Pferde-Urin und TaugenichtseKASACHSTAN

Pferde-Urin und Taugenichtse

Pferde-Urin und Taugenichtse

Fünfzehn Jahre nach dem Ende der Sowjetunion hat sich die einstige Sowjetrepublik Kasachstan zum „Kuweit Zentralasiens“ gemausert. Gebrauchtwagen aus Deutschland sind der Renner. Doch am neuen Reichtum haben die wenigsten Teil. Und einige vermissen auch Errungenschaften von einst, wie Ferienlager und kostenlose Medizinversorgung.

Von Cornelia Riedel

Über Kasachstan wissen die meisten Leute in Europa fast gar nichts. Pferde-Urin würden die Leute hier trinken und Esel vor ihre Autos spannen – das behauptet zumindest MTV-Komik-Star Sacha Baron Cohen alias „Ali G.“, wenn er als Kasache „Borat“ im Fernsehen oder in seinem neuen Film auftritt. Doch eigentlich ist alles ziemlich anders im 5.000 Kilometer von Deutschland entfernten Kasachstan. Das Nationalgetränk ist zwar vergorene Stutenmilch, doch statt der Eselwagen gibt es dutzende schicke Geländewagen – zumindest auf den Straßen der quirligen Metropole und Ex-Hauptstadt Almaty. An alte Zeiten erinnern hier nur die rostig-klapprigen Schigulis und Ladas aus UdSSR-Produktion, die jetzt als Taxis durch die Stadt fahren.

In dem seit 1991 selbständigen neuntgrößten Land der Erde gibt es auch noch den austrocknenden Aralsee und in Jurten lebende Nomaden. Hier, zwischen China und Russland, treffen alte sowjetische Lenin-Büsten auf orientalische Basare und ganz viel neumodischen Chrom, Glas und Glitzer. Menschenleere Nobel-Boutiquen stehen neben kleinen Kiosken und Obst verkaufenden Omas.

Fotos: Cornelia Riedel

Autos spielen eine große Rolle vor allem bei jungen Kasachen

Almaty, die ehemalige Hauptstadt, ist heute Öl- und Finanzmetropole des Landes, hier konzentriert sich der Reichtum. „Sehen Sie“, sagt der 35-jährige Taxifahrer Alexej, „als ich noch zur Schule ging, fingen dort kurz hinter dem Zentrum schon die Schafweiden an und jetzt muss ich Angst haben, meine Kinder allein über die Straße zu lassen wegen des vielen Verkehrs!“

Überhaupt, Autos – die spielen eine große Rolle hier in Kasachstan und besonders bei den Jungen. Ganze Familien legen Geld zusammen, damit ein schicker fahrbarer Untersatz gekauft werden kann. Mischa hat sich gerade einen gebrauchten Audi 100, Baujahr 1991, auf dem Gebrauchtwagenmarkt an der Ausfallstraße ins kirgisische Bischkek besorgt. Der Verkäufer hatte den Wagen tausende Kilometer weit aus dem schwäbischen Aalen direkt in die kasachische Metropole gefahren. „Deutsche Autos, das ist gute Qualität, so etwas will hier jeder“, schwärmt Mischa und erzählt von seinen Freunden, die die Limousinen aus Deutschland oft für das Doppelte auf dem kasachischen Markt weiterverkaufen.

Kasachstan wird auch „das Kuweit Zentralasiens“ genannt wegen der reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen. Die Rohstoffe haben dem Land einen enormen Boom beschert. Neun Prozent Wirtschaftswachstum hat Kasachstan in diesem Jahr wieder erreicht und ist damit weit erfolgreicher als seine Nachbarstaaten, die anderen „Stans“, wie die zentralasiatischen Republiken Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan genannt werden.

