„Wir wollen keine Sonderbedingungen“RUSSLAND UND DIE WTO

„Wir wollen keine Sonderbedingungen“

„Wir wollen keine Sonderbedingungen“

Seit Beginn der 90er Jahre verhandelt Russland über einen Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO). Im November letzten Jahres unterzeichneten Russland und die USA ein Protokoll über den Beitritt. Doch der steht noch immer aus. Das EURASISCHE MAGAZIN sprach mit Maxim Medwedkow, dem Leiter der russischen WTO-Verhandlungsdelegation.

Von Ulrich Heyden

Maxim Medwedkow  
Maxim Medwedkow  

E urasisches Magazin: Maxim Jurewitsch, vor 14 Jahren begannen die Verhandlungen über Russlands Beitritt zur WTO. Sie selbst sind seit sieben Jahren der Verhandlungsleiter für Russland. Warum dauern die Gespräche so lange?

Medwedkow: Russland, das ist die größte Wirtschaft von denen, die sich bisher nicht der WTO angeschlossen haben. Es gibt ein großes Interesse für unsere Waren und Dienstleistungen. Die Arbeitsgruppe, welche sich mit dem Beitritt Russlands beschäftigt, besteht aus 60 WTO-Mitgliedern. Eines dieser Mitglieder ist die EU-Kommission. Sie vertritt die Interessen von 27 EU-Mitgliedern. Jeder unserer Verhandlungspartner hat besondere Fragen, und wir müssen mit ihnen Kompromisse finden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Gespräche so lange dauern. Genauso lief es auch beim WTO-Beitritt Chinas. Bei kleineren Staaten geht der Beitrittsprozess wesentlich schneller, ihnen gegenüber gibt es weniger Interessen.

EM: Rechnen Sie damit, dass es bald zu einem Durchbruch für Russlands Mitgliedschaft in der WTO kommt?

Medwedkow: Wir brauchen keinen Durchbruch. Wir wollen die noch ausstehenden Fragen ruhig und im beiderseitigen Interesse lösen. Der Großteil dieser Fragen hat einen rein technischen Charakter. Die Führer der G8-Staaten erklären ständig ihre Bereitschaft einer politischen Unterstützung für den WTO-Beitritt Russland. Für uns ist es wichtig, dass diese Unterstützung real wird, das heißt, dass die Verhandlungsdelegationen die Anweisung bekommen, die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen.

„In Vielem ist der Beitritt Russlands unser gemeinsames Projekt mit der EU.“

EM: Europa habe eigentlich ein noch größeres Interesse an dem Beitritt als Russland selbst, erklärte Wladimir Putin kürzlich. Können Sie das erläutern?

Medwedkow: In Vielem ist der Beitritt Russland zur WTO unser gemeinsames Projekt mit Europa. Es geht um den Aufbau einer offenen, konkurrenzfähigen russischen Wirtschaft, die einbezogen ist in einen intensiven, dynamischen und wachsenden Handel mit den Staaten der EU. Es ist im beiderseitigen Interesse, eine voraussehbare und transparente Wirtschaftspolitik zu machen.

EM: Im November letzten Jahres wurde ein Protokoll zwischen Russland und den USA über den russischen WTO-Beitritt unterzeichnet. Sind seitdem neue Schwierigkeiten mit Washington aufgetaucht?

Medwedkow: Nein, mit den USA sprechen wir zurzeit über Fragen, welche die Handelsgesetze betreffen und die nicht im zweiseitigen Protokoll stehen. Wir haben diese Fragen für die Endphase der Gespräche mit allen Verhandlungspartnern aufgehoben. Das sind nicht viele Fragen. Aber diese Fragen sind sehr wichtig für die Wirtschaft der USA. Wir haben über diese Themen letztes Jahr im zweiseitigen Dialog gesprochen.

EM: Welche Streitpunkte gibt es noch mit der EU?

