13.01.2023 14:10:35
TSCHETSCHENIEN
Von Andrea Jeska
ode, magersüchtige Models und Methoden zur Bekämpfung von Orangenhaut bietet „Nana“ nicht. Das erste Frauenmagazin der nordkaukasischen Republik Tschetschenien ist mit den Hochglanzmagazinen des Westens nicht zu vergleichen. Glänzende Bildchen schöner Frauen? Sinnieren über Sex, Partnerschaft oder Kinderkriegen? Selbstbezogene Lebensreflexion? Alles keine Themen, mit denen die Chefredakteurin Lula Zhumalayeva ihre Leserinnen belästigen würde. Denn deren Wirklichkeit ist Krieg, ist Tod, ist Verfolgung.
Mit Hochglanzbildchen läßt sich ein solches Elend nicht glaubhaft darstellen, finanzieren könnten die Redaktion sie ohnehin nicht. Was für deutsche Magazin-Chefs ein wahr gewordener Alptraum wäre, ist für die tschetschenischen Journalistinnen angemessener Ausdruck des Frauenalltags: Schwarze Schrift auf weißem Papier, Buchstabe an Buchstabe, nur gelegentlich unterbrochen durch Schwarzweißfotos.
Nana ist das tschetschenische Wort für Mutter. Und in eben dieser Rolle erfahren die Frauen Tschetscheniens ihr größtes Leid, glaubt Zhumalayeva. Ihr Alltag werde von der Frage bestimmt, wie sie ihre Kinder nähren, warm halten, schützen, mit Medikamenten versorgen, zur Schule schicken können. „In solch einem Alltag ist kein Raum für Geschwätz über berühmte Persönlichkeiten.“
Tschetschenien ist nach der Ermordung des von Moskau-treuen Staatspräsidenten Achmed Kadyrow unsicherer denn je. Rivalisierende Gruppen bekämpfen sich. Der Überfall auf die tschetschenische Nachbarrepublik Inguschetien, bei dem vermutlich 100 Menschen starben und für den inguschische und tschetschenische Rebellen verantwortlich gemacht werden, zeigt, daß der Krieg über die tschetschenischen Grenzen schwappt. Im zerstörten Grosny und in den zerbombten Dörfern Tschetscheniens leben die Menschen in Ruinen, fast täglich gibt es Angriffe aus der Luft oder maskierte Männer durchsuchen Häuser. Allein in diesem Jahr sind nach Aussage von Menschenrechtsorganisationen in Tschetschenien 800 Menschen verschleppt worden, auch Frauen und Kinder bleiben von den Säuberungsaktionen nicht verschont. Aus Angst vor Selbstmordattentäterinnen werden inzwischen auch junge Witwen vor den Augen ihrer Kinder verhaftet, heißt es in den Berichten der Menschenrechtsorganisationen.
Hunderttausende von tschetschenischen Müttern haben fünf Jahre lang mit ihren Kindern in Flüchtlingslagern in Inguschetien ausgeharrt, haben sich um Essen, Feuerholz und Schulbücher gekümmert. Nun haben die Russen diese Lager schließen lassen und die verbleibenden Familien, die in verfallenen Kolchosen oder bei einheimischen Familien Unterschlupf fanden, fühlen sich nicht mehr sicher. Und wieder sind es die Frauen, die mit den Kindern auf die Flucht gehen.
„Unser journalistischer Anspruch ist es, uns mit den täglichen Schwierigkeiten zu befassen, denen tschetschenische Frauen aufgrund des Krieges ausgesetzt sind“, erklärt Zhumalayeva. „Die leichteren und lebensbejahenden Themen werden wir uns für friedlichere Zeiten aufheben.“
Die erste Ausgabe von „Nana“ ist der Redaktion nach eigener Aussage buchstäblich aus der Hand gerissen worden. 3.000 Exemplare wurden gedruckt, keines davon schaffte es in den Verkauf. „Es hatte sich herumgesprochen. Die Leute kamen und baten um ein Exemplar. Wir haben sie einfach alle fortgegeben.“
Die zweite Ausgabe von „Nana“ ist bereits in Arbeit. Hauptthema wird die Ermordung Kadyrows am 8. Mai 2004 sein. Nana will Hintergründe und Konsequenzen erläutern. Außerdem wird es ein Dossier über Stalins Deportation des wainachischen Volkes – Tschetschenen und Inguschen – nach Kasachstan geben, eine Maßnahme, die Tschetschenen und Inguschen bis heute traumatisiert hat.
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Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Lübeck. Ihre Themenschwerpunkte sind ethnische Konflikte und Entwicklungshilfe.
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