Kosovo: „Verbrecher sind besser miteinander verbunden als Politiker“EM-INTERVIEW

Kosovo: „Verbrecher sind besser miteinander verbunden als Politiker“

Kosovo: „Verbrecher sind besser miteinander verbunden als Politiker“

Die EU und die“ internationale Gemeinschaft“ sollten viel stärker auf marktwirtschaftliche Privatisierung und Transparenz im Kosovo drängen, „denn schließlich ist das ihr Protektorat“. Klare Worte eines Diplomaten. Dr. Zlatko Kramaric, Botschafter Kroatiens im Kosovo, nimmt kein Blatt vor den Mund. Mit ihm sprach EM-Autor Prof. Wolf Oschlies bei einer internationalen Konferenz im makedonischen Ohrid. Dabei ging es auch um die grassierende Korruption und um das im Kosovo besonders gut gedeihende Internationale Verbrechen.

Von Wolf Oschlies

  Zur Person: Zlatko Kramarić
  Dr. Zlatko Kramarić, geboren 1956 im slawonischen Osijek, ist kroatischer Politiker mit linksliberaler Orientierung. Er hat lange Jahre als Abgeordneter der Kroatischen  Sozialliberalen Partei, später Liberale Partei, im Parlament gewirkt, zudem zehn Jahre lang seiner Geburtsstadt Osijek als Bürgermeister eine allseits bewunderte Aufwärtsentwicklung verschafft. Seit dem Januar 2009, als Kroatien auf Druck der USA die „Unabhängigkeit“ des Kosovo anerkannte, amtiert Kramarić dort als Botschafter.
Zlatko Kramarić  
Zlatko Kramarić  

Eurasisches Magazin: Exzellenz, Sie vertreten Kroatien im Kosovo, weil Ihr Land die kosovarische Unabhängigkeit diplomatisch anerkannte. Fünf EU-Staaten haben diese Anerkennung verweigert und werden diese Entscheidung kaum revidieren. Muss Kroatien unfreundliche Reaktionen befürchten, wenn es demnächst in die EU will?

Zlatko Kramarić: Wir wussten natürlich, dass von 27 EU-Ländern fünf das Kosovo nicht anerkannt haben. Hinter jeder Anerkennung oder Nichtanerkennung steht ein bestimmter politischer Wille. Ich denke nicht, dass Kroatien mit den fünf Mitgliedsstaaten, die gegen eine Anerkennung des Kosovo sind, größere Probleme haben wird. Momentan leben wir überhaupt in geklärten Verhältnissen, da Kroatien in seiner Innen- und Außenpolitik vor allem der Politik und den Standards der Europäischen Union folgt. Ähnliches gilt für Amerika, das die Hauptrolle spielte und den größten Einfluss hatte, dass Kroatien das Kosovo als neue politische Realität anerkannte. Dabei sind wir uns auch der großen Aufgaben bewusst, die das Kosovo gegenüber seinen ethnischen Minderheiten erfüllen muss, sodann Aufgaben mit Blick auf einen Rechtsstaat, eben mehr oder minder dieselben Probleme, die alle osteuropäischen Länder seit dem Fall der Berliner Mauer hatten. Bei manchen waren sie kleiner und rascher zu lösen, bei Kroatien z.B. hat es länger gedauert und war schwieriger.

„Demokratisierung ist die einzig mögliche politische Lösung für die Region“
EM: Beiderseits der Ostgrenze des Kosovo leben Albaner, also auch im Westen der Republik Makedonien. Haben Sie als Botschafter Kroatiens auch damit etwas zu tun? Es geht schließlich um allgemein regionale Probleme, etwa die Markierung von Grenzen.

Kramarić: Zwischen Kroatien und dem Kosovo bestehen keine offenen politischen Fragen. Bereits am ersten Tag nach meiner Ankunft habe ich gesagt, dass die Politik Kroatiens der Stabilisierung der gesamten Region gilt, dass es kein Grund für Unfrieden ist, wenn gewisse Dinge nicht sofort wie gewünscht funktionieren. Weiterhin glauben wir, dass Prozesse der Demokratisierung nicht allein für das Kosovo wichtig sind, sondern vielmehr die ganze Region betreffen, also Serbien, Albanien, Makedonien, Montenegro, Bosnien-Hercegovina und wo es sonst noch Probleme in dieser Hinsicht gibt. Schließlich ist Demokratisierung die einzig mögliche politische Lösung für diese Region. Kroatien möchte, dass man andere Erfahrungen bei der Problemlösung gar nicht erst versucht.

EM: Und die Grenzmarkierungen?

