Menschenrechte und „ausgelöschte“ MitbürgerSLOWENIEN

Menschenrechte und „ausgelöschte“ Mitbürger

Ein Nato- und EU-Mitglied demonstriert Stolz auf seine ethnischen Säuberungen. „Faschismus auf slowenische Art“ nannte das die Wochenzeitung „Mladina“. Die EU könnte Slowenien zur Einhaltung der Menschenrechte zwingen. Doch wegen des ökonomischen Egoismus ihrer Mitgliedsstaaten sind Menschenrechte nur ein hübscher Schmuck an der EU-Fassade – klagt ein desillusionierter Vertreter in Brüssel.

Von Wolf Oschlies

S lowenien ist seit dem 29. März 2004 Nato-Mitglied, seit dem 1. Mai 2004 EU-Mitglied, hat seit dem 1. Januar 2007 den Euro als Währung und wird im ersten Halbjahr 2008 die EU-Präsidentschaft übernehmen. Ein Musterpartner unter den Neuen. Slowenien steht wirtschaftlich und sicherheitspolitisch so solide da, dass in Brüssel niemand auch nur daran denkt, die Schattenseiten dieses Musterländles am Südhang der Alpen zur Kenntnis zu nehmen. Folglich wurde es in Europa kaum registriert, dass vor genau 15 Jahren Sloweniens Weg in die Souveränität mit einer massenhaften ethnischen Säuberung begann, deren verbrecherische Natur dem Land seither mehrfach vom eigenen Verfassungsgericht, von den Vereinten Nationen, von der European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) des Europarats und anderen Institutionen vorgehalten wurde.
Rechtlich ist die Angelegenheit restlos klar – die „Massenausbürgerungen“ von 1992 waren ein Unrecht! Aber mit diesem Verdikt können die Slowenen und ihre Politiker wunderbar leben, indem sie es politisch ignorieren, xenophob legitimieren und in sprachlichem Triumph noch herausstreichen: Wenn „politische Kultur“ die staatsbürgerliche Denkweise von Menschen und ihren Umgang mit politischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung bezeichnet, dann – ist etwas faul im Nato- und EU-Staat Slowenien!

Die rassistische Erbsünde Sloweniens

Das slowenische Verb izbrisati bedeutet „auslöschen, tilgen“. Das dazu gehörige Wortfeld umfasst Substantive wie izbris (Auslöschung), Partizipien wie izbrisani (Ausgelöschte) und ähnliches mehr. Ins allgemeine Bewusstsein kamen die Begriffe am 26. Februar 1992, als die noch junge Republik Slowenien – die erst fünf Wochen zuvor von der (damaligen) EG als souveräner Staat anerkannt worden war – auf einen Schlag 29.064 nicht-slowenische Einwohner weniger hatte, etwa 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Diese Zahl ist gewissermaßen offiziell, wobei slowenische Menschenrechtler sie weiter aufschlüsseln: 18.305 Menschen seien aus den Einwohnerverzeichnissen „formal ausgelöscht“ worden, weitere 10.759 hätten vor slowenischer Behördenwillkür die Flucht ergriffen. Nach Angaben der Betroffenen waren es weit mehr, nämlich 80.000 bis 130.000, aber genau weiß es niemand.

