Champagnerglas in der PlastiktüteWEIHNACHTEN IN RUSSLAND

Champagnerglas in der Plastiktüte

Champagnerglas in der Plastiktüte

Russland geht zehn Tage in die kollektiven Neujahrsferien. Vorher zerschlug der kommunistische Alterspräsident der Duma noch ein Champagnerglas. Ein staatlich geduldeter Protest gegen die ungerechte Verteilung des Reichtums „auf der Welt“.

Von Ulrich Heyden

W as tut sich in Moskau in diesen Tagen? Es liegt etwas Schnee und es gibt leichten Frost. Der 24., 25. und 26. waren normale Arbeitstage. Die Russen kauften Geschenke. Die Stadt steht voller bunter Tannenbäume, doch die große Feier startet erst Silvester. Im Kühlschrank steht „Sowjetskoje Champanskoje“ kalt, eine Sekt-Traditionsmarke.

Weihnachten feiert man erst am 7. Januar. Christliche Feiertage finden in Russland mit zweiwöchiger Verspätung statt, denn für die russisch-orthodoxe Kirche gilt noch der alte, julianische Kalender.

Ab Silvester verschwindet ganz Russland für zehn Tage in den Neujahrsferien. Zeitungen erscheinen nicht, die Regierung ist im Urlaub. Großstädter, die es sich leisten können, fahren zum Skifahren nach Österreich oder zum Schnorcheln ans Rote Meer.

Listiger Weihnachtsmann

Für Millionen russischer Kinder gibt es in diesen Tagen keinen sehnlicheren Wunsch als bei einem „Jolka“-Fest dabei zu sein. Der „Jolka“ (zu Deutsch Tannenbaum) ist seit der Oktoberrevolution Symbol des Silvester-Festes. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auf einem Jolka-Fest gibt es wie im deutschen Weihnachtsmärchen Geschichten von der Schneekönigin, Pinocchio und einer Hexe, in Russland „Baba Jaga“. Der russische Weihnachtsmann „Djed Moros“ (Väterchen Frost) tritt immer zusammen mit seiner Enkelin, „Snegurotschka“ (Schneeflöckchen) auf. Selbsternannte Patrioten bemängeln, „Väterchen Frost“ habe sein originales Kostüm, einen blauen Mantel und eine Pelzmütze ohne langen Zipfel, ausgetauscht. Man sehe nur noch „Santa Claus“ aus Amerika, mit „kurzer Jacke, Clowns-Mütze und listigem Grinsen“, ereiferte sich das Massenblatt „Komsomolskaja Prawda“. Doch das ist noch nicht alles an vom Westen eingeschleppten „Verirrungen“. Neuerdings verleihen Moskauer Agenturen „Väterchen Frost“ und „Schneeflöckchen“ auch als Strip-Paar für das Fest der besonderen Art. Eine halbe Stunde Auftritt kostet sie 70 Euro.

Am Ziel süßer Träume

Das größte „Jolka“-Fest Russlands fand im Kreml statt, im sogenannten Dworez Sjesdow, dem  Kongresspalast. In der 1961 gebauten Halle wurden einst die Parteitage der KPdSU abgehalten. In der mit Tannen und Girlanden geschmückten Halle versammelten sich ca. 5.000 Kinder. Man hatte sie in Sonderzügen aus dem ganzen Land nach Moskau gebracht, eine Tradition, die noch aus Sowjetzeiten stammt. Vizeministerpräsident Dmitri Medwedjew, umringt von einer Kinderschar in Kostümen russischer und nichtrussischer Völker, eröffnete die Feierlichkeiten. Er habe sich als Kind nichts sehnlicher gewünscht, als im Kreml auf einem Jolka-Fest dabei zu sein, erzählte der Professorensohn, der wahrscheinlich Russland neuer Präsident wird. „Aber man hat mich nicht eingeladen.“ Immerhin habe ihm sein Vater aus dem „Dworez Sjesdow“ Leckereien mitgebracht. „Das waren die besten Süßigkeiten in meinem Leben“, schwelgte der Kronprinz, der nun offenbar am Ziel seiner Träume ist.

Ironie des Schicksals

Als Vorgeschmack auf die Jahreswende startete in den russischen Kinos in diesen Tagen der Film „Ironie des Schicksals – Fortsetzung“. In einem Anflug von Nostalgie stürmten die Russen die Kinokassen. Der Film von Timur Bekmambetow („Wächter des Tages“) ist dem sowjetischen Kult-Film „Ironie des Schicksals“ aus dem Jahre 1975 nachempfunden. „Ironie des Schicksals“ gibt es in Russland in jeder Silvesternacht im Fernsehen, so wie in Deutschland „Dinner for one“. In der Urfassung verirrt sich ein Moskauer in der Silvesternacht nach einem feucht-fröhlichen Banja-Besuch nach Leningrad in eine fremde Wohnung und verliebt sich in eine schöne Blonde, die sich gerade erst verlobt hat. In der neuen Fassung verirrt sich der Filmheld ebenfalls in die Newa-Stadt, das heutige St. Petersburg. Er spielt Romanzen auf der Gitarre, um an eine schöne Petersburgerin heranzukommen. Die wird schließlich weich und lässt ihren Verlobten, einen erfolgreichen Businessman, zugunsten des romantischen Moskauers stehen. In der Neujahrsnacht liegt sich das neue Paar in den Armen. Der neue Film kam gut an, steht allerdings ganz im Zeichen des russischen Konsumrausches. Ziemlich dreist wird für den Toyota Camry und Nescafé-Pralinen geworben.

Scherben, die keiner gesehen hat

Auch bei den Kommunisten scheint sich in diesen Tagen alles um „Sowjetskoje Champanskoje“ zu drehen. Die fünfte Legislaturperiode der Duma wurde in diesen Tagen von dem  kommunistischen Alterspräsidenten Schores Alferow eröffnet. Der Physiker dozierte vor den Abgeordneten mit einem Champagnerglas in der Hand über die ungerechte Einkommensverteilung „auf der Welt“. Alferow, der 2000 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde, war ganz in seinem Element. Der obere Teil des Glases symbolisiere die Reichen, der untere Teil die Armen, erklärte er den verwunderten Abgeordneten, die alle ein gutes Auskommen haben. Um das Problem zu lösen, müsse man – so Alferow - das Glas zerschlagen. Doch freche Gesten à la Chruschtschow und Chavez liegen dem Wissenschaftler nicht. So steckte der Physiker das Glas in eine Plastiktüte und schlug es auf das Podium. Man hörte einen Knall, aber kein Klirren. Das staatliche Fernsehen zeigte alles, außer den Scherben. Aber die hat es wohl gar nicht gegeben.

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