Schamanismus auf der Schwäbischen AlbEM-INTERVIEW

Schamanismus auf der Schwäbischen Alb

Schamanismus auf der Schwäbischen Alb

Wie das Leben in den Höhlen und auf der Jagd der eiszeitlichen Jäger vonstatten ging, hat Jürgen Werner in einer Erzählung dargestellt. Wir sprachen mit ihm über seine Beweggründe und über die Kenntnisse, die er von den frühen Bewohnern an der Urdonau und in den Albtälern zusammengetragen hat.

Von Hans Wagner

Dr. Andrea Schmitz  
Jürgen Werner  
  Zur Person: Jürgen Werner
  Jürgen Werner, Jahrgang 1965, studierte Mathematik und Physik in Ulm. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer an einer kaufmännischen Schule beschäftigt er sich schon seit vielen Jahren mit der Altsteinzeitforschung auf der Schwäbischen Alb. Er lebt in Laichingen, ist verheiratet und hat drei Kinder.

E urasisches Magazin: Sie lassen in Ihrem Buch „ Eiszeitjäger auf der Schwäbischen Alb“ 35.000 Jahre zurückliegende Geschehnisse lebendig werden. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Jürgen Werner: Ich bin in einem Dorf in der Nähe der Fundstellen aufgewachsen, schon als Kind bin ich mit dem Fahrrad zu den Höhlen gefahren und habe dort gespielt. Als Erwachsener haben mich die Funde und die Interpretation derselben dann sehr interessiert. Das Bewusstsein für die Einmaligkeit der Funde aus den Albhöhlen ist sonderbarerweise auf der Schwäbischen Alb selbst noch nicht besonders ausgeprägt, aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, das Buch zu veröffentlichen.    

EM: In Ihrer Schilderung treffen als Clan-Menschen bezeichnete Jäger auf die als Erd-Menschen geschilderten alteingesessenen Bewohner der Schwäbischen Alb. Was hat es mit diesen Bezeichnungen auf sich?

Werner: In erster Linie soll die Verschiedenheit der beiden Menschentypen zum Ausdruck gebracht werden. Die Clan-Menschen sind in der Erzählung die anatomisch modernen Menschen, die Erdmenschen die Neandertaler.

Vor 27.000 Jahren starb der letzte Neandertaler in Südspanien

EM: Warum trafen gerade hier die zugereisten modernen Menschen und die Neandertaler aufeinander?

Werner: Ob dieses Zusammentreffen von Neandertalern und modernen Menschen auf der Schwäbischen Alb stattgefunden hat, ist nicht sicher. Nach dem bisherigen Stand der Forschung ist es sogar so, dass zwischen den Fundschichten der letzten Neandertaler und denen der ersten modernen Menschen auf der Schwäbischen Alb eine fundleere Schicht liegt. Das Verbreitungsgebiet der Neandertaler reichte von Spanien bis nach Usbekistan. Theoretisch könnte ein Zusammentreffen dieser Menschenarten an mehreren Orten stattgefunden haben. Fakt ist, dass der moderne Mensch bei seinem Vordringen nach Europa den Neandertaler immer weiter zurückdrängte, bis der letzte Neandertaler vor etwa 27.000 Jahren in Südspanien sein Leben beendete.

EM: Die Menschen der damaligen Zeit haben Ihren Schilderungen zufolge im Schutz von Höhlen gelebt, um die harten Winter zu überstehen. In mehreren dieser heute noch bestehenden Höhlen haben Wissenschaftler sensationelle Funde gemacht. Die Venus von Schelklingen aus dem Hohlen Fels ist die neueste Entdeckung. Sechs Zentimeter klein, 33 Gramm leicht, vor 35.000 Jahren mit Steinwerkzeugen aus Mammut-Elfenbein geschnitzt. Was sagen uns diese ältesten, weltweit entdeckten Menschendarstellungen?

Werner: Als Jäger und Sammler waren die modernen Menschen der Altsteinzeit auf eine mobile Lebensweise angewiesen. Sehr wahrscheinlich suchten sie die Höhlen nur für kurze Zeit auf, die meiste Zeit lebten sie in zeltähnlichen Behausungen. Dass sich die Funde in den Höhlen konzentrieren, liegt nur an den besonderen Erhaltungsbedingungen dort. Die ältesten Menschendarstellungen lassen vielerlei Interpretationen zu. Sicher ist nur, dass sich vor etwa 40.000 Jahren die ersten Menschen nicht mehr mit der Herstellung von Waffen begnügt haben. Auffällig ist, dass sich die so genannten Venus-Figuren über ganz Europa verstreut finden. Neben der bekannten Venus von Willendorf gibt es noch viele weitere, so etwa eine aus dem russischen Kostienki. Neben der großen räumlichen Streuung ist auch der zeitliche Abstand der Figuren auffällig. So ist die neu gefundene Figur aus Schelklingen etwa 10.000 Jahre älter als die Figur aus Willendorf. 

Jäger trugen die Elfenbeinfiguren als magischen Halsschmuck

EM: Waren solche Figuren in der Hauptsache Schmuckstücke oder hatten sie eine tiefere, spirituelle Bedeutung?

Werner: Bei manchen Figuren lässt sich eine Öse erkennen, durch die ein Lederriemen gezogen wurde. Auch bei der Venus aus Schelklingen ist das so. Aus diesem Grund kann man annehmen, dass die Figuren zum Teil um den Hals getragen wurden. Es gibt allerdings eine Ausnahme: den Löwenmensch aus dem Hohlenstein-Stadel im Lonetal. Diese Figur ist etwa 30cm groß und wurde ebenfalls aus Mammutelfenbein geschnitzt. Schon auf Grund ihrer Größe und ihres Gewichtes kann diese Figur nicht als Halsschmuck gedient haben.

