„Moscoviada“ von Juri AndruchowytschGELESEN

„Moscoviada“ von Juri Andruchowytsch

Anfang der neunziger Jahre schrieb sich der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch die Prosa „Moscoviada“ von der Seele, um, wie er selbst sagte, die „imperialen Gespenster“ der in Auflösung begriffenen Sowjetunion zu vertreiben. Nun ist der Roman auch in deutscher Sprache erschienen.

Von Katharina Spielmann

„Moscoviada“ von Juri Andruchowytsch  
„Moscoviada“ von Juri Andruchowytsch  

M oscoviada“ ist ein einigermaßen verrücktes Buch. Der absurde Humor Andruchowytschs vermischt sich mit zuweilen unerwarteten und geistreichen Referenzen an die klassische Literatur und erzeugt mit schrägen Charakteren und heruntergekommen, chaotischen Schauplätzen eine surreale, geradezu karnevaleske Stimmung. Umso erfreulicher ist es da, dass Sabine Stöhr diesen schwierigen Text souverän und treffend ins Deutsche übersetzt hat.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Andruchowytschs alter ego Otto von F., Literaturstudent aus der Westukraine, der am Gorki Institut in Moskau studiert, während die Sowjetunion zusammenbricht. Moskau ist zu dieser Zeit eine anarchische und brutale Stadt. Hier, im „fauligen Herzen des halbtoten Imperiums“ bricht Otto von F. aus dem Wohnheim des Instituts auf, um an der Gründung einer Untergrundzeitung teilzunehmen und im Kindergeschäft „Detskij Mir“ (Kinderwelt) Geschenke für die Kinder seiner Freunde zu kaufen.

In die Fänge des KGB geraten

Auf dem Weg kämpft er sich durch wüste Gelage und aberwitzige Diskussionen mit seinen Kommilitonen aus allen Teilen der Sowjetunion, wird Zeuge der Sprengung eines wirklich widerlichen Imbiss-Lokals, streitet sich brutal mit seiner Geliebten (inklusive Ohrfeigen und fliegendem Bügeleisen), verliert Mantel und Brieftasche und verirrt sich schließlich in der Kanalisation unter dem Kinderkaufhaus, wo er eine geheime Regierungs-Metrolinie entdeckt und schließlich in die Fänge des KGB gerät.

Otto von F. deliriert durch die Straßen Moskaus und trifft dabei auf ein Sammelsurium grotesker Charaktere: den jungen Ruslan, der beim nächtlichen Beschaffen des chronisch knappen Wodkas aus dem siebten Stock fällt, die völlig durchgeknallte Schwedin Astrid, die mit ihm extreme Sauf-Orgien feiert, seine aktuelle Geliebte Galja, die sich später als Schlangengiftexpertin des KGB erweist, einen stehlenden Zigeunerbaron und den Geheimdienstoffizier Saschko, der ihn erpresst und später sogar durch vom KGB gezüchtete Spezial-Ratten umbringen lassen will. Dazu kommen jede Menge betrunkener und degenerierter Offiziere, mafiöse Gestalten, prügelnde Sicherheitsmänner, „Veteranen, Neger, Armenier, Chinesen, Genossen,  Spartak-Fans, Sergeanten, Rückfalltäter und Lenin-Besucher.“

Ein Buch an einem Stück - vorzugsweise direkt in Moskau zu lesen

„Moscoviada“ liest sich wie ein in einem Zug hastig durchgeschriebener Trip, und ebenso kann man das Buch auch an einem Nachmittag an einem Stück durchlesen - vorzugsweise direkt in Moskau. Viele der Bilder, Anspielungen und Figuren lassen sich nur wohl verstehen, wenn man Moskau, bzw. Russland aus eigener Anschauung kennt. Dann allerdings ist der Roman sehr unterhaltsam und bietet eine der wohl besten Darstellungen der grotesken Atmosphäre im Moskau der neunziger Jahre. Und einige der beschriebenen „Gespenster“ des Imperiums lassen sich wohl auch heute noch in der russischen Hauptstadt antreffen.

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Rezension zu: „Moscoviada“, von Juri Andruchowytsch, aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr, mit einem Nachwort des Autors, Suhrkamp Insel, Frankfurt/M. 2006, 224 S., gebunden, 22,80 Euro, ISBN 3-518-41826-2.

Rezension Russland Ukraine

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