„Al-Qaida ist nur dort stark, wo ihre Gegner schwach sind“EM-INTERVIEW

„Al-Qaida ist nur dort stark, wo ihre Gegner schwach sind“

„Al-Qaida ist nur dort stark, wo ihre Gegner schwach sind“

Deutschland hat keine Anti-Terror-Strategie. Das führt dazu, dass viel zu viele Fehler in der Terrorbekämpfung passieren. Deshalb ist die Bundesrepublik verstärkt ins Visier der al-Qaida geraten. Der Islamwissenschaftler und Anti-Terror-Spezialist Guido Steinberg enthüllt im Gespräch mit dem Eurasischen Magazin die größten Mängel der deutschen Sicherheitspolitik. Er fordert die Reform des Bundessicherheitsrates und die Einrichtung eines im Kanzleramt angesiedelten Sicherheitsbeauftragten.

Von Hans Wagner

Dr. Guido Steinberg  
Dr. Guido Steinberg  
  Zur Person: Guido Steinberg
  Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Seine Forschungsfelder sind: Politik und Geschichte des arabischen Ostens und der Golfregion, insbesondere des Iraks und Saudi-Arabiens. Außerdem Islamismus und der Islamistische Terrorismus.

Steinberg war 2002-2005 Referent im Referat Internationaler Terrorismus im Bundeskanzleramt und 2001 Koordinator des Interdisziplinären Zentrums „Bausteine zu einer Gesellschaftsgeschichte des Vorderen Orients“ an der FU Berlin.

Von Guido Steinberg sind u. a. erschienen: „Der nahe und der ferne Feind – Das Netzwerk des islamistischen Terrorismus“

Eurasisches Magazin: Herr Dr. Steinberg, Sie haben kürzlich ein Buch geschrieben mit dem Titel „Im Visier der al-Qaida – Deutschland braucht eine Anti-Terrorstrategie“. Was haben wir denn bisher?

Guido Steinberg: Wir haben keine Strategie und keine abgestimmte Vorgehensweise. Es fehlt an klaren Zielvorstellungen. Dadurch ist es auch nicht möglich, die Instrumente an diesen Zielen zu orientieren. Das hat mit dazu geführt, dass Deutschland seit 2006 mehr im Fadenkreuz von al-Qaida steht als früher. Es ist direkter bedroht als im Jahr 2001. Das ist ein Warnzeichen und einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe.

„Man merkt, dass wir ein politisches System haben, das noch aus der Zeit stammt, als Deutschland nicht souverän war.“

EM: In Deutschland befassen sich 38 Behörden mit der Terroristenbekämpfung. Das haben Sie in Ihrem Buch geschrieben. Ist es da nicht eher vermessen, an eine mögliche gemeinsame Strategie zu glauben?

Steinberg: Strategien für eine zielführende Terrorismusbekämpfung sind Aufgabe der Politik und nicht der Sicherheitsbehörden. Die Sicherheitsbehörden müssen sich an dem orientieren, was die jeweiligen Regierungen und Innenministerien vorgeben. Die Zersplitterung der Behörden durch den deutschen Föderalismus ist sicher auch ein Problem. Aber das entbindet ja die Bundesregierung und die Länderregierungen, die sich in der Sicherheitspolitik eng abstimmen, nicht davon, klare Zielvorstellungen zu entwickeln. Es gibt jedoch schon auf Bundesebene ganz massive Abstimmungsschwierigkeiten. Man merkt, dass wir ein politisches System haben, das noch aus der Zeit stammt, als Deutschland nicht souverän war. Es hindert die deutsche Politik vielfach daran, zielgerichtet und effektiv vorzugehen.

EM: Was heißt das konkret?

Steinberg: Konkret heißt das, dass Bundeskanzleramt, Innenministerium, Verteidigungsministerium und Auswärtiges Amt in der Sicherheitspolitik nicht abgestimmt vorgehen. Eine Möglichkeit, diese Koordinierungsschierigkeiten zu beheben, wäre es, den Bundessicherheitsrat zu reformieren und die gesamte Sicherheitspolitik durch einen Bundessicherheitsberater im Bundeskanzleramt verstärkt zu koordinieren.

„Die Bundeskanzlerin müsste die Initiative ergreifen.“

EM: Wer müsste denn die Initiative ergreifen, dass es dazu käme?

