Ende der Stettiner WerftPOLEN

Ende der Stettiner Werft

Ende der Stettiner Werft

Während die Danziger Werft wegen ihrer hohen Symbolkraft immer wieder in den Schlagzeilen ist, verschwindet ganz leise ein anderes maritimes Symbol in Polen: Ende Mai soll die Werft in Stettin aufgelöst und verkauft werden. Dies hat die EU-Kommission erwirkt, die die finanzielle Hilfe der polnischen Regierungen für die polnischen Werften für widerrechtlich befunden hat. In Stettin werden nicht nur Tausende von Menschen ihre Jobs verlieren. Mehr noch: Die Stadt muss ohne ihr größtes Symbol weiter funktionieren.

Von Agnieszka Hreczuk

Dr. Andrea Schmitz  
Nach dem letzten Stapellauf auf der Stettiner Werft: Zbigniew_Roszkowski senkt den Kopf.
(Foto: Agnieszka Hreczuk)
 

Z bigniew Roszkowski ist stolz. Er ist stolz darauf, „dass man bei einem solchen Kollos mitgewirkt hat“, sagt der 42-jährige Ingenieur in der Stettiner Werft. Doch in seiner Stimme fehlt echte Freude. Diese Freude fehlt auch Tausenden Stettinern, die sich auf dem Pier gesammelt haben. Eine zierliche Frau schlägt mit einem kleinen silbernen Hammer. Ein Zeichen für Roszkowski. „Stopper freilassen“, gibt er den Befehl übers Radio weiter. Sirenen heulen auf, ein Containerschiff gleitet runter aufs Wasser. Die Zuschauer schweigen.

So sah er aus, der letzte Stapellauf in der Stettiner Werft. Anfang Juni wird sie zugemacht und aufgelöst. 4.000 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs, den meisten wurde bereits in den vergangenen Wochen gekündigt. Eine Entscheidung der EU-Kommission, die die langjährigen staatlichen Subventionen für die polnischen Werften für rechtswidrig befunden hat. Die Stettiner Werft wurde in 27 Teilen angeboten, bestehend aus Immobilien, Mobiliar und Vermögen. Eine Sonderregelung, die Transparenz schaffen soll. Die Fortsetzung des Schiffbaus wird dabei nicht zur Bedingung gemacht.

Auf Brüssel sind die Stettiner nicht gut zu sprechen

Das können die Stettiner nicht nachvollziehen. „Jetzt könnte ein Käufer eine der Hallen erwerben und dort eine Disko oder sogar einen Puff aufmachen und es wäre OK für die EU“, sagt ein alter Schweißer. Auf die EU und Brüssel sind die Menschen in Stettin nicht gut zu sprechen. Die seien schuld am Ende der Werft, heißt es. Weil sie die größeren Staaten bevorzugten. Frankreich und Deutschland zum Beispiel, so sagen einige, unterstützten immer noch die eigenen Werften und die Schiffbau-Industrie. Dort mische sich Brüssel überhaupt nicht ein. „Aber wenn es um uns geht, dann sagen sie, es verstößt gegen das EU-Recht. Die Armen verlieren immer“, klagen zwei Männer vor der Halle, in der die Schiffe einst gestrichen worden waren.

„Deutschland und Frankreich haben wohl bessere Regierungen“, vermutet Zbigniew Roszkowski. Er ist etwas zurückhaltender bei Vorwürfen. Für ihn gilt Warschau als der Hauptschuldige. „Sogar das kleine Malta hat eine Übergangsphase ausgehandelt, nur Polen nicht. Keine der Regierungen nach 1989. So kann man sich auf die eigene Regierung verlassen“, sagt er ironisch.

Sein ganzes Leben hat Roszkowski in der Stettiner Werft verbracht. Als 15-Jähriger hat er dort eine Ausbildung zum Monteur begonnen. Danach hat er studiert und sich hochgearbeitet, bis zum Leiter eines von zwei Hauptwerken der Werft. Ein typischer Lebenslauf. Viele seiner Kollegen und sogar einige Vorstandsvorsitzende haben den gleichen Weg gemacht. Für die erste und zweite Generation der Stettiner nach dem Krieg war die Werft weniger ein sentimentales Stadtsymbol, als vielmehr ein attraktiver Arbeitgeber. „Ein gut bezahlter, sicherer Job und vielleicht noch eine Chance auf einen Vertragsjob in Ausland“, erklärt Roszkowski. „Eine einmalige Aufstiegschance für einen Jungen aus der Vorstadt.“

Hier wurden schon vor 150 Jahren deutsche Schiffe gebaut

Dr. Andrea Schmitz  
Vorerst letzter Stapellauf auf der Stettiner Werft. Ob es einen Rettungsring für den Schiffbau in der Stadt gibt, ist ungewiss.
(Foto: Agnieszka Hreczuk)
 

