09.08.2023 13:11:56
ASERBAIDSCHAN
Von EM Redaktion
s war überraschend, dass den Anstoß zu den jüngsten Protesten diesmal nicht die Länder des postsowjetischen Raums gegeben haben, sondern die bis vor einigen Jahrzehnten in Aserbaidschan als fremdes Ausland angesehene arabisch-islamische Welt.
Die Ähnlichkeiten mit Tunesien, Ägypten, