Ökotourismus im Tal des TerrorsGEORGIEN

Ökotourismus im Tal des Terrors

Ökotourismus im Tal des Terrors

Im georgischen Pankisi-Tal trainierte einst Al Kaida. Heute kann man dort wandern, den sufischen Zikr lernen und in neu eingerichteten Ferienwohnungen übernachten.

Von Andrea Jeska

D er Polizeichef von Duisi, dem georgischen Kaukasusstädtchen  im berüchtigten Pankisi-Tal, will eigentlich keine Fragen beantworten. Seine Vorgesetzten sitzen in der georgischen Hauptstadt Tiflis und haben eine Pressestelle, die für Auskünfte zuständig ist. Aber einer von uns ist mit einem seiner Kumpel verwandt, und solche familiären Beziehungen gelten im Südkaukasus immer noch mehr als Hierarchien. Wir sollten nur seinen Namen nicht nennen, sagt er.

In seiner Behörde ist der Polizeichef von Duisi der einzige Beamte, den man nicht von außen bei der Arbeit beobachten kann, weil sein Büro durch bewegliche Wände vom Rest des Gebäudes abgetrennt ist. Das fast nagelneue Präsidium der Polizei im Pankisi-Tal, im Nordosten Georgiens, an der Grenze zu Tschetschenien gelegen, ist ein gläserner Bau, wie alle neuen Präsidien des Landes. Wegen der Transparenz, sagt der Polizeichef, und grinst schief, als habe er ein unanständiges Wort ausgesprochen.

Im berückend schönen Tal liegt die Kriminalitätsrate bei Null

Über Pankisi im Jahr 2011 gibt es, wenn man dem Polizeichef glaubt, nur Gutes zu erzählen. Das 38 Kilometer lange Tal ist berückend schön mit seinen grünen Wiesen, den darüber wuchernden schneebedeckten Gipfeln, den freilaufenden halbwilden Pferden. Kisten wohnen dort, Verwandte der tschetschenischen Wainachen, die vor einigen hundert Jahren über den großen Kaukasus kamen und Georgier wurden. „Nirgends im Land“, sagt der Polizeichef, „ist die Kriminalitätsrate so niedrig wie hier: fast null Prozent.“

Ein Jahrzehnt ist es her, dass der von Russland zum Top-Terroristen erklärte Ruslan Gelajew, wegen seiner rücksichtslosen Kampfhaltung „Schwarzer Engel“ genannt,  und seine Männer im Tal weilten. Pankisi galt als eine der vielen Vorhöllen, die es damals im Kaukasus gab. Schmuggelroute für Waffen und Drogen, Ort, an dem man sich seiner Feinde entledigen konnte, Rückzugs- und Trainingsgebiet tschetschenischer Terroristen. Südossetien, die georgische Separatistenrepublik, an der sich 2008 der russisch-georgische Krieg entzündete, war auch so eine Vorhölle, Tschetschenien sowieso und ebenso Nord-Ossetien, seit der Terrorismus sich dort an Kindern verging, an der Schule Nummer 1 in Beslan.

So viele Flüchtlinge, wie das Tal Bewohner hat

Damals hat die russische Regierung spekuliert, auch Osama bin Laden sei in Pankisi, und die Tschetschenen machten dort gemeinsame Sache mit Al Kaida. Aus dieser Argumentation hätte Russland gerne das Recht bezogen, in Pankisi einzumarschieren. Offiziell hieß es, die georgische Regierung habe aufgrund der hohen Kriminalitätsrate und der abgelegenen Position des Tals keine Kontrolle über die Region, ganz offen aber redete man damals in Tiflis darüber, welcher Minister und welcher Geschäftsmann sich am Drogen- und Waffenschmuggel beteiligte und bereicherte. Die Grenze zu Tschetschenien wurde von Kräften des georgischen Innenministeriums bewacht, dem korruptesten aller Ministerien.
Zur georgisch initiierten Kriminalität kamen damals die Aktivitäten der tschetschenischen Terroristen und die Armut der rund 7.000 Flüchtlinge, die seit Beginn des II. Tschetschenienkrieges nach Pankisi geflohen waren, so viele, wie das Tal Bewohner hat. Diese darbten mehr als sie lebten, manchmal mehrere Familien in einem Zimmer, ohne Verdienst und Aussicht auf Rückkehr in ihre Heimat, versorgt vom Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees UNHCR) und einigen anderen Organisationen. Und natürlich waren die tätigkeitslosen jungen Männer anfällig dafür, sich dem bewaffneten Widerstandskampf um Tschetschenien anzuschließen.

