Asowo - Erinnerungen an goldene ZeitenSIBIRIEN

Asowo - Erinnerungen an goldene Zeiten

Asowo - Erinnerungen an goldene Zeiten

Als der damalige Aussiedlerbeauftragte Helmut Kohls, Horst Waffenschmidt, 1994 die Deutschstämmigen aus dem Osten gezielt anwarb, ahnte noch niemand, dass das einen Umsiedlerstrom hunderttausender Russlanddeutscher auslösen würde. Nicht nur nach Deutschland machten sich zwei Millionen auf den Weg: Zwischenstation vieler Umzügler war vorerst ein kleines Gebiet im Süden Russlands in der Nähe der Stadt Omsk. Dort hatte sich Anfang der 90er Jahre ein deutsch-nationaler Rayon gegründet. Dieser Bezirk der Russlanddeutschen in Sibirien wird jetzt 15 Jahre alt. Deutschland hat ihn mit 200 Millionen D-Mark subventioniert.

Von Ann-Christin Doms und Cornelia Riedel

S Schwarz-rot-gold und weiß-blau-rot wie die Flaggen von Deutschland und Russland sind die Plastiksitze im Stadion von Asowo im westsibirischen Russland. „Monika“, „Bächlein“ und „Nelke“ heißen hier immer noch die Folkloregruppen. Obwohl einige der Chorsängerinnen kaum Deutsch sprechen, singen sie die Volkslieder wie eh und je in der Sprache ihrer Vorfahren. Die Frauen tragen lange, dunkle, weinrote Röcke, doch Schweinebraten und Sauerkraut sind in den Restaurants schon längst dem russischen Borschtsch und Rote-Beete-Salaten mit viel Mayonnaise gewichen. Birkenwäldchen, altrussische Holzhäuser, Lebensmittellädchen und Ladas gibt es hier wie überall im Riesenreich. Doch die Gärtchen sind ein bisschen gepflegter, die Wege etwas gerader und der Müll an den Straßenrändern ist selten. Und manchmal will man mit einem der Asowoer auf Deutsch ins Gespräch kommen, weil irgendetwas am Gesichtsausdruck an den Nachbarn daheim in Deutschland erinnert.

Asowo ist der einzige deutsch-nationale Rayon in Russland. Als Rayon bezeichnet man eine kleine Verwaltungseinheit in Russland, die in etwa einem Landkreis in Deutschland entspricht. Dieser Tage feiert das Gebiet sein 15-jähriges Jubiläum. Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beschloss der Oberste Sowjet in Moskau 1992 seine Gründung. Zu Hunderten strömten danach die Deutschstämmigen in das Gebiet und erhofften sich bessere Lebensbedingungen und meist eine rasche Ausreise nach Deutschland. Auf Initiative des damaligen deutschen Aussiedlerbeauftragten Horst Waffenschmidt waren 1994 die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion zur Rückkehr ins Land ihrer Vorfahren ermuntert worden.

Noch heute leben hier 80.000 Russlanddeutsche

  Russlanddeutsche
  Zarin Katharina die Zweite holte sie 1763 nach Russland: Tausende deutsche Bauern folgten der Einladung und siedelten sich an der Wolga an. Sie hatten umfangreiche Privilegien, und einige der deutschen Kolonien konnten bis zur Kriegserklärung Deutschlands 1941 an die Sowjetunion ihre Autonomie bewahren. Den Russlanddeutschen wurde dann Kollaboration unterstellt, und man siedelte sie zwangsweise aus dem Westen Russlands nach Sibirien und Kasachstan um. Die Deutschstämmigen mussten in Arbeitslagern, der „Trudarmee“, schuften. Durch die Deportation starben viele Tausende.

Die goldenen Jahre Asowos begannen dann, als die Bundesregierung beschloss, Asowo zum Vorzeigebezirk auszubauen. „Den Bleibewillen stärken“, wurde als Motto ausgegeben. Seitdem sind 200 Millionen D-Mark bis zum Regierungswechsel 1998 in das russische Provinzgebiet geflossen. Wohnungs- und Wirtschaftsprogramme wurden aufgesetzt, man plante eine lutherische Kirche und gründete eine deutschsprachige Zeitung,

Arthur Jordan ist einer von den 80.000 Russlanddeutschen, die heute noch im Rayon leben – und einer von den Aussterbenden: Wenn er „Guten Tag, meine Dame“ sagt, klingt das ungewöhnlich. Das „R“ rollt er ein bisschen, doch sein Deutsch ist einwandfrei. Nur noch wenige der Hiesigen beherrschen die Sprache ihrer Vorfahren. Jordan kennt den Rayon wie seine Westentasche. Das deutschsprachige Gebietsblatt „Ihre Zeitung“, 1992 im Überschwang gegründet, hat er von 1996 bis 2002 geführt. Dann ist der heute 66-Jährige abgelöst worden – durch einen Russen, der kein Deutsch spricht.