Steinberg: Bevorzugt natürlich die Bundeskanzlerin. Es könnten aber auch die Parteien oder Fraktionen sein, die eine solche Initiative starten. Wir hatten im Jahr 2008 aus der Unionsfraktion heraus die Forderung, die deutsche Sicherheitspolitik durch einen nationalen Sicherheitsrat besser zu koordinieren. Das war allerdings damals unter den Bedingungen der Großen Koalition nicht realistisch. Frank-Walter Steinmeier, der SPD-Außenminister und wichtigste Ressortchef des kleineren Koalitionspartners, wehrte sich, weil er befürchtete, durch eine solche Einrichtung an Einfluss zu verlieren. Eine Möglichkeit, den Widerstand des kleineren Koalitionspartners abzumildern, wäre, diesen Posten eines nationalen Sicherheitsberaters mit einem von dieser Partei bestimmten Vertreter zu besetzen, natürlich angesiedelt im Kanzleramt.   

EM: Was könnten ein Bundessicherheitsrat und ein Bundessicherheitsberater mit einem Arbeitsstab im Kanzleramt denn bewerkstelligen?

Steinberg: Seit einigen Jahren betreibt die Bundesrepublik verstärkt internationale Sicherheitspolitik. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass dafür aber auch eine besser abgestimmte Regierungsführung erforderlich ist. Das bedingt die Verstärkung der Koordinationsinstrumente. Bundessicherheitsrat und Bundessicherheitsberater wären solche Instrumente. Immerhin nimmt das Bewusstsein für dieses Problem seit der ersten Initiative der Union durchaus zu.

Erfolg ist, wenn keiner mehr auf Usama Bin Laden hört

EM: Eine Ihrer Grundthesen lautet zugespitzt: Erfolg in der Terrorismusbekämpfung bedeute, dass niemand mehr auf Usama Bin Laden höre, nicht, dass Usama Bin Laden von einer amerikanischen Rakete getötet werde. Und wie macht man das, dass keiner mehr auf den Top-Propagandisten der al-Qaida hört?

Steinberg: Wir müssen vor allem grobe Fehler vermeiden, die Usama Bin Laden propagandistisch ausschlachten kann. Al-Qaida ist ja nicht stark. Die Kernorganisation besteht aus wenigen hundert Angehörigen. Selbst wenn man die dschihadistische Bewegung ansieht, die über maximal einige tausend oder zehntausend Mitglieder verfügt, ist das für ein fast globales Phänomen nicht viel. Al-Qaida ist es nie gelungen, die muslimischen Massen zu mobilisieren. Dass es sie überhaupt gibt, liegt in erster Linie an den Fehlern westlicher Terrorismusbekämpfung nach 2001.

EM: Nämlich?

Steinberg: Der schlimmster Fehler war der Irakkrieg. Dadurch wurden den Dschihadisten junge Leute zu Tausenden zugetrieben. Guantanamo, die Übergriffe im Abu-Ghraib-Gefängnis, all diese Auswüchse amerikanischer Terrorbekämpfung haben das Problem verschärft. Sie haben dem Argument der Al-Qaida, es handele sich um einen Krieg des Westens gegen den Islam, Glaubwürdigkeit verliehen. Dazu kommt die Zusammenarbeit des Westens mit Regimen, deren Politik für die Entstehung des islamistischen Terrorismus mitverantwortlich war. Die Repressionen gegen Oppositionelle in Saudi-Arabien, in Ägypten, in Algerien und in Usbekistan, mit denen wir zusammenarbeiten, befördern den Dschihadismus. Und Usama Bin Laden nutzt die fehlgeleitete Politik der westlichen Länder, die die Regime der genannten Länder unterstützen, natürlich für seine Propaganda.

„Es gibt keine Alternative zu einem Erfolg in Afghanistan.“

EM:  Deutsche Kommandeure in Afghanistan sind dafür verantwortlich, dass beim Luftschlag von Kundus auf zwei Tanklastzüge im September 2009 vermutlich 149 Zivilisten getötet wurden. Seither sterben im Zuge des NATO-Einsatzes gegen Taliban täglich unschuldige Menschen, mal 33, mal 21 usw. Muss das nicht dazu führen, dass Usama Bin Laden mehr Resonanz hat als je zuvor, auch bei den in Deutschland im Untergrund lebenden Terroristen?

