Doppelstreifen kontrollieren die deutsch-polnische GrenzePOLEN

Doppelstreifen kontrollieren die deutsch-polnische Grenze

Doppelstreifen kontrollieren die deutsch-polnische Grenze

Auch sechs Monate nach der Schengen-Erweiterung gibt es die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze noch – es merkt nur kaum mehr jemand.

Von Agnieszka Hreczuk

An der Oder, deutsche und polnische Polizisten kontrollieren auch vom Wasser und bei Bedarf vom Hubschrauber aus  
An der Oder, deutsche und polnische Polizisten kontrollieren auch vom Wasser und bei Bedarf vom Hubschrauber aus
(Foto: Agnieszka Hreczuk)
 

E in Nachmittag im Juni 2008. Die Grenzstelle Swiecko/Frankfurt (Oder) gleicht einer  Geisterstadt. Verlassene Wachhäuschen spuken an den Fahrbahnen herum. Dort, wo noch vor genau sechs Monaten lange Lkw-Schlangen das Bild beherrschten, rasen die Autos heute einfach vorbei. Warnschilder sind verschwunden. Nur die Markierungen auf dem Asphalt sind noch nicht verblasst. Am 21. Dezember 2007 wurden mit der Erweiterung des Schengen-Raumes die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze abgeschafft. Aber was im Sprachgebrauch als „abgeschaffte Kontrollen“ bezeichnet wird, ist nicht ganz richtig. Das Gebiet wird weiterhin überwacht. Sogar intensiver als zuvor. Die Zahl der Patrouillen an der Grenze ist deutlich gestiegen.

„Guten Tag, Bundespolizei, wir führen eine verdachtsunabhängige Kontrolle durch. Ich möchte bitte Ihren Ausweis, den Führerschein und die Fahrzeugpapiere sehen.“ Für Polizeiobermeister René Michel ist die Formulierung „verdachtsunabhängige Kontrolle“ ganz wichtig. „Es geht hier schließlich nicht darum, den Bürger oder den Reisenden unter einen Generalverdacht zu stellen. Dazu hat niemand das Recht.“

Alle paar Minuten passiert das Polizeifahrzeug ein Auto. Der Wagen wird überprüft, wovon der Fahrer nicht die geringste Ahnung hat. Der erste Schritt ist die diskrete Beobachtung: Kennzeichen, dunkle Scheiben, Fahrgäste – alles wird genau angeschaut. Dabei ist der Instinkt der Grenzpolizisten entscheidend. Unterleutnant Tomasz Tomaszewski lächelt und sagt: „Mit etwas Erfahrung kann man es spüren.“ Dem Laien bleibt das verborgen.

Kontrollen zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Seit Mai sind an der Grenze Doppelstreifen unterwegs. Sie bestehen aus polnischen und deutschen Polizisten. Gemeinsam kontrollieren sie das Grenzgebiet im Auto, Boot oder Helikopter. Dabei sollen sie sich gut verständigen können – und das klappt zumeist. René Michel beispielsweise fährt zusammen mit seinem Kollegen Krzysztof Stoppel, einem gebürtigen Polen, der aber fast sein ganzes Leben in Deutschland gelebt hat, im blau-weiß gestreiften Bundespolizeitransporter Streife. An der Grenze steigen Tomasz Tomaszewski und Tomasz Leszczyłowski aus dem Lubuser Grenzschutz zu.

Ein Auto mit Anhänger zieht die Aufmerksamkeit der vier Beamten auf sich. „Kennzeichen PO…“, sagt Michel und gibt die Kennzeichen des Autos per Funk zur Überprüfung durch. „Negativ“ – die Antwort aus der Zentrale kommt blitzschnell zurück. Manchmal reicht das den Beamten. Jetzt nicht. Sie wollen das Auto genauer überprüfen. „Bitte folgen“ blinkt es an der Heckscheibe. Die beiden Autos fahren an der nächsten Ausfahrt von der Autobahn ab.

Der überprüfte Fahrer ist Litauer, hat einen ukrainischen Führerschein und spricht polnisch. Sein Auto hat ein polnisches Kennzeichen, der Anhänger ein deutsches. Eine merkwürdige Mischung. Doch die Polizisten haben schon merkwürdigere Sachen gesehen. Hauptsache, die Papiere sind in Ordnung. Die Beamten schauen unter die Motorhaube, vergleichen die Nummer. „Und der Kofferraum?“ Sie durchsuchen ihn, schieben die Sitzbänke hoch, tasten die Unterdecke ab. Nichts Verdächtiges.

Michel und Stoppel kontrollieren, Tomaszewski und Leszczyłowski geben Schutz. Das ist Vorschrift: Den jeweils ausländischen Beamten sind einige Tätigkeiten nicht erlaubt. Auf der deutschen Seite übernehmen die Deutschen die Führung, auf der polnischen ist es umgekehrt. In Kargohose in Schutzfarben, in schwarzen, engen T-Shirts und mit hinter dem Rücken gekreuzten Händen erinnern die Polen an Sondereinheiten. Und wecken Respekt.