„Wir müssen nicht mehr von Korruptionsgeldern leben.“

Duisis Polizeichef hat für die Wandlung des Tals von Saulus zu Paulus eine einfache Erklärung. Er weist auf die nagelneuen Toyota Geländewagen vor der Tür. „Wir haben endlich Autos. Und erhalten Lohn. Wir müssen nicht mehr von Korruptionsgeldern leben.“ Tatsächlich ist es Saakashvili gelungen, die Korruptionsrate unter Polizisten um ein Viertel zu senken, schätzt die ehemalige Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, heute GIZ, die in Georgien seit 1996 juristische Reformen unterstützt. Maßgeblich dafür ist die Bezahlung von Polizei und Sicherheitskräften, sowie die Entlassung von 16.000 Polizisten, die mit dem alten System verbandelt waren.

Auch in Pankisi kontrolliert nun die Polizei die Grenzen. Trotz der neuen Sicherheitslage aber rissen die Gerüchte um das Tal nicht ab, weil die Kisten Moslems sind und neue Moscheen gebaut wurden, wird in der 180 Kilometer entfernten Hauptstadt Tiflis „Wahabismus“ kolportiert. Doch der Polizeichef winkt ab. Das sei Quatsch, die religiöse Ausrichtung der Bewohner friedlich und ehemals extremistische Ausrichtungen seien lediglich Auswirkungen des Tschetschenienkrieges gewesen und mit diesem beendet worden. Im Gegenteil sei die heutige Religiosität unter den jungen Leuten gut für das Tal. „Sie trinken nicht, sie nehmen keine Drogen und ihre Wertvorstellungen sind auf Familie ausgerichtet.“

„Wir haben die Vergangenheit hinter uns gelassen.“

Ab 2005 bemühte sich die Regierung Saakashvilis um Rückführung der Flüchtlinge oder Unterbringung in anderen Ländern. Dscharaf Changoshvili, Bürgermeister von Duisi, dem Hauptort im Tal, schätzt, dass noch ungefähr 500 Flüchtlinge im Tal leben, aber längst integriert seien. „Die UN hat ihnen Holzhäuser gebaut und ein Stück Land gegeben. Sie leben, wie alle anderen auch.“ Changoshvili unterstützt die Aussage von der neuen Sicherheit im Tal. „Als die Regierung begann, sich endlich zu kümmern, endete unser Elend. Wir haben die Vergangenheit hinter uns gelassen.“
 
Auch die Hilfsorganisationen haben sich zurückgezogen. Der UNHCR beendete seine Arbeit im Jahr 2009 und übergab an die Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen, den UNDP. Der erstellte für die zu 75 Prozent arbeitslosen und von Subsistenzlandwirtschaft lebenden Bewohner von Pankisi im vergangenen Jahr einen sozialen und ökonomischen Entwicklungsplan. Finanziert werden Ausbildungsprojekte im Bereich Herdenhaltung, Imkerei und Schreinerei. Seit einigen Monaten fließt auch japanisches Geld nach Pankisi: die dortige Regierung unterstützt Bildungsprogramme. Mit privaten Spenden wird die Roddy-Scott-Stiftung finanziert, an der die Jugend von Pankisi Englisch lernt. Scott, ein britischer Journalist, war 2002 mit Gelajew zusammen erschossen worden.

Ferienwohnungen, wo einst Al Kaida agierte

Um die Einführung von Tourismus bemüht sich das polnische Außenministerium. Mit deren finanzieller Hilfe werden in Privathäusern Ferienwohnungen geschaffen, die religiösen Traditionen des Tals wieder belebt, die ehemaligen Wege, auf denen die tschetschenischen Rebellen den Großen Kaukasus überquerten, zu Wanderpfaden ausgebaut.

Frontfrau der neuen touristischen Entwicklung ist die 70jährige Magvala Margoshvili. Die ehemalige Krankenschwester gründete schon 1999 die Organisation „marshua kavkaz“ (Frieden für den Kaukasus), um den Ruf des Tals als Terrorhort zu entkräften. Margoshvili initiiert heute Filz- und Kochkurse und Kulturabende. Vor allem aber erweckte sie den „weiblichen Sufismus“ mit ihrer Gesangsgruppe Daimoakh (Mutterland) wieder zum Leben. Die Mitglieder singen sich in der Tradition des „Zikr“ (Anbetung) mit Gedichten und Gebeten in Trance. „Wir Kisten gehören zu Georgien, aber unser Herz ist in Tschetschenien“, sagt Margoshvili. „Diese innere Spaltung haben Kriminelle und Kriegstreiber immer genutzt, um mein Volk zu missbrauchen. Wenn wir uns wieder auf unsere Sufi-Traditionen besinnen, dann ist das Heilung, kein neuer Wahabismus.“

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