Terek Grosny begeistert TschetschenienFUßBALL

Terek Grosny begeistert Tschetschenien

Terek Grosny begeistert Tschetschenien

Im Fußball können die Tschetschenen noch gewinnen. Der Verein Terek Grosny begeistert damit das geschundene Land im Kaukasus. Sogar eine der Hauptstadtmannschaften Rußlands mußte sich den elf Kämpfern aus Tschetschenien schon geschlagen geben. 2004 war die Truppe gar russischer Pokalsieger geworden.

Von Tino Künzel

Fans von Terek Grosny  
Fans von Terek Grosny
(Foto: Tino Künzel)
 

Der Kassenschalter links vorm Stadiontor ist für die Fans von Terek reserviert. Terek Grosny, der tschetschenische Fußballverein in Rußlands erster Liga, bestreitet an diesem Sonntag ein Auswärtsspiel in Moskau. Immerhin 100 mitgereiste Anhänger wollen es tausende Kilometer entfernt von Tschetschenien live verfolgen. Kein russischer Klub wird von den Seinen so über die Maßen geliebt wie Terek Grosny.

Die Geschichte des nach dem tschetschenischen Fluß Terek benannten Vereins nahm in den letzten Jahren märchenhafte Züge an: Gegründet wurde er 1958. Und obwohl Terek nie über die Zweitklassigkeit hinauskam, war das heimische Ordschonikidse-Stadion in Grosny oft mit 30 000 Zuschauern randvoll. Dann wurde Anfang der neunziger Jahre die politische Situation immer instabiler, die Mannschaft zerfiel, und kein auswärtiges Team war mehr bereit, in Grosny aufzulaufen. Terek zog sich 1994 aus dem überregionalen Spielbetrieb zurück. Das Stadion wurde während des ersten Tschetschenien-Krieges zu einer Panzer-Basis umfunktioniert und in Stücke geschossen. 2001 fing der Verein in der zu 90 Prozent zerstörten Stadt von vorne an und stürmte in nur vier Jahren durch die dritte und zweite Liga, wurde 2004 auch noch russischer Pokalsieger. Jetzt allerdings, kurz nach der Halbzeit seiner ersten Saison in der höchsten Spielklasse (in Rußland ist die Saison wegen des langen Winters identisch mit dem Kalenderjahr), kämpft der Aufsteiger gegen den Abstieg.

„Allahu Akhbar“ – der Schlachtruf der Terek-Fans klingt bedrohlich

Im Radio hatten sie angekündigt: Achtung, verstärkte Sicherheitsmaßnahmen rund ums Moskauer Stadion. Das Großaufgebot an Polizei ist Standard, wo immer Terek auftaucht. Dabei sind die Tereks Fans ausgesprochen friedlich: Singen sich durch die 90 Minuten. Tanzen den Nationaltanz „Lesginka” auf der Tribüne. Ihr Schlachtruf „Allahu Akhbar” mag für manche Ohren bedrohlich klingen, ist aber nicht mehr als ein Markenzeichen, und die ihn anstimmen, amüsieren sich köstlich, wenn sich dabei jemand erschreckt. Da stehen keine grobschlächtigen Bürgerkriegsveteranen auf der Tribüne, sondern meist junge Stadtmenschen, Schüler und Studenten, vielfach aus der tschetschenischen Diaspora von Moskau. Als einer eine schwarze Totenkopf-Fahne am Zaun zu befestigen versucht, wird er vom Rest zurückgepfiffen. Muß doch nicht sein, daß wieder mit den Fingern auf sie gezeigt wird, auf die „Schwarzen” aus dem Kaukasus, wie es in der russischen Gesellschaft abschätzig heißt.

Alfred Stevens, Orientalische Schönheit, 1873  
Der Eingangsbereich des Ordschonikidse-Stadions, in dem Terek früher spielte.  

