„Russland – Herzschlag einer Weltmacht“ von Kai EhlersGELESEN

„Russland – Herzschlag einer Weltmacht“ von Kai Ehlers

In dieser Auseinandersetzung des deutschen Transformationsforschers Ehlers mit dem russischen Poeten Berschin kommen Eigenschaften und Befindlichkeiten über den „eurasischen Integrationsknoten“ Russland und seine Menschen zutage, die man sonst nirgends findet.

Von Hans Wagner

„Russland – Herzschlag einer Weltmacht“ von Kai Ehlers  
„Russland – Herzschlag einer Weltmacht“ von Kai Ehlers  

D er Autor hat eine geradezu intime Art, sich Russland zu nähern und ihm den Puls zu fühlen. Das liegt sicher daran, dass es eine alte Liebe ist, die er auf vielen Reisen immer wieder von neuem aufgefrischt hat. Kai Ehlers berichtet hiervon mit Eindringlichkeit. Zudem schreibt er sich Briefe und liefert sich Rededuelle mit dem russischen Schriftsteller Jefim Berschin über das Land. Denk ich an Russland in der Nacht gewissermaßen... In dieser Auseinandersetzung des deutschen Transformationsforschers mit dem russischen Poeten kommen Eigenschaften und Befindlichkeiten über den „eurasischen Integrationsknoten“ Russland und seine Menschen zutage, die man sonst nirgends findet.

Dass Russland historisch von einer Gemeinschaft geprägt ist und nicht so wie im Westen von Stämmen, die seit jeher ihren eigenen Vorteil suchten. Dass Reichtum eher verdächtig ist und nicht wie im Westen oft einziges Lebensziel. Dass Russland nie ein Imperium westlichen Typs war. Dass sein Zweck nicht im Konsum bestand. Dass Russland kein klassisches Kolonialland war, sondern dass alle Völker, mit denen es in Berührung kam, letztlich Teil der russischen Kultur wurden und dass daraus ein Vielvölkerstaat unter den Moskauer Zaren erwuchs.

Russland – Erfinder des Zusammenlebens verschiedener Völker

Jefim Berschin wurde 1951 in Triaspol geboren, der Hauptstadt der „abtrünnigen“ Dniestr-Republik. Er lebte 30 Jahre in Moskau, war ein Jahrzehnt Redakteur der „Literaturnaja Gasjeta“. 1992 musste er Moskau verlassen und kehrte in seine Heimat zurück. Im Gespräch mit Ehlers sagt er: „Das Wichtigste für mich ist, dass Russland der Erfinder des Zusammenlebens verschiedener Völker ist, ohne die Absicht, sie auszulöschen. Die Europäer haben getrennt: Hier leben wir und dort lebt ihr, dort ist unsere Kolonie, dort ist das Fremde. Bei uns war es anders. Wenn wir irgendwohin kamen, dann wurde alles ‚unser’ – unser Land, unsere Menschen, alles unser. Es war eine Kolonisation territorialen Typs, im Unterschied zur maritimen. Nicht einmal Berge trennten uns von den Völkern.“

Doch dann kamen die Sowjetunion und Stalin mit seiner Nivellierungspolitik. Und dazu erfährt man dann als Leser dieses spannenden Diskurses vom russischen Gesprächspartner: „Die Sowjetunion ist zweifellos das befremdlichste Imperium der Weltgeschichte gewesen.“

Welche Mission hat Russland?

Die Unterhaltung erreicht beinahe mystische Züge, wenn es um den Grund russischer Expansion geht, die Bedeutung von russischer Erde und von „Mütterchen Russland.“ Ja, sagt Berchim, in Russland glaubt man, dass das Land eine Mission habe. Ein Gefühl für die eigene besondere Rolle in der Welt. „Irgendwie den alten Hebräern sehr ähnlich“.

Was auf diesen 300 Seiten über Russland steht, passt in kein Klischee. Manchmal glaubt man die sprichwörtliche „russische Seele“ atmen zu hören oder wenigstens etwas von der russischen Mentalität zu begreifen. Dann wieder kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, einem intellektuellen Disput beizuwohnen, der einfach alles auf den Tisch packt und gar nicht will, dass ein Ergebnis herauskommt.

Russland taumelt von einer Smuta in die nächste. Russland lebt immer noch in Armut. Es ist ein rätselhaftes Labyrinth, wie es kein zweites gibt auf dieser Welt, wenn man Kai Ehlers folgt. Es entsteht etwas Neues, aber noch kann niemand verbindlich sagen, was es ist. Mit unserem Interview haben wir die Zukunft etwas auszuloten versucht – und auch das, was der Autor meint, wenn er sagt, Russland könne durchaus zum „Modell der Welt“ werden.

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Rezension zu: „Russland – Herzschlag einer Weltmacht“ von Kai Ehlers, Verlag Pforte, 2009, 300 Seiten, mit Illustrationen von Hermann Prigann, zahlreiche Quellen- und Literaturhinweise aber kein zeitgemäßes Stichwort- bzw. Personenregister, 24,80 Euro, ISBN 978-3856362133“.

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Siehe auch EM-Interview: „In Russland wird am schärfsten sichtbar, dass es keine fertige Antwort auf den Zusammenbruch der Utopie vom besseren Leben gibt.“

Rezension Russland

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