Mit den Beziehungen EU-Rußland kann es eigentlich nur aufwärts gehenSTRATEGIEDEBATTE

Mit den Beziehungen EU-Rußland kann es eigentlich nur aufwärts gehen

Ob Rußland mit Europa zu einer Einheit verschmelzen muß, kann oder wird - diese von Alexander Rahr gestellte Frage klingt fast rhetorisch. Mit Ja oder Nein zu antworten käme einem Glaubensbekenntnis gleich.

Von Oleg Zinkovski

Das Abendland versuchte immer wieder, mindestens seit der Christianisierung Rußlands vor 1000 Jahren, dieses sich wie ein ganzer Erdteil weit über den eurasischen Kontinent hin ausbreitende Land in seinen geopolitischen Raum einzubinden. So recht geklappt hat es nie.

Auch heute kann es mit den Beziehungen EU-Rußland eigentlich nur aufwärts gehen, denn diese Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Schaffung der sogenannten vier gemeinsamen Räume kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß beide Seiten vielleicht keine grundlegenden Differenzen, aber auch keine gemeinsamen Visionen haben. Der Stillstand hat viele Gründe.

Erstens tun sich die Brüsseler und Moskauer Bürokraten schwer mit der Lösung strittiger Fragen, wie z.B. dem Kaliningrader Transit.

Zweitens spricht die EU nicht mit einer Zunge. Die neuen Ostmitglieder, allen voran Polen und die baltischen Staaten, sehen in Rußland eine traditionelle Gefahr und dämpfen eine auf die Einbeziehung Moskaus gerichtete Politik der Gründerstaaten Deutschland und Frankreich.

Drittens lähmt die Verfassungskrise der Europäischen Union alle außenpolitischen Aktivitäten.

Viertens spielte sich um die Ukraine ein schwerer Interessenkonflikt zwischen Rußland und der EU ab.

Spätestens seit der „Orangerevolution“ in der Ukraine will die EU die ehemaligen Sowjetrepubliken nicht weiter als eine natürliche Einflußsphäre Rußlands betrachten. Moskau schmerzt dies sehr. Man hoffte mit dem Westen eine Art Gentleman Agreement geschlossen zu haben, das in etwa so aussehen sollte: Der Kreml zieht sich aus fast allen Einflußbereichen der ehemaligen Sowjetunion zurück und darf dafür im sogenannten „nahen Ausland“ als Ordnungsmacht auftreten. Dieser Deal, den es vielleicht so auch gar nicht gegeben hat, gehört nun der Vergangenheit an.

Die kommenden Jahre könnten zu einer Rivalität zwischen Rußland und der EU um die Dominanz im postsowjetischen Raum führen. Staaten wie die Ukraine, Moldau und Weißrußland würden zu Zankäpfeln. Sollten sich dort, wie in Lettland und Georgien, rußlandkritische Regime etablieren, fühlte sich Moskau eingekreist und gedemütigt. Könnte die Ukraine, durch Washington unterstützt, in die NATO eintreten, wäre dies das Ende aller Moskauer Träume von einer russisch-ukrainisch-weißrussischen Reintegration. Dieser Rückschlag würde die Pragmatiker im Kreml schwächen, die ihrerseits durch die Moskauer Falken bedrängt werden. Als Folge käme es zu Selbstisolation und antiwestlicher Grundstimmung, einer weiteren Zentralisierung und Militarisierung der Macht.

Europa ist an diesem Szenario nicht interessiert. Denn das heutige Rußland ist kein Imperium, und Wladimir Putin alles andere als ein säbelrasselnder Revanchist. Er trauert zwar der Sowjetunion nach, hat aber Probleme, mindestens den Kernbereich des zerfallenen Reiches zu sichern. Rußand hat schwere innere Aufgaben zu bewältigen. Es soll grundreformiert werden, wirtschaftlich und administrativ. Separatistische Gefahren sind nicht gebannt. Eine demographische Krise spitzt sich zu. Das Land kann aus dem Ruder laufen. Um drohende Systemkrisen abzuwenden, braucht man eine lange Stabilitätsphase und äußere Sicherheit.

Der Kreml stellt sich darauf ein. Das deutsche Wort „Realpolitik“ spricht man dort ohne Übersetzung. Nach 80 Jahren totaler Ideologie und ideologischem Totalitarismus gibt sich Rußland betont sachlich. International sucht man Kooperation, aber auch Konkurrenz unter Partnern. Dieser nicht ganz freiwillige Opportunismus bietet neue Chancen der Zusammenarbeit, die auch Europa zu schätzen lernen sollte.