Steinberg: Ich glaube nicht, dass die Einzelheiten der Kriegführung in Afghanistan etwas daran ändern, wie das Sympathisantenumfeld bei uns reagiert. In Afghanistan wird seit 2001 ein Krieg geführt und er hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich junge Leute weltweit radikalisieren, seit einigen Jahren besonders auch in Europa und in Deutschland. Aber das ist nun kein Argument dafür, diesen Krieg zu beenden. Es gibt keine Alternative zu einem Erfolg in Afghanistan. In diesem Zusammenhang ist die neue Aufstandsbekämpfungsstrategie der USA durchaus zielführend. In etwa einem Jahr wird deutlicher sein, ob noch die Aussicht auf Erfolg besteht.

Bankrotterklärung der deutschen Afghanistanpolitik

EM: Was hat sich geändert?

Steinberg: Das große Problem in Afghanistan ist die Politik der Verbündeten. Deutschland trägt die neue Strategie zwar mit, aber nicht zu ihrem Gelingen bei. Die Bundesregierung hat im Grunde vor den Schwierigkeiten im Lande und vor allem in der deutschen Innenpolitik kapituliert. Es gibt keinen deutschen Beitrag zur Lösung der Probleme in Afghanistan. Wir überlassen die Aufstandsbekämpfung vollkommen den Amerikanern. Wir überlassen mittlerweile sogar die Kriegführung in Kundus den Amerikanern, die in dem deutschen Sektor neuerdings große Kontingente an Kampftruppen aufbieten müssen. Ich halte das für eine Bankrotterklärung der deutschen Afghanistanpolitik.

EM: Was bedeutet das für die geforderte Anti-Terror-Strategie?

Steinberg: Wir werden im Zusammenhang mit Afghanistan immer auch für das verantwortlich gemacht, was unsere Verbündeten tun, also die USA. Auch dann, wenn unser Beitrag dort nur wenig bewirkt. Selbst der Krieg im Irak, wo die Bundesrepublik nicht beteiligt war, hatte Auswirkungen auch für Deutschland, weil wir enge Verbündete der Amerikaner sind. Egal was wir tun, wir werden haftbar gemacht. Ein besonderes Problem für die deutsche Politik ist Usbekistan. Die Bundesrepublik Deutschland wird hier mittlerweile von vielen usbekischen Dschihadisten und ihrem Umfeld als Komplize des Regimes von Islom Karimov wahrgenommen. Dies vor allem, weil die deutsche Politik viel zur Rehabilitierung von Regimeangehörigen nach dem Massaker von Andischan im Jahr 2005 beigetragen hat. Hieran lässt sich zeigen, wie der faktisch gar nicht so bedeutende deutsche Beitrag zur Stützung des Regimes in Taschkent uns zum Zielobjekt usbekischer Gruppierungen wie der Islamischen Dschihad Union und der Islamischen Bewegung Usbekistans macht. Deutschland macht sich da neue Feinde ohne Not.

„Dass die Israelis im Extremfall Hamas-Personal liquidieren ist vertretbar.“

EM: Und wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang den Mordauftrag des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gegen einen hochrangigen Hamas-Politiker? Wird das den Dschihad nicht ebenfalls weiter beflügeln?

Steinberg: Die Hamas ist eine terroristische Gruppierung ganz anderer Art. Sie ist auch viel mehr als das. Sie ist eine politische Partei und eine soziale Bewegung. Mittlerweile stellt sie die Regierung im Gazastreifen. Mit solchen Gruppierungen muss man ganz anders umgehen als mit Organisationen wie al-Qaida, deren einziger Daseinszweck die Gewaltanwendung ist. Dass die Israelis im Extremfall Hamas-Personal liquidieren, wenn sie dies für notwendig erachten, ist aus meiner Sicht vertretbar. Allerdings halte ich die Gesamtpolitik gegenüber der Hamas im Gazastreifen und gegenüber den Palästinensern für vollkommen verfehlt. An dieser Politik kann man sehen, wie eine solche falsche Vorgehensweise dazu führt, dass sich Sympathisanten immer weiter radikalisieren und dadurch zur Stärkung terroristischer Organisationen beitragen, bis sie dann tatsächlich zu einem Massenphänomen werden. Die heutige Position der Hamas ist in erster Linie eine Folge der israelischen Besatzung in den palästinensischen Gebieten. Und zumindest in Gaza werden wir wahrscheinlich ebenfalls erleben, dass noch radikalere Gruppierungen an Bedeutung gewinnen.

