13.01.2023 14:10:35
SUDOSSETIEN
Von Andrea Jeska
EM – Wo genau Südossetien anfängt, ist nicht ersichtlich. Am Kontrollpunkt der Polizei? Am Blockposten, der frierend eine Zigarette raucht? Am Schlagbaum, der an diesem Tag ohnehin geöffnet ist und den man passieren kann, ohne die modernen Wegelagerer zu bezahlen? „Weil heute Regen ist“, wie der junge Soldat sagt. An der Zunahme der Schlaglöcher, der Abnahme der Kioskdichte? Wenn öffentlich Uhren aushingen, wenn man sehen könnte, ob diese auf Moskau-Zeit und nicht auf georgische Zeit eingestellt sind, dann wüßte man, nun die Grenze überschritten zu haben. So aber muß man fragen: Ist das hier noch ein georgisches Dorf?
Erst im Zentrum von Zchinwali, der südossetischen Hauptstadt, kann man der Grenzüberschreitung sicher sein. Kyrillische Buchstaben statt der georgischen Kringel zeigen, in wessen Hände sich die kleine Rebellenrepublik, - gerade mal 3.900 Quadratkilometer ist sie groß - die bis zu ihrer Souveränitätserklärung im November 1991 georgisches Territorium war, begeben hat. Eine Souveränität, die ausschließlich von Rußland anerkannt wird und der Südossetien dessen Militärhilfe zu verdanken hat. Zerbombte Häuser, rußschwarze Wände sind Zeugnisse, welchen Preis die Lossagung hatte: Hunderte starben im Bürgerkrieg 1991 und angeblich rund 100.000 Georgier verließen ihre Heimat, die nun nicht länger die ihre war.
Zwölf Jahre später sind die in Schnee getauchten Gipfel des Kaukasus das Schönste, was Südossetien zu bieten hat. In grauen Straßen stehen graue Häuser, in denen wegen Strommangel weder Licht noch Wärme zu finden ist. Nur die sich über hölzerne Vordächer in den Seitenstraßen rankenden Weinreben lassen ahnen, wie schön es hier sein könnte, wenn Frieden wäre und Geld ins Land flösse.
Im unabhängigen Südossetien, das politisch korrekt die nicht anerkannte Separatistenrepublik Südossetien heißen muß, gibt es keine staatliche Wirtschaft. Offizielle sechzig, inoffizielle achtzig Prozent der 96.000 Bewohner sind arbeitslos. Man lebt von der Hand in den Mund, von der Mildtätigkeit Verwandter, hauptsächlich aber vom Handel mit Rußland zur einen und mit Georgien zur anderen Seite. Um Waren aus Rußland holen und georgisches Obst dorthin bringen zu können, ließen sich eine Weile lang sogar Georgier russische Pässe ausstellen - bis die Sache aufflog und der zuständige Abteilungsleiter gefeuert wurde.
Alan Parastaev leitet seit sechs Jahren eine südossetische Hilfsorganisation, die auf zivilgesellschaftlicher Ebene versucht, eine Annäherung zwischen Osseten und Georgiern zu schaffen. Recht erfolglos, wie der Vierzigjährige mit Bitterkeit in der Stimme sagt. Stets zerstöre die große Politik jede kleine Hoffnung. „Der Konflikt in Südossetien war und ist kein ethnischer. Das anzunehmen ist eine falsche Voraussetzung. Es ist ein rein politischer Konflikt. Es geht hier um viel Macht, ein bißchen Öl und auch darum, wer Recht behält im Kräftemessen.“
Politisches Kalkül steht nach Parastaevs Meinung auch mehr als ein Jahrzehnt später einer Lösung im Weg. „Jede Verhandlung scheitert. Es hat in zehn Jahren keinen einzigen Schritt vorwärts gegeben. Wir haben keinen Krieg mehr, aber das heißt noch lange nicht, daß wir Frieden haben.“ „Kann es überhaupt eine politische Lösung geben?“ Die Frage, sagt der Südossete, müsse zurückgestellt werden. „Wir hatten es mit der Antwort darauf zu eilig. Die Leute sind nicht an der politischen Seite interessiert, sie wollen einfach wieder Arbeit und ein geregeltes Einkommen. Wir brauchen weder Almosen noch Friedenskonzepte, was wir brauchen, ist Hilfe, um unsere Wirtschaft aufzubauen. Wenn alle wieder satt sind, ergeben sich manche Probleme vielleicht von alleine.“
Solche Überlegungen scheinen weit von der Realität entfernt. In Europa kräht kein Hahn nach Südossetien und auch die Russen werden wegen eines kleinen Haufens identitätskonfuser Rebellen kein Risiko eingehen. Der Wunsch mancher Südosseten, mit Nordossetien vereinigt zu werden, entweder, um einen eigenständigen Staat zu bilden oder um im Schoße der Russischen Föderation zu leben, wird kaum in Erfüllung gehen.
