Landflucht lässt die Moloche weiter wachsenMETROPOL-REGIONEN

Landflucht lässt die Moloche weiter wachsen

Landflucht lässt die Moloche weiter wachsen

2007 wohnen erstmals weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Das hat eine Untersuchung der Vereinten Nationen ergeben. Von den 6,5 Milliarden Menschen, die derzeit auf der Erde leben, ist mehr als jeder zweite ein Stadtbewohner. Auch die wissenschaftliche Plenarsitzung der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) in Hamburg befasste sich kürzlich unter der Überschrift „Metropolregionen und territoriale Kohäsion“ mit diesem Phänomen. Etwa 250 Wissenschaftler und Spezialisten aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Holland, Polen, sowie Russland und Kanada diskutierten die Möglichkeiten der zukunftsfähigen Raumentwicklung.

Von Tatjana Balzer

Metropolregionen in Deutschland  
Metropolregionen in Deutschland  

M etropolen gibt es immer mehr, und sie werden ständig größer. Seit Jahrzehnten wachsen weltweit Großstädte in die Höhe, breiten sich in alle Richtungen aus und nehmen gleich einem Kraken mit ihren Fangarmen immer mehr Land in Besitz.

In Deutschland bestehen elf solcher Metropolregionen. Die älteste davon ist das Rhein-Ruhrgebiet, in dem die Ruhrregion besonders vom Wirtschaftswandel betroffen war. Einst ein Flaggschiff der Montanindustrie und Hauptenergielieferant des ganzen Landes, ist das Ballungsgebiet nunmehr bemüht, sich in anderen Wirtschaftszweigen zu behaupten, wie in den Bereichen Informationstechnologie, Logistik oder Mikrotechnik.

Die Suche nach dem optimalen Ausweg

Besondere Dynamik entfaltet derzeit der jüngste deutsche Metropolraum: das Sachsendreieck im Osten mit den Städten Leipzig, Halle, Dresden, Chemnitz und Zwickau. Nach wie vor stark sind auch die „alten“ Wirtschaftsmotoren der Bundesrepublik, etwa die Großstädteregionen um München, Nürnberg, Frankfurt, Stuttgart, Berlin und Hamburg.

Fast alle diese Ballungsgebiete, wie auch urbane Räume in anderen europäischen Ländern, haben die gleichen Probleme. Die meisten entstehen durch die Konzentrierung der ökonomischen Entwicklung auf bestimmten Territorien mit allen daraus resultierenden demographischen, politischen und ökologischen Folgen. Die Situation sieht fast immer so aus: Je stärker sich die erfolgreichen Städtesysteme entwickeln, desto schwächer werden die peripheren Regionen. Die Suche nach dem optimalen Ausweg stand deshalb im Mittelpunkt des Hamburger Wissenschaftlertreffens.

Liegt die Lösung in mehr Solidarität?

„Die Strategie des ‚Stärken stärken’ stärkt die Starken stärker“ formulierte Fritz Wegelin, ein an der Hamburger Tagung teilnehmender Wissenschaftler aus der Schweiz sehr plastisch und einprägsam. Doch was geschieht dann mit strukturschwachen Räumen? Liegt die Lösung womöglich in der Verantwortung der Starken für die Schwachen, im Entwicklungsausgleich, also – in der Solidarität? Und wie viel Solidarität darf es sein? Wie viel Zusammenhalt erträgt die gesamte Volkswirtschaft? Einige der Teilnehmer sahen es auch als nicht ungefährlich an, eine Grenze zu überschreiten, um in uneffektive Regionen große Summen zu investieren. Dieses Investitionskapital müsse schließlich von den starken Regionen erwirtschaftet werden und wenn es in den schwachen Räumen „versickere“, werde das Gesamtwachstum beeinträchtigt.

Auch wenn es in verschiedenen Metropolregionen durchaus Gemeinsamkeiten gebe, seien doch auch gravierende Unterschiede festzustellen. Während die Grenzlinie zwischen dynamischen und zurückgebliebenen Räumen in vielen Ländern fast immer zwischen städtischen und ländlichen Regionen verlaufe, gäbe es eben auch Ausnahmen. Im Ballungsraum Nürnberg zum Beispiel treten nach den Worten der Geschäftsführerin dieser europäischen Metropolregion, Christa Standecker, „keinerlei Ungleichheiten zwischen Stadt und Land auf.“

„Weniger Standortkonkurrenzen – mehr Kooperation“, so lautet das Fazit des Wissenschaftlertreffens. Bei heutiger Entwicklung der urbanen Räume sei es nach wie vor wichtig, „Stärken zu stärken“, zugleich jedoch auch die Schwächeren ins Boot mitzunehmen. Den territorialen Zusammenhalt dürfe man nicht aus den Augen verlieren.

Diskutiert wurde auf der ARL-Tagung insbesondere das Konzept der Verantwortungsgemein-schaften: Verdichtungsräume und die sie umgebenden ländlichen Räume arbeiten bereits heute eng zusammen und erteilen – so Dr. Bernd Steinacher, Präsident des „Network of European Metropolitan Regions and Areas (METREX)“ – der Konservierung des Stadt-Land-Gegensatzes eine klare Absage. Das Verhältnis der Verdichtungsräume zu ihrem Umland sei bereits heute ein wichtiges Thema in allen Metropolregionen. Tragfähige regionale Kooperationsformen würden in Zukunft wichtiger denn je, gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der abnehmenden Bedeutung klassischer staatlicher Ebenen.

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Lesen Sie auch in dieser Ausgabe: Die spezifischen Probleme der russischen Metropolregionen, Interview mit Sergej Kusnezow

Globalisierung Russland Wirtschaft

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