Ein Land wird perfektioniertWEIßRUßLAND

Ein Land wird perfektioniert

Ein Land wird perfektioniert

Der weißrussische Staatspräsident Alexander Lukaschenko bringt sein Land immer mehr auf Linie: Unermüdlich benennt er Straßen um, hebt Musikquoten an und erschwert es dem Volk ins Ausland zu reisen.

Von Alex Khorej

Friede, Freude, Eierkuchen - Einladungsplakat für eine weißrussische Weihnachtsfeier in Gomel. (Foto: A. Metz)  
Friede, Freude, Eierkuchen - Einladungsplakat für eine weißrussische Weihnachtsfeier in Gomel. (Foto: A. Metz)  

K ritiker nannten die sowjetische Architektur einst „die optimistischste der Welt“. Denn jedes neue Bauwerk wurde mit dem Spruch begrüßt: „Jetzt kann es nur noch besser werden.“ So gesehen ist auch Weißrußland ein zutiefst optimistisches Land. Wie am Fließband warten hier alle Aspekte des Lebens darauf, perfektioniert zu werden. Präsident Alexander Lukaschenko und seine Minister können buchstäblich nicht mehr schlafen – so vieles muß schnellstmöglich verbessert werden.

Im Mai erwischte es den zentralen „Prospekt“ von Minsk, eine 18 Kilometer lange Straße, die den Namen des größten weißrussischen Wissenschaftlers und Aufklärers Franzisk Skaryna trug. Lukaschenko benannte ihn kurzentschlossen in „Prospekt der Unabhängigkeit“ um, obwohl er selbst vor sechs Jahren ein Gesetz unterzeichnet hatte, nachdem für Straßennamen die Städte selbst zuständig sein sollten.

Straßennamen nach dem Gusto des Präsidenten  

  Gedenkstätte für Kriegsveteranen unter dem Heldenplatz in Minsk. (Foto: A. Metz)
  Gedenkstätte für Kriegsveteranen unter dem Heldenplatz in Minsk. (Foto: A. Metz)

Dies war der Auftakt für ein wahres Feuerwerk der Umbenennungen: der „Prospekt Piotr Mascherow“ wurde zum „Sieger-Prospekt“ umgetauft, der „Prospekt der Zeitung Iswestija“ erhielt den Namen „Prospekt der Zeitung Swiasda“. „Iswestija“ war den Verantwortlichen zu russisch, die weißrussische Ausgabe der Moskauer Zeitung war sechs Monate zuvor von der Regierung verboten worden. Die Zeitschrift „Swiasda“ dagegen gehört dem Staat und ist hundertprozentig gehorsam.

Unaufhaltsam schreitet die Perfektionierung weiter voran. Nach den Straßennamen kamen Firmenbezeichnungen an die Reihe: Seit Juni dürfen Privatunternehmen nicht mehr die Begriffe „national“ und „weißrussisch“ im Namen tragen. Zeitungen, Agenturen, Stiftungen, die nicht vom Staat gegründet worden sind, müssen sich innerhalb von drei Monaten einen anderen Namen ausdenken und sich damit neu registrieren lassen. Schon länger verboten ist das Wort „Präsident“. Seitdem gibt es im ganzen Land nur noch einen Präsidenten – Alexander Lukaschenko höchst persönlich.

„Russische Musik aus jedem Bügeleisen!“

Neubau der Nationalbibliothek in Form eines Diamanten in Minsk (Foto: A. Khorej)  
Neubau der Nationalbibliothek in Form eines Diamanten in Minsk (Foto: A. Khorej)  