EM: In der pakistanischen Hafenstadt Karatschi wurde von der amerikanischen CIA und Pakistans Geheimdienst ISI der Talibanführer Mullah Abdul Ghani Baradar gestellt und festgesetzt. Er soll Stellvertreter von Taliban-Chef Mullah Omar sein und die Festnahme gilt als großer Schlag gegen den Terrorismus. Widerspricht das nicht Ihrer Ansicht, dass solche Aktionen gegen Top-Leute des militanten Islamismus gar nichts bringen – Stichwort Usama – weil es doch lediglich um die Eindämmung ihrer Propaganda geht?

Steinberg: Natürlich handelt es sich hier um einen ganz wichtigen Erfolg. Die besondere Bedeutung von Mullah Baradar liegt darin, dass er der militärische Führer der Taliban war. Mullah Omar ist lediglich - wie Usama Bin Laden – eine Symbolfigur. Aber für die gesamte praktische Führung der Aufstandsbewegung in Afghanistan war Mullah Baradar verantwortlich. Daher kann man die Bedeutung dieser Festnahme gar nicht überschätzen. Überdies scheint Baradar Informationen zu geben, die bereits zu weiteren Festnahmen geführt haben. Für die deutsche Position im Norden des Landes ist die Festnahme auch von großer Bedeutung, da Baradar enge persönliche Beziehungen nach Kundus und ein großes Interesse an der Aufstandsführung dort hatte.

Umdenken in der pakistanischen Führung

EM: Wem ist dieser Erfolg zu verdanken?

Steinberg: Wie es scheint, findet in der pakistanischen Führung ein Umdenken statt. Bisher war das Nachbarland Pakistan nicht bereit, die afghanischen Taliban, die sich auf seinem Territorium aufhalten, effektiv zu bekämpfen. Nun mehren sich aber die Hinweise, dass man sich in Islamabad zumindest zeitweilig amerikanischem Druck beugt und Front gegen die Taliban macht. Dass die Pakistanis kooperieren ist eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Krieg in Afghanistan vom Westen vielleicht doch noch gewonnen werden kann.

EM: Rückzugsgebiete wie der Jemen, in denen nach Ihrer Studie „Der Jemen vor dem Staatszerfall?“ (EM 02-2010) al-Qaida weltweit die meisten ihrer Kämpfer rekrutiert, sowie Pakistan, Afghanistan und die arabische Welt liegen außerhalb des deutschen Einflussgebietes. Was heißt das für die von Ihnen geforderte Anti-Terrorstrategie?

Steinberg: Der Jemen ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass eben allein die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, von Polizei und Nachrichtendiensten plus einer militärischen Terrorismusbekämpfung überhaupt keine Ergebnisse hat, wenn nicht politische Maßnahmen das Ganze flankieren. Wir können im Jemen beobachten, wie sich dort über zwei Jahrzehnte eine starke dschihadistische Bewegung gehalten und immer wieder konsolidiert hat trotz aller Gegenmaßnahmen nach 2001. Der Grund ist, dass die USA und ihre Verbündeten nicht bereit oder in der Lage waren, sich um die politischen Probleme des Landes zu kümmern. Im Jemen zeigt sich exemplarisch, dass al-Qaida immer nur dort stark ist, wo ihre Gegner schwach sind. Die jemenitische Regierung in Sanaa ist nicht bereit al-Qaida effektiv zu bekämpfen, weil sie ganz andere Probleme hat, wie den Bürgerkrieg im Norden des Landes und die separatistische Bewegung im Süden. Aufgabe einer politischen Terrorismusbekämpfung müsste es sein, der jemenitischen Regierung bei der Lösung ihrer Probleme im Land zu helfen. Das würde die Voraussetzungen schaffen für eine gezielte Bekämpfung terroristischer Gruppierungen. Aber genau dies ist in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt worden. Das ist paradigmatisch, es ist das Denkschema westlicher Terrorismusbekämpfung, immer nur auf die Repression durch Polizei, Geheimdienste und Militär zu setzen.

