09.08.2023 13:11:56
KOSOVO
Von Wolf Oschlies
ird jemand nach Heerscharen von Grünröcken zwecks Wiederaufforstung rufen, wenn er vor lauter Bäumen keinen Wald mehr sieht? Eine so unsinnige Reaktion blieb der EU vorbehalten, der der Europarat am 14. Dezember 2010 das Ergebnis zweijähriger Recherche vorlegte – den mit Beweisen förmlich „gespickten“ Bericht, mit dem Dick Marty, ehemaliger Staatsanwalt im Tessin und seit 1998 Abgeordneter des Europarats, das Kosovo als Schauplatz monströser Verbrechen charakterisierte. Aber die EU ließ sofort erkennen, dass sie vor lauter Bäumen keinen Wald sieht: „Wir laden Dick Marty ein, seine Beweise den relevanten Behörden vorzulegen“, hieß es aus dem Amt von Catherine Ashton, der Hohen EU-Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik. Wo hat die britische Baronin „relevante Behörden“ ausfindig gemacht? Bei den Tatverdächtigen in Prishtina selbst, bei deren „Paten“ in Washington oder ihren Geldgebern in Brüssel?
Zu Martys Bericht gehörte der Entwurf einer Resolution des Europarats, in dem EU und internationale Gemeinschaft aufgefordert werden, im Kosovo alle überführten Schwerverbrecher zu Verantwortung zu ziehen. Als Täter benennt Marty ehemalige UCK-Terroristen und heutige Spitzenpolitiker wie Premier Hashim Thaci. Zum Nachweis ihrer Untaten zitierte der Autor Analysen, die bereits vor Jahren gemacht, aber von der Politik absichtsvoll missachtet worden waren, etwa die vom Bundesnachrichtendienst (Februar 2005), vom Berliner Institut für Europäische Politik (März 2007) etc., dazu noch neueste Erkenntnisse der EU-Polizeimission EULEX. Sie alle benennen Ross und Reiter, wie Marty erkannte: „Thaci wird in den geheimen Berichten übereinstimmend als der gefährlichste unter allen kriminellen UCK-Bossen bezeichnet“. Thaci fühlte sich, wie Marty rügt, „unangreifbar“, sicher in absoluter „Straffreiheit“, was ihm und seiner Bande monströse Verbrechen erlaubt habe, z.B. ab 1999 in speziellen „Kliniken“ Serben zu töten und deren Organe im Ausland zu verkaufen.
„Sprachrohr“ von Baronin Ashton ist die Österreicherin Ulrike Lunacek, auch Sprecherin der Grünen im Europa-Parlament. Frau Lunacek hatte zuvor als Berichterstatterin des Europaparlaments für die Kosovo-Wahlen vom 12. Dezember 2010 amtiert. Diese „Wahlen“ waren von Thaci und seiner „Demokratischen Partei“ Berichten zufolge unglaublich gefälscht und manipuliert worden, was die Berichterstatterin übersah. Erst als erboste Teile der kosovarischen Wählerschaft in einigen Bezirken Nachwahlen am 9. Januar 2011 erzwangen, erkannte auch Ulrike Lunacek im Kosovo „Wahlbetrugsvorfälle“, eine „Kultur der Einschüchterung und der Straflosigkeit“ und anderes, das eine „Reform der Wahlgesetzgebung“ verlangte.
Auch wenn das alles zutrifft, ist es dennoch unerheblich: Wahlen sind im Kosovo ein albernes Spektakel, das weniger als die Hälfte der Menschen interessiert und auch die nur, weil Politiker wie Thaci die abenteuerlichsten Versprechen machen – „Visafreiheit binnen 15 Monaten“, „50 Prozent Gehaltserhöhung im öffentlichen Dienst“ etc. EU und Internationaler Währungsfonds qualifizierten dies umgehend als „Quatsch“. Quatsch, wie ihn albanische Demagogen in der Überzeugung fabrizieren, dass ihnen die internationale Gemeinschaft alles nachsehen wird, ihre heutige Arroganz und ihre früheren Verbrechen, die der Schweizer Dick Marty gerade für den Europarat dokumentierte.
