Geschenktes Wachstum ist nicht nachhaltigBULGARIEN

Geschenktes Wachstum ist nicht nachhaltig

Die Wirtschaft des EU-Neulings ortet jetzt auch Signale der beginnenden Krise. Die großen Erschütterungen stehen erst noch bevor.

Von Michael Derrer

Die Ruhe der Bulgarischen Unternehmer verdunstet. Anstelle der Mantra, die Finanzkrise würde Bulgarien verschonen, verbreitet sich der Alarmzustand. Die Ängste sind begründet, denn die Krise greift von den entwickelten Ländern auf die bis vor kurzem noch schnell wachsenden osteuropäischen Wirtschaften über. Während sich Ungarn und die Ukraine bereits offiziell in der Krise befinden, versuchen andere Länder zu zeigen, dass sie nicht betroffen sind. Dazu gehört auch Bulgarien. Doch die dunklen Prognosen für das Land mehren sich. 

Die Immobilienblase platzt

Jahrelang florierten Bulgariens Winterkurorte in einem vor allem durch britische und irische Investoren getragenen Immobilienboom. Als die internationale Bankenkrise die Kredite zum Austrocknen brachte, implodierte dieser Markt, und der Wert dieser vormals profitablen Geschäfte verflüchtigte sich jäh. Die ausländischen Eigentümer können sich nicht mehr auf steigenden Immobilienpreise und günstigen Hypotheken in ihren Heimatländern abstützen und treten die Flucht an.

Dieses Szenario spielt sich auch in anderen Teilen Osteuropas ab. Zurück bleiben leerstehende Neuwohnungen, nicht fertig gebaute Hotels und riesige stilliegende Kräne. Niemand kauft, der Markt ist eingefroren. So präsentiert sich der Bulgarische Bergkurort Bansko Ende 2008. Ein Drittel der sich in ausländischem Besitz befindlichen ausländischen Wohungen – manche waren über das Internet gekauft worden, ohne dass die Besitzer je einen Fuss in sie gesetzt hatten – sind wieder zum Verkauf ausgeschrieben, manchmal zum halben Preis. Die Immobilienpreise sind hier um etwa vierzig Prozent auf derzeit 600-900 EUR je Quadratmeter gefallen. 

Ganze Hotels für einen Euro

Die Prognosen für das kommende Jahr künden sinkende Touristenzahlen in ganz Südeuropa an und verheißen auch für diesen wichtigen Wirtschaftszweig Bulgariens nichts Gutes.  An der Schwarzmeerküste bieten einige Hotelbesitzer ihre schuldbeladenen Geschäfte für einen Euro zum Verkauf an.
 
Die Nationalbank versichert, dass das Bulgarische Bankensystem die beste Kapitalisierung der ganzen EU besäße - eine Rekapitalisierung der Banken, wie sie in manchen westlichen Ländern erfolgte, werde nicht notwendig sein. Aber ein Grossteil des Bulgarischen Bankensystems wird von Westeuropäischen Banken beherrscht, denen es schlecht geht. Damit wird die Kreditkrise importiert.

Auch die Bulgarische Industrie ist betroffen. Der  Nachfrageeinbruch auf den Weltmärkten und der Zerfall der Metallpreise um runde 50 Prozent macht vor allem den exportorientierten Betrieben zu schaffen.
Experten schätzen, dass sich das Wirtschaftswachstum in Bulgarien im Jahr 2009 auf zweieinhalb bis drei Prozent abschwächen wird – dieser Wert liegt weit unter den von der Regierung verlauteten offiziellen Werten. Im dritten Quartal 2008 betrug das Wachstum noch 5.6 Prozent.

Leistungsdefizit auf Rekordniveau

Die Importe sind auch im ersten Halbjahr 2008 um drei Prozent mehr gestiegen als die Exporte, was das Leistungsdefizit auf ein neues Rekordniveau anhob. Das Land muss weiter ausländisches Kapital anziehen, um die Wirtschaft in Gang zu halten. Ob es dazu in der Lage sein wird, hängt stark vom Zustand der Weltwirtschaft und von der Investitionsfähigkeit der westlichen Banken ab. Die Schwierigkeit zum Erhalt von ausländischem Kapital könnte die Bulgarische Volkswirtschaft zwingen, ihre externen Ungleichgewichte schneller zu reduzieren. Die Folge wäre eine noch stärkere Verlangsamung in den Jahren 2009-10.

