In Memoriam Kiro Gligorov (1917-2012)MAKEDONIEN

In Memoriam Kiro Gligorov (1917-2012)

In Memoriam Kiro Gligorov (1917-2012)

Erinnerungen an den großen Staatsmann aus dem kleinen Makedonien. Der „Corriere della sera“ nannte ihn 1992 einen „Mann für den Friedensnobelpreis“. Am Abend des 1. Januar 2012 starb Kiro Gligorov im Alter von 94 Jahren. Für die Makedonen war er der Vater des Volks, Vater des unabhängigen Makedoniens.

Von Wolf Oschlies

In Memoriam Kitro Gligorov: Ein Bild aus dem Jahr 1995, aufgenommen bei einem Konzert in Ohrid. Es zeigt in der ersten Reihe (u.a.) von rechts Wolf Oschlies, Ute Oschlies, Nada Gligorova und Kitro Gligorov (im weißen Anzug).
In Memoriam Kitro Gligorov: Ein Bild aus dem Jahr 1995, aufgenommen bei einem  Konzert in Ohrid. Es zeigt in der ersten Reihe (u.a.) von rechts Wolf Oschlies, Ute Oschlies, Nada Gligorova und Kitro Gligorov (im weißen Anzug).
Foto: Privat

S  ollte es auf diesem Balkan noch so etwas wie einen klugen Politiker geben, dann kann das nur der Makedone Kiro Gligorov sein“, schrieb vor über 15 Jahren die Belgrader Wochenzeitung „Vreme“ (Zeit). Bei einem Treffen mit Gligorov erwähnte ich diese Aussage, die er kannte und noch überbot: „Als Milosevic zum letzten Mal hier war, richtete er mir von seiner Frau Mira aus, ich sei in ihren Augen der einzige wahre Staatsmann auf dem Balkan“.

Auch westliche Medien begegneten Gligorov mit Hochachtung, am ehrlichsten der italienische „Corriere della sera“, der ihn schon 1992 einen „Mann für den Friedensnobelpreis“ nannte. Am Abend des 1. Januar 2012 starb Kiro Gligorov im Alter von 94 Jahren, und alle Makedonen pflichten einem neuen Lied im makedonischen Volksstil zu, das der Sänger Zoran Vanev schrieb und sang: „Kiro Gligorov, Vater des Volks, Vater des unabhängigen Makedoniens“.

Erst der Präsident, dann der Staat

Das war keine Übertreibung, wie sogar kalendarisch nachweisbar ist. Am 27. Januar 1991 wurde Gligorov zum Präsidenten Makedoniens gewählt, das damals noch Teilrepublik Jugoslawiens war. Erst unter seiner Führung wagte das Land die eigenstaatliche Emanzipation. Am 15. April 1991 benannte es sich zu „Republik Makedonien“ um, am 8. September 1991 stimmten die Makedonen in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für die Souveränität ihrer Republik, die am 20. November 1991 mit der Proklamation einer neuen Verfassung Gestalt bekam.

Ein neuer Staat war auf dem West-Balkan geboren, ein kleines Land mit großer Vergangenheit, das alle guten Eigenschaften und Wesenszüge des Balkans verkörperte, aber restlos unbalkanisch ist, was balkanische negative Qualitäten angeht. Darauf war ich immer stolz bei „meinem“ Makedonien, und ich erinnere mich an ein paar Momente, wo ich diesen Stolz besonders stark spürte.

März 1993 in Bonn, Peter Glotz hatte zu einer Veranstaltung seines gerade gegründeten „Europa-Dialogs“ geladen. Vor den anwesenden Politikern, Diplomaten, Abgeordneten und führenden Journalisten traten zwei just gekürte Präsidenten zweier ex-jugoslawischer Nachfolgestaaten auf, der Slowene Milan Kucan und der Makedone Kiro Gligorov. Kucan begann und er begann mit der Phrase, ohne die damals kaum eine slowenische Äußerung auskam: „Slowenien gehört nicht zum Balkan!“ Nun weiß niemand, wo die Grenzen des Balkans liegen, aber dieses Diktum Kucans löste bei den Anwesenden allgemeines Lächeln aus, kein wohlwollendes, eher eines der Art: Dummkopf, lerne erst einmal Erdkunde! Kucan, an seinem Redemanuskript klebend, kriegte nichts mit.