„Viele Kinder wissen heute nicht mehr, was eine Urlaubsreise ist“

In den 90er Jahren haben die Kasachen ein riesiges Ölfeld im Kaspischen Meer entdeckt. Doch dicke Geländewagen und teure Klamotten sind nur einer kleinen Elite vorbehalten. Vom Reichtum im Lande Dschingis Khans bekommen nur wenige etwas ab, 400 Dollar sind der Durchschnittslohn, und ein Großteil der Kasachen sehnt sich zurück in die Sowjetunion – auch wenn die meisten Jungen die UdSSR nur noch aus den Geschichten ihrer Eltern kennen: „Jetzt haben wir die Freiheit und können reisen, wohin wir wollen und es gibt alles zu kaufen, doch wir haben kein Geld dafür“, sagt die 27-jährige Nadja Burluzkaja, die als Sekretärin 300 Dollar im Monat verdient. Zu Sowjetzeiten, als Kasachstan noch die Kasachische Sowjetrepublik war, sei das anders gewesen. „Meine Eltern sind damals einfach so nach Moskau geflogen und jetzt macht sich meine Mutter schon Sorgen, wenn ich mal nicht zur rechten Zeit nach Hause komme, weil es so gefährlich geworden ist“, erzählt die 19-jährige Nastja. Sie hat Germanistik studiert und träumt davon, nach Deutschland zu fahren. Doch schon eine Reise ins 200 Kilometer entfernte kirgisische Bischkek ist für sie zu teuer. „Viele Kinder wissen heute nicht mehr, was eine Urlaubsreise ist, sind noch nie mit anderen Kindern weggefahren, wie damals in die Pionierlager“, bedauert Ludmilla, die gerade ihre Tochter für Sprachferien nach Deutschland schickt und dafür ihre Wohnung untervermietet.

Unsicher in ihrem Land fühlt sich auch Olesja Klimenko. Die 27-Jährige sagt: „Heut hab ich einen Job und unsere Drei-Zimmer-Wohnung, doch ob das alles morgen oder nächstes Jahr noch so ist und ich das Schulgeld für meine Kinder bezahlen kann, das weiß ich nicht.“ Zu Sowjetzeiten war das besser: „Jedes Kind hat die gleiche Bildung und medizinische Versorgung bekommen, egal, ob mit reichen oder armen Eltern – alle waren gleichberechtigt, das hat mir gefallen! Jetzt kosten Schule, Universität und Krankenhäuser, obwohl es laut Gesetz umsonst sein sollte! Und es gab weder Obdachlose noch Arbeitslose!“

Ohne Hilfe ihrer Eltern wären viele junge Kasachen aufgeschmissen

Ein bisschen wie „Tunichtgut“ klingt heute das Wort „Tunejadez“: „Taugenichtse“ hießen damals die, die nicht arbeiten wollten. „Nach sowjetischem Gesetz hatte jeder ein Recht auf Arbeit und wer partout nichts tun wollte, den haben die Nachbarn oder gleich das ganze Dorf in die Fabrik bewegt“, erzählt Wladimir, der gerade sein Studium beendet hat und für 100 Dollar pro Monat in einem Wirtschaftsbüro in Almaty aushilft. 300 Dollar bezahlt er für eine Einraum-Wohnung, in der er mit seiner Schwester lebt. Ohne die Hilfe seiner Eltern wäre das nicht möglich.

Seit dem Ende der Sowjetunion regiert Nursultan Nasarbajew das Steppen- und Gebirgsland zwischen dem Kaspischen Meer und China. Der Despot fördert die Wirtschaft und herrscht gleichzeitig mit harter Hand: Oppositionelle werden eingeschüchtert, einer wurde erst im Frühjahr ermordet, und vor ein paar Wochen hat der Präsident ein neues Gesetz unterzeichnet, das die Freiheit der Medien in Kasachstan noch mehr beschränkt. Eine neue Zeitung zu gründen ist jetzt noch viel schwieriger und wer einmal Chef eines Mediums war, das von Staats wegen geschlossen wurde, der kann kein Medienunternehmen mehr leiten.
Doch die Wirtschaft boomt und so haben zumindest nach offiziellen Angaben bei den Präsidentschaftswahlen vergangenen Winter 91 Prozent der Kasachen Nasarbajew wiedergewählt, denn er gilt als Garant für den Aufschwung.

Glück durch den Händedruck des Präsidenten

Glück erwartet jedes Brautpaar, das am Hochzeitstag seine Hand in die des Präsidenten legt. Auf dem zentralen Platz der Republik steht sie als Bronzeabdruck jedermann zur Verfügung. Geheiratet wird in Kasachstan zeitig, verheiratet sein gehört zum guten Ton und mit 25 haben die meisten schon eine Familie. Der 27-jährigen Nadja ist das ziemlich egal, sie ist Single und sagt: „Viele meiner Freundinnen haben einfach einen Mann mit großem Auto und viel Geld geheiratet, ich will aber einen, der mich liebt und den ich auch liebe, da warte ich lieber.“ Immer mehr Leute lassen sich auch in Kasachstan scheiden, „das wäre in der Sowjetunion undenkbar gewesen, auch das Zusammenleben in Wilder Ehe“, erzählt Nadja.

 

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Cornelia Riedel ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

Kaukasus Wirtschaft Zentralasien

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