Hufschlag über EurasienPFERDESTÄRKEN

Hufschlag über Eurasien

Hufschlag über Eurasien

Der eurasische Kontinent ist wie kein anderes Gebiet der Erde vom Pferd geprägt. Völker aller Zeiten haben die Weiten zwischen Pazifischem und Atlantischem Ozean durchritten. Wie das Pferd in inniger Symbiose mit dem Menschen Reiche formte und Gesellschaften prägte, zeigt eine große Sonderschau in Mannheim.

Von Eberhart Wagenknecht

E

ine alte Kosakenweise könnte die Leitmelodie der Ausstellung sein. Doch leider kennen fast nur noch betagte Wandervögel das kraftvolle Lied mit dem Titel „Dämmert von fern über Hügel der Morgen.“ Das Reiterlied wurde einst bekannt durch Text und Melodie von Dietz Kuhnke.  

Man kann die berittenen Scharen über die Ebenen Eurasiens regelrecht heranstürmen hören, wenn es weitergeht im Text der zweiten Strophe:

„Staub wirbelt auf, dumpfes Prasseln der Hufe,
von Mann zu Mann geht ein Lachen und Rufen.
Singend grüßt ein Reiter hell die Sonne
und im Chor fällt dann ein brausend die ganze Kolonne.“

Pferde und Reiter haben den eurasischen Kontinent geprägt, ihn erobert, gestaltet und viele sind im Sattel gestorben. Skythen, Griechen, Kelten, Germanen, Römer, Mongolen, Osmanen, Hunnen, Ungarn, Ritterheere des Orients und des Okzidents, Kreuzfahrer und Mauren.

Das alles wird nun in Mannheim lebendig, in der großen Sonderausstellung der Reiss-Engelhorn-Museen. Seit dem 20. April und noch bis zum 19. August kommt in einer großen Sonderausstellung alles zusammen was Mensch und gehufte Vierbeiner seit eh und je verbindet: „Pferdestärken – Das Pferd bewegt die Menschheit.“

„Keine andere Mensch-Tier-Beziehung hat die Geschichte so tief greifend beeinflusst, wie die zwischen Mensch und Pferd“

Und dies schon seit über 4.000 Jahren. Die kulturgeschichtliche Schau zur Rolle des Pferdes in der Menschheitsgeschichte offenbart die innige Symbiose zwischen Mensch und Pferd. Keine andere Mensch-Tier-Beziehung habe die die Geschichte so tief greifend beeinflusst, wie die zwischen Mensch und Pferd, heißt es in den Unterlagen der Mannheimer Ausstellung.

Als weltweit erste zusammenhängende Gesamtschau präsentiert sie Darstellungen des Pferdes und seiner Beziehung zum Menschen aus verschiedensten Epochen und Regionen. Rund 300 hochkarätige Leihgaben aus großen Museen der Welt wie dem Louvre, dem British Museum, dem Naturhistorischen Museum Wien, den Berliner Staatlichen Museen und dem National Museum of Mongolian History Ulaanbaatar führen den Besucher auf eine spannende Reise durch die gemeinsame Entwicklungsgeschichte von Mensch und Pferd.

Lange vor dem Menschen war das Pferd in Eurasien zu Hause

Der Ursprung der vornehmen Säugetiere ist auf eine Zeit datiert, als es den Menschen noch gar nicht gab, der mit ihm hätte zusammenleben können: Eine 50 Millionen Jahre alte Versteinerung aus der Grube Messel ist eines der ältesten Zeugnisse des so genannten Urpferdchens, das klein wie ein Hund war und vier Zehen besaß. Es wurde im Schieferton der Grube gefunden, ist ganze 57 Zentimeter lang und etwa halb so hoch. Dieses älteste Exemplar der Schau gleicht eher einem kleinen Hund, als einem Pferd. Es ernährte sich von Baumfrüchten oder Laub und ist wohl im Uferschlamm des Sees erstickt, der sich bei Messel, unweit Mannheims, im damals subtropischen Hessen befand.