„Terrorbekämpfung und Integrationspolitik muss man strikt trennen.“

EM: Welche Rolle messen Sie einer erfolgreichen Integrationspolitik von Muslimen bei? Hier hat der deutsche Staat ja im Inland Einflussmöglichkeiten. Ist es möglich Willige zu rekrutieren, die ihrerseits bei der Aufspürung und Bekämpfung des Terrors in Deutschland behilflich sein können?

Steinberg: Terrorbekämpfung und Integrationspolitik muss man zunächst einmal strikt trennen. Terrorbekämpfung betrifft nur eine kleine Minderheit von Muslimen in Deutschland. Im Fokus stehen einige hundert Personen. Es ist deshalb fragwürdig, die Integration von 4,3 Millionen Muslimen als Mittel der Terrorismusbekämpfung zu betrachten. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass eventuelle künftige Anschläge in Deutschland von bereits relativ gut integrierten Personen verübt werden und dass sich auch deutsche Konvertiten daran beteiligen. Da fragt sich natürlich der Bürger, der immer wieder mit der Aussage der Politik konfrontiert wird, dass gute Integration eine vorbeugende Maßnahme der Terrorismusbekämpfung sei, ob das wirklich stimmen kann. Und er fragt sich das zu Recht.

EM: Weshalb ist dieser Zweifel berechtigt?

Steinberg: Weil es Hinweise darauf gibt, dass gerade im Integrationsprozess die Anfälligkeit für radikale Ideologien stark ansteigt. Der eben zugewanderte Muslim aus Anatolien, der noch in der Kultur seiner Heimat verwurzelt ist, hat ganz andere Sorgen und der, der dann wirklich hier angekommen und vollkommen integriert ist, der auch. Aber im noch nicht abgeschlossenen Integrationsprozess steigt die Anfälligkeit für militante islamistische Ideologien deutlich an. Deshalb muss man Integration und Terrorismusbekämpfung trennen, weil sonst der Eindruck erweckt wird, eine verbesserte Integration begünstige Terrorismus. Deshalb müssen Terroristen hierzulande gezielt bekämpft werden, und es darf nicht suggeriert werden, Integration sei eine Möglichkeit, das Terrorismusproblem zu lösen. Integration ist ein langfristiges Unterfangen, Terrorbekämpfung muss unmittelbar erfolgen.

Zurückhaltend, was die Rekrutierung von Migranten angeht

EM: Sollten dann nicht wenigstens bereits integrierte Muslime aus Kurdistan oder Anatolien für die spezielle Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden, um ihre kulturellen Kenntnisse und sprachlichen Fähigkeiten zu nutzen?

Steinberg: Unsere Sicherheitsbehörden scheinen in der Tat noch immer sehr zurückhaltend zu sein, was die Rekrutierung von Migranten angeht. Da sind andere Länder schon viel weiter. Das müsste auch bei uns forciert werden. Denn erstens braucht man solche Leute, um tatsächlich die Terroristen effektiver zu bekämpfen. Zweitens macht natürlich die Rekrutierung von muslimischen Migranten die Terrorismusbekämpfung insgesamt sehr viel glaubwürdiger. Denn so kann man nach außen immer wieder darauf verweisen, dass es nicht um einen Kampf gegen den Islam geht, sondern tatsächlich nur um die Bekämpfung von Gewalttätern. Und dass sogar Muslime, die hier gut integriert sind und ebenfalls den Terror ablehnen, diesen aktiv bekämpfen.

EM: In welchen Personen oder Strukturen erblicken Sie derzeit die größte terroristische Gefahr?

Steinberg: Die größte Gefahr geht von denjenigen jungen Deutschen, Arabern oder Türken aus, die zur Ausbildung nach Pakistan gehen oder in der arabischen Welt Sprach- oder Religionsschulen besuchen und sich dort militanten Organisationen anschließen. Die Zahl der deutschen Dschihadisten, die sich in muslimischen Ländern ausbilden lassen, ist seit 2006 enorm gestiegen. Es gilt alles daran zu setzen, dass diese Szene nicht noch weiter wächst.

EM: Herr Dr. Steinberg, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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Beachten Sie bitte auch unsere Rezension des Buches von Dr. Steinberg „Im Visier von al-Qaida“ in der Rubrik „Gelesen“.

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