Juschtschenkos BefreiungsschlagUKRAINE

Juschtschenkos Befreiungsschlag

Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko entläßt die Regierung und beendet damit den Machtkampf zwischen dem „Schokoladenkönig“ Petro Poroschenko und der Revolutions-Ikone Julia Timoschenko.

Von Ulrich Heyden

Juri Jechanurow  
Der neue ukrainische Ministerpräsident, Juri Jechanurow, ist ein erfahrener Unternehmer. Bislang leitete er die Verwaltung des südöstlichen Industriegebietes von Dnjepopetrowsk.

Der 57jährige gelernte Bauingenieur kommt eigentlich aus Sibirien und gehört dem Volk der Burjaten an. Zum Studieren kam Jechanurow nach Kiew, wo er dann seit Ende der 60er Jahre verschiedene Baukombinate leitete.

Ab 1993 hatte er auch Regierungsämter inne, Ende der 90er Jahre wurde er Wirtschaftsminister.
 

Schließlich wurde es Viktor Juschtschenko zuviel. Der ukrainische Präsident, dessen Gesicht immer noch von dem mysteriösen Giftanschlag entstellt ist, entließ die von der Revolutions-Ikone Julia Timoschenko geführte Regierung. „Meine Freunde hatten große Vollmachten, aber sie haben das in sie gesetzte Vertrauen nicht erfüllt“, erklärte der Präsident seinen radikalen Schritt. Innerhalb seiner Mannschaft sei das Vertrauen „auf Null“ gesunken, sagte Juschtschenko. Ständig sei er in den letzten Monaten damit beschäftigt gewesen, Konflikte zu schlichten.

Mit der Entlassung der Regierung ist das Bündnis zwischen den beiden populärsten Führern der „orangenen Revolution“ vom Ende des letzten Jahres zerbrochen. Gemeinsam war es ihnen damals gelungen, den wegen Wahlfälschungen und Korruption in Verruf geratenen Präsidenten Leonid Kutschma zum Rücktritt zu zwingen.

Zum neuen Ministerpräsidenten berief Juschtschenko umgehend den im Westen unbekannten Juri Jechanurow und beauftragte ihn, eine neue Regierung zu bilden. Jechanurow leitete bisher die Verwaltung in der Industrieregion Dnjepopetrowsk. Entlassen wurde auch Geheimdienstchef Aleksandr Turtschinow, als seinen Nachfolger ernannte Juschtschenko den bisherigen stellvertretenden Geheimdienstchef Igor Drischtschanow. Mit der Entlassung der Regierung versucht Juschtschenko, in dessen politischer Unterstützergruppe sich schon unmittelbar nach der orangenen Revolution erste Risse zeigten, das Heft wieder in die Hand zu bekommen.

Streit im Lager der Revolutionäre

Anfang September war bereits der Leiter der Präsidialverwaltung Oleksander Sintschenko zurückgetreten. Dieser begründete seinen Rücktritt mit der „Korruption im Umkreis des Präsidenten“. Namentlich nannte Sintschenko den Vorsitzenden des ukrainischen Sicherheitsrates, Petro Poroschenko, der wegen seiner unternehmerischen Aktivitäten im Konditoreigewerbe auch „Schokoladenkönig“ genannt wird. Poroschenko, einer der Finanziers der orangenen Revolution, trat am 8. September zurück, um wie er sagte, die Ermittlungen gegen ihn nicht zu behindern. Gleich nach dem Rücktritt des „Schokokönigs“ entzog das ukrainische Parlament Poroschenko die Immunität.

Wladimir Putin erklärte auf einer Pressekonferenz in Berlin, man solle die Situation in der Ukraine nicht dramatisieren. Er habe mit Juschtschenko telefoniert. An einer Entlassung der Regierung sei nichts Ungewöhnliches – insbesondere in Hinblick auf den zugespitzten Kampf wegen der nahenden Parlamentswahlen.

Timoschenko und Poroschenko stritten sich schon unmittelbar nach dem Sieg der orangenen Revolution um den Posten des Ministerpräsidenten. Später verschärfte sich dieser Konflikt offensichtlich durch wirtschaftliche Interessen, welche die neue Führung eigentlich aus der Regierungsarbeit heraushalten wollte. Gestritten wurde insbesondere um die ehemaligen Staatsbetriebe, welche sich in den 90er Jahren Oligarchen aus dem Umkreis des früheren Präsidenten Leonid Kutschma angeeignet hatten.

Korruptionsvorwürfe gegen Timoschenko und Poroschenko

Die Stahlfabrik „Nikopolski sawod ferrostalow“ spielte eine Schlüsselrolle im politischen Personalkarussell der letzten Wochen: Das Werk soll reprivatisiert werden, es herrscht jedoch Uneinigkeit über das Verfahren. Präsident Juschtschenko hatte gefordert, das Aktien-Kontrollpaket der Fabrik müsse dem Staat übergeben werden. Ministerpräsidentin Timoschenko machte sich für eine offene Auktion stark und setzte sich auffallend deutlich für die Interessen der Investorengruppe „Privat“ aus Dnjepopetrowsk ein. Dies brachte ihr den Vorwurf der Korrumpierbarkeit ein – von Seiten des Schokoladenkönigs Poroschenko. Seit diesem Jahr fiel das Stahlwerk in den Aufgabenbereich von Juri Jechanurow. In der Auseinandersetzung um die Reprivatisierung der Fabrik hat sich der erfahrene Wirtschaftskader offenbar viel Vertrauen beim Präsidenten erworben, was ihm dieser jetzt mit der Ernennung zum Regierungschef dankte.

Die Ukrainer stehen heute vor dem Scherbenhaufen der „orangenen Revolution“. Die Revolutionäre waren angetreten, um den Einfluß der Oligarchen auf die Staatsmacht zu beenden. Jetzt haben viele Ukrainer den Eindruck, daß die neue Elite ebenfalls ein Auge auf die Reichtümer des Landes geworfen hat.

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