Im Ende der Anfang?GEORGIEN

Im Ende der Anfang?

Im Ende der Anfang?

Nach elf Jahren im Amt ist der georgische Präsident Eduard Schewardnadse zuruckgetreten. Die Opposition, aufgestachelt und vereint durch die Fälschungen bei den Parlamentswahlen Anfang November, hat ihr Ziel erreicht. Doch Schewardnadse hinterläßt ein völlig heruntergewirtschaftetes Land.

Von Andrea Jeska

EM – In Georgien wurde zur Ära Schewardnadses gerne folgender Witz erzählt, der selten Heiterkeit, sondern zumeist gequältes Lächeln nach sich zog: George Bush senior möchte den amerikanischen Präsidenten George Bush junior zum Kaffee einladen. Bush junior lehnt mit dem Hinweis ab, er habe den georgischen Staatspräsidenten zu Besuch. Bush senior erkundigt sich nach dessen Namen. „Ach, Schewardnadse“, sagt er dann. „Ich erinnere mich. Zu meiner Zeit regierte sein Vater in Georgien.“

Vorbei! Nur seinem eigenen, nach massiven Protesten seiner Bürger erzeugtem Einsehen verdankte der georgische Präsident, am Ende nicht mit Schimpf und Schande davongejagt zu werden. Und wahrscheinlich verdankte das georgische Volk diesem späten, aber immerhin quasi freiwilligen Rücktritt, daß kein Blut vergossen wurde. Die Vermeidung von Gewalt dürfte zu den wenigen Dingen gehören, die Georgien seinem lang amtierenden Präsidenten verdankt.

Des Volkes Wille war stärker als Schewardnadse

Seit dem vergangenen Wochenende hatte die georgische Hauptstadt Tiflis den Atem angehalten. Von Oppositionsführer Michail Saakaschwili geführt, zogen 35.000 Menschen vor das georgische Parlament, um lautstark zu verkünden: Genug ist genug! Schewardnadse soll endlich gehen. Dann überstürzten sich die Ereignisse: Anhänger der Opposition stürmten das Parlament. Die Weltöffentlichkeit sah, wie der georgische Präsident mit fassungslosem Gesichtsausdruck von seinen Leibwächtern mehr fortgeschleift als gebracht wurde. Auch die Ausrufung des Notstands und einige verbale Kraftakte retteten Schewardnadse danach nicht mehr. Polizei und Militär verweigerten dem Präsidenten den Gehorsam, seine eigenen Leute liefen zur Opposition über. Auch der eilends eingeflogene russische Außenminister Igor Iwanow wird Schewardnadse kaum zum Bleiben aufgefordert haben.

Die massiven Fälschungen bei den Parlamentswahlen vom 2. November, die selbst hartgesottene Wahlbeobachter um Fassung ringen ließen, hatten die leidgeprüften Georgier offenbar aus ihrer Resignation gerissen. Erst verhalten, dann in immer größerer Zahl formierten sie sich zu Protesten. Daß Schewardnadse es dennoch wagte, das von ihm geführte Parteienbündnis „Für ein neues Georgien“ zum Wahlsieger zu erklären, zeugt von einer schon fast größenwahnsinnigen Umklammerung der Macht. „Schon vor den Wahlen war klar, daß die Ergebnisse gefälscht sein werden. Aber eine so massive Verdrehung haben wir nicht erwartet. Das georgische Volk muß sich das nicht gefallen lassen“, schimpfte der Künstler Murtaz Schwelidse.

Die für jeden ersichtlichen Wahlfälschungen schaden dem Ansehen Georgiens und seien eine Beleidigung der Würde des Volkes, stellte das von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierte Netz-Magazin „Civil Georgia“ in einer Erklärung fest, die von Hunderten georgischer und ausländischer Unterstützer unterzeichnet wurde.

Schewardnadse: im Volk verhaßt

Schewardnadses Ende kommt nicht von ungefähr, und auch, wenn das dadurch entstandene Machtvakuum in Georgien Anlaß zur Sorge gibt: es wurde höchste Zeit für einen Wechsel. Schon seit Jahren ist der georgische Präsident Eduard Schewardnadse, der das Amt seit 1994 innehat, seinem Volk regelrecht verhaßt. Nur wer sich in seinem Bannkreis bereichern konnte, wünschte ihn nicht zum Teufel. Der Präsident, auf den die Georgier nach der langen sowjetischen Zeit und dem anschließenden georgischen Bürgerkrieg so viele Hoffnungen setzten, hat jede dieser Hoffnungen enttäuscht. Ihm wurde nachgesagt, seine Macht läge ihm mehr am Herzen als das Wohl seines Volkes. Auch der Spitzname „Fuchs“, den er wegen seiner listigen Verschmitztheit erhielt, hatte lange keinen anerkennenden Klang mehr. Er stand für ausgekochte Schläue und Skrupellosigkeit.

