09.08.2023 13:11:56
RUMÄNIEN
Von Silviu Mihai
Der fröhliche Friedhof von Sapanta in Rumänien. Foto Roger Mladek, Wikimedia. |
„Unter diesem schweren Kreuz liegt meine arme Schwiegermutter. Hätte sie noch drei Tage gelebt, würde ich hier liegen, und sie würde dieses Gedicht lesen.“ Die Inschriften auf den Holzkreuzen im rumänischen Dörfchen Sapanta sind für die Verstorbenen oft wenig schmeichelhaft. Doch die humorvolle Art, dem Tod zu begegnen, hat das Dorf und seinen „fröhlichen Friedhof“ im Kreis Maramures an der rumänisch-ukrainischen Grenze bekannt gemacht.
Mit seinen Bauernhäusern und holzgeschnitzten Toren rechts und links der Hauptstraße unterscheidet sich Sapanta kaum von seinen Nachbardörfern. Die 3.000 Einwohner sind im Schnitt etwas wohlhabender als ihre Landsleute, sie leben vor allem von der Holzverarbeitung. Die meisten von ihnen bekennen sich zur christlichen Orthodoxie.
Rund 800 weiße Inschriften auf tiefblauem Grund stehen auf den Holzkreuzen in Sapanta. Das Farbschema erinnert an die Wandmalereien in orthodoxen Kirchen. Die Texte selbst sind eher unorthodox, sie brechen sogar Tabus: „Hier ruhe ich und heiße Stan Toader. Solange ich am Leben war, trank ich gerne Schnaps und Wein“, heißt es beispielsweise.
Die Tradition der heiteren Grabinschriften geht auf das Jahr 1935 zurück. Damals gravierte ein Dorfbewohner namens Stan Ioan Patras das erste schräge Gedicht in ein Holzkreuz. Inspiriert wurde er von dem literaturbegeisterten Priester Grigore Ritiu, der Rumänisch und Latein an der Dorfschule unterrichtete.
Aus dem Hobby des Volkskünstlers Patras entwickelte sich ein Trend. „Bereits in den 1960er Jahren wollte jeder so ein Kreuz aus Eichenholz“, erinnert sich Patras’ Nachfolger Dumitru Pop, der 1977 seinem verstorbenen Meister ein buntes Kreuz mit Gedicht fertigte – das allerdings eher konventionell ausfiel: „Mein ganzes Leben lang habe ich nur Gutes getan, jedem habe ich geholfen, der mich brauchte“, heißt es ehrfürchtig.
Fast alle Sprüche und Kreuze auf dem „fröhlichen Friedhof“ stammen von den beiden Künstlern Patras oder Pop. Bisher hat sich niemand getraut, Pop sein Gebiet streitig zu machen. 100 bis 200 Euro kostet ein einfaches handgeschnitztes Holzkreuz, etwa drei Tage braucht Pop für einen Auftrag. Immer öfter beauftragen ihn auch Prominente oder Ausländer. Allerdings dürfen sie sich nicht einmischen. „Egal, wieviel sie zahlen: Bei den Texten haben meine Kunden nichts zu sagen, ich entscheide das alleine“, versichert der Künstler.
Der „fröhliche Friedhof“ wurde in den letzten Jahren zur Touristenattraktion. Auch Wissenschaftler fasziniert die zeitgenössische Folklore rund ums Sterben. „Der ironische Umgang mit dem Tod ist ungewöhnlich im rumänischen und osteuropäischen Kulturraum“, erklärt der Ethnologe und Autor Andrei Oisteanu. „Natürlich stellt der Tod in Volkserzählungen oder Balladen nicht immer ein tragisches Ereignis dar. Oft freuen sich die Guten, wenn der Bösewicht oder die Nervensäge in der Familie stirbt. Doch der ‚fröhliche Friedhof’ überschreitet alle Grenzen, es wird ja über die Toten gescherzt, sogar fast gelästert“, sagt Oisteanu.
Die Tradition ist lebendig wie nie zuvor. Auch neue gesellschaftliche Entwicklungen lassen sich an den Holzkreuzen ablesen. So spielt beispielsweise die weitverbreitete Auswanderung nach Westeuropa eine immer größere Rolle: „Verfluchter Bus, du hast mich in Triest erwischt, und sie mussten mich zu meiner armen Mutter schicken – ohne Geld.“
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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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