Das russische Theater wagt sich an Tabus und lässt politisch Dampf abMOSKAU

Die Theater der Hauptstadt werden mutig

Ein schwuler Minister, seine korrupte Ehefrau und ein teuflischer Priester spielen in einem Stück auf einer der berühmtesten Theaterbühnen Russlands. Das Künstler-Theater MCHaT aber auch andere Moskauer Bühnen gehen neue Wege.

Von Ulrich Heyden

Ausgerechnet auf der Bühne des berühmtesten Moskauer Theaters läuft seit Februar bei vollem Haus ein Stück, welches das Leben der russischen Elite ganz ungeschminkt zeigt. Das Stück  - „Der ideale Gatte“ http://www.mxat.ru/performance/main-stage/wilde/ , frei nach Oscar Wilde - ist in Moskau zum meistdiskutierten Theaterereignis geworden. Kein Wunder, denn in dem Schauspiel (Szenen-Foto http://agella.livejournal.com/770130.html) geht es um Themen, die das russische Theater bisher gemieden hat, die Liebe zwischen Männern, Korruption in höchsten Machetagen, Pädophilie und einen teuflischen Priester. Das wilde Treiben auf der Bühne ist mit patriotischen Liedern garniert. Die Lieder klingen falsch und hohl aber das Publikum lacht und klatscht. Die viereinhalbstündige Inszenierung vergeht wie im Fluge.

Anleihen bei Goethe, Tschechow und Shakespeare

Der 37jährige Moskauer Regisseur Konstantin Bogomolow  hat den Klassiker von Oscar Wilde mit Zitaten aus Goethes „Faust“, Tschechows „Drei Schwestern“ und Shakespeares „Romeo und Julia“ angereichert. Über Video-Wände wird das Publikum informiert, was gerade Sache ist. „Schnee“ – so liest man da in der Laufschrift - ist Kokain. 

Dass die berühmteste Moskauer Bühne das skandalöse Stück in sein Repertoire aufgenommen hat, hängt vor allem mit dem starken Publikumsandrang zusammen.  Weil der Regisseur die interessierte Öffentlichkeit über ein soziales Netzwerk an der Entstehung des Stückes beteiligt hat, wurden die Theaterkassen schon lange vor der Premiere gestürmt.

Ein Erpressungs-Video

Hauptpersonen im „Idealen Gatten“ sind „Robert Ternow“, der Minister für Gummiwaren  (gespielt von Aleksej Krawtschenko) und sein Geliebter, der Schlager-Sänger „Lord“. Der war früher einmal Auftragskiller. Der Schlagersänger, der im Kreml auf pompösen Firmenfeiern auftritt, wird hervorragend von einem „Import“-Schauspieler Igor Mirkurbanow dargestellt. Mirkurbanow stammt aus Nowosibirsk, gehörte aber von 1992 bis 2006 zum Ensemble des Theaters „Gesher“ in Tel Aviv.

Die Männerliebe hat einen schweren Stand. Eine ehemalige Geliebte von Lord, die kühle Missia Tschiwli, will „Lord“ heiraten. Und Missia Tschiwli hat noch ein zweites Ziel. Mit einem Video, das etwas aus dem Sexleben von „Lord“ und Robert zeigt, will sie den Minister für Gummiwaren erpressen, um an einen staatlichen Großauftrag zu kommen.

„Viele, kleine usbekische Sklaven“

Gertruda, die Frau des Ministers, ist Gummi-Unternehmerin und schon gut mit staatlichen Aufträgen versorgt. Sie liebt vor allem „Bablo“ – leicht verdientes Geld – und beschäftigt viele „kleine usbekische Sklaven“, wie sie stolz erzählt. Wenn Gertruda ein gewinnbringendes Geschäft gemacht hat, dann sieht man sie ganz alleine, in orgastischen Zuckungen.

„Lord“ hält dem Druck der Umwelt nicht stand. Sein Vater  – ein Stalin-Anhänger - „man muss das Vaterland lieben, die Ehefrau nicht unbedingt“ – überredet seinen Sohn, zu heiraten. Kaum ist die Trauung in der Kirche absolviert, verfallen Lord und Missia Tschiwli in Depressionen. Tschiwli flüchtet Richtung Flughafen. Lord erschießt sich im Bett seines gläsernen Zimmers. Als Robert, der Minister, den toten Geliebten sieht, erschießt auch er sich. Kaum ist das schwule Paar tot, wird das gläserne Zimmer wie ein Sarg mit einer riesigen russischen Fahne verhüllt.

Teure Whisky-Sorten am Büfett

Jahrzehnte war das russische Theater ein Ort, wo die Theatertradition des 19. Jahrhunderts gepflegt, den guten und schönen Werten gehuldigt wurde. Nun will das Publikum plötzlich etwas über die heutigen Probleme wissen.  Regisseur Konstantin Bogomolow ist das recht. „Das Theater kehrt zu seiner normalen Karnevalfunktion zurück und wird ein Territorium der Freiheit“, sagt Bogomolow im Internet-Fernsehen Doschd. Das Theater müsse das thematisieren, „was auf der Straße passiert“.

Im Parkett sieht man nicht nur Stammpublikum sondern auch viele Neugierige und Angehörige der gutverdienenden Mittel- und Oberschicht, für welche die 175 Euro für das Ticket nicht der Rede wert sind.

Für manche Zuschauer scheint es ein besonderer Kitzel zu sein, sich einmal im Spiegel zu sehen. Und überhaupt ist es in Moskau modern geworden, sich den „Idealen Gatten“ anzusehen. Während der zwei Pausen kann man ungute Gefühle am „Büfett“ mit teurem Whisky herunterspülen.

Im Theater wird „Dampf abgelassen“

Die Moskauer Theaterlandschaft verändert sich. In den letzten Jahren sind neue Bühnen, wie das „Teatr.Doc“ und das „Praktika“ entstanden. Unter der Regie von Kirill Serebrennikow zeigt das vor kurzem gegründete Gogol-Center gerade eine Bühnenfassung des Films „Idioten“ von Lars von Trier. Auf der gleichen Bühne ist außerdem unter der Regie von Schenja Berkowitsch eine Bühnenfassung von Viktor Jerofejews Buch „Moskauer Schönheit“ zu sehen.

Die bekannte Radio-Journalistin Ksenia Larina fühlt sich angesichts dieser Umwälzungen an die 1980er Jahre erinnert. Damals brach das Moskauer „Theater an der Taganka“ Tabus und verweigerte sich der Unterordnung unter die Macht. Dem Taganka-Regisseur Juri Ljubimow wurde zur Strafe die sowjetische Staatsbürgerschaft entzogen. Doch das half nicht. Die Umwälzungen in der Gesellschaft nahmen ihren Lauf, und Ljubimow wurde 1989 wieder an das Taganka-Theater zurückgeholt.

Regisseur Konstantin Bogomolow sieht die neuen Entwicklungen in der Moskauer Theater-Landschaft realistisch. Natürlich sei das Theater auch ein Ort „wo Dampf abgelassen wird“, erklärte der Regisseur im Internet-Fernsehen Doschd.

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