Tourismus 2006: Warmer Regen vor kaltem Guss?KROATIEN

Tourismus 2006: Warmer Regen vor kaltem Guss?

Tourismus 2006: Warmer Regen vor kaltem Guss?

Sonne, Meer und Strand hat Kroatien reichlich zu bieten. Aber sein Angebot darüber hinaus gilt als langweilig. Die mediterranen Konkurrenten Griechenland, Italien und Spanien sind längst im Vorteil. Dazu kommen viele Unzulänglichkeiten im Lande und vergleichsweise hohe Preise. Düstere Perspektiven für die Zukunft.

Von Wolf Oschlies

A  n der Küste wird man nur schwer Hoteliers finden, die mit dem Erreichten unzufrieden wären“, kommentierte die Tageszeitung „Slobodna Dalmacija“ am 18. September Kroatiens touristische Saison 2006. Genugtuung an der ganzen Küste? Das kleine Kroatien (56.691 Quadratkilometer Territorium, 4,8 Millionen Einwohner) hat eine Adriaküste von 1.778 Kilometern Länge – oder sogar 5.835 Kilometer, sofern man die 1.185 Inseln hinzurechnet, von denen allerdings nur 70 besiedelt sind.

„Sinje more svijetu reci/ Da svoj narod Hrvat ljubi“, heißt es seit 115 Jahren in der kroatischen Nationalhymne: „Blaues Meer, sage der Welt/ Dass der Kroate sein Volk liebt“. Im vergangenen Jahr hörte (um im Bild zu bleiben) die „Welt“ diese stolze Botschaft ganz direkt: Gute neun Millionen ausländische Touristen kamen vor allem an die kroatische Küste, die mit 2.600 Sonnenstunden pro Jahr den Hauptwunsch der sonnenhungrigen Besucher erfüllt. Das galt auch 2006 trotz der Regenmonate Juni und August, die partiell einen größeren „Schwund“ auslösten, etwa ein zehnprozentiges Minus bei französischen Touristen in Istrien.

Weitere Negativwirkungen dieser Saison listete „Slobodna Dalmacija“ akribisch auf: „unbegründete“ Preissteigerungen, „verspätete“ Hotelrenovierungen, deutlich weniger Touristen aus Deutschland und Frankreich, „Gewalttätigkeiten Einheimischer gegen Gäste“, „phantasielose Abendunterhaltung“, „schlechtes Niveau des Betreuungsservices“ etc. Da scheint sich seit 2002 wenig an den Bedingungen geändert zu haben, die damals der Zagreber „Globus“ drastisch beschrieb: „Kroatien bietet seinen Gästen ein wunderbares Meer, sehr guten Fisch, schlechten Service, grenzenlose Langeweile und absolut nichts, was jemand als charakteristisch für unser Land empfinden könnte“.

Seit anderthalb Jahrhunderten ist Kroatien ein Tourismusland, und seine Adriaküste war im alten Jugoslawien bis in den mittleren 1980er Jahren eine wahre „Goldgrube“, die alljährlich von 3,5 Millionen Deutschen, 1,7 Millionen Italienern etc. gefüllt wurde. Diese Traumzeiten sind unwiederbringlich vorbei, auch wenn Kroatiens Tourismus seit zwei, drei Jahren wieder „schwarze Zahlen“ schreibt. Die Saison 2006 wurde von nicht wenigen Kommentatoren als Beginn einer nachhaltigen touristischen Prosperität gefeiert, von anderen als Start einer Durststrecke strategischer Umorientierungen, kostspieliger Investitionen und rückläufiger Erträge beargwöhnt. Welche Meinung trifft zu?

Tourismus in Kroatiens Wirtschaft

Uzdanica (Rückhalt) der gesamten Wirtschaft Kroatiens sei der Tourismus – befand Ende 2003 eine Analyse der Kroatischen Wirtschaftskammer (HGK). Im Oktober 2006 urteilten zwei Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Elmar Brok (EVP-ED) und Hannes Sowoboda (SPE), Kroatien sei ökonomisch so tragfähig, dass es wohl vom „CNN-Effekt“ ereilt würde: wegen völliger Problemlosigkeit von den internationalen Medien übergangen zu werden.