Perspektivisch gibt es für beide Seiten viel mehr Verbindendes als Trennendes. Sie stehen gleichermaßen vor globalen Herausforderungen und können gemeinsam Gefahren, wie dem internationalen Terrorismus, dem Drogentransfer und der illegalen Migration begegnen.

Die Beziehungen zur EU sind für Moskau vorrangig. Die Union soll zur wichtigsten Modernisierungsressource Rußlands werden. Eine transatlantische Orientierung, wie noch unter Boris Jelzin, wurde unter seinem Nachfolger Putin durch eine klare europäische Ausrichtung der russischen Außenpolitik ersetzt.

Europa seinerseits hat ein existentielles Interesse an Rußland. Man braucht es als Stabilitätsfaktor im Osten und als Teil der Balance in einer multipolaren Welt. Kommt es, wie befürchtet, zu einer großen Auseinandersetzung mit dem Islam, wird Rußland zu einem natürlichen Verbündeten und vielleicht zum Vermittler.

Die Beziehungen EU-Rußland stehen auf einem festen Fundament wirtschaftlicher Interessen. Die wachsende Instabilität im Mittleren Osten und auf dem Kaukasus macht Rußland zu der verläßlichsten Rohstoffquelle Europas. Moskau ist andererseits auf die europäischen Investitionen und Technologien angewiesen. Man kann von einer asymmetrischen Abhängigkeit reden.

Eine gegenseitige Einbindung Europas und Rußlands in globale politische und wirtschaftliche Prozesse empfiehlt also eine Interessengemeinschaft. Trotzdem haben die EU und Rußland immer noch kein schlüssiges Konzept gemeinsamer Zukunft. Im Prinzip sind drei Varianten denkbar.

Erstens: Eine weitgehende Integration, die eine Beitrittsperspektive für Rußland offen hält. Dieser Weg der „Verschmelzung“ hat viele Stolpersteine. Europa „von der Bretagne bis Wladiwostok“ gilt vor allem im Westen als unrealistisch. Die EU hätte Rußland gern ihre Werte und Normen übertragen, doch ohne dafür eine Mitgliedschaft anzubieten. Moskau seinerseits will keine einseitige Annäherung an die EU. Es hat Ambitionen, als ein selbständiges Machtzentrum aufzutreten.

Zweitens: Eine Partnerschaft ohne Integration. Beide Seiten sehen sich als unabhängige Akteure und stimmen ihre Interessen nicht über das Notwendige hinaus ab. Um echte Synergieeffekte zu erzeugen, ist es zu wenig. Europa und Rußland müssen allein schon wegen ihrer wirtschaftlichen Verflechtung enger zusammenwirken. Es darf keine rivalisierende Parallelität entstehen. Sie kann zu Spannungen führen, weil keine Mechanismen eingebaut sind, um mögliche Konfrontationen zu vermeiden.

Drittens: Eine Integration ohne formelle Einheit.Für Moskau wäre eseine Art „privilegierter Partnerschaft“. Für Europa eine Eingliederung Rußlands nicht über ein kritisches Maß hinaus. Ein Assoziierungsabkommen zwischen Rußland und der EU wäre denkbar und wünschenswert. In einigen Bereichen würde Rußland, soweit es beiderseitige Interessen fordern, eine de-facto- Mitgliedschaft erreichen. Ansonsten könnten die Partner ihre selbständige Politik fortführen und nur in konkreten Projekten zusammenarbeiten.

Dieser Weg ist nicht spektakulär. Doch entspricht er heute eher den gemeinsamen Vorstellungen beider Seiten. Die kleinen Schritte bringen sie einander näher. In Zukunft wird die Zusammenarbeit intensiver. Europa und Rußland können gemeinsam Konfliktfelder abbauen und neue Integrationsmodelle entwickeln. Vielleicht - wer weiß - führen sie Rußland viel enger an die EU-2015, als es heute in der EU-2005 möglich ist.

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Oleg Zinkovski ist Leiter der russischen Redaktion beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und Mitglied der Arbeitsgruppe „Zukunftswerkstatt“ des deutsch-russischen Petersburger Dialogs.

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