Ob diese Figuren eine spirituelle Bedeutung hatten, lässt sich nur schwer beantworten. Sicher wurden sie nicht aus einer momentanen Laune heraus geschnitzt, dazu war der zeitliche Aufwand für ihre Herstellung, wie man experimentell nachweisen konnte, viel zu hoch.

EM: Die Venus von Schelklingen gilt wegen ihrer überdimensionierten Geschlechtsorgane  als Fruchtbarkeitssymbol. In Ihrem Buch schildern Sie an mehreren Stellen die große Bedeutung der Menschenzahl für die damals auf der Alb lebenden Sippen und Clans. Was ist der Hintergrund?

Werner: Sicher spielten die Fortpflanzung und das Überleben der Nachkommenschaft eine zentrale Rolle im Leben der Menschen. Der Bezug zur Fruchtbarkeit bei den Venus-Figuren ist augenfällig. Die Deutung reicht jedoch von steinzeitlichen Pin-Ups bis hin zu präreligiösen Kultobjekten. 

EM: Vor 35.000 Jahren waren die heute herrschenden Buchreligionen noch nicht erfunden. Hatten die Kunstwerke aus Mammut-Elfenbein auch eine religiöse Bedeutung?
 
Werner: Das ist denkbar, aber nicht erwiesen.

EM: Wer hat solche Schmuckstücke getragen?

Werner: In meiner Erzählung werden die Figuren von Jägern getragen. Vielleicht waren die dargestellten Tiere Bestandteil einer Jagdmagie.

Frühlingsfest der Steinzeit-Clans

EM: Das Frühlingsfest, an dem sich die Clans einmal im Jahr trafen, wird von Ihnen sehr eindringlich beschrieben. Hatte es wirklich diese überragende Bedeutung?

Werner: Die Untersuchung jägerischer Gemeinschaften der Arktis und Subarktis hat gezeigt, dass die stabilste soziale Einheit eine sog. Lokalgruppe von etwa 25 bis 30 Personen ist. Eine Zusammenkunft von mehreren Lokalgruppen zu einer größeren Regionalgruppe wurde von Ethnologen oft beobachtet und ist von großer Bedeutung für kulturellen Austausch und Partnerwahl. Diese Erkenntnisse habe ich in meinem Buch verwendet.

EM: Sie beschreiben auch eine Reihe von spirituellen Fähigkeiten bei einzelnen handelnden Figuren Ihrer Erzählung. So zum Beispiel das Erfühlen eines Tieres schon aus weiter Entfernung oder auch das schamanenartige Verlassen des Körpers, um Einblick in das Lager anderer Menschen zu nehmen. Hatte Spiritualität zur damaligen Zeit eine so große Bedeutung?

Werner: Schamanismus gilt als die älteste und ursprünglichste Form religiöser Betätigung und wurde schon verschiedentlich zur Erklärung eiszeitlicher Kunst herangezogen. Von rezenten Naturvölkern ist die Verwandlung des Schamanen in ein Tier belegt. Deshalb legen die Darstellung von Mischwesen in der Höhlenkunst und verschiedene Schnitzereien aus den Höhlen der Schwäbischen Alb eine solche Deutung nahe. Auch hier möchte ich noch einmal auf den Löwenmenschen aus dem Hohlenstein-Stadel hinweisen, der einen Löwenkopf auf einem menschlichen Körper trägt.

Am abendlichen Feuer erklangen Melodien auf der Elfenbein-Flöte

EM: Hat es so etwas wie Liebe unter den damaligen Menschen gegeben, oder waren es reine Zweckgemeinschaften, Rudel, in denen einer auf den anderen angewiesen war und die deshalb zusammenblieben?

Werner: Die Hersteller der eiszeitlichen Kunstwerke waren Menschen wie wir, Gefühle wie Liebe und Hass waren ihnen nicht fremd. Ein altsteinzeitlicher Clan war mehr als eine Zweckgemeinschaft, genauso wie das bei noch heute lebenden jägerischen Gruppen der Fall ist.

EM: In Ihrer Erzählung kommen auch zwischenmenschliche, sexuelle Beziehungen vor. Demnach gab es kein wildes Paarungsverhalten, sondern Zuneigung und Gefühle, wie wir sie auch kennen. Was mag das Sexualleben und die Moral der damaligen Zeit von unserer heutigen unterschieden haben?

Werner: Es gibt es sehr unterschiedliche Moralvorstellungen, je nach dem, welcher Kultur man angehört. Die Vorstellungen der altsteinzeitlichen Menschen kommen, so denke ich, denen rezenter Naturvölker mit verschiedenen Initiationsriten nahe. Verwandtschaftliche Beziehungen waren wichtig, auch eine gewisse Art der Geburtenkontrolle ist denkbar.

EM: In den Höhlen der Schwäbischen Alb wurden sogar 30.000 Jahre alte Musikinstrumente aus Elfenbein gefunden. Hat der Steinzeitmann etwa seiner Gefährtin auf der Flöte vorgespielt, das Kind auf den Knien geschaukelt und sich dafür als Teilzeitvater eine Weile vom Jagdbetrieb des Clans abgemeldet?

Werner: Einen Sinn für das Schöne kann man den Herstellern der Eiszeitkunstwerke nicht absprechen. Die perfekt geschnitzten Darstellungen von Mammut, Pferd und Löwe lassen uns noch heute staunen. Ich kann mir gut vorstellen, dass am abendlichen Feuer eine Melodie auf einer Flöte gespielt wurde, denn so etwas stärkte das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Und dies war wiederum wichtig für das Überleben der Menschen.

EM: Herr Werner, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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