Kriege führen andere, Makedonien ist „Oase des Friedens“

Aber Gligorov hatte die Reaktion der Hörer gespürt und umgehend genutzt, als er endlich das Wort hatte: „Meine Damen und Herren! Makedonien gehört nicht nur zum Balkan – es ist das Herz des Balkans!“ Szenenapplaus! Und der brandete noch mehrfach auf, beispielsweise bei Gligorovs Antwort auf die Frage, warum Makedonien als einziges ex-jugoslawisches Land nicht von dem dortigen Bürgerkrieg tangiert war. „Äußerer Friede ist immer das Resultat von bewahrtem innerem Frieden. Wir Makedonen hatten noch nie in unserer Geschichte einen bewaffneten Konflikt mit ethnischen Minderheiten. Das ist unsere Tradition, und weil wir den inneren Frieden bewahrten, konnten wir uns jetzt auch aus dem Krieg heraushalten“.

Wäre es nach Gligorov gegangen, dann hätte es keinen Krieg gegeben. Als klar wurde, dass das föderierte Jugoslawien nicht zu halten war, warb er zusammen mit dem Bosnier Alija Izetbegovic im Juni 1991 für eine Konföderation der  jugoslawischen Republiken, aber für eine solche war es zu spät. Doch während im slowenischen Ljubljana, kroatischen Vukovar, bosnischen Sarajevo bereits geschossen wurde, blieb Makedonien die bald sprichwörtliche „Oase des Friedens“.

Kein Friede um jeden Preis, feiges Appeasement war Gligorovs Sache nicht, wie er schon beweisen hatte. Am 24. März 1990 rief eine Handvoll albanischer Terroristen in dem nordmakedonischen Dorf Sipkovica die albanische „Republik Ilirida“ aus und schickte sich an, in Makedonien kosovarische Zustände zu provozieren: albanisches „Referendum“, Proklamierung der Eigenstaatlichkeit, Aufstellung einer eigenen Armee, „eigene ethnische Universität“ etc. Die Makedonen schauten sich das eine Weile an, dann sorgte Gligorov dafür, dass die größten albanischen Hetzer hinter Gitter kamen, und die Ruhe war wiederhergestellt. Und zwar auf Dauer: Im Frühjahr 2001 griffen albanische UCK-Terroristen aus dem Kosovo Makedonien an, wobei sie auf eine inneralbanische Solidarisierung mit den Albanern in Makedonien gehofft hatten. Diese blieb aus, und mit internationaler Billigung schoss die Armee Makedoniens die kosovarischen Angreifer recht gnadenlos zusammen.

Sicherheit und wie man sie erhält

Auf Granit bissen bei dem so sanften Gligorov auch Serben, deren Anführer Milosevic er kurzerhand aus Makedonien hinauswarf, und Griechen, die sich mit Serben bereits über eine Aufteilung Makedoniens geeinigt hatten. Gligorov verhandelte von Herbst 1991 bis Februar 1992 mit der Führung der Jugoslawischen Volksarmee.(JNA). „Ich hätte denen doch alles gegeben, wenn sie nur kampflos abzögen“, erinnerte er sich später in einem Gespräch mit mir.

In Makedonien besagten danach Gerüchte, Gligorov habe die Waffen der makedonischen „Territorialverteidigung“ (TO), „die doch auf Kosten der Makedonen angeschafft worden waren“, an die Armee ausgeliefert. Das Gegenteil traf zu, denn Gligorov hatte etwas geschafft, was die Armee keiner anderen jugoslawischen Republik gestattete, die Waffen der TO samt und sonders zu behalten. Das Land verfügte plötzlich über so viele Waffen, dass es damit 100.000 Mann hätte ausrüsten können. Zudem entließ die JNA alle Makedonen aus ihren Diensten.

Daraus hätte mancher eine Streitmacht formiert, aber ein bewaffneter Konflikt wäre Gligorov nicht im Alptraum eingefallen. Was Makedonien von der Armee wirklich gebrauchen konnte, konnte die gar nicht aus dem Lande mitnehmen – das riesige Militärkrankenhaus in Skopje, das bis heute Zentrum der Medizin im Lande ist.