Terek ist mehr als Fußball. Das haben auch Moskaus Statthalter in Grosny verstanden, die den Klub für Schleichwerbung nutzen. Nach ihrem Willen soll er die „Normalisierung” der Lage in Tschetschenien vorführen, Aushängeschild sein für eine angebliche Rückkehr zu Ruhe und Ordnung. Fußball als Feigenblatt dafür, daß gerade Grosny alles andere als auferstanden ist aus Ruinen, obwohl die letzten größeren Kampfhandlungen bereits vier Jahre zurückliegen.

Auf dem Mannschaftsposter ließ sich gleich das halbe Kabinett mit abbilden. Vizepremier Ramsan Kadyrow, der die in Tschetschenien berüchtigten Sondereinheiten befehligt, ist zugleich Vereinspräsident. Über Jahre wurde der Fußballklub aus der Staatskasse finanziert, drei Millionen US-Dollar waren es offiziell, unabhängige Schätzungen reichen bis zu zehn Millionen. Für die laufende Saison wurden erstmals Sponsorenverträge mit Großfirmen wie dem Energieversorger UES, dem Ölkonzern Rosneft oder der Wneschtorgbank abgeschlossen. Das Budget bezifferten russische Zeitungen daraufhin mit 30 Millionen Dollar, eine der höchsten Summen im nationalen Fußball überhaupt. Der Verein dementierte umgehend.

Aber neben der politischen Instrumentalisierung hat der Klub dennoch ein Herz und eine Seele: die einfachen Leute mit ihrer Sehnsucht danach, endlich einmal zu den Gewinnern zu gehören. „Bei uns leben und leiden alle mit Terek, ob sie sich nun für Fußball interessieren oder nicht”, sagt der Tschetschene Muslim Sadajew. Wie zur Bestätigung streicht sich eine Hausfrau, die er im Auto mitnimmt, ihr Kopftuch glatt und seufzt: „Ich kann’s immer noch nicht fassen, daß wir schon wieder verloren haben.”

In Grosny ist Friseurin Rosa gemeinsam mit den Kunden in ihrem Salon zur Fußballexpertin gereift. Tereks Taktik kommentiert sie mit: „zu viel Defensive, kein Sturm”. Aber wenn sie das sähe, „dann sieht es der Trainer sicher auch”, hofft Rosa. Im Dorf Schaami-Jurt versucht der 50-jährige Landwirt Badrudin Lorsanow derweil eine Erklärung für die hohe Identifikation mit dem Verein: „Wir leben doch von der Hoffnung. An irgendetwas muß man sich klammern. Wenn du nur an das denkst, was die letzten zehn Jahre hier passiert ist, wirst du doch verrückt.” Fußballbegeisterung, aus der Not geboren.

Schamil Bassajew kickte als Stürmer für den legendären Verein

Noch heute trainiert Terek in Kislowodsk und spielt in Pjatigorsk, beides Kaukasus-Kurorte außerhalb Tschetscheniens, über 250 Kilometer von Grosny entfernt. Macht inklusive der Stopps an den vielen Straßenposten rund sechs Stunden Anfahrt. Wenn nach den Gründen für die dürftige Erstliga-Hinrunden-Bilanz von neun Punkten und acht Toren geforscht wird, heißt es deshalb häufig: Wir haben ja nur Auswärtsspiele! Eine neue Arena wird nicht vor 2006 gebaut, dann allerdings mit allen Schikanen und von einer deutschen Firma, wenn es nach dem tschetschenischen Sportminister Alchanow geht. Eine Fußballschule existiert bereits heute, an der Schukow-Straße, die früher „Prospekt des Todes” genannt wurde, wegen der Heckenschützen. Heute finden sich hier jeden Tag 300 Kinder und Jugendliche ein. Schauen Sie nur, zeigen die Trainer auf einen Minibus, der Jungs aus dem 50 Kilometer weiter gelegenen Gudermes abgeholt hat. Sogar zwei Kunstrasenplätze stehen dem Nachwuchs zur Verfügung.