Martys Grundton zeigt eine umfassende Verärgerung über die Dreistigkeit, mit der die UCK unter den Augen der internationalen Gemeinschaft „schwere Verbrechen“ beging, z.B. den „Handel mit menschlichen Organen“ und andere, „die bislang unbestraft blieben und auch nie Gegenstand seriöser Untersuchungen waren“. Die Opfer seien in KZs, die die UCK mit Unterstützung des national-albanischen Geheimdienstes SHISH in Nord-Albanien einrichtete, „einer inhumanen und entwürdigenden Behandlungen unterzogen worden, bevor sie endgültig verschwanden“. Details versuchte das internationale Kriegsverbrecher-Tribunal (ICTY) aufzuklären, aber seine Unter-suchungen wurden bald gestoppt und die bis dahin gesammelten Beweise „wurden vernichtet und können nicht mehr für detaillierte Analysen genutzt werden“.
Auch das Regime des serbischen Diktators Slobodan Milosevic hat im Kosovo Verbrechen begangen, aber die wurden aufgeklärt und vor Gericht behandelt. Das unterscheidet sie von albanischen Verbrechen, die bis zur Gegenwart ungesühnt blieben. Korruption und organisierte Kriminalität kennzeichnen das Kosovo nach wie vor – Strafverfolgung ist nicht möglich, weil diese von den alten UCK-Terroristen verhindert wird, deren mafiöse Strukturen undurchdringlicher als die der Cosa Nostra sind. So sagt es Dick Marty, der auch die „praktischen“ Schwierigkeiten erfuhr: „Albanische Zeugen blieben für uns unerreichbar“, nachdem z.B. ICTY-Untersuchungen „den Tod sehr vieler Zeugen bewirkten, so dass am Ende die Justiz leer ausging“.
Daran wird sich wenig ändern, denn erstens steht die US-Regierung unverändert fest auf Seiten der alten UCK-Führer und zweitens haben diese Terroristen im Krieg 1999 und in den Jahren danach riesige Profite gemacht, mit denen sie die eigene Position und die ihrer „Untertanen“ unerschütterlich absichern können. Ein Lehrbuch-Beispiel dafür, in Dick Martys Bericht ausführlich beschrieben, ist die sogenannte „Drenica-Gang“, die seit Mitte der 1990er Jahre von Hashim Thaci von der Schweiz aus gelenkt wurde. Thaci bekam von Anfang an „politische und diplomatische Ermutigung von den Vereinigten Staaten und anderen Westmächten“, und so wurde seine Drenica-Gang „eine ausgeprägte Machtbasis im organisierten Verbrechen, das seit jener Zeit im Kosovo und in Albanien blüht“.
Unter den vielen, die Marty im Vorgriff auf künftige Anklagen mit Namen und Tatverdacht vorstellt, ist auch Shaip Muja, den kosovarische Quellen als Arzt, Chirurg und humanitären Aktivisten ausgeben. Das gibt Marty süffisant wieder, um dann in allen Details zu erläutern, wie Muja führend beteiligt war, als die UCK 1999 im „gelben Haus“ in Nord-Albanien junge Serben tötete, buchstäblich „ausschlachtete“. Nach Martys Beweisen war Thaci einer Hauptakteure des Organhandels, der ihm Millionen eingebracht haben dürfte. Dafür hat schon sein Genosse Muja gesorgt, der jahrelang als „Medizinischer Koordinator“ in der UCK-Führung wirkte, also direkt unter „Kommandant“ Thaci, was für sie und andere wie eine Lizenz zum Gelddrucken war.
Es ist nun einmal so, dass Diplomaten, Generäle, Beamte, die einmal im Kosovo tätig waren, oft erst nach Jobwechsel oder Pensionierung ihre ehrliche Meinung über die dortigen Zustände aussprechen – verschärft durch den lange aufgestauten Groll über verordnete Maulkörbe. Dann kommt Klartext heraus, etwa im Buch „La caccia – Io e i criminali di guerra“ (Die Jagd – Ich und die Kriegsverbrecher), das im Frühjahr 2008 in Italien und der Schweiz in den Handel gelangte, zuvor aber schon für internationalen Wirbel sorgte.
Verfasst hatte das 412-seitige Werk die Schweizerin Carla del Ponte, von September 1999 bis zum 31. Dezember 2007 Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrecher-Tribunals (ICTY). Frau del Ponte war eine umstrittene Juristin: Eitel, stur, rasch bei Anklagen, bürokratisch umständlich bei der Prozessführung, eine Chefanklägerin, die dem Tribunal zwar Medienecho verschaffte, ihm aber keinen guten Namen machte.