Die Kroaten selber sind anderer Ansicht. In einer Repräsentativumfrage von Anfang September 2006 äußerten 63 Prozent: „Kroatien bewegt sich in schlechter Richtung“. Als Beleg dessen nannten die Befragten u. a. die Arbeitslosigkeit (68 Prozent), die Korruption (38 Prozent), die Not der Rentner (14 Prozent), den allgemein niedrigen Lebensstandard (13 Prozent). 2007 gibt es in Kroatien erneut Parlamentswahlen, wobei die großen Parteien schlechte Aussichten haben. Kroatien steht ein monatelanger Wahlkampf bevor, in dem es vorwiegend um ökonomische und soziale Themen gehen wird. Noch am 16. November 2006 äußerte Staatspräsident Stipe Mesic auf eine Wirtschaftstagung „Besorgnis“: Kroatien habe zu viele Arbeitslose, importiere zu viele und besitze keine Strategie, wie sich die Dinge in Zukunft verbessern könnten.

Ist der Tourismus der einzige Lichtblick? -  Experten sehen ein Dilemma: Kroatien muss sich mit mediterranen Konkurrenten messen (Spanien, Italien, Griechenland etc.), die neben dem Tourismus noch eine wohlentwickelte Industrie besitzen, während „Kroatien nur den Tourismus hat – und basta“. Selbst ein international frequentierter, nach Besuchern und ihren Vorlieben diversifizierter und flexibel gemanagter Tourismus könnte nicht als monostrukturelle Basis einer ganzen Volkswirtschaft taugen, wobei dem kroatischen Tourismus alle diese Attribute abgehen: Er ist zu teuer, sein Service ist schlecht, sein Management saumselig (javašluk). Weil das so ist, wird nur in Kroatien „die allsommerliche Tourismusbilanz mit einer Spannung erwartet, die man anderswo den Ergebnissen von Sportwetten entgegenbringt“ (wie das viel gelesene „Morgenblatt“ im Sommer bemerkte).

Dennoch hat Kroatien den Tourismus zum „strategischen Schwerpunkt“ der eigenen Wirtschaft erklärt, was der Wirtschaftswissenschaftler Dražen Kalogjera als laienhafte Fehlentscheidung bezeichnete. Klaogjera war unter dem autoritären Tudjman-Regime  Wirtschaftsminister, trat aber zurück und konstatiert heute fortdauernde negative Folgen damaliger Beschlüsse. Seit 12 Jahren ist z.B. die nationale Währung Kuna, am 30. Mai 1994 eingeführt, enorm überbewertet, was „Einfuhren prämiert und Ausfuhren belastet“. Hinzu kam Tudjmans Politik der „Privatisierung“, die tatsächlich eine Begünstigung der Klientel seines Regimes war (Kalogjera: „Die sagten mir direkt, sie müssten wissen, wem sie was verkaufen“), und das alles hat die „Wirtschaft zerstört und sie unfähig für Konkurrenz gemacht“.

Aktuelle Wirtschaftsnöte

Der witzige Srecko Puntaric brachte es einmal mehr auf den Punkt (in „Vecernji list“ 31.10. 2006): „Verschone mich bitte mit deinen Krediten“, sagte das kleine Kroatien zur Euro-schweren EU, „warum hast du mir nicht gesagt, dass man die zurückzahlen muss?“

Bis zur Gegenwart ist Kroatien ein Land von ökonomisch „fragiler Stabilität“, sagte Staatspräsident Stjepan Mesic im Juli 2006, wobei er die „übermäßige Abhängigkeit der Zahlungsbilanz von Einkünften aus dem Tourismus“ als eine Hauptschwäche nannte. Weitere Details verkünden Kroatische Wirtschaftskammer (HGK) und Kroatische Nationalbank (HNB): 27,3 Milliarden Euro Auslandsschulden im August 2006 (85,5 Prozent des BIP), Industrie auf 70 Prozent ihres Niveaus von 1989, 400.000 Arbeitsplätze gingen verloren, die „registrierte“ Arbeitslosigkeit lag 2005 bei 19 Prozent und dürfte danach angesichts steigender Zahlen illiquider oder bankrotter Firmen nicht niedriger geworden sein. Zumal sich die politische Angst vor „Schwellenwerten“ wie 300.000 oder gar 400.000 Arbeitslosen in statistischer „Kosmetik“ niederschlägt. Schätzungsweise 400.000 Menschen gehen einer Schwarzarbeit nach, zwischen Importen und Exporten gähnt eine Minuslücke, die im Juni 2006 über zwei Milliarden Euro betrug. Das Wirtschaftswachstum liegt seit Jahren bei mäßigen drei bis vier Prozent. Kurz: Kroatiens Wirtschaftspotential macht nur ein gutes Drittel des halb so großen Sloweniens (20.273 Quadratkilometer, zwei Millionen Einwohner) aus, wie ein Vergleich der beiden BIP p. c. 2005 zeigt: 6.968 Euro in Kroatien gegenüber 18.000 Euro für Slowenien.

