedelt. Dennoch: Tsalka wirkt wie eine Geisterstadt.

Tsiala Khvintelani strahlt über ihr rundes Gesicht, wenn Sie erzählt, wie BP ihre Schule unterstützt hat. Die Schuldirektorin kam vor 8 Jahren nach Tsalka und übernahm den Dienst in einer der zwei Schulen der Stadt. Sie begann mit zwei Dutzend armenischen und aserischen Schülern. Heute sind es rund 300 Kinder die von der ersten bis zur elften Klasse in Tsialas Schule gehen und von 27 überwiegend Lehrerinnen unterrichtet werden.

Das BP-finanzierte „Improved Schools Project“ hat der Schule letztes Jahr etwas gebracht, das in dem kleinen Kaukasusstaat Georgien einem Hauptgewinn im Glücksspiel gleichkommt. British Petrol investiert entlang der rund 250 Kilometer langen georgischen Sektion der BTC-Pipeline in die Infrastruktur der Schulen. So wurde das Gebäude von Tsialas Schule renoviert und neue Öfen und Toiletten gestiftet. Die Wände sind nun frisch gestrichen und die Wasserversorgung funktioniert wieder. Doch wirklich große Augen bekommen die Schüler, wenn sie auf das neue Internetcafé angesprochen werden. Eine Solaranlage auf dem Schuldach stellt die Stromversorgung sicher, damit 10 nagelneue Computer mit modernen Flachbildschirmen auch dann noch laufen können, wenn der Rest der Stadt im Dunkeln sitzt – was oft der Fall ist. „BP hat uns auch einige Monate Zuschüsse auf unsere Lehrergehälter gezahlt,“ berichtet Tsiala „und man hat uns versprochen auch weiterhin in Tsalka zu investieren“.

Das Drama von Dgvari

Investitionen erhofft man sich im Bergdorf Dgvari nicht mehr. Auf den ersten Blick unterscheidet sich Dgvari nicht von anderen Dörfern in Georgien. Die 600-Seelen-Gemeinde schmiegt sich an den Nordhang des Berges Oschara, der 2.600 Meter aufragt. Äcker und Weideland in kleinen Rechtecken umrahmen den Ort im Südwesten Georgiens, am „Kleinen Kaukasus“ gelegen. Die quirlige Hauptstadt Tiflis ist drei Autostunden entfernt und weit hinter den Bergen. Das sich abspielende Drama in Dgvari scheint dort niemanden ernsthaft unter Handlungsdruck zu setzen.

Es begann vor 35 Jahren. Damals wurde der Ort und seine in ärmlichen Verhältnissen lebenden Bewohner zum ersten Mal von einem Erdrutsch erschüttert. Seit dem ist der Abhang des Berges Oschara nicht mehr zur Ruhe gekommen. Als würde ein Fluch über Dgvari liegen, rutscht das Land unentwegt hinab ins Tal. Und alle Menschen, Häuser und Wege rutschen langsam mit – Stück für Stück.

Nur auf eine grobe Gartenhacke gestützt kann sich Tamara Gogoladze auf den Beinen halten. Den Oberkörper nach vorne gebeugt, als habe das Rückgrat der 84jährigen schon aufgegeben sie aufrecht halten zu wollen. Die müden Pupillen ihrer kleinen Augen rahmt ein naßglitzernder, blaß rosaner Rand ein. Augen die viel gesehen haben und nun davon erschöpft sind. In vorsichtigen Schritten tastet sich Tamara aus dem Garten in den Innenhof ihres bescheidenen Grundstücks. Sie zeigt auf ihr Haus, oder das was davon noch steht. Zwei weggebrochene Mauern haben das Wohnzimmer freigelegt. Eine aufgerissene Wunde, die, notdürftig mit blauer Plane und Brettern vor dem rauhen Wetter geschützt, den Blick auf das Innere freigibt. Stützen halten die Decke, damit sie nicht auch noch in sich zusammenfällt. „Alles ist kaputt und ich bin alleine mit all dem hier“, klagt Tamara.

Der langsame aber stetige Erdrutsch hat kein Haus in Dgvari verschont. Im letzten Sommer kamen dann plötzlich Bagger. Da erst erfuhren die Bewohner, daß oberhalb ihres Dorfes die BTC-Pipeline im talwärts gleitenden Erdreich vergraben werden soll – in einem 17 Kilometer langen, stark vom Abrutschen gefährdeten Bereich. Die Bewohner haben Angst vor möglichen Erdbewegungen durch die Bauarbeiten an der Pipeline und deren späteren Betrieb. Das Dorf Dgvari, ihre Heimat, könnte dadurch vollends zerstört werden. Doch das ficht den Ölkonzern BP nicht an. In Dgvari erzählt man, der BP-Chef in Tiflis habe sich einst zu der Aussage hinreißen lassen, die Pipeline im Zweifel mit Hubschraubern hochhalten zu lassen, damit die Erdrutsche sie nicht zerstören könnten. Die Einheimischen haben daraufhin vier Tage lang BTC-Baustelle blockiert, bis sich schließlich die georgische Regierung einschaltete – zwei Millionen Dollar soll BP dafür gelöhnt haben.

Als wäre es ihre letzte Hoffnung klammern sich die Menschen in Dgvari an eine vage Aussage der Landesregierung, die Dorfbewohner zu entschädigen. Mit dem Geld könnten sie sich an einem anderen Ort eine neue Existenz aufbauen, erklärt der Kleinbauer Besik Gogoladze. „Doch ich habe große Angst, daß wir wegen der in Georgien herrschenden Korruption leer ausgehen könnten,“ meint er bitter. Oft genug seien Entschädigungen im Zusammenhang mit dem Bau der BTC-Leitung den Empfängern wieder abgepreßt oder noch am gleichen Tag wieder gestohlen worden. Ein sicheres Konto, auf das der Betrag überwiesen werden könnte, hat hier oben kaum jemand.

„Sicherheit wird hier groß geschrieben!“

In der Pumpstation PSG 1 brüllt Bill Craig laut in sein Mobiltelefon: „Was verdammt noch mal sollen diese verfluchten Sirenen?“ Er schreit, um gegen den schrillen Lärm des Gasalarms anzukommen, der plötzlich ausgelöst wurde. Auf dem Gelände selbst sind keine Reaktionen auf das Getöse festzustellen. Keiner der überwiegend indischen Arbeiter legt sein Werkzeug aus der Hand und rennt davon, um sich zu retten. Es ist Bill sichtlich peinlich, weiß er doch, daß der verdutzte Besucher nur nach einer strengen Unterweisung in Arbeitsschutzbestimmungen diese Pumpstation betreten durfte. Man wurde nicht nur angewiesen jeden Arbeiter umgehend zu denunzieren, wenn er offensichtlich Schutzvorschriften verletzt. Auch wurde klar gestellt, daß bei Alarm das Gelände schnellstmöglich zu verlassen ist, denn Sicherheit würde selbstverständlich groß geschrieben bei diesem Drei-Milliarden-Dollar-Projekt namens BTC-Pipeline.

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Der Autor und Fotograf Timo Vogt bereist immer wieder den südlichen Kaukasus. Im Mittelpunkt seiner Reportagen stehen die einfachen Menschen aus Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Mehr über Timo Vogt und seine Arbeit erfahren sie auf seiner Netzseite www.randbild.de.

Kaukasus Wirtschaft

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