Seit Jahresbeginn 2008 amtierte sie als Schweizer Botschafterin in Argentinien und ihr Buch hatte im Berner Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten alle Alarmglocken schrillen lassen. In Mailand ereilte Carla del Ponte, die am 6. April dort ihr Buch präsentieren wollte, ein Redeverbot der Schweizer Regierung und die Weisung, umgehend nach Argentinien zurückzukehren. So wollte es Außenministerin Micheline Calmy-Rey, die just im kosovarischen Prishtina zur Eröffnung der Schweizer Botschaft weilte, und die Begründung lieferte der Berner Pressesprecher Jean-Phillipe Jeannerat: Del Pontes Buch „enthält Passagen, die für einen Vertreter der Schweiz unzulässig sind“. War Del Ponte als „Vertreter der Schweiz“ im Haag?
Damals war Frau Del Ponte zu Recht verbittert, heute ist sie über den Marty-Bericht glücklich, denn „es sind die Enthüllungen in meinem Buch, die zu dieser Untersuchung geführt haben“. Sie hatte 2008 als erster Mensch in Westeuropa auf Verbrechen im Kosovo, begangen von UCK-Terroristen wie Hashim Thaci, hingewiesen, aber nichts erreicht. „Sicher hätte ich meine Arbeit besser machen können“, schrieb sie und beklagte die „Gummiwände“, auf die sie überall stieß: In den USA, Frankreich und England war sie „persona non grata“, der Vatikan verweigerte ihr über seinen Außenminister Giovanni Lajolo jegliche Hilfe, desgleichen CIA-.Chef George Tenet, der ihr ins Gesicht sagte: „Deine Ansichten sind mir scheißegal“.
Serbien und Kroatien blockierten Carla Del Ponte jahrelang und im Kosovo sorgte die UCK dafür, dass sie keine Zeugen für Verbrechen und Verbrecher fand. Die UN-Verwaltung des Kosovo unter den Franzosen Bernard Kouchner verhinderte damals Untersuchungen des Tribunals, das erst 2003 den Ort besuchen konnte, dort Spuren der Verbrechen fand, aber keine Zeugen auftrieb. Gestützt auf del Pontes Buch verlangte das russische Außenministerium Aufklärung vom Haag, aber von dort kam natürlich nichts.
Unter dem Eindruck seines jüngsten Berichts hat sich die britische Regierung bei Dick Marty offiziell entschuldigt, weil sie frühere Berichte von ihm nicht ernst nahm. Marty mag kaum grundsätzlich neue Erkenntnisse vermittelt haben, aber er summierte alte, spitzte sie in ethisch einwandfreier Weise zu und „adelte“ sie moralisch mit dem Gewicht des Europarats, der 1949 gegründeten ältesten europäischen Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg. Albanien ist seit 1995 Mitglied des Europarats und muss nun wählen zwischen seiner Loyalität zu Europa oder intraalbanischer Loyalität mit kosovarischen Menschen-Schlächtern. Mit dem Marty-Bericht scheinen überhaupt einige politische Klärungen einzusetzen. Am 8. Januar 2011 kommentierte die „Washington Post“ den Marty-Bericht und seine absehbaren Folgen schlüssig: „Die Amerikaner könnten sauer sein über den Inhalt eines Berichts, den der Europarat erstellte über das organisierte Verbrechen im mehrheitlich albanisch besiedelten Kosovo, ein Land, das seine Existenz den Vereinigten Staaten verdankt. (...) Die Kosovo-Führer haben eine Schmutzkampagne gestartet, um Marty und seine Resultate zu diskreditieren, und sie begannen eine Hexenjagd gegen die Albaner, die bei der Untersuchung behilflich waren. Jetzt muss Washington sich äußern, um die Hetzereien im Kosovo zu beenden und die öffentliche Meinung auf eine internationale Verbrechensfahndung zu richten und auf Strafverfolgen, falls nötig“.
Das wäre natürlich wunderschön, wenn die Amerikaner endlich merkten, welche Verbrecher sie im Kosovo anderthalb Jahrzehnte lang gehätschelt haben. Die Chancen dafür sind jedoch gering, weil sie mit dem Kosovo weitergehende Pläne haben, über die niemand recht Bescheid weiß. Selbst Marty wunderte sich in seinem Bericht über die riesige US-Militärbasis „Bondsteel“ im Kosovo, deren Ausmaße und Bedeutung „eindeutig regionale Erwägungen übersteigen“.