Die Anzahl der Arbeitssuchenden wächst

Ein schleichender Stellenabbau hat bereits begonnen, doch die großen Erschütterungen stehen noch bevor. Der Arbeitsmarkt, der noch vor kurzem überhitzt war und die Arbeitgeber jammern ließ, befindet sich bereits im Wandel. Zwar lassen viele Firmen verlauten, dass sie sich nicht von ihren Mitarbeitern trennen werden oder wagen keine längerfristigen Aussagen oder Prognosen. Viele Manager halten mit Personalentscheiden zurück.

Vorerst werden die freiwilligen Sozialleistungen für die Arbeitsnehmer gestrichen und die Weiterbildungsausgaben reduziert. Von Lohnkürzungen spricht zwar noch niemand - außer in der Baubranche, wo die Tageslöhne im Oktober um 40 Prozent gesunken sind.

Seit einigen Jahren bestand in Bulgarien ein Mangel an Fachleuten. Heute sind wieder mehr qualifizierte Bewerber verfügbar, und die Unternehmen haben eine größere Auswahl an Bewerbern. Viele Bulgaren, die zur Ausbildung oder zur Arbeit ins Ausland ausgewandert waren, bereiten ihre Rückkehr vor. Experten sprechen von einem möglichen Anstieg der Arbeitslosenrate im Jahr 2009 auf bis zu 13 Prozent.

Chancen in einer sich verlangsamenden Wirtschaft?

Zu viele Bulgaren haben im vergangenen Jahrzehnt nur auf steigende Immobilienpreise, Handel und Tourismus gesetzt. Doch der Immobilienwohlstand war nur ein Geschenk, diese Werte wurden nicht in der Realwirtschaft erarbeitet. Die Bauunternehmer errichteten Einkaufszentren, aber keine Fabriken, und die Konsumenten kauften importierte Luxusautos und Flachbildschirme. Die Krise wirkt ernüchternd. Bulgarien wird dafür bezahlen, dass es den Kreditboom nicht dazu verwendet hat, um die Produktivität anzukurbeln und die Exporte zu fördern. Die Kreditflaute und der zerfallende Immobilienmarkt könnten das Land in die Rezession führen.

Zur Milderung der vorhersehbaren Folgen der Krise muss die Bulgarische Regierung die Modernisierung der Infrastruktur des Landes, zum Beispiel den Bahn- und Straßenbau oder Umweltprojekte (Kläranlagen, usw.), vorantreiben und in die Ausbildung der Arbeitskräfte investieren. Daher sollten die Bulgarischen Behörden alles unternehmen, um die Realisierung der EU– finanzierten Projekte zu forcieren.

Die Regierung sollte diese schwierige Zeit auch dazu nutzen, um die Transparenz des Geschäftsumfelds zu verbessern  und die Effizienz der Staatsverwaltung zu erhöhen, damit diese den Unternehmen weniger Steine in den Weg legt. So würden auch mehr ausländische Investoren angezogen.
Die Krise kann durchaus zu einer Chance für die Gesundung bestimmter Wirtschaftssektoren werden, die in den vergangenen Jahren von Opportunisten überschwemmt worden sind: Personen ohne professionelle Einstellung können entlassen werden, was den Weg für bessere Dienstleistungen eröffnet, die in der Lage sind, das Vertrauen der Kunden zu erwerben.

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Der Autor Michael Derrer ist Ökonom und Business-Dolmetscher, und Inhaber der  Ascent Swiss Business Management AG, die mit ihren Niederlassungen in zehn osteuropäischen Ländern verschiedene Dienstleistungen für Schweizer Unternehmen anbietet.
Info: www.ascent-ag.ch

Osteuropa Wirtschaft

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