09.08.2023 13:11:56
GELESEN
Von Hans Wagner
ann unser Empfinden von Verfluchungen und bösen Wünschen beeinflusst werden? Wenn es so wäre - warum nicht auch unsere Handlungen. Halten wir es für möglich, dass uns Furcht beschleicht aufgrund von Verwünschungen? Dass wir verunsichert werden und Fehler machen? Dass dann vielleicht tatsächlich so einiges schief geht in unserem Leben oder zumindest an dem Tag, an dem wir die Bösartigkeit erfahren mussten?
Die Floskel von „einen schönen Tag“ berührt uns vielleicht nicht. Vielleicht hören wir sie gar nicht mehr, oder sie geht uns längst auf den Zeiger, weil sie abgedroschen und hohl klingt. Aber eine aus vollstem Herzen hervorgestoßene Verwünschung? – Da würden wohl die meisten zusammenzucken. Thomas Grüter, der sich in seinem Buch mit magischem Denken befasst, fragt: „Woher stammen die Dämonen des magischen Denkens, und warum arbeitet unser Gehirn nicht rational? Wieso haben die Menschen Götter erfunden, und warum glauben sie an die Unsterblichkeit ihrer Seelen? Welcher Grad der Unvernunft ist normal, und wann wird er zum Synonym einer Geisteskrankheit?“
Grüter ist auf jeder Seite seines Buches mehr oder weniger ungehalten, über diese „Unvernunft“. – Wer befindet eigentlich darüber, was das ist? – Wir erfahren, dass das nur beim Menschen voll ausgeprägte analytisch-rationale System viel jünger ist als das alte Erfahrungssystem. Und dass uns immer noch beide prägen. Aber eigentlich will Grüter bei einem modernen Menschen nur die Ratio gelten lassen. Er räsoniert häufig darüber, dass dieses Erfahrungssystem immer noch virulent ist: „Es steuert nach wie vor unsere Gefühle und gewinnt oft genug gegen die Vernunft“. Oder wie er sagt, auch die Aufklärung und die Naturwissenschaften hätten es nicht vermocht – mit ihrer ganzen rechthaberischen Arroganz nicht - „die Ungeheuer der Unvernunft zu verjagen.“
Eigentlich müsste das zu denken geben, es müsste die Vernunft herausfordern in einem solchen Buch, die tiefen Ursachen zu ergründen. Mit Verstand zu ergründen, falls das möglich ist. Doch Grüter ergründet das alles nicht, er verurteilt. Ihm geht es darum, dieses Erbe der Vergangenheit zu überwinden. Bedauerlicherweise muss der Autor feststellen, dass magisches Denken mehrheitsfähig ist. Seine Frage „Ist magisches Denken normal?“ beantwortet er nämlich so: „Wenn die Mehrheit die Normalität bestimmt, dann ist magisches Denken zweifellos normal.“ – Aber als Leser gewinnt man mit fortschreitender Lektüre immer mehr den Eindruck, dass Grüter da lieber nicht die Mehrheit entscheiden lassen möchte. Eine demokratische Normalität mit magischen Zügen – also davon hält der Autor offenbar nichts.
Es ist schade, dass so viele Fragen überhaupt nicht gestellt werden. Magie – hat das nicht auch mit Rausch und Drogen zu tun? Oder: welche Kultur kommt ohne diese aus? Sind nicht Kulturen sogar gerade deshalb erst entstanden? Haben nicht Sesshaftigkeit und Rauschmittel sich irgendwann verbunden und ergänzt? Das behaupten nicht irgendwelche Schamanen, sondern die moderne Wissenschaft. Bei Grüter ist davon nichts zu lesen. Dafür viel über „Aberglaube“ – was immer das auch sein mag. Ein falscher Glaube an was? Dieser vielbemühte Begriff Aberglaube verrät, dass der Autor einen festen Glauben - wohl den an die Vernunft – hat, und alles was sonst zwischen Himmel und Erde, zwischen Quanten und Universen sich abspielt, fällt bei ihm unter den abwertenden Begriff des „Aberglaubens.“
Dabei schreibt er an einer Stelle sogar: „Mediziner und Naturwissenschaftler haben schon lange den Verdacht, dass unser Bewusstsein nicht alleiniger Herr im Gehirn ist.“ – Na ja.
Schließlich räumt Grüter – weil es ist wie es ist – sogar „mildernde Umstände“ ein: „Magisches Denken ist ein uraltes Erbe des Menschen, bedingt durch die Strukturen des Primatengehirns. Es entsteht im Spannungsfeld des Erfahrungssystems und des analytisch-rationalen Systems und ist deshalb unvermeidlich. Seine dauerhafte Verbannung wird uns niemals gelingen.“
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Rezension zu: „Magisches Denken: Wie es entsteht und wie es uns beeinflusst“ von Thomas Grüter, Scherz Verlag 2010, 319 Seiten, 18,95 Euro, ISBN-13: 978-3502151586.
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Zur magischen Gedankenwelt und dem großen Thema der Eurasischen Spiritualität siehe folgende Quellen und
Veröffentlichungen im EURASISCHEN MAGAZIN:
EM 10-2010 „Eurasische Spiritualität – vom Heidenpfad zum Heidenschwanz“. |
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