Damals war die Sicherheit Makedoniens von allen Seiten bedroht, von serbischen Freischärlern, griechischen Embargo-Strategen, albanischen Terroristen und bulgarischen Leugnern makedonischer Identität und Kultur. Sich dagegen militärisch wehren zu wollen, wäre Selbstmord gewesen, aber Makedonien musste nicht zu den Waffen greifen. Die damalige EG schickte den französischen Verfassungsrichter Robert Badinter vor jugoslawischen Ort, um zu prüfen, welche der ex-jugoslawischen Republiken eine diplomatische Anerkennung verdiente. Zwei Republiken bestanden diese Prüfung, Makedonien und Slowenien – in dieser Reihenfolge! -, aber anerkannt wurden am 15. Januar 1992 Slowenien und Kroatien, das die EG schlichtweg mit Friedens- und Reformbeteuerungen betrogen hatte.

Das wirklich friedfertige Makedonien wurde aufgrund griechischen Quertreibens nicht berücksichtigt, und dabei blieb es bis zur Gegenwart. In höchster Gefahr stellte Gligorov sein Land unter den Schutz der internationalen Gemeinschaft und hatte Erfolg damit. 1992 schickten die USA ein paar Hundert Soldaten (als „Stolperdraht“, wie es warnend aus Washington hieß), später kamen noch rund 700 Skandinavier und andere hinzu, was alles als UN-Präventivmission  (UNPREDEP) Makedoniens größte Sorgen ausräumte. Makedonien war und blieb dafür dankbar, obwohl es später nichts als Ärger mit NATO, EU etc. hatte.

Unfrieden, dein Name ist Griechenland!

„Star lisec“ (alter Fuchs) wurde Gligorov von den Makedonen spöttisch-ehrfurchtsvoll genannt. Der Präsident trat stets gelassen und freundlich auf, war in der Politik aber ein beinharter Fighter, mit dem sich niemand gern anlegte. Gligorovs überlegenes Verhandlungsgeschick haben wiederholt die Griechen zu spüren bekommen. Diese versuchten ab dem ersten Tag makedonischer Eigenstaatlichkeit, die Annäherung Makedoniens an Europa zu blockieren. Selbst in die Vereinten Nationen kam Makedonien nur unter dem von Griechenland erzwungenen Landesnamen „Former Yugoslav Republic of Macedonia“ (FYROM), den Gligorov nicht einmal in seiner ersten Rede vor der UN-Vollversammlung am 7. April 1993 aussprechen wollte. Seine späteren Versuche, die UN wegen „Diskriminierung eines UN-Mitglieds“ gegen Athen zu mobilisieren, blieben erfolglos. Athen zwang auch EU und NATO in seine Botmäßigkeit, weswegen Makedonien bis heute in beiden nicht Mitglied sein darf. Immerhin erlebte Gligorov noch, dass das wirtschaftlich bankrotte Griechenland auch politisch eine Niederlage erlitt, nämlich im Dezember 2011 einen Prozess verlor, den Makedonien vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) angestrengt hatte.

Biographisches und Erinnerndes

Kiro Gligorov wurde am 3. Mai 1917 im ostmakedonischen Stip geboren, das damals noch zum Königreich Serbien gehörte. Sein eigentlicher Geburtsname war Kiro Pancev,  woraus 1924 der serbische Grundschuldirektor „Kjirilo Gligorovic“ machte, was der Namensträger erst 1941 bei den Partisanen „remakedonisieren“ konnte.

1936 begann er in Belgrad ein Jurastudium, das er im Juni 1939 erfolgreich abschloss. Nach dem Kriegsausbruch 1941 kehrte er nach Skopje zurück, wo er als Jurist tätig war. Makedonien war damals von Bulgaren okkupiert, die Gligorov als „gefährlichen Serben“ inhaftierten. Nach seiner Entlassung stieß er zu den Partisanen, am 2. August 1944 war er Delegierter auf der legendären Versammlung im Kloster „Prochor Pcinski“, auf welcher die Republik Makedonien (in der jugoslawischen Föderation) und die makedonische Staatssprache proklamiert wurden.

