US-Imperialismus ist FundamentalismusGELESEN

„US-Imperialismus –Mutter aller Fundamentalismen“

Die unaufhaltsame Ausbreitung des Amerikanismus vom 19. Jahrhundert bis heute

Von Eberhart Wagenknecht

Tariq Ali: Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung. Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln, Heinrich Hugendubel Verlag (Diederichs), München 2002, 416 Seiten, 23.- Euro.

„In unserer Welt stehen sich zwei fundamentalistische Strömungen gegenüber. Einerseits der religiöse, andererseits der imperialistische Fundamentalismus. Ich zeichne den amerikanischen Imperialismus vom 19. Jahrhundert bis heute nach. Da zeigt sich, daß die USA in der Verfolgung ihrer Eigeninteressen ebenso fundamentalistisch und fanatisch sind wie die islamistischen Führer."

Tariq Ali

Wenn von Fundamentalismus die Rede ist, denkt wohl jeder sofort an den militanten Islamismus. Tariq Alis Verdienst ist es, auch den westlichen Fundamentalismus schonungslos beim Namen zu nennen und seine Strukturen aufzudecken.

Der Autor wurde 1943 in Lahore, heute Pakistan, geboren, das damals unter britischer Kolonialherrschaft stand. Als er die Schule besuchte, hatte sich die britische Kolonialmacht bereits vom indischen Subkontinent zurückgezogen. Indien wurde geteilt. Der nordwestliche Teil wurde den indischen Muslimen überlassen. Er nannte sich Pakistan.

In großangelegten „ethnischen Säuberungen“ wurden die Siks und Hindus aus Pakistan vertrieben oder sie wurden von ihren muslimischen Nachbarn erschlagen. Den Muslimen in Indien erging es ebenso. Diesen religiösen Fundamentalismus seiner Kindheit kennt Tariq Ali aus vielen Erzählungen.

Sein Widerstand gegen die pakistanische Militärdiktatur zwang ihn 1963 zur Emigration. Er ging nach Großbritannien, studierte Politik und Philosophie in Oxford. 1968 wurde er international bekannt als linker Studentenführer. Tariq Ali lebt in London als Journalist, Filmemacher und Schriftsteller. „Die steinerne Frau“, „Das Buch Saladdin“ und weitere Romane stammen aus seiner Feder.

„Es gibt keinen Zusammenprall der Kulturen, sondern einen Zusammenprall der Fundamentalismen“

In seinem Buch wird auf beinahe jeder Seite deutlich, wie zuwider dem Autor jede Art von Fundamentalismus ist, der islamistische ebenso wie der US-amerikanische. Seine These, die er durchgehend vertritt lautet: Es gibt keinen Zusammenprall der Kulturen, sondern einen Zusammenprall der Fundamentalismen.

Dem Islam wirft Tariq Ali vor, in Rückständigkeit und Dogmatismus erstarrt zu sein. Er fordert vehement zu seiner Reformierung auf.

Für den islamistischen Fundamentalismus und seine Gewaltausbrüche, macht er zu einem nicht geringen Teil die US-amerikanische Geopolitik verantwortlich. Die USA hätten sich seit jeher nicht gescheut, reaktionäre Regime zu unterstützen, wenn es ihren wirtschaftlichen Eigeninteressen diente. Zur Sicherung ihrer Ölversorgung hätten sie vor keinem noch so unappetitlichen Pakt mit brutalen Diktatoren zurückgeschreckt. Selbst wenn sie Demokratisierung gepredigt und versucht hätten sie durchzusetzen, sei es nur um ihre imperialen Interessen gegangen. Dies sei so, bis auf den heutigen Tag. Die Rechte und das Leben von Menschen scherten sie nicht. Als Beispiele führt der Autor Saddam Hussein und die Taliban an, beide aufgerüstet und hochgepäppelt von den USA. Jetzt, da sie sich in den Besitz der irakischen Ölquellen setzen wollten, sei den Amerikanern jedes Mittel zur Bekämpfung Saddams recht. Tariq Ali erinnert daran, daß britische und amerikanische Flugzeuge das Land am Tigris in gewissen Abständen seit dem Golfkrieg bombardieren. Sie hätten über 6000 Luftschläge geführt und hunderte Tonnen von Bomben abgeworfen.