Kramarić: Wir glauben, dass zwischen Makedonien und dem Kosovo das Problem der Grenzmarkierung so gut wie gelöst ist. Auch mit Albanien sollte es keine Grenzprobleme geben. Gleichfalls zeigen die Beziehungen zwischen Montenegro und dem Kosovo einen Trend stetiger Verbesserung. Dazu wird auch das neue Gesetz über die Rechte ethnischer Minderheiten beitragen, das im Kosovo in Vorbereitung ist, besonders wenn im Gesetz erstmalig ein Unterschied zwischen Serben und Montenegrinern gemacht wird, letztere also als eigene Volksgruppe auftauchen. Die Kroaten spielen bei all dem kaum eine Rolle, weil es sie im Kosovo faktisch kaum gibt. Im Übrigen sind Gruppenidentitäten im multiethnischen Kosovo nicht mehr so wichtig. Es geht darum, wie im Juni in Sarajevo versucht, das Kosovo in regionale Konferenzen zu integrieren. Dabei gibt es natürlich noch zahlreiche Probleme.

„Groß-Albanien ist nicht mehr auf der Tagesordnung“
EM: Welche sind das?

Kramarić: Die Serben bestehen zum Beispiel darauf, dass man die UN-Resolution 1244 achtet, nach der es nur ein „UNMIK-Kosovo“ gibt  und ähnliches mehr, was nur die Isolation des Kosovo verstärkt. Kroatiens Absicht ist es, positive Aspekte zu fördern, die Stabilisierung der Region zu stärken, Grenzen zu öffnen, möglichst viele Dialoge und Konferenzen zu veranstalten.
(Laut 1244 ist das Kosovo ein Teil Serbiens und bleibt es. - UNMIK ist die UN-Übergangsverwaltung).
 
EM: Eine der vielen Gemeinsamkeiten zwischen Makedonien und Albanien ist, dass mindestens die Hälfte der Nation nicht im eigenen Staat lebt. Albaner leben beispielsweise in Montenegro, Süd-Serbien, West-Makedonien, Nord-Griechenland etc. In dieser Lage wird oft, sogar mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften in Tirana, über Möglichkeiten und Chancen eines „Groß-Albaniens“ oder auch „natürlichen Albaniens“, bzw. „integralen Albaniens“ usw. spekuliert. Glauben Sie, dass solche Spekulationen einen konkreten Hintergrund haben und eine Gefahr für die Stabilität ganz Südosteuropa darstellen?

Kramarić: Gewisse Dinge sollte man ignorieren, auch solche Spekulationen, mögen sie nun von der Albanischen Akademie oder anderen Wortführern kommen. Die offizielle Politik Albaniens sind sie sowieso nicht, denn diese ist klug, beherrscht und sich bewusst, dass ein „groß-albanisches“ Projekt ein falsches Projekt ist. Es ist doch uninteressant, wenn man Wiederauflagen von Vorstellungen betreibt, die einmal vor 130 oder mehr Jahren verfolgt wurden. Damals war das „Territorium“ für alle Politiker und Intellektuellen dieser Region das A und O, heute lässt man sich von anderen Vorstellungen leiten. Ich bin überzeugt, dass Tirana es heute vorzieht, einen Staat wie das Kosovo an seiner Seite zu haben und über andere Möglichkeiten erst gar nicht nachdenken zu müssen. Auch für Makedonien und Montenegro wäre es sehr schwer, irgendeine Politik ohne die albanische Komponente zu betreiben. Natürlich leben dort und anderswo große Gruppen Albaner, aber dabei geht es nicht mehr um territoriale Fragen, sondern um Kultur, Tradition, gemeinsame Sprache. Man hat sich 100 oder mehr Jahre gestritten, jetzt erinnert man sich an andere historische Erbschaften.

EM: Heißt das, dass solche Überlegungen nur noch ein Popanz sind?

Kramarić: Also, „Groß-Albanien“ ist nicht mehr auf der Tagesordnung, es besteht nur noch in den Vorstellungen Einzelner oder kleiner Gruppen. Etwas anderes scheint gefährlicher, worauf unlängst ein Wissenschaftler von der Universität Sarajevo hingewiesen hat, dass nämlich alle Thesen über eine Teilung des Kosovo sehr brisant sind, besonders wenn sie allein die Standpunkte Tiranas und Belgrads berücksichtigen und Prishtina links liegen lassen. Damit wäre auch die internationale Politik brüskiert, und da wird es gefährlich, denn in den ignorierten Bereichen leben Menschen, agieren Parteien, bilden sich Kapazitäten und Eliten, was alles bedeutungslos sein soll, da andere kommen und ihnen vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. So etwas führt unmittelbar in die Verhältnisse der frühen 1990er Jahre, was alles andere als angenehm ist. Derzeit sollte man daran arbeiten, dass Südosteuropa möglichst bald in die EU kommt, womit die meisten der dortigen Probleme gelöst wären, speziell mit Blick auf die Unabhängigkeit von Staaten wie  Bosnien-Hercegovina und das Kosovo. Den Staat hat man schon, jetzt sollte man auch die Gesellschaft aufbauen, damit es nicht Bürger erster, zweiter und dritter Ordnung gibt.