Georgiens Strategie ist es, Südossetien so lange bluten zu lassen, bis es zurückgekrochen kommt. Spieler, Verschwender, Trunkenbolde seien die Osseten, urteilte der französische Schriftsteller Alexander Dumas 1859. Sie gäben ihr Geld für Tabak und Branntwein aus. Nicht wenigen Georgiern klingen diese Sätze wie Musik in den Ohren. Die Argumentation, warum Südossetien keinen Anspruch auf Eigenstaatlichkeit habe, ist seit zehn Jahren dieselbe und nährt sich aus Vorurteilen und einer diffusen Herleitung uralten Landanspruchs. Vor hundert Jahren, so wird angeführt, habe es in Südossetien nur eine Handvoll Osseten gegeben, ergo sei es georgisches Territorium. Was wie ein kindliches „Alles meins“ und „was bilden sich diese Hergelaufenen ein“ klingt, ist die Angst der Georgier, ihr Land werde an den Autonomieansprüchen zerbrechen. Schließlich geht es nicht nur um Südossetien und das ebenfalls abtrünnige Abchasien im Nordwesten, sondern auch darum, Nachahmer abzuhalten. Am Schwarzen Meer leitet Aslan Abaschidse die autonome Provinz Adscharien, als sei sie sein Königreich, und dort, wo die Armenier oder die Aseris in der Mehrheit sind, wollen diese ebenfalls Autonomie oder gar Souveränität. Schon jetzt regiert Schewardnadse nur noch über 80 Prozent des eigentlichen georgischen Territoriums, da scheint Paranoia vor dem Recht der Völker auf Selbstbestimmung angebracht.
Allerdings hat die Argumentation der Georgier wider die Gebietsabtrünnigkeit der Osseten einige Makel. Erstens war es ihr Landsmann Stalin, der den Osseten als Dank für revolutionäre Rückendeckung ein autonomes Gebiet innerhalb Georgiens schenkte. Und zweitens sind die Souveränitätsbestrebungen der Minderheiten in Georgien das Ergebnis nationalistischer Großmäuligkeit. „Georgien den Georgiern“ verkündete der ehemalige Staatspräsident Swiad Gamsachurdia, kaum, daß Georgien aus dem Sowjetverband ausgeschieden war und seine Unabhängigkeit erklärt hatte.
Anders als in Abchasien, wo der Bürgerkrieg weitaus blutiger verlief und angeblich Nachbarn den Nachbarn, Freunde den Freund mordeten, kehrte in Südossetien schnell wieder Ruhe ein und hat es seitdem wenig Zwischenfälle gegeben. Zehn Jahre lang sah es so aus, als seien die Versuche der OSZE, mit russischen, georgischen und ossetischen Friedensschützern für die Einhaltung des Waffenstillstands zu sorgen, erfolgreich. Sogar Konzepte zur Rückkehr der Flüchtlinge schienen nicht mehr nur bloßer Idealismus zu sein.
