„Eine Grenzveränderung in Bosnien-Herzegowina wurde zu einem Krieg in ganz Sudosteuropa fuhren“BALKAN

„Eine Grenzveränderung in Bosnien-Herzegowina wurde zu einem Krieg in ganz Sudosteuropa fuhren“

„Eine Grenzveränderung in Bosnien-Herzegowina wurde zu einem Krieg in ganz Sudosteuropa fuhren“

Zehn Jahre sind vergangen, seit Hans Koschnick sein Amt als EU-Administrator der herzegowinischen Stadt Mostar angetreten hat. Im Interview mit dem Eurasischen Magazin wirft er einen Blick zuruck auf die EU-Politik gegenuber den Krisenregionen Bosnien-Herzegowina und Kosovo.

Von Hartmut Wagner

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Hans Koschnick  

Eurasisches Magazin: Herr Koschnick, im Juli 1994 traten Sie Ihr Amt als EU-Administrator der Stadt Mostar in Bosnien-Herzegowina an. Ist das Problem Bosnien heute einer Lösung näher als vor zehn Jahren?

Hans Koschnick: Eindeutig ja. Ich habe mein Amt ja noch während des Krieges übernommen. Optimal ist die Situation heute aber ganz sicher nicht. Mit dem Abkommen von Dayton 1995 wurde zwar erreicht, daß das Morden, das Verjagen, das Schänden in Bosnien aufhörte. Eine neue Bereitschaft zum friedlichen Zusammenleben konnte aber nicht hergestellt werden.

EM: Weshalb?

Koschnick: Weil der Nationalismus in Bosnien-Herzegowina nach wie vor weit verbreitet ist. Bosniaken, Kroaten und Serben wollen immer noch möglichst getrennt voneinander leben. Alle drei Volksgruppen kümmern sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten und nicht um den Gesamtstaat. Nur sehr langsam entwickelt sich eine Form beschränkter Zusammenarbeit, und auch der Wille wächst, zumindest nebeneinander wenn schon nicht miteinander zu leben. Aber das Bewußtsein in einem gemeinsamen Staat zu leben ist noch sehr schwach ausgeprägt.

EM: Sind die drei Völker Bosnien-Herzegowinas daran interessiert, den gemeinsamen Staat fortbestehen zu lassen?

Koschnick: Uneingeschränkt befürwortet wird der Staat nur von den Bosniaken. Die Kroaten werden im Moment von Zagreb gedrängt, den Staat zu akzeptieren, was lange Zeit nicht der Fall war. Unter den Serben lehnen die Nationalisten den bosnisch-herzegowinischen Staat noch immer ab. Vereinzelt gibt es inzwischen aber auch unter ihnen Menschen, die sich für den Staat Bosnien-Herzegowina einsetzen. Allerdings weniger aus Überzeugung, sondern aus politischem Kalkül, bzw. um den Frieden zu erhalten. Das Verhältnis zum Staat Bosnien-Herzegowina ist in den drei Volksgruppen also sehr unterschiedlich. In einem sind sich die Menschen in Bosnien-Herzegowina jedoch einig: sie wollen keinen Krieg mehr.

Eine Grenzveränderung in Bosnien-Herzegowina wäre ein Präzedenzfall

 Hans Koschnik
 

Hans Koschnick (geb. 1929) ist heute Präsident des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt. Seit 1950 ist er Mitglied der SPD und war zwanzig Jahre lang Bürgermeister von Bremen. Von 1987-1994 gehörte Koschnick dem Deutschen Bundestag an.

1994 wurde er zum EU-Administrator der Stadt Mostar in Bosnien-Herzegowina ernannt. Nachdem er bei einem Attentat 1996 leicht verletzt wurde, legte er sein Amt nieder. Für seine Bemühungen um den Frieden in Mostar wurde Koschnick 1997 mit dem Hessischen Friedenspreis ausgezeichnet.

Auch später spielte er eine wichtige Rolle in der deutschen und europäischen Balkan-Politik: Beauftragter der Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr, Wiedereingliederung und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina (1998-1999); Vorsitzender des Lenkungsausschusses für Flüchtlingsfragen im Stabilitätspakt für Südosteuropa (2000-2001).

EM: Halten Sie eine Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas in einen serbischen, einen kroatischen und bosniakischen Teil für eine Lösung des Bosnien-Problems?

Koschnick: Auf keinen Fall. Eine Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas würde Krieg bedeuten. Und zwar einen Krieg, der sich nicht auf die Balkanregion begrenzen würde. Deshalb gibt es keinen Staat, der für eine solche Lösung des Bosnien-Problems eintritt.

EM: Wer wären die Gegner in einem solchen Krieg?

Koschnick: Wer heute die Grenzen Bosnien-Herzegowinas verändert, schafft damit einen Präzedenzfall. Damit würden alte Territorialkonflikte, etwa zwischen Rumänien und Moldawien oder zwischen Mazedonien, Griechenland, Bulgarien und Albanien wieder neu entfacht werden. Kurzum: Eine Grenzverlegung in Bosnien-Herzegowina würde zu einem Wiederaufflammen der Gewalt in ganz Südosteuropa führen. Jeder der einen Groschen Verstand hat, wird deshalb versuchen die Staaten auf dem Balkan zusammenzuhalten.

EM: Eine friedliche Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas halten Sie für ausgeschlossen?

Koschnick: Ja, natürlich.

Die Lösung des Bosnien-Problems hat Auswirkungen auf andere europäische Konfliktherde

EM: Der Staat Bosnien-Herzegowina muß aus Ihrer Sicht also fortbestehen. Eine Alternative hierzu sehen Sie nicht?