Kosovo und der Vergleich mit dem Sudetenland von 1938
EM: Warum hat man solche klugen Überlegungen nicht schon früher angestellt? Als im Februar 2010 ein „unabhängiges“ Kosovo proklamiert wurde, hat sich mancher an die Aussage des Prager Balkanologen Filip Tesar erinnert, der gefährliche Parallelen zwischen dem Kosovo 2010 und dem Sudetenland 1938 erkannte. In beiden Fällen wurden die nicht mit einbezogen, die am meisten betroffen waren: 1938 musste die Tschechoslowakei auf 25 Prozent ihres Territoriums verzichten und bekam das Münchner Abkommen aufoktroyiert, 2010 musste Serbien auf 15 Prozent seines Territoriums verzichten. So etwas kann nicht ohne gefährliche Weiterungen abgehen, warnte Filip Tesar.

Kramarić: In gewisser Weise kann ich solche Vergleiche und Schlussfolgerungen verstehen, zumal auch demokratische Kräfte in Serbien ähnlich denken. Aber das Problem verlöre an Brisanz, wenn man die neuentstandene Lage nicht nur unter dem territorialen Aspekt sähe, sondern sie auch als Aufgabe für einen interethnischen Ausgleich auffasste: Wenn erst alle Abgeordnetensitze, Botschafterposten, Ministerämter, Offiziersränge etc. nach einem ethnischen Schlüssel aufgeteilt sind und alle Regularien am Verhandlungstisch festgelegt wurden, dann wäre das Problem gemildert, weil man nicht mehr nur über ein Territorium redete, sondern über menschliche Lebensbedingungen. Dann würde eben nicht mehr nur um 15 Prozent des Territoriums gekämpft, sondern an Menschen gedacht, die dort leben, Rechte und Bedürfnisse haben, ihren politischen Willen artikulieren.

„So wie es ist, ist das Kosovo international wenig attraktiv“
EM: Noch eine letzte Frage bitte. In ökonomischer Sicht ist das Kosovo das schwarze Loch Europas: Über 70 Prozent Arbeitslosigkeit, ärmliche Durchschnittslöhne, Import mehr als zehnmal höher als Export usw. Andererseits haben wir detaillierte Berichte von Geheimdiensten aus Deutschland, Russland und anderen Ländern, nach denen das Kosovo das wichtigste Teilstück der Routen des international organisierten Verbrechens darstellt. Hat ein solches Kosovo auch nur eine minimale Chance, ein „normaler“ Staat zu werden?

Kramarić: Diese Frage passt zu meiner Feststellung, dass nach dem Kampf um das Kosovo der ungleich schwerere Kampf um die kosovarische Gesellschaft beginnt. Sie haben die wirtschaftliche Lage, die katastrophal ist, völlig korrekt beschrieben – sie erscheint beinahe als aussichtslos! So wie das Wirtschaften derzeit betrieben wird, kann es nicht funktionieren, so dass das Kosovo keine Zukunftschance hat. Ein erster Schritt zur Besserung wäre, einen technischen Dialog mit Belgrad zu beginnen. Das Herz tut einem weh, dass der Bergwerk-Gigant Trepca nicht arbeitet, weil hier Obstruktion nach dem berüchtigten Prinzip herrscht, „meinem Nachbarn soll auch die Kuh verrecken“. Im energetischen Sektor böten sich gewisse Potentiale an, im Rohstoffbereich auch, aber noch besteht eben die Hypothek, dass durch das Kosovo die europäischen und weltweiten Schmuggelrouten für Drogen und Waffen führen, dazu die große Korruption, die allenthalben besteht. Leider nur im kriminellen Bereich demonstrieren die Kosovo-Albaner, dass sie nicht allein stehen, vielmehr in Serbien, Montenegro, ja selbst Kroatien und anderen Ländern der Region gute Partner und Helfer haben: Verbrecher sind besser miteinander verbunden als Politiker. Auch die EU und die internationale Gemeinschaft sind betroffen, denn schließlich ist das Kosovo ihr Protektorat und sie sollten dazu die richtigen Beschlüsse fassen hinsichtlich einer marktwirtschaftlichen Privatisierung, einer Transparenz etc. So wie es ist, ist das Kosovo international wenig attraktiv. Fünf EU-Staaten haben es nicht anerkannt, Großmächte wie China blockieren es, Afrika und Südafrika kennen es kaum, die islamische Welt lässt es links liegen...

EM: ... wegen kosovarischer „Freundschaft“ mit den USA?
 
Kramarić: Natürlich! Wahrscheinlich ist für islamische Staaten das Kosovo ein amerikanisches Projekt, mit dem sie noch nichts zu tun haben wollen.

EM:  Herr Kramarić, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Balkan Interview Kosovo

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