Nach dem Pokalsieg 2004 lag sich ganz Tschetschenien in den Armen. Kapitän Deni Gaisumow, einer von sechs Tschetschenen im Kader und Galionsfigur der Fans, war gerührt: „So etwas habe ich nirgendwo erlebt.” Dabei stand der 37-Jährige auch schon bei großen Moskauer Klubs unter Vertrag. Wenn Terek spielt, so erzählt man sich, ruht in Tschetschenien das Verbrechen. Selbst Einbrecher sitzen dann vorm Fernseher. Und sogar den Rebellen in den Bergen ist das Schicksal des Klubs nicht einerlei: Seperatistenführer Schamil Bassajew, heute russischer Staatsfeind Nummer 1, war in der Zwischenkriegszeit 1997 und 1998 Präsident von Terek (kickte damals nur auf lokaler Ebene) und Stürmer zugleich. „Gar kein schlechter”, wie sich Minister Alchanow erinnert.

Im Uefa-Cup schaltete Terek den polnischen Erstligisten Lech Poznan aus

Stürmer Andrej Fedkow im Uefa-Cup gegen Lech Poznan. Der Torjäger stellte mit 38 Treffern letztes Jahr einen Zweitliga-Rekord auf.  
Stürmer Andrej Fedkow im Uefa-Cup gegen Lech Poznan. Der Torjäger stellte mit 38 Treffern letztes Jahr einen Zweitliga-Rekord auf.  

Daß die Politik eigene Interessen mit dem Verein verfolgt, sieht das Fußballvolk pragmatisch. „Wissen wir”, wehrt die Basis ab, aber es betrifft sie irgendwie nicht. Hauptsache ist, daß es den Klub gibt, wieder gibt, und zwar auf einem Niveau, das es den Leuten erlaubt, stolz auf die Mannschaft zu sein und auch selbst ihren Hunger nach Anerkennung zu stillen. So wie in den letzten Jahren. Im Uefa-Cup schaltete der Verein den polnischen Erstligisten Lech Poznan aus und scheiterte dann ehrenvoll am FC Basel. Im russischen Supercup verlor man nur knapp mit 0:1 bei Meister Lokomotive Moskau. Danach prognostizierte Alchanow im Überschwang: „Wenn wir 2008 nicht in der Champions League sind, dürfen Sie kommen und mich zur Rede stellen.”

Umso größer war das Loch, in das Mannschaft und Umfeld dann gefallen sind. Mit durchsichtigem, bravem Fußball ohne Aha-Effekte ernüchterte Terek zuletzt die eigenen Fans. Der eigenwillige Trainer Wait Talgajew wollte mehrfach zurücktreten, durfte – als Aufstiegsheld – aber nicht. Alle miteinander hatten sich kräftig überschätzt. Die Vereinsführung ging nach den ersten Niederlagen auf Distanz. Auch finanzielle Probleme tauchten auf, zuletzt stiegen Rosneft und die Wneschtorgbank als Sponsoren wieder aus. Gerüchtehalber hat sich der Klub zweimal vor Auswärtsreisen Geld von den Spielern geborgt. Nicht nur in Rosas Frisiersalon schwindet die Geduld: Die Hälfte der Spieler über 30 Jahre – das könne ja nicht gut gehen.

Doch noch ist Zeit genug, das Ruder herumzureißen. In der Fankurve schwenken sie weiterhin die grün-rot-weiße Tschetschenien-Fahne, schreien aus voller Kehle „Nochtschi-tscho” (Tschetschenien). Und der Klub hat für den Sommer tatsächlich ein halbes Dutzend Neuverpflichtungen angekündigt. Immerhin wurden zuletzt auch Uefa-Cup-Sieger ZSKA Moskau und der Vorjahres-Dritte Krylja Sowjetow Samara binnen einer Woche jeweils mit 1:0 geschlagen. Noch ist das Fußballmärchen Terek Grosny also nicht zu Ende.

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Tino Künzel ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

Kaukasus Russland

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