Medwedkow: Mit der EU sprechen wir zurzeit über 15 Fragen, welche die Handelsgesetze betreffen. Über den Großteil dieser Fragen wurde bereits Einigkeit erzielt. Zu den noch problematischen Fragen gehört die Verpflichtung Russlands in Bezug auf die Verhängung von Export-Zöllen nach dem Beitritt zur WTO.

„Wir haben uns nicht verpflichtet, das Exportmonopol für Gas abzuschaffen.“

EM: Bedeutet ein WTO-Beitritt, dass Russland – wie von der EU gewünscht - das staatliche Pipeline-Monopol aufgibt, die Inlandpreise für Gas liberalisiert und die Gas-Export-Steuern abschafft?

Medwedkow: Wir haben uns nicht verpflichtet, das Exportmonopol für Gas abzuschaffen und die Export-Zölle für Gas zu senken. Was den Gaspreis im Inland betrifft, konnten wir unsere Partner in der EU-Kommission überzeugen, dass die Preise schrittweise angehoben werden und eine Preispolitik gemacht wird, welche sicherstellt, dass unsere Produzenten und Gas-Händler ohne  Verlust arbeiten. Das sind Elemente unserer eigenen Strategie zur Entwicklung dieses Wirtschaftssektors.

EM: Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, German Gref, erklärte, über das Partnerschaftsabkommen mit der EU werde erst nach dem WTO-Beitritt verhandelt. Warum diese Koppelung?

Medwedkow: Ich habe schon über diese Wechselbeziehung gesprochen. Für die Vertiefung unserer Handels- und Wirtschaftsbeziehungen brauchen wir einen Ausgangspunkt. Für die EU sind das die vorhandenen Verpflichtungen der EU im Rahmen der WTO. Solange die Bedingungen für unseren WTO-Beitritt nicht in Kraft getreten sind, gibt es so einen Ausgangspunkt für den Marktzugang und die Handelsrechte für uns nicht. Wir wissen, was wir voneinander wollen, aber wir können den Prozess nicht starten. Man muss einen Ausgangspunkt haben.

„Georgien und Polen sind offenbar der Meinung, die WTO sei ein Haken, an dem man Russland aufhängen kann.“

EM: Georgien und Polen wollen Ruslands WTO-Beitritt blockieren. Warum ist es eigentlich so schwierig, mit diesen Ländern ein Auskommen zu finden?

Medwedkow: Leider ist es sehr schwer, einige Partner davon zu überzeugen, dass die WTO eine Handelsorganisation ist, in der über Handelsfragen gesprochen wird, die in der Vereinbarung der WTO festgelegt sind. Diese Staaten sind offenbar der Meinung, die WTO sei ein Haken, an dem man Russland aufhängen kann, um dann jede beliebige Forderung durchzusetzen, egal auf welchem Gebiet. Wir sind bereit, mit allen unseren Partnern die Fragen zu verhandeln, welche die Kompetenz der WTO betreffen. Aber es läuft nicht, wenn unsere Partner Fragen entscheiden wollen, die nicht den Handel betreffen. Dafür gibt es andere Instrumente und Foren.

EM: Welche Zugeständnisse hat Russland bei den WTO-Verhandlungen bereits gemacht? An welchen Punkten sind aus Ihrer Sicht keine weiteren Zugeständnisse mehr möglich?

Medwedkow: Alle Zugeständnisse, die während der Gespräche gemacht wurden, betreffen die Bedingungen des Zugangs zum russischen Markt für Waren und Dienstleistungen. Die Vorschläge, die Russland gemacht hat, hinsichtlich des Zugangs zu den Waren- und Dienstleistungsmärkten sind ein Beweis für den wichtigen Beitrag Russlands bei der Liberalisierung des Welthandels. Insgesamt sinken die Zollsätze im Verlauf einer Übergangszeit um 12,9 Prozent.

