Wirtschaft in Polen leidet unter steigenden LöhnenPOLEN

Boom-Land in der Lohnfalle

Jahrelang ging es für die polnische Wirtschaft bergauf, doch nun erhält der Boom einen Dämpfer: Einigen Investoren sind die Arbeitskräfte in Polen mittlerweile zu teuer. Der Staat hat zu wenig in Bildung investiert, die meisten Unternehmen sind nicht innovativ genug – einige aber zeigen, wie es gehen kann.

Von Jan Opielka

Vor zehn Jahren war hier großenteils noch Ackerland“, sagt Tadeusz Barcik. Der Betreiber einer Kfz-Prüfstelle und Direktor einer Wohnungsgenossenschaft zeigt auf die riesige Fläche der Sonderwirtschaftszone KSSE in der Nähe der oberschlesischen Stadt Gliwice. Vor der Wende gehörte das Land zu einer staatlichen Produktionsgenossenschaft. Als deren Vizedirektor musste Barcik in den neunziger Jahren den Betrieb abwickeln und teilprivatisieren. Auf knapp 1.000 Hektar haben hier inzwischen mehrere Dutzend Unternehmen Fertigungshallen hochgezogen. Den Anfang machte 1998 Autohersteller Opel, etliche Firmen zogen nach. Auf dem Gebiet der KSSE arbeiten heute gut 50.000 Menschen.

„Neben erheblichen Steuernachlässen und der guten Infrastruktur waren für ausländische Investoren bislang die niedrigen Löhne der Hauptanreiz, in Polen zu produzieren“, sagt Barcik. Doch das Billiglohn-Argument zieht immer weniger. Polen hat in der vergangenen Dekade einen Boom erlebt, selbst in den Krisenjahren ab 2008 rutschte es als einziges EU-Land nicht in die Rezession.

„Polen ist nicht mehr sexy“

Als Folge des Aufschwungs wuchsen auch die Einkommen: Der Durchschnittslohn ist seit dem EU-Beitritt des Landes von umgerechnet rund 500 Euro auf derzeit umgerechnet 900 Euro gestiegen. „Polen ist nicht mehr sexy“, sagt Roland Kaschny, Ukraine-Chef des deutschen Schleifmittelherstellers Klingspor. Seit 2010 betreibt Klingspor ein Werk im ukrainischen Lemberg, in Polen produziert es seit den 1990er Jahren. Nicht sexy heißt: Zu teuer. Klingspor zahlt seinen ukrainischen Arbeitern 200 bis 300 Euro pro Monat und setzt bei Neuinvestitionen auf diesen Standort.

Nach Polen fließen zwar immer noch ausländische Direktinvestitionen, doch Großprojekte wie das von Opel, die wie Magneten wirken, sind nicht in Sicht. Daher hat die polnische Regierung die Steuerbefreiung in den 14 Sonderwirtschaftszonen in der Hoffnung auf neue Investitionen vor kurzem um sechs weitere Jahre bis 2026 verlängert. Zuletzt kündigte der Online-Versandhändler Amazon den Bau von drei Standorten in Polen an.

Nur noch verlängerte Werkbank

Doch das Gros ausländischer Investoren nutzt das Land lediglich als verlängerte Werkbank. Polnische Firmen wiederum sind im Segment höherwertiger Produkte noch im Hintertreffen. „Polen muss in Sachen Effizienz aufholen und investieren“, sagt Brunon Gabrys, Gründer und Chef von Aiut, das sich auf industrielle Automatisierung und Telemetrie spezialisiert. Aiut selbst investiert kräftig, gehört damit jedoch zur Minderheit im Land: Von 2004 bis 2010 führte nur jedes vierte polnische Unternehmen technologische Innovationen ein, in Deutschland waren es rund zwei Drittel aller Firmen. Die Bildungs- und Forschungsausgaben von Staat und Wirtschaft sind mit 0,7% des BIP mit die niedrigsten der EU. Als Folge droht Polen in der „Falle des mittleren Einkommensniveaus“ steckenzubleiben, warnt eine aktuelle Expertise, zu deren Verfassern Ex-Wirtschaftsminister Jerzy Hausner gehört.

Dass Polen Potenzial hat, zeigen einige polnische Großunternehmen. Der Zughersteller Pesa oder der Bus-Bauer Solaris sind international bekannt. Der IT-Spezialist Asseco aus Rzeszow ist EU-weit der siebtgrößte der Branche. Hoffnungen ruhen zudem auf polnischen Mittelständlern, die komplexe Produkte anbieten und auf besserverdienende Hochqualifizierte setzen.

Vertrauen durch Qualität

Dazu gehört auch Aiut. Das Unternehmen wurde 1991 gegründet und beschäftigt in der Sonderwirtschaftszone bei Gliwice rund 300 Menschen, überwiegend Ingenieure. „Wir zahlen mehr als den Durchschnittslohn“, sagt Firmenchef Gabrys. Für polnische Unternehmen sei es in der ersten Etappe wichtig, den Lohnkostenvorteil zu nutzen, um Aufträge zu erhalten. „Wenn Kunden dann sehen, dass unsere Qualität denen westlicher Firmen in nichts nachsteht, gewinnen sie Vertrauen, und wir können höhere Preise verlangen.“ Seit einiger Zeit gehört beispielsweise BMW zu Aiuts wichtigsten Kunden.

Bei der Fahrt durch das ehemalige Ackerland bei Gliwice sieht man Werkhallen aus Wellblech, die eilig hochgezogen wurden und genauso schnell wieder verlassen werden können. Aiut hingegen hat seine Zentrale aus Ziegeln und Beton errichtet. „Wir werden hier bleiben, auch wenn die Steuervorteile eines Tages versiegen“, sagt Firmenchef Gabrys. „Wir haben mühsam ein hochqualifiziertes Team aufgebaut. Das kann man nicht verlagern.“

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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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