Die innige Verbindung und die große Bedeutung des Pferdes für seine Besitzer datiert erst aus viel späterer Zeit. Ein im letzten Sommer im Altai ausgegrabener Reiternomade wurde zum Beispiel vor zweieinhalb Tausend Jahren in voller Montur, mit Grabbeigaben und seinem Pferd zusammen bestattet. Es war dies ein übliches Ritual bei den Skythen und in der gesamten eurasischen Steppenregion während der „Pazyryk-Kultur“.

Bei dem Mann handelte es sich um einen Krieger der gehobenen Mittelschicht. Im Interview mit dem EURASISCHEN MAGAZIN erklärte Prof. Hermann Parzinger, der Ausgräber des skytischen Kurgan-Grabes: „Bei diesen Reiterkriegern war es ganz normal, dass das Pferd mit bestattet wird und dass er mit seiner gesamten Bekleidung und Ausrüstung ins Grab gelegt wird. Das deutet darauf hin, dass die Vorstellung bestand, ein Krieger müsse gerüstet sein, wenn er das Reich des Jenseits betritt und sein Status müsse erkennbar sein.“

In späteren Zeiten hat zum Beispiel der merowingische Frankenkönig Chlodwig sein Pferd mit ins Grab genommen. Der römische Kaiser Caligula hat gar sein Lieblingspferd Incitatus zum Consul gemacht, um den Senat zu ärgern.

Die Nutzung musste der Mensch mühsam erlernen – kein Pferd lässt sich freiwillig vor den Karren spannen

Die Frage „Wie kam der Mensch aufs Pferd?“ hängt natürlich zusammen mit der Zähmung. Erst als die Domestikation gelang, war das Pferd bereit einen Reiter zu tragen. Das gilt auch für die Nutzung des Pferdes als Zugtier. Hierzu sind differenzierte Kenntnisse zur Pferdehaltung, -zucht und -erziehung von Nöten, denn ein scheues Tier wie das Pferd lässt sich nicht einfach vor einen Karren spannen.

Die ersten Darstellungen des Pferdes als Zugtier stammen aus dem dritten Jahrtausend v. Chr. Aus dieser Zeit liegen die ältesten sicheren Belege für Trensen vor, die zum Lenken der Tiere benötigt werden.

Von der Mannheimer Ausstellung wird das Pferd – als erste „Tempowaffe“ der Menschheitsgeschichte bezeichnet. Sie brachte die Überwindung der Langsamkeit. Ein Fußgänger legt vier Kilometer pro Stunde zurück. Bei Gewaltmärschen auch mal das Doppelte. Und unter Aufbietung aller Kräfte schafft er im Extremfall 80 Kilometer am Tag.

Pferde erreichen Geschwindigkeiten von 70 Stundenkilometern. Eine Tagesstrecke von 160 Kilometern ist noch nichts Außergewöhnliches. Und um die Durchschnittsgeschwindigkeit und den Aktionsradius noch zu erhöhen, hat man den Pferdewechsel erfunden, so dass Strecken von mehreren hundert Kilometern pro Tag zurückgelegt werden können.

Natürlich wurde dadurch zunächst vor allem die militärische Entwicklung beeinflusst. Im Vorderen Orient sowie im alten Ägypten setzten sich Streitwagen durch, mit denen der Feind im schnellen Lauf angegriffen wurde. Er spielte in diesen Kulturen als Kriegsinstrument eine große Rolle.

In der eurasischen Steppe dagegen wurde geritten. Hier bildete sich in vorchristlicher Zeit die eng mit dem Pferd verbundene Gesellschaftsform der Reiternomaden heraus. Reiterkrieger wie Dschingis Khans Mongolen zerstörten und schufen ganze Reiche.

Die kriegerischen Reitervölker Eurasiens sie schufen die ersten Kavallerien der Menschheitsgeschichte. Das zwang schließlich auch orientalische Völker in den Sattel. Zu Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr., wird der Wechsel vom Wagenlenken zum Aufsatteln gezeigt.