„Wir brauchen dringend eine islamische Reformation“

Schonungslos zeigt der Autor in diesem Buch neben den wutverzerrten Zügen des islamistischen Fundamentalismus gleichermaßen auch das häßliche Gesicht des US-Imperialismus. Mit den von ihm genannten geschichtlichen Daten, den literarischen Beispielen aus der islamischen Welt und den Zitaten von Politikern, Autoren und Journalisten aus dem Westen überrascht er sicher viele seiner Leser. Die Fakten, die Tariq Ali, der „pakistanische Europäer“, der Grenzgänger zwischen der arabischen und der westlichen Welt zusammengetragen hat, machen sein Buch zu einer wertvollen Quelle für die Beurteilung der Krisenherde unserer Zeit.

Im Schlußkapitel „Brief an einen jungen Muslim“ fordert Tariq Ali die islamische Welt auf, sich zu ändern und sich für neue Ideen zu öffnen: „Wir brauchen dringend eine islamische Reformation“, schreibt er, „die mit diesem verrückten Konservatismus, mit dieser Rückständigkeit der Fundamentalisten aufräumt, und, was noch wichtiger ist, die die Welt des Islam für neue Ideen öffnet, die fortschrittlicher sind als das, was momentan der Westen anbieten kann.“

In den USA wird seit dem 11. September von vielen Intellektuellen immer wieder die Frage gestellt: „Warum haßt man uns so?“ Vielleicht wäre es hilfreich, wenn sich all die antwortheischenden Autoren und Journalisten das folgende Zitat über ihre Schreibtische hängen würden, das Tariq Ali seinem Buch vorangestellt hat. Zu einer realistischen Weltsicht könnte es mehr beitragen, als das Gerede von der besonderen Nation und seinen guten und gerechten Kriegen. Es ist ein Zitat von Thomas Hobbes, der1651 in seinem „Leviathan“ schreibt: „Die Ehre großer Völker ist nach ihrer Wohltätigkeit und Hilfe für Völker niedrigeren Ranges einzuschätzen oder aber überhaupt nicht. Und die von ihnen begangenen Gewalttätigkeiten, Unterdrückungen und Beleidigungen werden durch die Größe dieser Völker nicht gemildert, sondern erschwert, da sie es am wenigsten nötig haben, sie zu begehen. Die Folgen der Parteinahme für die Großen nehmen diesen Verlauf: Straflosigkeit bewirkt Übermut, Übermut Haß, und Haß das Bestreben, alle unterdrückende und kränkende Größe niederzureißen...“

Tariq Ali bezeichnet sich selbst als „Atheist“ und als „Aufklärer“. Über seine Herkunft aus der islamischen Welt sagt er: „Ich bin in jener religiös geprägten Kultur erzogen worden, und sie hat mein Leben bereichert. Es ist durchaus möglich, einer Kultur anzugehören, ohne sich zu ihrem Glauben zu bekennen.“

In Tariq Alis Darstellung der Fundamentalismen werden historische Wurzeln offengelegt: die Kreuzzüge, Aufstieg und Fall des Osmanischen Reiches, Zionismus, Wahhabismus, indischer Bürgerkrieg, Ölkriege, Taliban, Dschihad und das Schicksal des palästinensischen Volkes. Und schließlich die globale Ausbreitung des westlichen Imperialismus und dessen Bedeutung für viele Gewaltausbrüche auf dieser Welt. Das Buch handelt von Niederlagen und Demütigungen, von Massenmord und ethnischen Säuberungen. „Hundert Jahre Knechtschaft“ hat Tariq Ali seine Abhandlung über Palästina überschrieben. Hundert Jahre Knechtschaft, die seit der Kolonialzeit auf dem palästinensischen Volk lasten. Das Gewaltpotential des militanten Islamismus werde immer wieder daraus gespeist.

