Die spezifischen Probleme der russischen MetropolregionenINTERVIEW

Die spezifischen Probleme der russischen Metropolregionen

Die spezifischen Probleme der russischen Metropolregionen

Einer der Teilnehmer der wissenschaftlichen Plenarsitzung wissenschaftliche Plenarsitzung der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) in Hamburg war Professor Sergej Kusnezow, stellvertretender Direktor des Instituts für regionale Entwicklung der Akademie für Wissenschaft Russlands. Im Gespräch mit dem EURASISCHEN MAGAZIN analysiert er die Probleme der regionalen Entwicklung in der Russischen Föderation

Von Tatjana Balzer

Sergej Kusnezow  
Sergej Kusnezow  

E urasisches Magazin: Prof. Kusnezow, sowohl in Deutschland als auch in Russland gibt es wirtschaftlich starke und schwache Regionen. Jedoch ist in Russland die Kluft zwischen beiden viel größer. Worauf ist dies zurückzuführen - allein auf Dimensionen des Landes und die großen Klimaunterschiede?

Sergej Kusnezow: Heute ist Russland in 88 Regionen geteilt, und diese unterscheiden sich in der Tat sehr. Einige haben eine hohe Bevölkerungszahl, aber nur geringe Rohstoffvorkommen, bei anderen ist es umgekehrt. Daher sind die Entwicklungsunterschiede kolossal. Das Bruttoregionalprodukt pro Kopf in den ökonomisch starken und schwachen Räumen differiert bis zum 40-fachen. Die Arbeitslosigkeit ist bis zu 20 mal höher, das durchschnittliche Einkommen pro Kopf bis zu 14 mal. Die Investitionen in das Grundkapital pro Kopf sind in den starken Regionen sogar bis zu 180 mal höher als in den schwachen.

Aus diesen Gründen ist die in Europa diskutierte Methode – die Wirtschaftslokomotiven zu stärken und die schwächeren Gebiete dann nachzuziehen – für Russland nicht ohne weiteres geeignet. Höchstwahrscheinlich würden wir dahin kommen, dass die Metropolregionen noch mehr Bevölkerung aus den wenig produktiven Räumen abziehen und diese schließlich noch mehr entvölkert werden. Die russischen Lokomotiven würden einfach noch schneller vorwärts streben und die Waggons dabei völlig vergessen. Doch was wären die Folgen? In die entvölkerten Territorien drängen andere Gruppen. Zum Beispiel die Chinesen. Der amerikanische Politologe Bzhesinsky äußerte sich einst hinsichtlich einiger Regionen Russlands so: „Gibt es Bevölkerung, gibt es Territorium, gibt es keine Bevölkerung, gibt es kein Territorium“. Und wenn man doch dieser Methode der polarisierten Entwicklung folgt, muss man dann diese mit irgendwelchen Kompensatormechanismen für die schwachen Gebiete ergänzen. Auch im Westen wird ja die Idee des Regionsausgleichs nicht ignoriert, was auch diese Konferenz zeigte.

In Russland wird noch ein anderer Weg der regionalen Entwicklung diskutiert, nämlich die Vergrößerung der Wirtschaftsräume. Anhänger dieser Idee meinen, es sollten statt 88 Regionen nur 28 oder 30 sein, und danach noch weniger. Lediglich sieben Makroregionen, die den heutigen föderativen Kreisen entsprechen, sollten übrig bleiben.

EM: Wie viele der heutigen 88 Regionen kann man als Metropolregionen bezeichnen?

Kusnezow: Der Begriff Metropolregionen ist in Russland nicht verbreitet. Aber im Grunde genommen geht es ja hierbei um die Wachstumsgebiete, um die so genannten Wirtschaftslokomotiven. Als solche betrachtet unser Ministerium für die regionale Entwicklung zehn Territorien. Außerdem gibt es noch 24 Basisregionen, das sind Rohstoffsregionen und solche, in denen sich Industriebetriebe befinden. Mit der Zeit könnten auch diese Territorien zu den gut entwickelten Metropolregionen zählen. In Russland gibt es außerdem noch 54 depressive Gebiete, wie man sie nennt. 20 davon gelten als Krisenregionen und zwei als besonders schwere Fälle, nämlich Tschetschenien und Inguschetien.

EM: Wie kann man mit einer Vergrößerung der Regionen die Entwicklung der starken und schwachen Territorien ausgleichen?

Kusnezow: Unterschiedliche Ressourcen müssen möglichst ausgeglichen werden. Wenn man bevölkerungsarme, aber rohstoffreiche und bevölkerungsreiche, aber rohstoffarme Regionen miteinander verbindet, lässt sich eine positive Entwicklung bei beiden erreichen. Natürlich muss man dabei die geographische Nähe der Räume zueinander und andere Faktoren berücksichtigen.

EM: Es wird behauptet, es sei wertvernichtend, die wenigen produktiven Regionen zu stark zu finanzieren. Das ökonomische Wachstum des ganzen Landes würde dann gefährdet. Trifft dies zu?

Kusnezow: Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, ist es natürlich nicht vernünftig, das Geld für die schwachen Gebiete auszugeben. Allerdings kommen da noch andere Aspekte ins Spiel, nämlich soziale und geopolitische. Auch in den depressiven Regionen leben Menschen, die Staatsbürger Russlands sind. Ihnen muss man vor allem helfen. Die Entvölkerung der Territorien können wir nicht zulassen.

EM: Herr Prof. Kusnezow, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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Lesen Sie auch in dieser Ausgabe: Landflucht lässt die Moloche weiter wachsen

Globalisierung Interview Russland Wirtschaft

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