Während elf Jahren im Amt war es Schewardnadse nicht gelungen, Georgien von der Übergangsphase in einen stabilen Zustand zu führen. Ganz im Gegenteil: wirtschaftlicher und sozialer Niedergang kennzeichneten seine Amtsperioden, Pressefreiheit, Menschenrechte und andere Grundlagen einer demokratischen Ordnung haben sich nicht etablieren können. Sollte Schewardnadse bei seiner Amtsübernahme politische Ideale gehabt haben, blieb von diesen nicht viel übrig. Einmal an der Macht setzte er Familie und Freunde auf lukrative Posten und mehrte den eigenen Reichtum. Die Staatskassen dagegen sind heute leer, die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Lebensniveau fast afrikanisch. Winter für Winter steigt die Zahl der Bettler auf den Straßen von Tiflis, die meisten von ihnen sind alte Menschen oder Kinder. Die Strom- und Gasversorgung der Hauptstadt funktionierte nie, wegen seiner Mißwirtschaft war Georgien schließlich völlig auf Ölimporte aus Rußland angewiesen. Präsident Bush, heißt es in einem weiteren Witz, habe Schewardnadse während des Irak-Krieges angerufen und gefragt: „Eduard, was muß ich tun, damit in Bagdad die Lichter ausgehen?“

Weil weit mehr als die Hälfte der Wirtschaft im Schatten stattfindet, zahlt kaum jemand Steuern – Georgien ist auf Kredite angewiesen. Die vielen Fördergelder von Gebern wie EU, Internationaler Währungsfonds und Weltbank für den Ausbau von Straßen und Transportverbindungen verschwanden zum großen Teil in privaten Taschen. Erst jüngst kündigte der Währungsfonds die Kredite für Georgien: man habe von der Korruption endgültig die Nase voll, hieß es.

Der „weiße Fuchs“ schien gegen jeglichen Widerstand resistent

Der Geschmähte hielt in all dem Tosen die Macht mit eisernem Griff und wankte auch dann nicht, wenn andere über ihn fielen. Er hat zwei Attentate und etliche Versuche, ihn auf politischem Weg zu stürzen, überlebt. Er hat Minister gefeuert und wieder eingesetzt, hat sich an Intrigen und Korruption beteiligt, Kriegsdrohungen aus Rußland und Partisanen-Radau in den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Süd-Ossetien abgewehrt. Auch diverse Protestaktionen seiner von Korruptionsskandalen und sozialem Niedergang entnervter Bürger haben ihn kaum angekratzt – politisch nicht und persönlich erst recht nicht.

Nun aber scheint es, als fände die Ära des „weißen Fuchses“ ein Ende. In der georgischen Hauptstadt Tiflis hofft man, es werde ein unblutiges sein. Die Angst vor einer Wiederholung der bürgerkriegsähnlichen Situation in Tiflis im Jahre 1991 sitzt so tief, daß die Demonstranten kürzlich mit einer Menschenkette einen „Friedensring“ um das Parlament legten.

Zunächst schien es, als werde Schewardnadse den „Geh weg“- und „Tritt zurück“-Rufen nicht folgen. Grimmig verkündete er, er werde das Schicksal des serbischen Präsidenten Milosevic nicht teilen. Bereits vor den Parlamentswahlen hatte er die Opposition davor gewarnt, „zivile Unruhen“ hervorzurufen. Schon wenige Tage nach dem Wahltermin waren Polizeieinheiten aus Pankisi – einem kleinen Tal im Nordosten des Landes, das von den Russen zum Rückzugsgebiet tschetschenischer Terroristen erklärt wurde – nach Tiflis beordert worden. Im In- und Ausland meldeten Zeitungen, Georgien stünde am Rande eines Bürgerkriegs.