Koschnick: Ich sehe keine Alternative dazu, den Frieden zu erhalten. Der Staat interessiert mich einen Dreck. Der Frieden ist das einzig Entscheidende und der Staat Bosnien-Herzegowina ist nur das Mittel, diesen zu bewahren. Ärgerlich ist, daß wir Westeuropäer über den Balkan sprechen, als hätten wir ähnlich gelagerte Probleme nicht selbst, zum Beispiel in Spanien. Die Katalanen und besonders die Basken wollen nicht in einem spanischen Gesamtstaat leben. Kein Mensch kommt aber auf die Idee eine Abspaltung der katalanischen und baskischen Gebiete von Spanien zu fordern. Nur im Fall Bosnien-Herzegowina wird ständig darüber diskutiert, den Grenzverlauf zu ändern. So kann das aber nicht funktionieren. Bei der Lösung des Bosnien-Problems müssen die Auswirkungen auf andere europäische Konfliktherde unbedingt berücksichtigt werden.

EM: Die Politik der Nato und der EU in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo erweckt den Eindruck, als ob man die ethnischen Konflikte auf dem Balkan aussitzen wolle. Im Laufe der Zeit soll dann der serbische, kroatische und bosniakische Nationalismus der Bürgerkriegsjahre wieder der ethnischen Toleranz der Tito-Ära weichen. Wird diese Strategie aufgehen?

Koschnick: Ich weiß es nicht. Man kann kein Volk dazu zwingen, freundschaftlich mit einem anderen zusammenzuleben. Aber zwingen kann man es, innerhalb von Grenzen zu leben, die international anerkannt sind. Im übrigen handelt sich bei den Konflikten in Bosnien-Herzegowina nicht um ethnische, sondern um nationalistische Konflikte. Denn die Bosniaken, Kroaten und Serben sind allesamt Slawen und gehören der gleichen Ethnie an. Das Schlagwort der „ethnischen Säuberung“ war ein Mittel der Kriegspropaganda. In Wirklichkeit waren es jedoch nationalistische Säuberungen.

Der Frieden im Kosovo braucht noch lange militärischen Schutz

EM: Wie lange wird der Westen gewillt sein, Sicherheitskräfte zu entsenden und finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Krisengebiete des ehemaligen Jugoslawiens zu stabilisieren?

Koschnick: Ich bin gebeten worden keine Prognosen mehr abzugeben über die Dauer der Stationierung von europäischen Truppen auf dem Balkan. Ich kann Ihnen aber sagen, wer den Frieden beispielsweise im Kosovo erhalten will, wird dort lange Truppen stationieren müssen. Der Zypern-Konflikt ist ein ähnlicher Fall, auf der Insel stehen mittlerweile seit vierzig Jahren Truppen der Vereinten Nationen.

EM: Was würde voraussichtlich passieren, wenn die Streitkräfte der Nato im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina jetzt abgezogen würden?

Koschnick: Im Kosovo würde es sofort wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, da bin ich sicher. In Bosnien-Herzegowina ist die Lage etwas anders. Die Politik der internationalen Gemeinschaft seit 1996 hat hier eine Demilitarisierung bewirkt. Die Truppenverbände der drei Volksgruppen können sich zwar verteidigen, sind aber kaum fähig, einen Angriffskrieg zu führen. Ein Abzug der Nato-Truppen würde hier nicht zwangsläufig zu einem erneuten Krieg führen, gewiß nähmen aber die nationalen Spannungen wieder erheblich zu.

Krieg kann notwendig sein

EM: Die Nato griff 1999 ohne UN-Mandat mit einem groß angelegten Militärschlag in den Kosovo-Konflikt ein. War dieser Schritt richtig?

Koschnick: Ja. Mord und Totschlag standen im Kosovo an der Tagesordnung, davon konnte ich mir vor Ort selbst ein Bild machen. Hier mußte eingegriffen werden. Aber natürlich wäre es besser gewesen, den Einsatz durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates zu legitimieren.

EM: Aus Ihrer Sicht ist es also legitim, Krieg zu führen, um einen anderen Krieg zu beenden?

Koschnick: Es gibt Situationen, in denen dies notwenig ist. Das steht sogar in der Satzung der Vereinten Nationen. Die eigentliche Aufgabe ist es aber natürlich, Kriege zu verhindern bevor sie ausbrechen durch Diplomatie, durch Wirtschaftspolitik oder humanitäre Hilfe.

EM: Was halten Sie für das entscheidende Motiv der Nato, den Kosovo-Krieg zu führen?

Koschnick: Das plötzliche Ausbrechen offener Gewalt und die Vertreibung von 200.000 bis 300.000 Menschen. Und man hatte Angst, daß es bis zu einer Million werden könnten.

EM: Halten Sie das Ausmaß der Gewalt zwischen Albanern und Serben im Kosovo auch im Nachhinein betrachtet noch für so groß, daß ein militärisches Eingreifen gerechtfertigt war?

Koschnick: Eindeutig ja. Wenn man Europa zu einer Friedenszone machen will, dann muß verhindert werden, daß regionale Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen werden. Aber mit fremder Uniform und mit fremder Waffe läßt sich kein Frieden schaffen, sondern nur das Morden beenden. Frieden muß wachsen zwischen den jeweiligen Bevölkerungsgruppen. Das geht nur durch Politik und Vernunft.

EM: Besten Dank für das Gespräch.

Balkan EU Interview

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