Den Absichten der USA war im März 2007 eine Expertentagung in Belgrad gewidmet, die ein paar interessante Momente äußerte. Beispielsweise rechnete der Wirtschaftsfachmann Slobodan Kljakic vor, dass Serbien seit 1960 „Hunderte Milliarden Dollar“ in kosovarische Ressourcenforschung steckte und die Reichtümer der Region – Wasser, Wald, Kohle, Öl, „strategische Metalle“ etc. – erkundete. Diese Reichtümer kann es nicht mehr nutzen, aber die USA haben sich serbische Erkundungsarbeit nutzbar gemacht und bauen das Kosovo planmäßig zu ihrer balkanischen Kolonie aus.
Es gibt auch andere Amerikaner, beispielsweise Ted Galen Carpenter, Vizepräsident des angesehenen Cato-Instituts für politologische Forschungen. Carpenter war bereits vor über einem Jahrzehnt ein resoluter Kritiker der Kosovo-Politik der USA, und jetzt begrüßte er den Marty-Bericht, weil der endlich ein Ende machen könnte mit dem „Melodram von den edlen Kosovo-Albanern und ihren teuflischen serbischen Unterdrückern“. Fast identisch heißt es bei Marty, dass „der Krieg allzu starr auf die schematische Vorstellung eines serbischen Täters und eines unschuldigen kosovo-albanischen Opfers“ abhob, was der Realität nie entsprach.
Die Amerikaner haben ab 1998 massiv die Position der terroristischen UCK bezogen, die sie zuvor auf ihrer „schwarzen Liste“ führten. Dabei wurden die UN und ihr Sicherheitsrat missachtet und ohne UN-Mandat ein Krieg gegen Serbien vom Zaun gebrochen. Das war zwar schlimm genug, aber es stellte nur den Anfang dar, wie Carpenter weiter ausführte. Ab Mitte der 2000er Jahre hätten die USA die sezessionistischen Bestrebungen der Kosovaren unterstützt und ihnen 2008 im Widerspruch zur UN zur einseitigen Unabhängigkeit verholfen. Sie versuchten sich und anderen einzureden, das Kosovo sei ein Sonderfall und keine Ermutigung für Separatisten anderswo. Damit erreichten sie nur, dass Russland seine ihm zugetanen Separatisten auf dem Kaukasus noch aggressiver als bisher unterstützte, gleichzeitig aber die Kosovaren und ihre Förderer in den UN bekämpften. Zudem haben fünf EU-Staaten –Griechenland, Spanien, Zypern, Rumänien, Slowakei – das Kosovo nicht anerkannt, weil sie ethnischen Minderheiten im eigenen Land kein schlechtes Beispiel geben wollten.
So weit, so verderblich, aber partiell eventuell noch korrigierbar – meint Carpenter:
„Die Obama-Administration sollte den Marty-Bericht als Gelegenheit für eine umfassende Neuordnung der US-Politik zur Kosovo-Problematik nutzen. Von Anfang an war Washington der hauptsächliche Advokat der kosovarischen Unabhängigkeit, wobei es eng mit Thaci und anderen UCK-Führern kooperierte. Den ersten Aktionen der siegreichen UCK folgte die NATO-Intervention von 1999, nach der mehr als 200.000 Nicht-Albaner aus dem Kosovo vertrieben wurden. So eine ethnische Säuberung fand unter den Augen der NATO statt, denn die Allianz (einschließlich der USA) tat die ganzen Jahre über nichts, um sie zu verhindern“.
Es wäre schön, wenn die Zukunft so ausfiele, wie Carpenter es fordert. Dann hätte der Marty-Bericht seinen maximalen Nutzen erreicht. Dazu wird es vermutlich nicht kommen, also wird man sich damit begnügen müssen, wenn dieser Bericht einige der unerträglichsten „Herolde“ der UCK zum Schweigen zu bringen. Beispielsweise den ehemaligen US-Diplomaten William Walker, der sich im Wahlkampf vom Dezember 2010 für kosovarische Terroristen engagierte. Eigentlich hatte er das schon im Januar 1999 getan, als er als Chef einer internationalen Monitoring-Mission das „Massaker von Racak“ den Serben anlastete. In Wahrheit war es eine Inszenierung der UCK gewesen, was auch finnische Pathologen unter Dr. Helen Ranta bestätigten.Walker verhinderte, dass die Untersuchungsergebnisse der Finnen publik wurden.