Jordan zeigt seinen Ort: „Sehen Sie, diese Container, die haben die Deutschen finanziert, als es keine Möglichkeit gab, den vielen Zuzüglern aus Russland Wohnraum zu bieten.“ Er zeigt auf zwei staubige Wege. Vor grauen Containern reparieren ein paar Männer ein Fahrrad. Fotografiert werden wollen sie nicht. Seit Jahren wohnen einige von ihnen in den Notunterkünften. Auch Fußball spielt im nagelneuen Stadion mit der flaggenfarbigen Bestuhlung keiner so richtig. „Im Winter laufen die Kinder auf dem Spielfeld Ski“, erzählt Jordan. Der neu gebaute Fernsehsender hat nie funktioniert.
Vielleicht bizarrstes Denkmal des über Asowo ausgeschütteten Steuergelder-Füllhorns sind die villenartigen Backsteinhäuser, die Anfang der 90er gebaut worden. In einer Gegend, wo selten ein Haus mehr als ein Stockwerk hat und russische Holzhäuschen und Blechzäune die Dörfer prägen, wirken die mehrstöckigen unverputzten Häuser mit Wintergarten und Balkon wie Theaterkulissen. Der Boulevard „Freundschaft“, schnurgerade und mit Grünstreifen und Sitzgruppen in der Mitte, will sich nicht so recht ins Bild fügen, das Gras ist ungeschnitten, die Sitzecken zugewuchert.

„Hoffnung, Glaube und Liebe“ hieß das Wohngebiet – es ist heute fast verwaist

„Insel der Hoffnung“ haben wir unseren Rayon bezeichnet, doch von der Hoffnung ist nicht viel geblieben“, sagt Jordan. Immer weniger Leute würden Deutsch sprechen. Hoffnung, Glaube und Liebe hatten die Asowoer ihre Wohngebiete genannt. Mit 40.000 D-Mark aus deutschen Mitteln wurde damals durch den Fond Asowo der Bau jedes Hauses gefördert. Viele der feinen Villen stehen heute leer, ihre Bewohner sind gen Deutschland gezogen.

70.000 waren es in den vergangenen 15 Jahren, ein Großteil von ihnen war zeitweise aus dem nahe gelegenen Kasachstan zugezogen. Deutsche Gelder verteilt heute nur noch die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Die Förderung von Projekten ist in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent zurückgegangen. „Wir helfen bei der Spracharbeit, leisten humanitäre Hilfe für Deutschstämmige, die in Arbeitslagern waren, unterstützen Jugendclubs, Kulturarbeit und die Ausbildung junger Leute“, erzählt Uwe-Jens Peter. Der 47-Jährige ist seit 2000 GTZ-Chef von Sibirien. Als Leiter der Entwicklungsgesellschaft Nowosibirsk mit einer Filiale in Omsk ist er auch für die Förderung der Russlanddeutschen im Omsker Gebiet und damit im deutsch-nationalen Rayon Asowo zuständig. „Gerade bieten wir 130 Wohnungen, in denen ausschließlich ehemalige Bewohner der Container leben, den Mietern zum Kauf an“, erzählt Peter von einem weiteren Projekt.
„Wir helfen jetzt hier besonders, in dem wir kleine und mittelständische Unternehmen mit Krediten unterstützen und so Eigeninitiative, besonders in der Landwirtschaft, fördern“, erklärt er. Finanziert habe man auch den Bau der Sendemastanlage fürs Fernsehen und eine Kläranlage. Der Sachsen-Anhaltiner sieht die Zukunft des Rayons optimistisch: „Unsere Partner haben sich wahnsinnig weit entwickelt, wir sind nicht mehr Hauptfinanzier. Und der Garant für den deutschen Rayon und seine Entwicklung ist ohnehin er selbst.“

Der sauberste, reichste und fortschrittliche Landkreis

Vieles sei aus seiner Sicht bei der Förderung aus Deutschland falsch gelaufen. „Oft sind die Geber mit schuld, dass ein Projekt wirkungslos verpufft. Wenn ich ein Programm von oben draufsetze, dann muss ich mich nicht wundern, wenn unten nichts rauskommt“, so Peter. Das sei jedoch in Asowo kein Problem – dank Bruno Reiter. Der ehemalige Landwirtschaftsprofessor aus Omsk steht seit Gründung des deutsch-nationalen Rayons an der Spitze. Reiter setzte beim Obersten Sowjet den eigenen Landkreis für die Russlanddeutschen durch. „Der sauberste, reichste und fortschrittlichste“, sei sein Landkreis, lobt er, wenn Besucher kommen. „Wir wollen, dass Asowo als Sonderwirtschaftszone anerkannt wird, dann bekommt die wirtschaftliche Entwicklung mit Hilfe deutscher Unternehmen mehr Dynamik“, hofft der 65-Jährige. Vor kurzem hat er eine Straße nach dem ehemaligen Aussiedlerbeauftragten Waffenschmidt benannt.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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