2004 hielt Kiro Gligorov spontan eine zweistündige Vorlesung vor dem Internationalen Seminar für makedonische Sprache, Literatur und Kultur, die ich auf Band aufnahm. Dabei sagte er manches, was gewisse Territorialveränderungen in Jugoslawien betraf, aber in keinem Buch erwähnt worden war: „Als wir damals im (serbischen) Kloster Hl. Prochor Pcinjski, am 2. August 1944, die Republik Makedonien proklamierten, war ich im Präsidium der Republik Makedonien für die Finanzen zuständig und von daher weiß ich, dass unmittelbar nach dem Krieg, bei der Grenzziehung zwischen den einzelnen Republiken, Prochor Pcinjski auf unserem Territorium lag. Auch das (südserbische) Tal von Bujanovac und Presevo war unser Territorium. Als ich 1991 Präsident der Republik Makedonien wurde, beauftragte ich Wissenschaftler zu prüfen, wer eigentlich die Regionen, allen voran Prochor Pcinjski, Serbien übergeben hat. Die Untersuchung wurde im Präsidialamt begonnen, aber dort fand sich kein einziges Dokument, das etwas über diese Verantwortung aussagte. Dann bat ich den Parlamentspräsidenten Stojan Andov, daß man doch im Archiv des Parlaments forschen möge. Eine Grenzänderung kann man doch nicht so vollziehen, dass einer zu jemand anderem sagt: Hier hast du diese Stadt und jenes Kloster. Wenn wir ein vollgültiger Staat sind, dann gehören dazu förmliche Beschlüsse. Aber davon fand sich auch im Parlament nichts“.

Wer die Wiedervereinigung Makedoniens verhinderte

Makedonien war einmal eine reiche Region, die 68.451 Quadratkilometer  maß, aber 1913 im Bukarester Frieden nach dem ersten Balkankrieg so aufgeteilt wurde, dass Griechenland 34.411 Quadratkilometer (50,3 Prozent), Serbien 26.440 Quadratkilometer (38,6 Prozent), Bulgarien 6.798 Quadratkilometer (9,9 Prozent) und Albanien 802 Quadratkilometer (1,2 Prozent) erhielten.

Makedonien ist von balkanischen Landräubern, mit Griechenland an der Spitze, zerstückelt worden, aber von der EU wird Makedonien jede kleineste Erinnerung daran als Verstoß gegen das „Gebot zu guter Nachbarschaft“ ausgelegt. Kiiro Gligorov hat das stets regungslos ertragen, wissend, dass schon die Partisanen 1944 an internationaler Heuchelei gescheitert waren. Auf meine diesbezügliche Frage antwortete er 2004: „An welches Makedonien dachten wir damals? Niemand von uns dachte an ein anderes Makedonien als an ein wiedervereintes, in dem die Drei- oder Vierteilung des Landes von 1913 unter Griechenland, Bulgarien, Serbien und Albanien überwunden sein würde. So war es, aber... da kamen ein paar Dokumente aus Moskau an, in denen es hieß: Jedes Volk muss in allen seinen Teilen im Bestand des Staates kämpfen, zu dem seine Teile jeweils gehören. Als Svetozar Vukmanovic-Tempo (1912-2001), Titos Abgesandter bei uns, das las, sagte er, wir müssen damit aufhören, den Makedonen im griechischen Ägäisch-Makedonien Hilfe zu schicken, wir müssen unseren Staat Makedonien hier errichten. Das war eine der Ursachen, weswegen die Idee einer makedonischen Wiedervereinigung so rasch von der Tagesordnung verschwand“.
 
Damals lernte Gligorov jene bittere makedonische Lektion, die das ganze 20. Jahrhundert über galt: Von balkanischen Nachbarn ist nichts Gutes zu erwarten, man muss bei ihnen auf alles gefasst sein und stets Distanz zu allen wahren! Das nannte man früher „makedonischen Separatismus“, Gligorov drückte es in seiner späteren außenpolitischen Doktrin der „Äquidistanz“.gewählter aus, meinte aber dasselbe.