Im Zweiten Weltkrieg gehörte das Kosovo zum „Groß-Albanien“ von Mussolinis Gnaden, was Kosovaren zu Morden und Vertreibungen von Serben nutzten. Kurz nach Kriegsende verbot die Tito-Administration die Rückkehr der Vertriebenen, da man in Kenntnis der Albaner das Ausbrechen schwerster ethnischer Unruhen befürchtete. Auch später hat Belgrad alles getan, um den Kosovo-Albanern entgegenzukommen, was sich rückblickend als Fehler erwies, den man hätte vorhersehen können. Der jugoslawische Politiker Edvard Kardelj (1910-1979) erzählte in seinen Memoiren, er habe 1947 bei der Pariser Friedenskonferenz den griechischen Premier Konstantin Tsaldaris getroffen, der die Jugoslawen vor Albanern warnte: „Ich sage Ihnen: Auch wenn sie derzeit Ihre Freunde sind – Albaner haben in der Geschichte noch jeden verraten, sie werden auch Euch verraten“.
Momentan sind die Kosovo-Machthaber um Thaci böse auf die EU, weil die nicht die „europäische Perspektive des Kosovo“ unterstützt, also allen Kosovaren schrankenlose „Reisefreiheit“ gewährt. „Die Bürger Kosovos fühlen sich vernachlässigt“, und das wird Europa demnächst zu spüren bekommen.
Als Thaci im März 2004 das kosovarische Pogrom gegen Serben provozierte und „orchestrierte“, brüstete er sich in Interviews mit deutschen Blättern damit: Ihr seht, welche Untaten wir Albaner sogar unter den Augen der Vereinten Nationen begehen können – also gebt uns die Unabhängigkeit, wenn ihr im Kosovo Ruhe wollt. Eine ähnliche Erpressung versuchte Thaci im Dezember 2010: „Die uns noch nicht anerkennenden Staaten“ sollten das umgehend nachholen, wenn sie nicht Frieden und Stabilität auf dem West-Balkan gefährden wollten. Wichtig sei, dass die Anerkennung besser heute als morgen erfolge, denn „wenn die EU nicht handelt, könnte ihre Antwort zu spät kommen“. Beispielsweise in Kosovska Mitrovica und Umgebung im kompakt serbisch besiedelten Norden des Kosovo, den die NATO sofort für Thaci & Co. zu erobern habe: „Nur die NATO hat bisher einige Erfolge gehabt. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir die Kontrolle über das gesamte Territorium des Kosovos übernehmen. Aber leider zieht die EU in Mitrovica nicht an einem Strang“.
Was Thaci „Normalisierung“ nennt, sind Vertreibung und Tötung von Nicht-Albanern, wie im Marty-Bericht bereits in den Eingangspassagen detailliert nachzulesen ist. Da Serben nicht lebensmüde sind, liefern sie ihre Region nicht den UCK-Gangstern aus. Daran können auch EULEX und andere nichts ändern, die sich gegenüber der UN vertraglich verpflichteten, im kosovarischen Norden „statusneutral“ aufzutreten, sich also um Thacis Territorial- und Machtansprüche demonstrativ nicht zu kümmern. Damit wird partiell ein Unrecht korrigiert, das Marty lakonisch beim Namen nannte: „Es kann und darf nicht eine Justiz für Sieger und eine andere für Verlierer geben“.
Momentan besteht die Hoffnung, dass die Kosovo-Bosse in der Hysterie ertappter Übeltäter ihr Blatt überreizen und selbst ihre amerikanischen „Paten“ vor den Kopf stoßen. Hashim Thaci machte Ende Dezember 2010 in dieser Hinsicht schon einen bemerkenswerten Anfang, der die „Strategie“ albanischer Verteidigung verrät: „Das Ziel des (Marty-) Berichts ist die Kriminalisierung des UCK-Befreiungskrieges, aber auch eine Imageschädigung der Republik Kosova, die Verhinderung neuer Anerkennungen der Staatlichkeit des Kosovo, die kommen werden, eine Belastung des Image von Albanien (...) Der Anti-Kosovo-Klub von Dick Marty, der gegen die NATO-Bomben und gegen die Unabhängigkeit des Kosovo war, ist jetzt dabei, Kosovos Weg zu einem erfolgreichen Staat zu verhindern. (...) Wir werden alle legalen und politischen Maßnahmen gegen diese Verleumdung nutzen“.