Bewegend ist das zitierte 20 Verse umfassende Gedicht des syrischen Dichters Nizzar Kabbani, das dieser nach dem Krieg von 1967 verfaßte. Er hatte es „Hawamisch ala Daftar al-Naksah“ betitelt. Übersetzt: „Randbemerkungen zu einem Buch der Niederlagen.“ Eine der Strophen lautet: „Mein betrauertes Land, in einem einzigen Augenblick hast Du aus mir, dem Poeten, der Liebesgedichte verfaßte, einen Dichter gemacht, der mit einem Messer schreibt.“ Er grämt sich über arabische Uneinigkeit und „orientalischen Schwulst“. Im sechsten Vers heißt es: „Unser Rufen ist lauter als unser Handeln, unsere Schwerter sind größer als wir. Das ist unsere Tragödie.“

„Wir ließen unser Öl durch die Zehen der Huren fließen“

Voll Bitterkeit geißelt er das Verhalten der Scheichs: „Das Öl unserer Wüste hätte als Dolche aus Feuer und Flammen auflodern können. Wir sind eine Schande für unsere edlen Vorfahren: Wir ließen unser Öl durch die Zehen der Huren fließen.“

Schließlich appelliert Kabbani an die arabische Jugend: „Wir wollen eine wütende Generation, die den Himmel pflügt, die die Geschichte sprengt, die unsere Gedanken sprengt. Wir wollen eine neue Generation, die keine Fehler verzeiht, die sich nicht beugt. Wir wollen eine Generation von Riesen.“

Im letzten Vers beschwört er die Zukunft: „Kinder Arabiens, Ähren der Zukunft, ihr werdet eure Ketten sprengen...ihr werdet die Niederlage überwinden.“

Auf 60 Seiten breitet Tariq Ali schließlich seinen „historischen Abriß des US-Imperialismus“ aus. Hier einige Kostproben aus diesem provokanten IV. Kapitel:

Den hochdekorierten General Smedley Butler vom US-Marineinfanteriekorps zitiert Tariq Ali mit den Worten: „Ich habe 33 Jahre und vier Monate als Mitglied der agilsten Militärmacht dieses Landes, der Marineinfanterie“ als „ erstklassiger Muskelmann für das Big Business, für die Wallstreet und die Banker“ gekämpft und dabei eine Schandtat nach der anderen begangen. Butler: „Kurzum, ich war ein Gangster des Kapitalismus.“

Den Starkolumnisten Thomas Friedmann von der „New York Times“ läßt er mit folgendem Kommentar vom 28. März 1999 zu Wort kommen: „Damit die Globalisierung funktioniert, darf sich Amerika nicht scheuen, wie die allmächtige Supermacht zu agieren, die sie ja tatsächlich ist. Die versteckte Hand des Marktes wird ohne eine versteckte Faust niemals funktionieren. McDonald’s kann ohne McDonnel Douglas, der den Jagdbomber F-15 gebaut hatte, nicht prosperieren, und die versteckte Faust, die die Welt für die Technologie aus dem Silicon Valley auch in Zukunft sicher und zugänglich macht, heißt US-Armee, Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie.“

Tariq Ali datiert Amerikas ersten Schritt auf dem Weg zur Weltmacht auf das Jahr 1917. Mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg von 1914-18, aus dem das Land am Ende als Sieger hervorging, habe Amerika damit begonnen, alle Widerstände gegen seine kapitalistische Weltordnung zu ersticken.

Nachdem die USA auch den Zweiten Weltkrieg für sich entschieden hätten, seien sie als wirtschaftlicher Sieger dagestanden: Deutschland geteilt, Japan besetzt, das britische Empire unaufhaltsam im Niedergang begriffen. Der folgende Aufstieg der Sowjetunion zum großen Gegenspieler wurde nach dem gewonnenen Kalten Krieg 1991 ebenso siegreich beendet.