Was die Gespräche mit unseren Partnern betrifft, die zurzeit laufen: Da geht es nicht um Kompromisse. Wir beraten darüber, welche Maßnahmen Russland ergreifen muss, um seine Handelsgesetze den Normen und Regeln der WTO anzupassen. Die Probleme tauchen auf, wenn uns vorgeschlagen wird, „spezielle“ Verpflichtungen zu übernehmen, die nur in Russland gelten und die es zwischen den Mitgliedern der WTO nicht gibt. Wir sind der Meinung, dass das nicht gerecht ist. Das zerstört die Universalität des vielseitigen Handelssystems. Solche Zugeständnisse werden wir nicht machen. Übrigens, das betrifft die Frage der Exportzölle, welche über 80 Länder, die Mitglieder der WTO sind, frei und ohne jegliche Verpflichtungen, verhängen.
 
EM: Inwieweit beeinflussen politische Fragen wie die unterschiedlichen Meinungen über die Politik gegenüber dem Iran, die geplante amerikanische Raketenabwehr in Europa oder die Frage der Menschenrechte in Russland die WTO-Verhandlungen?

Medwedkow: Direkt gibt es keinen Einfluss. Auf unseren Treffen sprechen wir nicht über diese Probleme.

„Die Tatsache, dass ein Mensch es sich nicht leisten kann, etwas zu kaufen, rechtfertigt nicht, dass er sich am illegalen Handel mit Produkten von geistigem Eigentum beteiligt.“

EM: Inwieweit vergrößern sich die Möglichkeiten für russische Investoren in Europa, nach einem Beitritt Russlands zur WTO?

Medwedkow: Für die russischen Exporteure und Investoren bedeutet Russlands Beitritt zur WTO, dass es klare und verständliche Spielregeln gibt, welche im Rahmen der WTO gültig sind. Das ist ein wichtiger, positiver Faktor. Außerdem ist die Mitgliedschaft eines Landes in der WTO ein „Qualitätszeichen“, welches dann unweigerlich auch für die Unternehmen gilt, welche dieses Land vertreten.

EM: Trotz zahlreicher Ankündigungen der Regierung, das illegale Geschäft mit Musik- und Video-Raub-Kopien zu unterbinden, findet man heute in Moskau auf Straßenmärkten, in U-Bahn-Stationen und selbst in Einkaufszentren immer noch viele Verkaufsstände mit Raubkopien. Wie wollen sie den Kampf gegen diese illegal produzierten und vertriebenen Waren gewinnen? Viele Russen können sich CDs zum legalen Preis gar nicht leisten.

Medwedkow: Die Tatsache, dass ein Mensch es sich nicht leisten kann, etwas zu kaufen, rechtfertigt nicht, dass er sich am illegalen Handel mit Produkten von geistigem Eigentum beteiligt, sich faktisch also auf ein Verbrechen einläßt. Musik-CDs sind auch keine Produkte der Grundversorgung. Im Kampf gegen die Raubkopierer wird im Interesse der russischen Wirtschaft und der Regierung viel Kraft aufgewandt. Es geht darum, die Produktion und den Handel mit Raubkopien zu unterbinden. Es werden illegale Unternehmen geschlossen, es werden Lizenzen entzogen, Strafverfahren eingeleitet und Strafen verhängt. Ich möchte auf zwei Dinge hinweisen. Das Problem ist sehr groß und man kann es nicht an einem Tag lösen. Unsere Verhandlungspartner verstehen das. Für sie ist es das Wichtigste, sich zu überzeugen, dass wir uns in der richtigen Richtung bewegen und dass die Regierung die Lösung dieser Probleme ständig und sehr aufmerksam verfolgt. Zweitens: Das Problem der Raubkopien ist keine Besonderheit Russlands. Das Problem gibt es auch in China - und zwar in weit größerem Maße als in Russland - und in anderen Staaten der GUS. Einige dieser Staaten sind schon Mitglied der WTO. Außerdem gibt es das Problem in Europa und den USA. Für unsere Partner hat dieses Thema eine große Bedeutung. Sie rechnen zu Recht damit, dass im Prozess des WTO-Beitritts bewusst wird, dass diese Frage unbedingt gelöst werden muss. Wir sind ihnen zum Teil dankbar dafür. Wir haben die gleichen Interessen bei diesem Problem.