„Im Unterschied zu Slowenien hat Kroatien Tourismus“, trösten sich die Kroaten seit Jahren, aber das ist schwacher Trost. Slowenien hat auch einen ansehnlichen Tourismus, und der kroatische Tourismus ist eben nicht so bedeutend wie allgemein angenommen. Laut HGK liegt sein Anteil am BIP seit 2002 unter vier Prozent, seine einst beträchtlichen Beschäftigtenzahlen (1980er Jahre 80.000) gingen um die Hälfte zurück, die Löhne im Tourismus liegen „konstant unter dem Durchschnitt von ganz Kroatien“. Eine gewisse Bedeutung hat er allein als Quelle kroatischer Deviseneinkünfte (2002 17 Prozent mit steigender Tendenz), was ihn im Verein mit Gastarbeiter-Überweisungen zum rettenden Strohhalm der Wirtschaft macht.

Touristische Saison 2006 – nur schöner Schein?

„Wir dürfen nicht unsere ganze Zukunft auf dem Tourismus aufbauen“, warnte Dražen Kalugjera (in dem erwähnten Interview), denn die touristische Hochsaison dauert nur drei Monate und ihr Erfolg ist von vielen Faktoren abhängig – ein paar Regenwochen können die ganze Bilanz verderben.

Hinzu kommt ein Entwicklungshemmnis sui generis: 90 Prozent der gegenwärtigen touristischen Infrastruktur stammen noch aus altjugoslawischen Zeiten (Kalogjera), werden aber heute von den Županije nach Gutherrenart verwaltet. Administrativ ist Kroatien in 20 Županije (plus die Hauptstadt Zagreb) aufgeteilt, von denen sieben Zugang zur Adria haben: Primorje, Lika, Zadar, Šibenik, Split-Dalmatien, Istrien und Dubrovnik. Von diesen Küstenregionen verfügen nur vier über internationale Flughäfen – Dubrovnik, Split, Zadar und Pula -, was sie im touristischen Geschäft begünstigt. Dadurch werden sie zum Gradmesser eines innerkroatischen Entwicklungsgefälles – Spitzenposition Zagreb (BIP p.c. 2003 15.000 Euro), gefolgt von den Küstenregionen, während die Nordost-Regionen Osijek, Slavonien, Vukovar zu „den unterentwickeltsten aller EU-Kandidatenländer zählen“. Diese regionalen Entwicklungsdifferenzen werden an der Küste durch die eifersüchtige Rivalität der Regionen noch verstärkt, wobei zwischen Istrien und Dalmatien seit Jahren eine Art touristischer „Krieg“ herrscht.

Sachwalterin des kroatischen Tourismus ist die von Niko Bulic geleitete Kroatische Tourismus-Union (HTZ), die für die Saison 2005 stolze Zahlen meldete: 7,8 Millionen ausländische Touristen mit 44,9 Millionen Übernachtungen in den ersten neun Monaten. Dazu unerwartet gute Erträge – „womit Kroatien auf die beste Weise an die Resultate der besten Vorkriegsjahre anschließt und ein seriöser Faktor am Mittelmeer wird, wo es bereits seit einigen Jahren das Banner (barjak) des erfolgreichsten Landes trägt und allmählich eine Spitzenposition erobert“.