Eine andere staatliche Verordnung regelt nun, daß nur noch Weißrussinnen und keinesfalls etwa deutsche oder französische Mädels für Werbeplakate Modell stehen dürfen. Parallel dazu wurde die Quote für weißrussische Musik im Radio von 50 auf nun 75 Prozent erhöht. Dies soll die russischsprachige Musik zurückdrängen. Lukaschenko meinte: „Russische Popmusik bekommt man heute aus jedem Bügeleisen zu hören!“ Allerdings ist das Angebot qualitativ akzeptabler weißrussischer Musik bescheiden, zumal es gleichzeitig eine stetig wachsende Liste von regimekritischen Musikern gibt, die nicht gespielt werden dürfen. Zuletzt wurde N.R.M., die populärste Band des Landes, wegen Teilnahme an einem Oppositionskonzert mit landesweitem Radio- und Auftrittsverbot belegt. N.R.M. ist die weißrussische Abkürzung für „Unabhängige Republik der Träume“.

Perfektioniert wird in zunehmendem Maße auch der Straßenverkehr. Wer betrunken am Steuer erwischt wird, den möchte Innenminister Wladimir Naumow direkt ins Gefängnis werfen lassen. Seit Sommer 2005 ist es in Weißrußland noch teuerer geworden, die eigene Meinung kundzutun: Wer Demonstrationen veranstaltet, muß die Arbeit der Polizei und der Rettungsdienste selbst bezahlen. Eine Stiftung zu gründen ist gleich zehnmal teurer geworden. In jedem Fall dürfen sie keine politischen Ziele verfolgen. Seit September bedürfen gesellschaftliche Bewegungen, Parteienbündnisse, Berufsverbände und Bürgerinitiativen einer neuen staatlichen Zulassung. Veranstaltungen, die mit Hilfe von ausländischem Geld durchgeführt werden, sind genehmigungspflichtig.

Damit möglichst viele weißrussische Bürger in den Genuß des neuen perfektionierten Lebens gelangen, wurden die Ausreisemöglichkeiten verringert. Studenten, die während der Sommerferien im westlichen Ausland Geld verdienen wollten, mußten sich die Ausreise vom Bildungsministerium genehmigen lassen. Für Grenzübertritte wurde zudem eine Grundgebühr von drei Dollar eingeführt, für In- und Ausländer gleichermaßen. Nach der neuesten Verordnung benötigen sogar Beamte und Minister die persönliche Erlaubnis des Präsidenten, um sich auf Dienstreise ins Ausland begeben zu können.

Rationierte Auslandsreisen

Im Oktober unterzeichnete Lukaschenko eine Verordnung zu Auslandsreisen von Schulkindern: Während eines Schuljahres dürfen Gymnasiasten nicht länger als 15 Tage reisen. Falls sie länger als geplant im Ausland bleiben, müssen innerhalb von 24 Stunden die verantwortlichen Ministerien informiert werden. So ist Weißrußland auf dem besten Wege, eine umzäunte Oase der Perfektion inmitten einer chaotischen europäischen Wüste zu werden.

Die meisten weißrussischen Politologen sind davon überzeugt, daß es auch in den nächsten Jahren nicht zu einer Revolution kommen wird. Scheindemokratie, Einheitsfernsehen und staatlich arrangierte Pseudosorgen beschäftigen die Bevölkerung zu sehr. Nach Ansicht des bekannten weißrussischen Philosophen und Politologen Waljanzin Akudowitsch hat die Mehrzahl der Bevölkerung eine aus Sowjetzeiten ererbte Mentalität: Der „Homo Sowjeticus“ glaube seiner Regierung und vertraue auf eine bessere Zukunft. Er habe generell Angst vor Politik und gebe sich grundsätzlich mit dem Mindestmaß zufrieden. „Weißrussen können entweder arbeiten oder Wodka trinken“, urteilt Akudowitsch. Der weißrussische Nationalsport sei das Versteckspiel. „Im Laufe vieler Jahrhunderte waren Weißrussen gezwungen, sich entweder vor dem einen oder vor dem anderen Eroberer zu verstecken. Und in dieser Zeit haben sie sich so tief versteckt, daß sie sich nun selbst nicht mehr finden können.“

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Alex Khorej ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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