„Indirekt wird der Beitritt zur WTO die Konkurrenzfähigkeit russischer Waren und Dienstleistungen erhöhen.“

EM: Wird der WTO-Beitritt die Exort-Import-Struktur zwischen Russland und den westlichen Ländern verfestigen, d.h. wird Russland in Zukunft vor allem Rohstoffe exportieren und Fertigprodukte importieren oder eröffnet die WTO langfristig die Möglichkeit, dass Russland selbst stärker Fertigprodukte exportiert?

Medwedkow: Allein der Beitritt zur WTO wird die Struktur des russischen Exports nicht ändern. Wir rechnen damit, dass der Beitritt einer der Anreize für ein beschleunigtes Wachstum und eine Diversifizierung der einheimischen Wirtschaft ist. Indirekt wird der Beitritt zur WTO die Konkurrenzfähigkeit russischer Waren und Dienstleistungen erhöhen, und die Möglichkeiten diese Waren auf Auslandsmärkten anzubieten.

EM: Der WTO-Beitritt soll für Russland eine Erfolgsgeschichte werden. Für Russland gibt es allerdings Risikofaktoren. Sind das russische Banken- und Versicherungswesen, die russische Automobilindustrie, die Flugzeugindustrie, der Maschinenbau und die Landwirtschaft bereits für die Konkurrenz aus dem Ausland gerüstet?

Medwedkow: Die Untersuchungen von Experten, welche sich auf die Verhandlungsergebnisse stützen, zeigen, dass der reale ökonomische Effekt des WTO-Beitritts für die meisten Wirtschaftssektoren nicht bedeutend ist. Die russische Wirtschaft zeichnet sich durch Beharrung aus. Zum Zweiten: Die vereinbarten Bedingungen des Beitritts sind ausreichend ausbalanciert und stellen sicher, dass es den nötigen Tarif-Schutz besonders für die Wirtschaftssektoren gibt, die gegenüber ausländischer Konkurrenz besonders empfindlich sind, z.B. die Flugzeugindustrie. Auf der anderen Seite rechnen wir durch den WTO-Beitritt mit positiven Faktoren, welche sich auf die russische Wirtschaft langfristig auswirken: Für die Wirtschaft wird ein transparenter und vorhersehbarer Rechtsraum geschaffen. Die Investitionsbedingungen werden verbessert. Es entsteht eine gesunde Konkurrenz, die Wirtschaft belebt sich.

„Viele Länder – auch in der EU – machen die WTO für Probleme im eigenen Land verantwortlich. Wahrscheinlich wird man auch bei uns dieser Versuchung erliegen. Es ist immer einfacher Probleme woanders zu suchen, als bei sich selbst.“

EM: Sind die Sorgen in der Bevölkerung begründet, dass die Kosten für die jetzt noch vom Staat bezuschusste Wohnraumbewirtschaftung nach einem WTO-Beitritt Russlands in exorbitante Höhen steigen? Könnte es zu sozialen Unruhen kommen?

Medwedkow: Wahrscheinlich werden die Preise für Gas und Elektroenergie steigen, unabhängig davon, ob wir der WTO beitreten oder nicht. Die Reform der Wohnraumbewirtschaftung zielt auf die Schaffung von Konkurrenz auf dem Markt der Wohnraumbewirtschaftung. Außerdem zielen die Reformen auf eine Verminderung des Preisanstiegs. Diese Reformen laufen unabhängig vom WTO-Beitritt. Auf der anderen Seite rechnen wir damit, dass der WTO-Beitritt zu einem verstärkten Wirtschaftswachstum führt. Das bedeutet, dass auch die Einkommen der Bevölkerung wachsen werden. So wird das Preisproblem vermindert. Viele Länder – auch in der EU – machen die WTO für Probleme im eigenen Land verantwortlich. Wahrscheinlich wird man auch bei uns dieser Versuchung erliegen. Es ist immer einfacher Probleme woanders zu suchen, als bei sich selbst.
 
EM: Herr Medwedkow, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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