Mittlerweile ist die Werft im Bewusstsein der Stadt und ihrer Bewohner tief verwurzelt. „Hier, genau auf dem Platz, wo dieser Stapel steht, wurden schon vor 150 Jahren Schiffe gebaut“, sagt Roszkowski mit Stolz in der Stimme. „Und nicht einfach irgendwelche: die größten Ozeandampfer der Welt, die modernsten Eisbrecher.“ Nicht umsonst heißt der Stapel Nowy Wulkan, Neuer Vulkan. Eine Anknüpfung an die Geschichte des deutschen Stettins. Vulkan und Oderwerke hießen die Werften, in denen seit der Mitte des 19. Jahrhundert Schiffe und auch bekannte Lokomotiven entstanden.

In den Foto-Alben über Stettin, die man überall in der Stadt kaufen kann, gibt es viele Bilder aus dieser Zeit. Auf einem stehen Tausende von Menschen, vor der Tribüne mit Politikern und Geschäftsleuten, im Hintergrund ein riesiges Schiff. Wappen mit Hakenkreuzen deuten auf die Zeiten hin. Die waren schon damals nicht die besten für die Werft. Die Stettiner Werft überlebte in den 30er- und 40er-Jahren nur wegen staatlicher Aufträge und Subventionen. Ein Großteil der Produktion wurde nach Hamburg verlegt. Nach dem Krieg subventionierten die Kommunisten die Werft im dann polnischen Stettin weiter – als vorbildliches Werk der neuen Wirtschaft. Mit Tausenden Beschäftigten, die vor allem dank Aufträgen aus der Sowjetunion Schiffe gebaut haben.

Auch hier hat die Solidarnosc gestreikt

Doch sie haben dort nicht nur Schiffe gebaut. „Als ich meine Ausbildung anfangen sollte, kam ich erst einmal überhaupt nicht auf das Werftgelände“, erinnert sich Roszkowski an seinen ersten Tag. Es war der August 1980. Die Gewerkschaft Solidarnosc hatte in der Werft heftig gestreikt. Die Bilder aus dieser Zeit kann man weltweit in den Medien finden, nicht seltener als die aus Danzig. Heute jedoch, haben die Arbeiter den Eindruck, ist das längst vergessen. Niemand in Stettin versteht, warum als Symbol, das wegen seiner Bedeutung für das Ende des Kommunismus in Polen nicht gefährdet werden darf, nur die Danziger Werft erwähnt wird.

Deshalb sind die Stettiner Werftarbeiter verbittert. Dabei, sagen sie, ging es ihrer Werft nach der Wende viel besser. „Die Neunziger waren die beste Zeit in der Werftgeschichte nach dem Krieg. Wir waren stolz darauf, dass wir so schnell bauen.“ Drei Schichten am Tag, sieben Tage in der Woche. „Die schnellste Werft in Europa waren wir, ich vermute auch weltweit. Die Stettiner Werft baute die meisten Schiffe in Europa, vor allem für die deutschen Reedereien.“ Doch heute verstehen die Werftarbeiter die Welt nicht mehr. So viele waren sie, so viel war bei ihnen in der Werft los. Jetzt herrscht nur noch der Wind auf dem Gelände, Segmente der nicht fertig gestellten Schiffe liegen auf den Stapeln.

Verkauft – mit ungewisser Zukunft

So wird es bleiben, fürchten die Arbeiter, auch Roszkowski. Seit einigen Tagen ist zwar sicher, dass die strategischen Teile der Werft von einem Investor gekauft worden sind, doch die Stimmung unter Arbeitern hat sich kaum geändert. Immer noch wissen sie nicht, was mit ihnen passieren wird. Ob sie neue Jobs bekommen, ob die Schiffe weiter gebaut werden. Niemand weiß, wer hinter dem Investor steht. Polens Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak sagte vor kurzem, er hoffe, die neue Firma werde den Schiffbau fortsetzen.

Doch wer soll Pawlak glauben, fragen sich die Arbeiter, wenn er gleichzeitig zugegeben hat, er wisse nicht, wer die beiden Werften gekauft hat? Alles ein großen Fragezeichen. Immerhin wurden die Projektierungen der Schiffe, auch der preisgekrönten, nicht gekauft. Das würde ja was sagen, schimpft ein Mitarbeiter, der noch bis zum Ende in der Werft bleibt. „Entweder will der Investor ganz andere Schiffe bauen, eine optimistische Variante, oder gar keine.“ Das wäre das pessimistische Szenario. Stettin ohne Werft? Zbigniew Roszkowski kann es sich kaum vorstellen. „Es gibt eine Werftstraße, eine Werftapotheke, ein Werft-Stadion nund ein dazugehöriges Fußballteam in Stettin, nur die Werft sollte es nicht mehr geben?“ Die Angst geht um in Stettin.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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