Früher saßen sie im Wachhäuschen – heute im Auto

Deutsche und polnische Polizisten kontrollieren gemeinsam einen litauischen Fahrer an der Autobahn  
Deutsche und polnische Polizisten kontrollieren gemeinsam einen litauischen Fahrer an der Autobahn
(Foto: Agnieszka Hreczuk)
 

Die Straße ist ihr Arbeitsplatz. Ganz konkret: alle Verkehrsstrecken. Von der Autobahn, über Landesstraßen bis zu den Deichen an der Oder. Außerdem Ufer, Wald und Feld. 70 Kilometer lang von Nord nach Süd und 30 Kilometer von der Grenze ins Hinterland. Insgesamt 2100 Quadratkilometer Fläche. Das ist für René Michel der entscheidende Unterschied zu früher. Damals saß er in einem Wachhäuschen und überprüfte zusammen mit polnischen Kollegen Ausweise und Fahrzeugpapiere, fahndete nach illegalen Migranten und Schmuggelwaren. Seit dem 21. Dezember, sagt Michel, macht er genau dasselbe. Nur, dass er nicht mehr in einem Wachhäuschen sitzt, sondern im Auto.

Weiter auf die Autobahn. Zwei polnische LKWs, ein Transporter aus Berlin, ein deutsches Auto und eins mit britischem Kennzeichen. Null Treffer. Das kommt auch vor. Vor kurzem begleitete die Beamten ein Fernseh-Team. In der Nacht, weil die TV-Leute zu dieser Uhrzeit etwas besonders Spannendes erwartet hatten. „Sehr enttäuscht kamen sie zurück“, sagt Michel und lacht. Weder illegale Migranten noch Schmuggel. „Sie haben dann wohl gedacht, an der Grenze ist es doch ziemlich langweilig.“ Volltreffer gibt es aber auch. Tomaszewski zeigt ein Foto: Zigarettenstangen liegen eng aneinander in dem Kofferraum eines PKW, getarnt nur mit einer Decke.

Die Art der Zusammenarbeit ist sinnvoll und nötig

„Zwei deutsch-polnische Streifen täglich mit dem Auto, fünf monatlich mit dem Boot und dem Helikopter, zusätzlich noch im Zug. Das ist das Minimum“, betont Volker Ettlich, stellvertretender Leiter der Bundespolizei-Inspektion Frankfurt (Oder). „Mehr kann es sein, weniger nie“. Die ersten Erfahrungen nach der Erweiterung des Schengen-Raumes haben gezeigt, dass diese Art von Zusammenarbeit nötig und sinnvoll ist. Krzysztof Stoppel, der deutsche Polizeiobermeister sagt: „Die polnische Kollegen verfügen über Kenntnisse über Osteuropa, die uns noch lange fehlen werden.“ Oft geben die polnischen Grenzschutzbeamten Tipps, auf die die Bundespolizisten gar nicht kommen würden. Dass ein litauisches Auto aus dem Gebiet stammt, in dem viele Leute vom Schmuggel gestohlener Autos leben, das wissen eben nur die Polen.

200 Kilometer fahren die Polizisten während einer Streife. Manchmal sogar ohne Pause. Denn für die Strecken brauchen sie Zeit. Und nicht überall kommen sie mit dem Auto hin. Am Oderufer bei Eisenhüttenstadt laufen die Beamten durch hochgewachsene Gebüsche. Einer hebt irgendein Bündel auf und schaut sich es an. Das gehört auch zum Job. Das Bündel entpuppt sich als Gelumpe. Kleidung hätte es auch gewesen sein können. Vor ein paar Wochen meldete sich bei der Grenzpolizei ein Bauer. Er hätte in seiner Scheune irgendwelche Ausländer gefunden, sagte er. Als die Beamten vor Ort eintrafen, fanden sie dort nur noch nasse Kleidung.

Hilfe für junge Prosituierte

10.000 illegale Migranten kamen seit Dezember über die Grenze mit Tschechien und Polen, alarmierte jüngst die Boulevardpresse in Deutschland. Nur jeder zehnte werde von der Bundespolizei erwischt, wird der Vorsitzende der GdP zitiert. „Ich möchte wissen, woher er die Zahlen nimmt“, sagt Volker Ettlich. Weniger Illegale werden aufgehalten, gibt er zu. Ungefähr ein Fünftel im Vergleich zu der Zeit vor dem 21. Dezember. Er überspringt geschickt die Erklärung, woran es liegen könnte. „Wenn tatsächlich 10.000 Illegale die Grenze überschritten hätten, müssten wir eine höhere Zahl der Festnahmen im Inland   feststellen“, argumentiert Ettlich. Und das sei bisher nicht passiert.

Es ist kurz vor Einsatzende. Die Polizisten unterhalten sich gerade über ihre Wochenendpläne und Hobbys. Da hält der Transporter an einer Bushaltestelle. Ein Mädchen steht einsam dort herum. Minirock und Stöckelschuhe weisen auf ihren Beruf hin. Sie zeigt einen bulgarischen Pass vor. Es ist fast unnötig – Oberpolizeimeister Stoppel hat diesen Pass schon so oft überprüft, dass er weiß, dass das Dokument in Ordnung ist. Ihre Beschäftigung ist auch nicht strafbar. Aber bei Prostitution geht es oft um Menschenhandel.. Das zu beweisen ist jedoch schwer, genauso wie Zuhälter zu erwischen.  Einmal haben sie jemanden gerettet, erzählt Stoppel. „Sie war so jung, ein Teenager“, und zu Hause in Bulgarien als entführt gemeldet, wie sich herausstellte. Sie durfte zurück in die Heimat. Jetzt hält Stoppel oft bei jungen Prostituierten an: „Damit sie spüren, dass sie bei uns Hilfe finden, wenn sie sie brauchen.“ Der Klang in seiner Stimme zeigt, dass er vielleicht auch Mitleid empfindet.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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