Thaci hat mehrfach erklärt, dass Martys Vorwürfe alt sind und bereits dreimal von ICTY, EULEX und UNMIK geprüft und verworfen worden seien. Das kann stimmen, spricht aber nicht für Thaci – sagte der frühere US-Diplomat Gerad Gallucci, bis 2010 UN-Repräsentant im Kosovska Mitrovica und schon damals ein harter Kritiker der internationalen Neigung, zugunsten einer angeblichen „Stabilität“ Verbrechen der UCK unter den Teppich zu kehren. Damit dürfte künftig Schluss sein, meint Tim Judah, Balkan-Korrespondent des britischen „Economist“: Die EU kann es sich nicht mehr erlauben, in ihrem Protektorat Kosovo Typen wie Thaci zu halten, die der Europarat ganz offiziell als „Mafia-Bosse“ und „Verbrecher“ bezeichnet. Denen bleibt nichts anderes übrig, als Marty und seinen Bericht mit Goebbels und dessen Propaganda auf eine Stufe zu stellen. Das wird ihnen in Brüssel und anderswo ganz gewiss viel Beifall und Fürsprache einbringen...
Das Kosovo muss sich als erstes seinen Traum von europäischer Visa-Freiheit abschminken. Am 31. Dezember 2010 lief auch das Abkommen mit der EU aus, das dem Kosovo zollfreie Exporte garantierte; ein neues Abkommen wird es nicht geben, weil die EU keinen gemeinsamen Kosovo-Standpunkt hat. Die EU-Staaten, die kein „unabhängiges“ Kosovo anerkannten und deswegen gestern noch als uneuropäische Spielverderber verteufelt wurden, stehen heute als weise Rechtswahrer da, die sich an Dick Martys Credo halten: Das Kosovo definiert sich nicht über irgendeine „Unabhängigkeit“, sondern allein über die UN-Resolution 1244, die es als unveräußerlichen Teil Serbiens charakterisiert.
Überhaupt ist die Anerkennungswelle für das Kosovo wohl ausgelaufen. Selbst die Schweiz, die ihre Anerkennung nicht rasch genug vollziehen konnte und sich seit jeher als Alpen-Kosovo gerierte („vierzigmal mehr albanische Flüchtlinge als Deutschland“), erinnert sich nach Denkanstößen Martys daran, dass sie 2002 Thaci die Einreise verweigerte, und überlegt ob sie ihre Anerkennung kosovarischer „Unabhängigkeit“ von 2008 nicht rückgängig machen sollte. Schließlich sind laut jüngsten Umfragen Albaner für 67 Prozent der Schweizer die unsympathischsten Ausländer. Außenministerin Micheline Calmy-Rey, vor drei Jahren hektische Befürworterin der kosovarischen Anerkennung, darf derzeit auf Weisung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) keinen Preis der albanischen Diaspora in der Schweiz entgegennehmen.
Ihr schlechtes Image ist den Albanern weder unbekannt noch unangenehm: Wenn alle Welt den Albaner für schlimmer als den Wolf erachtet (schrieb 1988 der Dichter Ali Podrimja), wer tötet dann den Wolf? Muharrem Xhemajli, Chef des „Verbands der Kriegsveteranen der UCK“ (OVL-UCK), will gegen den Marty-Bericht, der „die ganze albanische Nation besudelt hat“, eine Wagenburg-Mentalität mobilisieren. Außerdem Albaner vom ganzen Balkan eine „Petition“ an den Europarat, diesen Bericht zu verwerfen, signieren lassen. Xhemajli, von dem Albaner behaupten, er sei Mitarbeiter von Milosevics serbischem Geheimdienst gewesen, hat nur vom makedonischen UCK-Ableger Zustimmung erfahren, dürfte aber schon zeitlich scheitern. Doch wenn die all-albanische Petition zustande käme, ihr Aussehen könnte man sich in Kenntnis kosovarischer Propaganda und albanischer Bildungsstandards lebhaft vorstellen: Zwei Seiten Phrasen über „albanische Helden“ und „serbische Völkermörder“ und zwei Millionen Mal drei Kreuzchen, die klassische Unterschrift von Analphabeten.
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