Es scheint, als mühte sich  Zagreb, ersten Erfolgen keine Fortsetzung zu erlauben, wie die HTZ beklagte: „Kroatien tritt in die nächste touristische Saison mit einigen Neuerungen ein, die (…) sich ungünstig auswirken können. Subventionen für ausländische Gruppentouristen werden gestrichen, alle touristischen Dienstleistungen unterliegen der Mehrwertsteuer und wir sehen uns mit zahlreichen unvernünftigen Forderungen nach Preissteigerungen konfrontiert“.
1999 hatte Kroatien eine „einheitliche“ Mehrwertsteuer (PDV) in der rekordverdächtigen Höhe von 22 Prozent eingeführt, die aber auf Verlangen des damaligen Ressortministers Ivan Herak für den Tourismus ausgesetzt wurde. Inzwischen ist die PDV-„Nullstufe“ für den Tourismus wieder aufgehoben, was der Staatskasse zwar nicht viel einbrachte, vor touristischem Ort aber mit Sorge bewertet wurde. Dennoch war laut HTZ die Saison von Januar bis August 2006 gut.

Dass touristisches Leben auch nach dem August, wenn an der Adria „schlagartig“ alle touristischen Programme enden, möglich ist, registrierte die HTZ erfreut: Im September 2006 zählte sie in ganz Kroatien 1.160.798 Touristen, darunter 114.839 einheimische (Zuwachs elf Prozent im Verglich zu 2005) und 1.045.959 ausländische (plus acht Prozent), die zusammen 5.979.507 Übernachtungen bezahlten, davon allein die Ausländer 5.591.825, was eine Zunahme von neun Prozent bedeutet.

Touristische Schwächen und „Schattenwirtschaft“

Das Zagreber „Abendblatt“ (Vecernji list) traf am 2. August 2006 den karikaturistischen Nagel auf den Kopf: „Fremde Gäste achten auf jeden Euro“ und geben einander passende Ratschläge: „Ich passe auf den (Zehn-Euro-Schein) auf, dass er nicht in einer Kneipe verschwindet, und du halte deinen (100-Euro-Schein) von Restaurants fern!“ So kann man es auch sagen – dass Kroatien einen profitablen Elite-Tourismus will, einstweilen aber Billig-Touristen mit zugeknöpften Taschen bekommt.

Bekanntlich ist Tourismus ein riskantes Geschäft, das hohe Investitionen verlangt, geringe Renditen verheißt und permanente „strategische“ Flexibilität einfordert. Dem ist Kroatiens Sonne-und-Meer-und-basta-Tourismus absolut nicht gewachsen, denn Kongress-, Kur-, Abenteuer-, Dorf-, Öko-, Jagd-, Segel- etc. Tourismus sind noch wenig präsent. So hat sich der ursprünglich auf Nord-Istrien konzentrierte Segel-Tourismus südwärts bewegt, wie 2005 knapp 200.000 „nautische“ Touristen bezeugten, die über 100 Millionen Euro in die Kassen brachten. Mehr werden es kaum werden, da Kroatien nur rund 30.000 Häfen und Ankerplätze besitzt, wovon das Gros von 105.000 einheimischen Booten belegt ist. Hätte das Land die von Experten berechnete Anzahl von zusätzlichen 40.000 Plätzen, könnten sich hier profitable Möglichkeiten eröffnen – was irgendwann vielleicht geschehen wird.

Ähnlich ist es mit dem so genannten. „ruralen Tourismus“: Bauernhöfe im „alten Stil“ offerieren lokale Küche und Folklore, laden zu Reitausflügen, Weinproben, Bergtouren, Lehrpfaden etc. – Möglichkeiten, deren doppelten Nutzen, zufriedene Gäste und neue Arbeitsplätze für ländliche Rückzugsgebiete, Österreich und Ungarn seit 15 Jahren gewinnträchtig nutzen. In ganz Kroatien versuchten das 2002 ebenfalls 176 „touristische Bauernwirtschaften“. Derzeit sind es allein auf Istrien 184.

Von den istrischen Touristendörfern sind nur 68 „registriert“ – in weiteren 14 Županije ganze 98 -, was auf ein generelles Problem des kroatischen Tourismus verweist: In ihm herrscht administrative und fiskalische Verwirrung! Das beginnt damit, dass niemand weiß, wie viele Touristen überhaupt ins Land kommen: Das Innenministerium registriert allein Grenzübertritte, die Nationalbank Geldumtausche, und den Touristikinstanzen werden nur die wenigsten Gäste gemeldet. Nach Schätzungen der HNB und des Tourismus-Ministeriums sind bloß 20 Prozent aller Touristen in ordnungsgemäß erfassten und bezahlten Quartieren untergebracht, der Rest wohnt „bei Freunden“ oder „hat keine Unterkunft“. Im Klartext heißt das, dass bis zu 1,5 Millionen Touristen mehr im Land und 2,5 Milliarden Euro weniger in den Bilanzen sein können. 40 oder mehr Prozent aller touristischen Kapazitäten sind kleine Privatunterkünfte, für die an der Straße mit den legendären „Zimmer frei“-Schildern geworben wird. Von den Einkünften sieht der Staat in der Regel nichts, und dank der Konkurrenz aller gegen alle „hat Kroatien aufgehört, ein Land des friedlichen Familien-Tourismus zu sein“.