Gligorovs Eintreten für eine makedonische Wiedervereinigung war zwar erfolglos, aber kein Hindernis dafür, dass er über vier Jahrzehnte lang in Belgrad Karriere in staatlichen und/oder parteilichen Funktionen machte – hohe Funktionen, aber nicht höchste. In den engsten Führungskreis um Tito kam er nicht hinein, wollt es als Wirtschafts- und Finanzexperte im Grunde auch nicht, denn er hat niemals verhehlt, dass er den jugoslawischen „Selbstverwaltungssozialismus“ für einen ökonomischen Irrweg hielt, weil der meinte, auf alle Grundgesetze und Regeln vernünftigen Wirtschaftens verzichten zu können. Er staunte nur, mit welche „Blindheit“ die politischen Führer die Zeichen an der Wand ignorierten, die schon zu Titos Lebzeiten und noch stärker nach seinem Tod 1980 vom ökonomischen Zusammenbruch Jugoslawiens kündeten.

Zweite Karriere in und für Makedonien

1987 ging Gligorov ganz offiziell in Pension und kehrte nach Makedonien zurück – um dort eine zweite Karriere zu starten, von den Umständen gezwungen, darauf eingeschworen, was er selber „evropska opredelba“ (europäische Bestimmung) nannte. In zwei umfangreichen Memoirenbänden - beide ohne Ghostwriter verfasst – hat er sein Engagement für diese geschildert. Die „europäische Bestimmung“ Makedoniens sah Gligorov vor allem in vier Richtungen:

•          Makedonien ist fast bis zur Selbstaufgabe bereit, mit euroatlantischen Allianzen zu kooperieren.
•          Makedonien unterstützt, schon aus Eigeninteresse, das Insistieren der internationalen Gemeinschaft auf regionale Zusammenarbeit.
•          Makedonien ist das naturgegebene Herzstück transbalkanischer Verkehrsplanungen, die endlich die Balkantransversale bringen soll, nachdem seit der Antike die großen Verkehrswege des Balkans fast ausschließlich in Süd-Nord-Richtung verlaufen.
•          Makedonien ist mit seiner Wirtschafts-, Sicherheits-, Kultur- und Minderheitenpolitik ein Muster und ein Beispiel dafür, wie der künftige „unbalkanische“ Balkan aussehen könnte und sollte.

Auf diesem Weg sah Makedonien keine Veranlassung, seine Legitimität dadurch zu unterstreichen, dass es die eigene Vergangenheit verleugnete und verfälschte. In einem Gespräch mit ihm erwähnte ich, dass es allein in Skopje etwa ein Dutzend Schulen, Straßen etc. gäbe, die nach Tito benannt seien, und ob man das ändern wolle. Ganz gewiss nicht, war seine Antwort, Tito und Jugoslawien waren Teil makedonischer Geschichte, „und wir haben keinen Grund, uns unserer Geschichte zu schämen“.

Kriegszeit 1999

Gligorovs Makedonien wurde von Deutschland nachhaltig unterstützt, was ohne großes Trara abging. In der Hamburger „Zeit“ las ich einmal ein großartiges Interview mit ihm, und als ich kurz darauf wieder in Makedonien war und Gligorov traf, gratulierte ich ihm dazu. Sein Kommentar: „Das hat mir Helmut (Schmidt) verschafft, wir sind gute Freunde“.  Wann immer Gligorov eine Reise gen Westen antrat, führte diese mit Sicherheit über Hamburg.

Makedonien erlebte Nöte, in denen ihm auch seine deutschen Freunde nicht helfen konnten. Ich erinnere mich an die NATO-Aktion gegen Serbien 1999, vor deren Bomben ab Mai 330.000 Kosovo-Albaner flüchteten. Gligorov hatte das kommen sehen und rechtzeitig die Idee eines „Korridors“ aufgebracht, durch den diese Albaner nach Albanien gelotst werden konnten. Die Initiatoren der Aktion wollten davon nichts wissen, die Albaner dürften „nur in der Nähe ihrer Heimat untergebracht“ werden, hieß es. Also presste man sie nach Makedonien, ohne dem Land die geringste Kompensation für seine Anstrengungen zu geben.

