Widerstand im ExilWEIßRUSSLAND

Widerstand im Exil

Unterdrückung und Verhaftung von Oppositionellen sind in Weißrussland an der Tagesordnung. Viele Dissidenten emigrieren deswegen in den Westen. Die Mitarbeiterin der oppositionellen Website „Charter 97“, Natalia Radzina, ist über Russland und die Niederlande nach Litauen geflohen, wo sie politisches Asyl bekommen hat. Von dort kämpft sie für ein freies Belarus.

Von Birgit Johannsmeier

U ngestört durch die Stadt spazieren, Kaffee trinken, im Netz surfen und in Ruhe einen Artikel schreiben: Für Natalia Radzina ist das nicht selbstverständlich. Immer wieder hebt die Belarussin ihren Blick, wenn ein neuer Gast das Lokal betritt. Die junge Frau ist auf der Flucht vor dem belarussischen Geheimdienst KGB in der litauischen Hauptstadt Vilnius gestrandet. Zuhause wurde ihr Telefon abgehört, auf der Straße wurde sie verfolgt. „In Belarus war ich ständig unter  Beobachtung. Hier in Litauen bin ich plötzlich ganz frei. Das ist toll, aber es fällt mir auch sehr schwer, mich daran zu gewöhnen.“

Eine Bleibe hat Natalia Radzina bei anderen Regimegegnern in Vilnius gefunden. Aus dem Exil wollen die Oppositionellen die Regierung in Belarus bekämpfen. Von hier aus schreibt sie für das Internetportal „Charter 97“, eine Website von Oppositionellen, die sich 1997 zusammentaten, um gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu protestieren und über die Willkür im Heimatland zu berichten. Der KGB habe fünf Mal ihr Büro gestürmt, sagt Natalia. Computer wurden konfisziert und Druck auf ihre Mitarbeiter ausgeübt. „Ich habe zwei Teams verloren, weil die Leute Angst hatten, zu arbeiten.“

Am 19. Dezember 2010 hatte Natalia über die Fälschung und die Proteste bei der Präsidentenwahl berichtet. Daraufhin wurde sie verprügelt und inhaftiert. Viele Oppositionelle sitzen bis heute im Gefängnis, unter ihnen auch Andrej Sannikow, der als Präsidentschaftskandidat gegen Alexander Lukaschenko angetreten war.

Über das Internet behält sie Verbindung zur Heimat

Natalia hatte mehr Glück. Nach sechs Wochen im KGB-Untersuchungsgefängnis durfte sie zu ihren Eltern in die Kleinstadt Kobrin und stand dort unter Hausarrest. Auf dem Weg zum Verhör nach Minsk konnte sie mit Hilfe ihrer Freunde im Auto nach Moskau fliehen. „Wie durch ein Wunder“, sagt Natalia, „hat mich der russische Geheimdienst dort nicht auf offener Straße verhaftet“. Im Laufe von vier Monaten wurde sie in Moskau als Flüchtling anerkannt und durfte Ende Juli in die litauische Hauptstadt Vilnius ausreisen. Über das Internet steht sie mit ihren Freunden in Belarus in Kontakt und sammelt neueste Informationen für ihre Website „Charter 97“.

In Minsk hoffen die Lukaschenko-Gegner auf die Opposition im Ausland. „Wir werden siegen, wir werden siegen“, rufen wenige hundert Demonstranten im Chor. Anfang Oktober haben sie sich in Minsk versammelt, um gegen Lukaschenko zu demonstrieren. Kurz darauf verbietet der Präsident jede Versammlung von mehr als drei Personen. Auf Transparenten fordern sie die Freilassung inhaftierter Dissidenten und warnen vor einem wirtschaftlichen Kollaps. „ Der Präsident ist gegen uns“, sagt eine ältere Frau erbost. „Wir wollen einen Wechsel. Es gibt kluge Politiker, aber sie sind im Gefängnis. Wir hoffen auf Natalia Radzina, wir lesen ihre Website. Sie ist im Exil und kann uns vielleicht helfen.“

Die Leute in der Provinz wissen nicht, dass es Gegenkräfte gibt

Auch die 35-jährige Dana liest regelmäßig auf „Charter 97“, wie es um die Oppositionellen in der Haft steht. Die Journalistin, die ihren eigentlichen Namen nicht nennen will, schreibt für eine Zeitung in der Provinz. Einen Job hat sie bereits verloren, weil sie die Politik von Lukaschenko kritisiert hat. Allerdings fühlt sich Dana von niemandem in Belarus vertreten weder von den Oppositionellen vor Ort noch von den Dissidenten in Litauen. „ In unsere Kleinstadt hat sich bis heute kein Regimegegner verirrt“, klagt sie. Die Leute in der Provinz wüssten nicht, dass es Gegenkräfte gebe. „Und die Dissidenten im litauischen Exil müssen zwar keinen KGB mehr fürchten“, sagt Dana, „aber Macht haben sie keine.“

Genau das will Natalia Radzina ändern. Die litauische Hauptstadt Vilnius liegt nur 20 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt. Hier trifft sie sich Tag für Tag mit den anderen Dissidenten zur Lagebesprechung. Was können die Oppositionellen gegen Lukaschenko ausrichten? „Brüssel sollte endlich wirtschaftliche Sanktionen einführen“, sagt Natalia. „Dann fällt der Diktator in Tagen oder Wochen.“ Aber dafür benötigt die Opposition Unterstützung. Natalia will in der EU und in den USA dafür werben. Ihre lange Reise ist erst beendet, wenn in ihrer Heimat Belarus Demokratie herrscht.

Lesen Sie dazu auch: „Lukaschenko will, dass alle schweigen“ in EM 06-2011

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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