Ausländische Grundbesitzer an der Adria treten als Konkurrenten auf

Ein besonderes Ärgernis sind Ausländer, die an der Adria Grundbesitz erworben haben und nun als illegale Konkurrenz auftreten – mit immerhin 300.000 Gästebetten. Die Hauptsünder hierbei waren offenkundig Italiener, denen bis August 2006 der Erwerb kroatischer Immobilien verboten war – was Kroatien aus Angst vor römischem Widerstand gegen seinen EU-Beitritt rasch bereinigte. Stattdessen versuchte man es mit 700 „Inspektoren“, die unangemeldete Kontrollen unternahmen, dabei gelegentlich Strafen für die Vermieter und Hinauswürfe für ihre Gäste verfügten – was dem touristischen Image Kroatiens absolut nicht förderlich war.

Hinzu kamen „kleine“ Unannehmlichkeiten: Abwasserleitungen, die direkt neben Stränden ins Meer führen, Wasserknappheit auf den Inseln in Trockenzeiten, Zusammenbrüche der Dubrovniker Kanalisation, die aus dem 14. Jahrhundert stammt und die Flanierstraße Stradun unter knöcheltiefe Fäkalienfluten setzte. Dazu kamen eine Mückenplage auf der Insel Korcula, die mit Sprühflugzeugen bekämpft werden musste, Ölteppiche aus griechischen Tankern in Hafennähe etc. Vor allem ging die Saison 2006 als „Jahr der Übergriffe“ in die Annalen ein – speziell Homosexuelle schienen Freiwild für einheimische Schlägerbanden gewesen zu sein.

Das alles fiel um so mehr ins Auge, als es zu den erwähnten Verteuerungen touristischer Leistungen kontrastierte. Sie wurden umgehend an die Gäste weitergereicht, was sich mit den traditionellen Erschwernissen, vor allem der überbewerteten Kuna, derart akkumulierte, dass Dubrovniker Hoteliers fragten, „ob wir schon an die preisliche Obergrenze geraten sind, die wir Gästen zumuten können“. Offenkundig ja, wie Details verrieten: Minus von sechs Prozent bei Übernachtungen, Rückgang von Charterflügen bei gleichzeitigem Anstieg von „Billigfliegern“, Ansturm von Kreuzfahrtschiffen, die nur wenige Stunden in Dubrovnik verweilten, und generell „geizige“ Touristen, die „erheblich weniger“ als 2004 – 164,18 Euro pro Kopf und Tag – ausgaben.

An letzterem waren die Kroaten selber schuld, deren Wechselstuben in Touristengebieten sechs Kuna für einen Euro gaben, wo der offizielle Kurs 7,4 Kuna sind – eine staatliche Eigenmächtigkeit mit nachweislich abträglichsten Folgen.

Der kroatische Tourismus musste 2006 Einbußen ertragen: Von rund 3.300 Touristik-Unternehmen „arbeiteten etwa 1.500 mit Verlust“, und immer mehr Touristen wichen auf preisgünstige Campingplätze aus, wo man für 3.000 Kuna in der Woche unterkommen konnte – vorausgesetzt, man brachte alle Nahrungsmittel und Getränke mit. Aber auch unter solchen Bedingungen konnten sich nur 40 Prozent der Kroaten, bei einem Durchschnittseinkommen von knapp 4.500 Kuna im Monat, einwöchige Kurzurlaube an der Adria leisten.

Ausblick mit gemischten Gefühlen

Für seine „schönsten Wochen des Jahres“ verlangt der Tourist neben gutem Klima auch politische Sicherheit, preisgünstige Angebote, abwechslungsreiche Unterhaltung und guten Service – kurz: eine „Befindlichkeit“, die ihn schon während des Urlaubs an ein eventuelles Wiederkommen denken lässt. Leistet Kroatien das?
Nicht wenige Berichte aus Kroatien enthielten schonungslose Mängellisten, einige sogar Hinweise darauf, was sich in der Saison 2007 verschlimmern wird: „Weitere Preissteigerungen ohne entsprechende Investitionen, dürftiges Angebot außerhalb der Hotels, fehlende neue Unterbringungskapazitäten, zu wenige Liegeplätze in Häfen, Mangel an qualifiziertem Personal, zweifelhafte strategische Partner in Privatbetrieben“ etc. 