Slowenien hatte am 25. Juni 1991 einseitig seine Sezession aus (dem noch bestehenden und international anerkannten) Jugoslawien verkündet und danach ein kurzes Scharmützel mit der Jugoslawischen Volksarmee(JNA) – die dem Auftrag jeder Armee nachkam, die Souveränität und territoriale Integrität des Staates zu schützen – siegreich überstanden. Danach wollte es möglichst rasch und radikal alle Nicht-Slowenen, die im Lande lebten, loswerden. An die „alten Minderheiten“, Ungarn und Italiener, wagte man sich nicht heran. Die anderen – Serben, Kroaten, Bosnier, Roma etc. – warf man in einer Nacht-und-Nebel-Aktion hinaus, während die Welt „abgelenkt“ war: In jenem Februar 1992 nahmen erstmals slowenische Sportler an den XVI. Olympischen Winterspielen teil (Albertsville, Frankreich) und in New York liefen die Vorbereitungen für die Aufnahme Sloweniens in die Vereinten Nationen, die am 22. Mai 1992 über die Bühne ging.
Zudem ging die Massenvertreibung der verhassten „faulen Südländer“ ganz lautlos, ja elegant vor sich. Es gab keine physische Gewalt, keine zerstörten Häuser, verminten Wege – nur die bürokratische kalte und ökonomisch einträgliche Beraubung von 30.000 oder mehr Mitbürgern, die Bleiberecht, Wohnungseigentum, Arbeitsplätze, Versicherungen, Sparguthaben, Rentenansprüche etc. verloren. Der relative Wohlstand Sloweniens basiert zum nicht geringen Teil auf dem damaligen Diebstahl, auf den die Slowenen immer noch stolz sind: Laut einer Repräsentativumfrage vom Oktober 2003 sind nur acht Prozent von ihnen der Meinung, dass den „izbrisani“, also den „ausgelöschten“ Mitbürgern, ein „Unrecht“ (krivica) geschehen sei.  Aber 23 Prozent hielten sie für „Spekulanten“, 57 Prozent gar für „JNA-Sympathiseure und Feinde unserer Unabhängigkeit“.

„Izbrisani“ haben Rechte – die Slowenien ihnen auf Dauer verweigert

Das Gros der „Ausgelöschten“ seien Zivilisten gewesen, heißt es, lediglich etwa 2.000 waren Angehörige der Jugoslawischen Volksarmee(JNA), die im Frühsommer 1991 einen „Krieg“ gegen Slowenien geführt und verloren hatte. So besagt es die offizielle slowenische Sichtweise der damaligen Ereignisse, die indirekt auch suggeriert, dass Slowenien 1992 mit vollem Recht gehandelt habe: Wer sich zu Beginn der 1990-er Jahre als „Feind“ Sloweniens erwiesen habe, sei rechtmäßig aus dem Lande geworfen worden und dieser Schritt könne heute nicht rückgängig gemacht werden. Das alles bestätigt nur die Ansicht von Warren Zimmermann, dem letzten US-Botschafter in Jugoslawien, der den Slowenen damals attestierte, den Krieg mit der JNA gewollt zu haben, da er den „Abschied“ von Jugoslawien nur beschleunigen konnte.

Aber solche Fragen, die ohnehin nie zu beantworten sein werden, sind im Zusammenhang der „ausgelöschten“ Mitbürger belanglos. Was damals geschah und seither die politische Atmosphäre in Slowenien „anheizt“, hat Aurelio Juri, Abgeordneter der Vereinigten Liste der Sozialdemokraten (ZLDS), am 7. Dezember 2003 im Slowenischen Fernsehen so dargestellt: Vielleicht habe es 1991/92 ein paar Gegner Sloweniens und seiner Eigenstaatlichkeit gegeben. Aber die meisten derer, die keine Slowenen waren, jedoch seit Jahren in Slowenien lebten, hätten sich 1990 bei einem Referendum für die Souveränität Sloweniens ausgesprochen. Sie seien dann 1992 aus den Einwohnerregistern getilgt worden - auf illegale Weise und unter Verletzung von Menschenrechten. Wenn sich damals jemand schuldhaft verhalten hätte, dann wären „andere Wege“ möglich gewesen, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Da eine solche Prüfung aber unterblieben sei und eine kollektive Verdächtigung und Vertreibung von Nicht-Slowenen praktiziert wurde, könne man gegenwärtig nicht mehr die Frage nach strafrechtlich relevanter Schuld stellen.

