09.08.2023 13:11:56
IMPERIUM AMERIKA
Von Johann von Arnsberg
EM – Amerika ist über den Begriff einer Supermacht und auch über den der Weltmacht längst hinausgewachsen. Amerika ist ein Imperium, ein Weltreich. Das neue Rom.
So jedenfalls sieht sich Amerika heute zunehmend selbst – vor allem seine politischen Eliten sehen es so. Viele in dieser Kaste wähnen, das Imperium würde wohl gerade entstehen, und man könne seine Geburt als Zeitgenosse sozusagen live miterleben. Andere, wie etwa Paul Kennedy („In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert“) meinen aber, es existiere längst.
Einer, der einstige Dozent für Politikwissenschaften Chalmers Johnson, sieht indes den Zenit bereits überschritten. „Wann endet das amerikanische Jahrhundert?“ fragt er in seinem Buch „The Costs of the American Empire“. Seine Antwort läßt zwar den Zeitpunkt offen, aber die Prognose ist eindeutig: „Es verfällt“, verkündet Johnson.
Wer unter all den Koryphäen die richtige Einschätzung trifft, offenbart dereinst die Geschichte. Worauf jedoch die derzeitige Macht des neuen Rom beruht, läßt sich zweifelsfrei bestimmen. Die beiden Politikwissenschaftler Stephen G. Brooks und William C. Wohlforth haben sich dieser Aufgabe in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Foreign Affairs“ (Juli/August 2002) unterzogen. Es ist die militärische, wirtschaftliche und kulturelle Vorherrschaft der Vereinigten Staaten, auf der ihre Macht basiert.
Aus ihrem Beitrag geht hervor, daß im Jahr 2003 die USA mehr Geld für ihre Streitkräfte ausgeben werden, als die fünfzehn Länder mit den nächstgrößten Armeen der Welt zusammen. Amerika gebietet demnach nicht nur über eine gewaltige Übermacht atomarer Waffen, sondern auch über die modernste und schlagkräftigste Luftwaffe. Das Imperium kann seine militärische Macht an nahezu jedem beliebigen Punkt der Erde zu seinem Vorteil einsetzen. Konkret: Es kann überall Kriege führen, auch an mehreren Orten gleichzeitig, und es braucht dafür von niemandem eine Erlaubnis einzuholen, denn niemand könnte es daran hindern.
Immerhin liefert es derzeit noch den einen oder anderen Vorwand für seine Angriffskriege, um der „Weltmeinung“ Nahrung zu geben. Aber im Zweifel wird auch darauf verzichtet. George W. Bush hat es auf den simplen Nenner gebracht: „Wir haben die beste, am besten geführte, am besten ausgerüstete und am besten ausgebildete Streitmacht in der Geschichte der Welt. Und wir haben sie jetzt.“
Auch über die Aufgabe dieser Streitmacht läßt der 43. US-Präsident niemanden im Zweifel: „Unser Militär ist dazu da, Kriege zu führen und zu gewinnen.“
Daß hinter dieser einmaligen Kriegsmaschinerie der United States auch die größte Wirtschaftsmacht und die größte Propagandaindustrie dieser Erde steht, ist nicht minder wichtig. Denn Millionenheere, wie sie Russen und Chinesen kasernieren, garantieren niemals Erfolg, wenn dahinter nicht wirtschaftliche und propagandistische Power stecken. Die aber hat Amerika in unvergleichlichem Maße. Auf diesen drei Säulen steht die weltumspannende Macht des amerikanischen Imperiums. Noch nie hat ein Weltreich die Erde derart total beherrscht. Es allein entscheidet über Krieg und Frieden überall auf dem Globus.
Auch der Frage nach dem möglichen Bestand des Imperiums Amerika sind Brooks und Wohlforth nachgegangen. Sie sehen nur eine Konstellation, die der amerikanischen Weltbeherrschung wirklich gefährlich werden könnte: eine gegen die USA gerichtete strategische Allianz aus Rußland, China, Japan und Deutschland. Nur diese vier eurasischen Mächte zusammen wären in der Lage Amerika ernsthaft herauszufordern. Dazu müßten sie aber nicht nur ihre militärischen Fähigkeiten gewaltig verbessern, sondern auch Mittel finden, um ihre Nachbarn auf dem eurasischen Kontinent zumindest zum Stillhalten zu bewegen. Das aber, so die US-Autoren, würde nicht gelingen. Die Anrainer und Mitbewohner des Kontinents würden sich sofort bedroht fühlen und würden dadurch zu potentiellen Gegnern. „Politik, auch internationale Politik, ist lokal“, beschreiben Brooks und Wohlforth diese Situation lakonisch.
Amerika, du hast es besser, verkündete schon Goethe in seinen „Zahmen Xenien“ von 1823. Auch für die strategische Situation der Vereinigten Staaten gilt dies in vollem Umfang. Genüßlich beschreiben die Autoren in Foreign Affairs, wie das Habsburger Reich, Napoleon und auch die Sowjetunion im Kalten Krieg stets durch ihre zentrale Lage letztlich zugrunde gegangen sind. Amerika, das von See her wie von einem riesigen Flugzeugträger aus agieren könne, habe diese Probleme natürlich nicht.
Also keine Chance für niemand? Amerika, das ewige Rom?
Nichts ist ewig. Was Brooks und Wohlforth angedacht haben, bräuchte man nur ein wenig weiter zu extrapolieren. Warum nur vier gegen Amerika? Was wäre, wenn es die einigermaßen vereinigten Staaten von Eurasien gäbe?
Wie, es gelingt schon nicht die von Europa zu einen? – Nun, gut. Aber vielleicht ist diese kleine Lösung auch viel schwieriger als die eurasische. Europa, das ist lokal. Lauter enge Nachbarn, seit tausend Jahren verfeindet, neiderfüllt, von Blutrachegedanken bessessen wie eine archaische Bauernsippe in Südeuropa. Ein zerstrittener Verwandtschaftsclan, bei dem selbst Fußball-Länderspiele als Fragen von Sein oder Nichtsein empfunden werden.
Könnte es nicht sein, daß pragmatische Lösungen für die Beendigung der US-Vorherrschaft leichter zu finden wären, wenn Franzosen und Chinesen, Inder und Spanier, Deutsche und Japaner, Russen und Italiener, Skandinavier und Türken am Tisch sitzen?
Ein Zeitraum von zwanzig Jahren wäre mindestens erforderlich, wenn allein die vier Länder Rußland, China, Deutschland und Japan sich anschickten, Eurasien von seinem US-Hegemon zu befreien, sagen Brooks und Wohlforth.
Der Fortbestand der globalen Vormachtstellung Amerikas hänge unmittelbar davon ab, wie lange und wie effektiv es sich in Eurasien behaupten könne, sagt der legendäre Chefstratege der Amerikaner und langjährige Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“.
Vielleicht fänden sich bei der Perspektive, daß in absehbaren Zeiträumen eurasische Flotten den Kontinent umkreisen würden – zum Beispiel -, und nicht mehr amerikanische, noch ein paar Staaten mehr, als nur jene vier.
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