Für die gewaltig wachsende Wirtschaft, die aus der Kriegsproduktion entstanden war, habe die USA die Grenzen ihrer Selbstversorgung mit Rohstoffen überschritten. „Der Erdölbedarf erforderte die Vorherrschaft in Teilen Lateinamerikas, des Nahen Ostens und Nigerias; Eisenerz kam aus anderen Teilen Lateinamerikas und aus Westafrika, weitere Mineralien aus Kanada, Australien und Südafrika.“

Der Autor schildert, wie Amerika seine Feindbilder nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen entwickelte: „Der Islam“, schreibt Tariq Ali, „wurde als die größte Bedrohung angesehen, weil eine beträchtliche Menge des weltweit verbrauchten Öls im Iran, im Irak und in Saudi-Arabien gefördert wird.“

„Moralische Vorstellungen haben die Politik der USA niemals bestimmt“

Moralische Vorstellungen oder gar die Unterscheidung von Gut und Böse hätten die Politik der USA nie belastet. Solche Etiketten würden nach Bedarf gewechselt. Allein der wirtschaftliche und militärische Nutzen zählte. Tariq Ali erinnert daran, daß die USA selbst die reaktionärsten Kräfte unterstützten und benutzten, wenn es der Mehrung ihrer Macht dienlich gewesen sei: „Die USA förderten beispielsweise die Muslimbruderschaften gegen Nasser in Ägypten, die Sarekat-i-Islam gegen Sukarno in Indonesien, die Dschamaat-al-Islamiya gegen Bhutto in Pakistan und später Osama bin Laden und seine Freunde gegen den afghanischen Kommunisten Nadschibullah.“

Zum Irak merkt Tariq Ali an: „Die Vereinigten Stzaaten unterstützten einen von Kriminellen beherrschten Flügel der Baath-Partei und ermutigten diese Leute, zuerst gegen die Kommunisten und dann gegen die Gewerkschaften der Erdölarbeiter vorzugehen. Saddam Hussein tat, was man von ihm verlangte und wurde dafür vom Westen mit Waffen und Handelsverträgen belohnt – bis zu seiner fatalen Fehleinschätzung bezüglich Kuwait 1991.“

Die massiven Rüstungsausgaben der USA dienten dazu, seine imperialistische Position als einzige Weltmacht zu sichern. Tariq Ali: „Welchen anderen Zweck hat die NATO, wenn nicht den, die Europäer zu kontrollieren?“ Der einzig denkbare Sinn der gigantischen US-Rüstungsausgaben sei die Aufrechterhaltung der amerikanischen Vormachtstellung gegenüber den eigenen Verbündeten. Tariq Ali: „General Butlers Darstellung gilt heute mehr denn je. Es handelt sich um ein globales Gangstertum zum eigenen Schutz.“

Und wie wird es weitergehen? Tariq Ali zitiert den amerikanischen Historiker Calmers Johnson. Er hatte ein Jahr vor den Attentaten auf das World Trade Center und das US-Verteidigungsministerium in seinem aufsehenerregenden Buch „Ein Imperium verfällt“ prophezeit, „daß eine Nation erntet, was sie gesät hat, selbst wenn sie gar nicht genau weiß oder begreift, was sie eigentlich gesät hat.“ Johnson hat die Anschläge im eigenen Land vorhergesehen.

Tariq Ali selbst resümiert: „In den vergangenen fünfzig Jahren war in vielen unterschiedlichen Kulturkreisen ein Wiederaufleben der politisch engagierten Religion zu beobachten. Dieser Prozeß ist noch lange nicht abgeschlossen. Ein Grund dafür ist die Tatsache, daß alle anderen Auswege (militärische, wirtschaftliche, kulturelle, d. Verf.) von der Mutter aller Fundamentalismen, dem amerikanischen Imperialismus, abgeschnitten worden sind.“

Rezension USA

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