09.08.2023 13:11:56
LETTLAND
Von Birgit Johannsmeier
ie reichen Russen von Riga treffen sich im Restaurant „Linie 36“ im vornehmen Badeort Jurmala. Sogar an kühlen Tagen herrscht hier Hochbetrieb. „Ursprünglich wollte ich hier ein Sommerhaus bauen“, lacht der 43-jährige Besitzer Igor Malitschkow und schiebt seine blaue Schirmmütze in den Nacken. Doch bald wurde ihm klar, dass er aus dem Grundstück eine Goldgrube machen kann. „Zu Beginn haben wir nur Schaschlik gegrillt und Cocktails ausgeschenkt“, lacht er. „Seit allerdings so viele Moskauer Russen nach Lettland ziehen, müssen wir uns ständig erweitern, anbauen und neue Leute einstellen.“
Auch Alexander Gafin schaut nach jedem Strandspaziergang in dem Lokal vorbei. In Moskau ist der 53-Jährige durch Finanzinvestitionen reich geworden. Aber vor zwei Jahren hat er mit seiner Familie Russland den Rücken gekehrt, um an den Strand von Jurmala zu ziehen. In eine Prachtvilla vor den Toren der lettischen Hauptstadt Riga. „In Moskau zu leben, ist furchtbar“, sagt er. „Autos über Autos, man steht täglich stundenlang im Stau. Außerdem lehne ich die Politik Putins ab, sie ist willkürlich und hat nichts mit Demokratie zu tun. Hier in Lettland haben wir jetzt eine Aufenthaltsgenehmigung und dürfen frei in alle Länder der Schengen Union reisen.“
Alexander Gafin gehört zu den gut tausend vermögenden Russen, die in den vergangenen drei Jahren nach Lettland gezogen sind. Angelockt von Vorteilen, die die lettische Regierung den Russen im Gegenzug für Investitionen gewährt. Als Lettland wegen der Finanzkrise 2008 vor dem Staatsbankrott stand, beschloss das Parlament, vermögenden Russen ein Schengen-Visum anzubieten, die mindestens 150.000 Euro in lettische Immobilien oder Unternehmen investieren. Das Modell ist erfolgreich – und hat bereits Nachahmer: Gerade hat Zyperns Präsident Nikos Anastasiades den reichen Russen auf seiner Insel als Entschädigung für ihr verloren gegangenes Kapital die zyprische Staatsbürgerschaft angeboten.
Doch anders als Zypern setzen die Letten auf Transparenz. Wer in Lettland ein Konto eröffnen will, muss nachweisen, aus welcher Quelle sein Geld stammt. Die Banken informieren automatisch die russischen Finanzbehörden über die Zinserträge der Anleger. Jeder russische Investor wird zudem vom Lettischen Geheimdienst überprüft.
Und - ein Ticket in die EU als Gegenleistung für Millionen-Investitionen: Dieser Deal ist für viele Russen interessant. „Die meisten Zuzügler gehören zur Moskauer Mittelschicht. Sie haben hohe Einkommen, lieben die Demokratie und fürchten Putin. Außerdem können sie ihre Kinder bei uns auf russische Schulen schicken“, zählt Ainars Latkovskis von der liberalen lettischen Einheitspartei die Vorteile auf.
Mehr als 300 Millionen Euro investierten russische Geschäftsleute in den vergangenen Jahren in lettische Unternehmen und Immobilien. Allein die lettischen Molkereien sind bereits fast vollständig in russischer Hand. Damit haben die Russen auch einen Anteil an der raschen Erholung der lettischen Wirtschaft: Bereits Ende 2012 zahlte Lettland seinen Kredit an den Internationalen Währungsfonds früher als geplant vollständig zurück, 2014 will das Land den Euro einführen. Lettland hat einen strikten Sparkurs gefahren, die Unternehmer machten ihre Firmen wettbewerbsfähiger. „Die Russen entdecken unsere stabile Wirtschaft“, sagt der Wirtschaftsexperte Aivars Timofejews von der Stockholm School of Economics in Riga.
Doch nicht alle Letten begrüßen diese Entwicklung. Bis vor wenigen Jahren fuhr die Baltenrepublik noch einen distanzierten Kurs gegenüber Russland. Sogar russischen Touristen erschwerte die Regierung in Riga die Einreise. Zu tief steckte noch die Ablehnung gegen die ehemalige Besatzermacht, die Lettland und die anderen baltischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg kurzerhand in die Sowjetunion einverleibt hatte.
In Lettland ist bis heute jeder Dritte russischer Herkunft. Denn im Sozialismus wurden hunderttausende Russen aus den Sowjetrepubliken in den kleinen Baltenstaat umgesiedelt, um in Lettland den Kommunismus zu etablieren. Seit Lettlands Unabhängigkeit geht es darum, die russische Minderheit zu integrieren. Gerade deshalb sei ihm die Anwerbung aus Russland ein Dorn im Auge, erklärt Dzintars Rasnats von der Partei „Nationale Vereinigung“: „Die neuen Russen stärken die russische Minderheit, dadurch fühlen wir Letten uns bedroht“, sagt der Abgeordnete, der im Parlament gegen die Vergabe der Schengen-Visa gestimmt hat.
Alexander Gafin will mit seiner Familie in Lettland bleiben. Es sei gerade die gläserne Geldpolitik, von der Lettland auf seinem Weg zum Euro profitiere, sagt er. Der Finanzinvestor glaubt fest daran, dass sich Riga zu einer sicheren Drehscheibe für Investoren aus West und Ost entwickeln kann. Und Restaurantbesitzer Igor Malitschkow bietet neuerdings einen Catering-Service für russische Privatjets an. Wenn ein reicher Russe mit Freunden kurz von Riga nach Moskau jetten will, wird er mit belegten Broten, Kaviar oder Sekt beliefert.
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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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