Der geschmeidige Peterle zeigte sich als skrupelloser Demagoge

Juri tat diese Äußerungen in einem Streitgespräch mit Alojz Peterle (*1948), der 1990-92 erster Premier der souveränen Republik Slowenien war. Peterle genoss später in der EU ein sehr hohes Ansehen, das er auch mit wohlklingenden Reden über Menschenrechte, Moral, Demokratie etc. geschickt zu fördern wusste. Ob alles, was der dabei äußerte, seiner wirklichen Überzeugung entsprach, dürfte zumindest nach seinem TV-Auftritt vom 7. Dezember 2003 fraglich sein. Bei diesem erschien er eher als skrupelloser Demagoge und berechnender Populist. Gefragt, ob 1992 „Fehler“ gemacht wurden und ob es derzeit um das Gesetz oder die Moral ginge, antwortete er: Seine Beamten hielten sich 1992 an Gesetze, wie sie damals bestanden, „Slowenien hat sogar gute Noten wegen seiner Achtung der Menschenrechte bekommen“, die Politisierung der Angelegenheit  kam erst später auf und hält bis heute an. Derzeit von „Fehlern“ zu sprechen heiße, „unseren Weg zum Rechtsstaat in Frage zu stellen“. Fehler könnten schon deshalb nicht vorgefallen sein, weil alles „höchst demokratisch“ abgelaufen sei. Peterle: „In unserer Verfassung ist geschrieben, dass Slowenien ein demokratischer Staat ist". – So einfach ist das.

Das war blanker Zynismus gemäß der Morgenstern’schen Einschätzung, „dass nicht sein kann, was nicht sein darf“. Slowenien war durch sein eigenes Verfassungsgericht (Ustavno sodišče, US) im Februar 1999 und im April 2003 auf die Unrechtmäßigkeit des damaligen Vorgehens verwiesen und zu lückenloser Wiedergutmachung verpflichtet worden. Die slowenische Regierung brachte Anfang November 2003 „im Eilverfahren“ ein „technisches Gesetz“ mit 45 gegen 19 Stimmen durch, das etwa 5.000 der „Ausgelöschten“, denen bereits ein „stän­diger Aufenthalt“ erlaubt worden war, alle seit 1992 aberkannten Rechte zurückgab und ihnen zudem die Möglichkeit einräumte, „finanzielle Entschädigung“ zu verlangen. Anders ver­hielt es sich bei denen, die zwar auch 1992 „ausgelöscht“ wurden, bislang aber noch keinen „ständigen Aufenthalt“ bekamen; bei ihnen sollte geprüft werden, ob sie sich für längere Zeit außerhalb Sloweniens aufgehalten haben oder durch künftige „Systemgesetz“ dem vom „tech­nischen Gesetz“ Betroffenen gleichgestellt werden könnten.

Daraus wurde nicht viel, weil man im Sommer 2004 ein eiliges Referendum über das „technische Gesetz“ anberaumte. Daran beteiligten sich lediglich 31 Prozent der Stimmberechtigten, die aber zu 94 Prozent gegen das Gesetz votierten. Das genügte der Regierung, um in Untätigkeit zurückzufallen: Sollen die „izbrisani“ doch Demonstrationen und Hungerstreiks veranstalten, solange die Slowenen mehrheitlich dafür sind, denen Rechte und Entschädigungen zu verweigern, und die internationale Gemeinschaft sich einen feuchten Kehricht um diese fortgesetzten Rechtsbrüche kümmert, ist in Ljubljana die Welt in Ordnung.

Gegenwärtiges Slowenien wie „Deutschland vor 70 Jahren“?

Hauptargument derer, die gegen das Gesetz votierten, waren die „unübersehbaren finanziellen Folgen“. Wie hoch die finanziellen Folgen wirklich sein würden, wusste niemand, und serbische Schätzungen von 600 – 800 Milliarden slowenischer Tolar (SIT, 1 Euro = 230 SIT) waren eindeutig überhöht. Das „technische Gesetz“ hatte zwar die entschädigende „Möglichkeit“ eingeräumt, aber die konnte nur in einem Gerichtsverfahren erstritten werden. Es würde noch viel Zeit vergehen, bis ein einziger Tolar Entschädigung zu zahlen wäre. Allein die Vorstellung, dass Slowenien Entschädigungen an Serben, Bosnier etc. zahlen müsse, schloss die Slowenen (deren Geiz im alten Jugoslawien in ungezählten Witzen verewigt worden war) in einer nationalen Front der Zahlungsverweigerer zusammen. Wofür hatte schließlich die Regierung lange Jahre hindurch Klagen von „Ausgelöschten“ mit dem Hinweis ablehnen lassen, dass sich kein Zusammenhang zwischen individuell erlittenen Schäden und der „Auslöschung“ nachweisen lasse?