Als aber im Januar 2001 der Nationalist Robert Kocharjan Präsident wurde und sich Ende desselben Jahres die russisch-georgischen Beziehungen verschlechterten, war es mit der Annäherung zwischen beiden Republiken vorbei. Georgiens Aspiration auf einen Nato-Beitritt im Jahr 2005 und die Präsenz amerikanischer Militärtrainer in Tiflis – eine Geste der Amerikaner, die vor allem darauf zielte, kräftig auf Rußlands Fuß im Kaukasus zu treten – werden von den Osseten mit Skepsis betrachtet. Seit die Georgier – ausgerechnet auf Druck der Russen – das als Rückzugsgebiet für tschetschenische Terroristen geltende Pankisi-Tal „säuberten“, fürchtet man in Südossetien, Schewardnadses militärische Putzkolonne könne auch dort einrücken.
Für die Georgier, die in Südossetien geblieben sind – schätzungsweise 15.000 – und deren Leben ohnehin einem Spagat über einer Felsspalte gleicht, sind das traurige Entwicklungen. Bondo Papuashvili, der mit seiner Familie in einem kleinen georgischen Dorf gleich außerhalb von Zchinwali lebt, wird nicht müde zu beteuern, daß Osseten und Georgier selbst während des Krieges Freunde waren. „Wir haben zusammen gegessen, Wein getrunken, geraucht. Wir haben nicht aufeinander geschossen. Es waren Soldaten, die das taten.“
Daß die Uhren in seinem Heimatdorf nun nach Moskauer Zeit gehen, die Eier beim Nachbarn zwar in Lari zu haben sind, im Lebensmittelladen aber in Rubel bezahlt werden muß, findet Papuashvili widersinnig. Mit jedem Jahr verstärke sich das Gefühl, weniger in Georgien und mehr in Rußland zu leben. Das Land zu verlassen, kommt für ihn dennoch nicht in Frage. Hier sei seine Heimat. Und außerdem sei nicht alles schlecht. Der Boden sei fruchtbar, die Lebenshaltungskosten viel niedriger als in Georgien. „Wenn du hier den Wasserhahn aufdrehst, kommt Wodka raus.“ Gerade sei sein Vater operiert worden. 200 Dollar wollen die südossetischen Ärzte dafür haben, in Tiflis wären es fünfhundert gewesen.
Der Freihandelszonen-Basar außerhalb Zchinwalis wird seiner Legende nicht gerecht. Das Angebot der Waren ist klein, verbotenes Schmuggelgut gibt es schon gar nicht. Entlang der Straße verkaufen frierende Männer Benzin aus Kanistern, Öl in Dosen, Ersatzteile für Autos. Der größte Teil des Basar-Platzes ist leer, rauhes Steppengras hat die Standplätze überwachsen, Schmelzwasser fließt die Wege entlang und verwandelt sie in knöcheltiefe Schlammrinnen. Es sei ein langer Winter gewesen, sagt einer der Marktbeschicker. Viele, die Waren aus Rußland holten und hier verkauften, hätten in diesem Jahr kein Geld. Die lange Schneephase habe die Kunden fern gehalten. Waffen? Natürlich könne man die hier kaufen. Wenn man die richtigen Leute kenne. „Öffentlich auslegen würde die keiner.“
An seinem Stand bietet er westliche Erfrischungsgetränke, Butter, Wodka, russische Zigaretten. Bezahlt werden will er in Rubel oder Dollar. Wie viel seine Produkte in georgischen Lari kosten würden, weiß er nicht.
Daß man es in der Mini-Republik zu etwas bringen kann, bezeugen die Luxuswagen, die wie Gefährte aus einer anderen Welt über die kaputten, vom Regen überschwemmten Straßen der Hauptstadt fahren. An ihren Nummernschildern sind sie eindeutig als Autos von Regierungsmitgliedern zu identifizieren. Dank des kaukasischen Hangs zu ausgeprägter Korruption lebt es sich auch in Südossetien im Umfeld des Präsidenten süß.
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