Saumzeug und Sattel, Steigbügel und prachtvolle Decken

Die Domestikation des Pferdes führte zu neuen Lebens- und Gesellschaftsformen, im Vorderen Orient ebenso wie in Asien und Europa. Das Pferd symbolisierte Macht und Prestige, diente als wertvolles Tauschmittel und diplomatisches Geschenk. Es wurde verehrt und kostbar geschmückt mit Sattel, Zaumzeug und prachtvollen Decken. Durch seine Kraft und Schnelligkeit entwickelte es sich zum unverzichtbaren Fortbewegungsmittel, das eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Fernhandels spielte. Es ermöglichte weite Reisen, aber auch die kriegerische Eroberung großer Gebiete.

Im europäischen Mittelalter wurde das Idealbild des Ritters geprägt, von dessen
Seite das Pferd nicht wegzudenken ist. Und im Transport spielte das Pferd eine entscheidende Rolle: Postkutschen führten in Europa zum Ausbau der Straßen-Infrastruktur.

Heute begegnet uns das Pferd in den westlichen Industrienationen vor allem in den Bereichen Freizeit und Sport, aber auch in der modernen Kunst und Kultur. Im Reitsport und als Jagd- und Spielgefährte gilt es als treuer Begleiter des Menschen.

Erst kam das Fressen, dann die Liebe

Die ersten Begegnungen zwischen Mensch und Pferd waren durch die Jagd geprägt. Allerdings nutzte der urzeitliche Mensch das Pferd als Nahrungs- und Rohstoffmittel. Erst kam das Fressen, dann die Liebe.

Die ältesten Zeugnisse der Mensch-Pferd-Beziehung stammen aus dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. Auf Rollsiegeln und Reliefs finden wir erste Darstellungen von wendigen Streitwagen, die auf die Nutzung des Pferdes als ein Zugtier schließen lassen. Im Vorderen Orient, aber auch im Alten Ägypten machte man sich die Ausdauer und Kraft des Tieres zunutze, in erster Linie für die Kriegführung.

Im Ausstellungsbereich „Goldene Krieger“ werden die Völker gezeigt, die den Inbegriff von „Reitern“ geprägt haben: die reiternomadischen Völker der Kimmerier, der Skythen und der Xiongnu. Diese Völker erreichten dank des Pferdes weite Gebiete Eurasiens. Sie pflegten friedlichen Handel und kulturellen Austausch, provozierten aber auch immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen mit den sesshaften Völkern der angrenzenden Gebiete.

Auch China das regelmäßig von reiternomadischen Völkern aus den Steppen angegriffen wurde, sah sich im 4. Jahrhundert v. Chr. gezwungen, eine chinesische Kavallerie zu entwickeln. Mangels eigener Pferdezucht war China jedoch von Beginn der Pferdenutzung an auf Importe angewiesen. Daher galten die Tiere als besonders kostbar und landeten im Gegensatz zu Rind, Schwein, Hund oder Schlange nicht im Kochtopf.

Aus China sind in der Ausstellung unter anderem kunstfertige Tonskulpturen zu sehen, die von der Wertschätzung der edlen Tiere zeugen. In der chinesischen Mythologie werden sie häufig als drachen- oder himmelsverwandte Wesen dargestellt.

Halb Pferd, halb Mensch: die sagenhaften Kentauren

Auch im antiken Griechenland hatten Pferde oft eine mythische Bedeutung. Davon zeugen die Pferdefiguren in der griechischen Götter- und Sagenwelt. Die Geschichte von Pegasos, dem geflügelten Pferd, wird hier ebenso vermittelt wie die Herkunft der Kentauren, jener Fabelwesen, die durch ihre Verbindung von Mensch- und Pferdekörper wohl das eindringlichste Beispiel der engen Mensch-Pferd-Beziehung darstellen.

Unter den Leihgaben ragen einige ganz besonders heraus: So das Pferd einer Quadriga des Pergamon-Altars, das nach umfassender Restaurierung erstmalig außerhalb des Pergamon-Museums gezeigt wird.

Der Ausstellungsrundgang führt den Besucher natürlich auch in die Lebenswelt und die Mythologie der Kelten. Grabfunde aus der Hallstatt- und Latènezeit belegen, dass auch hier das Pferd eine wichtige Bedeutung im Alltag und in der kultisch-religiösen Vorstellungswelt hatte.