Hinzu kommen regionale Konflikte. Seit Jahren führt Kroatien einen Kleinkrieg mit Slowenien um die Adriagrenzen, die Kroatien so ausweitete, dass Slowenien von kroatischen und italienischen Küstengewässern vom Zugang zum offenen Meer ausgesperrt wurde. Als größter Adria-Anrainer fühlt es sich dazu berechtigt, ist es aber nicht: In früheren Zeiten war die Adria ein jugoslawisches Meer, und wenn jugoslawische Nachfolgestaaten Grenzprobleme haben, dann müssen sie diese per Dialog und Vertrag ausräumen. Das hat Slowenien vor Jahren versucht, auch einen Vertrag geschlossen, der im kroatischen Sabor (Parlament) jedoch durchfiel. Jetzt überlegt Kroatien, ob nicht Papst Benedikt XVI. „Schiedsrichter“ in diesem Konflikt sein könnte, und übt sich derweilen in territorialen Übergriffen auf das Nachbarland Slowenien.

Europäische Perspektiven? - Brüssel zeigt die kalte Schulter

Slowenien ist seit Jahren Mitglied von NATO und EU, was Kroatien auch längst sein wollte, es aber auf absehbare Zeit nicht wird. Dafür sorgen Slowenen wie Jelko Kacin, liberaler Abgeordneter im Europäischen Parlament, der Anfang Oktober 2005 Brüssel und Zagreb vorrechnete, dass Kroatien eventuell 2014 in die EU käme. Auch das scheint mittlerweile zweifelhaft, seit die EU ihre eigene „Absorptionsfähigkeit“ als zusätzliches Aufnahmekriterium verfügte. Für Kroatien bedeutet das, ein Jahr nach dem positiven Avis aus Brüssel dort nur noch die kalte Schulter gezeigt zu bekommen. Das Land sieht sich mit der Türkei ins letzte Glied verbannt – es fehlt der politische Wille, beide in die EU aufzunehmen.

Dieser fehlende Wille auf Seiten der EU wird hinter plötzlicher massiver Kritik versteckt – Kroatiens Wirtschaftswachstum sei zu gering, seine Subventionspolitik (vor allem für den Schiffbau) störend, sein Kampf gegen die Korruption zu lasch, seine Justizreform zu inkonsequent etc.

Auf den Tag ein Jahr nach dem „historischen 3. Oktober 2005“, als der erwähnte Brüsseler Avis kam, ermittelte eine Repräsentativumfrage, dass nur noch 49,9 Prozent der Kroaten selbst für den EU-Beitritt seien und lediglich 37,6 Prozent für den zur NATO. Die Kroaten – seit Jahren davon überzeugt, die EU warte nur auf sie – sagen heute, „kroatische Politiker sollten aufhören, uns Märchen davon zu erzählen, dass Europa unsere einzige Chance und unsere Zukunft sei. Denn unsere Chance und unsere Zukunft ist allein Kroatien“.

Touristisch sieht diese Zukunft eher düster aus, denn die politische Abkühlung gegenüber Brüssel wird sich in einer Entfremdung Kroatiens von der EU prolongieren, die sich negativ auf das Tourismusgeschäft auswirken wird. Wer mag schon Urlaub in einem Land machen, das „unattraktiv für Investoren ist und das Image von Korruption, Rechtsunsicherheit, fehlendem Export und rückläufiger Produktion hat“ (Dražen Kalogjera)?

Dieser fatalen Perspektive möchte Kroatien zuvorkommen. Pünktlich zum touristischen Saisonende 2006 verkündete Zdenko Micic, Staatssekretär im Tourismus-Ministerium, man wolle in den nächsten Jahren 4,5 Milliarden Euro investieren, um Kroatien zu einem Land des Luxus-Tourismus zu machen, das spätestens 2012 von zwölf Millionen Gästen besucht und zehn Milliarden Euro touristische Einkünfte einfahren wird.

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