Auch die „Ausgelöschten“ selber und ihre Rechtsvertreter wussten, dass Geld die Hauptsache war. Aleksander Todorovič, Vorsitzender einer „Gesellschaft der Ausgelöschten“ (Društvo izbrisanih), meinte, dass Gespräche mit gewissen Slowenen ohnehin zwecklos seien, da alles letztlich bei der Frage landen würde, „wie sich der Staat an der Auslöschung bereichert hat“. Sloweniens führender Menschenrechtler Matjaž Hanžek brachte 2003 große Teile der slowenischen Öffentlichkeit gegen sich auf, als er in zwei TV-Interviews erklärte, dass ihn das, was in Slowenien ablaufe, an die „Zeit in Deutschland vor 70 Jahren“ erinnere. Am 9. Dezember war Hanžek im Staatsfernsehen zu Gast und wurde auf diese Äußerungen angesprochen: „War­um so scharf?“, wurde er gefragt. Weil die Analogien zum nationalsozialistischen Deutschland so offenkundig seien, antwortete er. Dazu führte er aus: Die aggressive Sprache sei dieselbe, die Suche nach „Feinden“, denen man für alles die Schuld geben könne, desgleichen, die überzogene Propaganda „ohne jeden Bezug zur Realität“, die „erdachten und falschen Zahlen“. Alles das seien „Dinge, die einen erschrecken lassen, weil man sie aus der Geschichte kennt“.

„Faschismus auf slowenische Art“

Natürlich war Slowenien niemals eine Gegenwartskopie des Deutschlands der 1930-er Jahre. Es löste aber mit seiner Politik ungute Assoziationen aus. Beispielsweise im Juli 2003 bei der ECRI, die Slowenien tadelte, „that problems of racism and intolerance persist and that improvements in the situation of the ex-Yugoslav minority groups, many members of whom are still non-citizens, will depend an the speed and efficiency of implementing the new legislation“.

In Slowenien hatte damals allein die Wochenzeitung „Mladina“ den Mut, das allgemeine Schweigen zu brechen und das Land gerade am Beispiel der „Ausgelöschten“ als „Balkan-Ländchen“ (balkanska deželica) vorzuführen, das mit einem „Faschismus auf slowenische Art“ (fašizem po slovensko) eine „ethnische Säuberung“ und „Homogenisierung der Nation“ betreibe.

Inzwischen sind weitere vier Jahre vergangen und laut Klage der ECRI von Anfang Februar 2007 ist die Frage der „izbrisani“ so „offen“ wie über all die 15 Jahre seit ihrem Aufkommen. Die Slowenen wollen ihr Unrecht und ihre Pflicht zur Wiedergutmachung nicht eingestehen und sie müssen es auch nicht. In Ljubljana lief bis zum 7. März 2007 eine „Woche der izbrisani“, in Brüssel hat ihr Repräsentant Matevž Krivic Ende Februar 2007 eine Petition eingereicht – für die sich die EU umgehend als „nicht zuständig“ erklärte. Es wird nichts herauskommen, erklärte Krivic: „Die EU wäre die einzige Institution, die Slowenien zur Achtung der Menschenrechte zwingen könnte, weil es sonst niemand tut. Aber es ist äußerst naiv, von der EU derartiges zu erwarten, denn wegen des ökonomischen Egoismus ihrer Mitgliedsstaaten sind Menschenrechte nur ein hübscher Schmuck an der EU-Fassade“. 

Balkan EU

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