Wie die Albaner selber sich aufführten, erzählte mir ein Mitarbeiter eines deutschen Hilfsdienstes: „Die sind noch keine zehn Meter hinter der Grenze, da holen sie Handys heraus und beschweren sich bei Gott und der Welt über makedonische Ungerechtigkeit“. Wie „menschlich“ Albaner waren, hat das Makedonische Fernsehen in den Flüchtlingslagern Blace und anderen aufgenommen, als diese aufgelöst werden konnten – in zahlreichen Zelten fanden sich hilflose albanische Alte, von ihren eigenen Leuten „vergessen“ worden waren.

Attentat 1995

Gligorov war 1991 – 1994 und 1994 – 1999 Präsident der Republik Makedonien. Dass er das zweite Mandat antreten und erfolgreich beenden konnte, grenzte an ein Wunder. Am 5. Oktober 1995 wurde vor dem Skopjer Hotel „Bristol“ ein Bombenattentat auf ihn verübt, bei welchem sein Leibwächter Iltscho Teovski und sein Chauffeur Aleksander Spirovski ums Leben kamen, der Präsident überlebte, schwer gezeichnet, aber weiter nicht getroffen. Bereits im Dezember 1995 nahm er seine Dienstgeschäfte wieder auf. Wer die Attentäter waren, wurde nie erkundet, selbst das von Gligorov 2002 veröffentlichte Buch „Das Attentat“ gab keinen Aufschluss. Dabei wusste Gligorov genau, wer die Täter waren, hatte aber jede Fahndung nach ihnen untersagt – versicherte mir jemand aus seiner engsten Umgebung, der es genau wissen musste.

Gligorov hat nach dem Attentat weiter für Makedonien gearbeitet, schloss Verträge, knüpfte internationale Kontakte, machte Staatsbesuche im Ausland, wurde mit höchsten Auszeichnungen dekoriert. Staatsmänner aus aller Welt suchten seine Nähe und seinen Rat. Anerkennungen goutierte er nur, wenn sie in ihm seinem Land galten, weswegen er auch verletzt reagierte, wenn sie ausblieben – dass das Parlament Bulgariens eine Rede von ihm ohne jeden Beifall vorübergehen ließ, hat er den Nachbarn schwer übelgenommen.

„Makedonien ist alles, was wir haben“, sagte er im Januar 1991, als er zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt worden war. Dieser Satz wurde so etwas wie sein Wappenspruch, war 2001 auch Titel des ersten Bands seiner Memoiren. Gligorovs Makedonien, diese „Oase des Friedens“, war die überzeugende Widerlegung aller Rechtfertigungslügen, die andere vorbrachten, wenn sie ihre Kriege und Aggressionen auf dem West-Balkan zu bemänteln suchten.

Dieses Land, schrieb im Oktober 2000 die US-Politologin Marcia Kurop, steht für ein „Modell, das auf dem ganzen Balkan angewendet werden sollte, nämlich wie man gestrige Gegner in heutige Sponsoren der eigenen Sache verwandelt“. Davon haben auch andere Nutzen. Makedonien ist seit 1995 Mitglied der „Partnerschaft für den Frieden“, seine Bevölkerung ist zu 90 Prozent für den NATO-Beitritt. Nano Ruzin, bis März 2008 langjähriger Botschafter Makedoniens bei der NATO in Brüssel (und dort noch einen Monat vor seinem Ausscheiden als „Botschafter des Jahres“ geehrt), hat 2001 den Wert Makedoniens für die NATO auf den griffige Formel gebracht: „Makedonien wurde aus einem Verbraucher von Sicherheit zu einem Schöpfer von Sicherheit“. Das ist richtig, auch wenn NATO und EU es nicht einsehen, weil sie lieber kosovarischen Killern, griechischen Bankrotteuren und ähnlichen „Europäern“ hinterherlaufen.

„Seid stolz auf Kiro Gligorov“, forderte sein Nachfolger im Präsidentenamt, Djordje Ivanov, die Makedonen auf. „Seid Kiro Gligorov dankbar“, möchte ich vielen Politikern in UN, NATO und EU raten. 

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