Bemerkenswert ist, dass die einzige explizit als Patronin der Pferde ausgezeichnete Gottheit keltischen Ursprungs ist: Epona, die Göttin der Pferde. Sie wurde nicht nur von den Kelten verehrt sondern im 1. Jahrhundert n. Chr. auch unter die römischen Götter aufgenommen. Im alten Rom waren die Hippodrome berühmt. Es waren Schauplätze von spektakulären Pferde- und Wagenrennen.

Die Reitkunst der Muslime ließ Andalusien und Mittelfrankreich aufhorchen

Kostbare Exponate aus der islamischen Kultur spiegeln die hohe Entwicklung der Pferdekunde im gesamten Orient wider. Die „Furusiyya“, die Reitkunst, ist beispielsweise Gegenstand des im 9. Jahrhundert verfassten Werkes von Ibn Akhi Hizym al-Kuttali. Anhand anschaulicher historischer Handschriften erfährt der Ausstellungsbesucher hier, dass das Erlernen der Reitkunst auch sportlichen Aktivitäten wie dem Polospiel und der Jagd diente. Doch natürlich war dies auch eine optimale Vorbereitung für den Kriegseinsatz. Die muslimische Expansion, die sich über die iberische Halbinsel in kürzester Zeit bis nach Mittelfrankreich vollzog, war ebenfalls ein Reiterkriegerphänomen.

Besonders bekannt wurden weltweit die Reiterheere der Mongolen. Ihr reiternomadisches Großreich ist eng mit dem Namen Dschingis Kahn verbunden. Aber berühmt ist auch die „Pax Mongolica“, die weit über hundert Jahre hindurch freien Handel und Kulturaustausch in ganz Zentralasien erlaubte. Die Mongolei präsentiert mit ausgewählten Exponaten in der Ausstellung auch die moderne Lebensweise heutiger Reiternomaden.

Dschingis Khan fasziniert auch jugendliche Ausstellungsbesucher

Die Ausstellung hat auch junge Ausstellungsbesucher nicht vergessen. So gibt es jede Menge Aktionen mit den mal zotteligen, mal edlen aber immer starken Freunden der Kinder. Diese können in der Ausstellung wie ein Reiter fühlen und verschiedene Sättel ausprobieren, dem lustig-kuscheligen „Racker – dem Pferdestarken“ - die Hufe schütteln oder an spannenden und abwechslungsreichen Veranstaltungen teilnehmen.

Ein spezielles Angebot für Kinder und Jugendliche ist natürlich dem mongolischen Stammesführer Dschingis Khan gewidmet. Im Mittelpunkt stehen Fragen, wie man eigentlich zu Pferde gekämpft hat oder was sich hinter den geheimnisvollen Mythen der Antike verbirgt?

In der Familiennacht zu den Pferdestärken am 4. Mai 2007 können Kinder und Eltern Steckenpferde bauen oder im Reitturnier gegeneinander antreten, einen Schlüsselanhänger aus Filz herstellen oder die ganz persönliche Lieblingstasche bedrucken. Am 31. Mai 2007 findet ein Aktionstag statt unter dem Titel „Pegasus, Kentauren und wilde Amazonen“.

Das künstlerische Talent ist besonders beim Sommerferienprojekt am 1. und 2. August gefordert: Jeder kann dabei sein eigenes Pferd „erschaffen“. Es wird geklebt, geschnitten und bemalt, so dass am Ende jeder beim Pferdespiel mitmachen kann.

*

Interessantes und Historisches über Pferde finden Sie im EM unter anderem unter folgenden Titeln:

EM 03-03 Eurasien historisch: DIE MONGOLEN
EM 01-04 Eurasien historisch: DIE SKYTHEN
EM 08-04 Eurasien historisch: DIE THRAKER
EM 03-05 Eurasien historisch: DIE HUNNEN
EM 06-05 Armenische Pferdezüchter finden ihre Sprache wieder
EM 06-05 Dschingis Khan
EM 09-05 Eurasien historisch: DIE KELTEN
EM 01-07 Die frühen Bewohner Asiens waren Europäer

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