Wie die Verzweiflung eines Ertrinkenden mutet Schewardnadses Verbrüderung mit seinem bisherigen Kritiker Aslan Abaschidse, dem diktatorischen und Rußland-freundlichen Herrscher über die Schwarzmeer-Provinz Adscharien, an. Mit Abaschidses „Erneuerungspartei“ wollte sich Schewardnadse die Mehrheit im Parlament sichern. Das könnte nun der letzte Bärendienst sein, den Schewardnadse seinem Land erwies. Gleich nach dem Rücktritt des georgischen Präsidenten eilte Iwanow nach Adscharien. Für Verhandlungen, wie es hieß. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie diese aussahen, Rußland hatte und hat noch immer ein Interesse daran, Georgien zu destabilisieren. Den großmäuligen Abaschidse darin zu unterstützen, sich, wie schon die Provinzen Abchasien und Süd-Ossetien, von Georgien abzuspalten, würde dem zur Zeit geschwächten Land, eine schwere Wunde zufügen.

Ein Nachfolger für den Präsidentensessel fehlt

Bleibt die Frage: Was kommt nach Schewardnadse? Die Interimspräsidentin und ehemalige Parlamentssprecherin Nino Burdschanadse hat Neuwahlen in 45 Tagen angekündigt. Doch wen sollen die Georgier wählen. Der Mangel an kompetenten Nachfolgern für das Präsidentenamt war bislang der Grund, Schewardnadse die Umklammerung der Macht zu gestatten. Für das Ausland war er in erster Linie Garant für Stabilität, auch wenn dieses Wort im Zusammenhang mit Georgien lediglich als Abwesenheit von Anarchie definiert wird. Die Amerikaner sind am zügigen Bau der Ölpipeline vom Kaspischen Meer durch Georgien ins türkische Ceyhan interessiert und brauchen dafür Ruhe im Transkaukasus. Die Europäer, vor allem die Deutschen, sahen in dem ehemaligen Außenminister der UdSSR den Mitvater der Deutschen Einheit. Lediglich den Russen war Schewardnadse ein Dorn im Auge – oder auch nicht. Im unübersichtlichen Netz der kaukasischen Machtspielchen ist selbst den Georgiern der Überblick abhanden gekommen, ob ihr Präsident nun ein Freund oder Feind Moskaus sei. Einerseits hat er nie Zweifel daran gelassen, daß sich Georgien nach Westen orientiert, hat amerikanische Militärberater ins Land gelassen - oder geholt - und öffentlich von EU-Mitgliedschaft geträumt. Mit Rußland dagegen wurden harsche Worte über Pankisi und Abchasien getauscht. Andererseits gibt es noch immer rund 1000 russische Soldaten, die in Georgien stationiert sind und nicht wenige Georgier haben den Verdacht, das sei auch im Interesse ihres Ex-Präsidenten gewesen.

Die Führer der Oppositionsparteien, auch Saakaschwili, sind ebenfalls im Sumpf von Fälschungen und Korruption verstrickt und waren bislang zudem heillos zerstritten. Das georgische Volk hat schon lange kein Vertrauen mehr in den Staat, steckte den Kopf in den Sand und verlegte sich aufs Jammern. Zuletzt ließ es sich im Herbst 2001 mobilisieren, als Soldaten die Räume des regierungskritischen Fernsehsenders „Rustavi2“ durchsuchten. Live auf Sendung riefen die Redakteure die Bewohner der Hauptstadt zu Hilfe. Diese kamen zu Tausenden. Schewardnadse entließ damals sein Kabinett und rettete den eigenen Kopf.

Der Mangel an Vertrauen wird sich nicht mit der Amtsenthebung Schewardnadses beseitigen lassen. Georgien braucht eine gründliche Reform der Gesetze. Bislang gibt es kein durchschaubares Recht, sondern nur eine unübersichtliche Flut von sich widersprechenden Anordnungen. Lizenzen und andere behördliche Dokumente werden willkürlich erteilt, Gerichte sind manipulierbar, Anwälte und Politiker käuflich. Mag also sein, daß es Schewardnadse auch dieses Mal schafft, die Opposition mit Versprechungen und Zugeständnissen zu beruhigen. Noch steht nicht fest, ob Michail Saakaschwili Kämpfer für Gerechtigkeit ist oder die Georgier für seine eigenen Spielchen nutzt. Wie groß die Rolle Rußlands bei der Amtsenthebung Schewardnadses war, und welchen Einfluß Moskau nun künftig in Georgien ausüben wird, werden die kommenden Wochen zeigen. Fest steht nur, daß Georgien nun eine neue Chance erhält, sich aus Chaos und Korruption zu befreien. Wird das Land diese Chance nutzen können?

Kaukasus

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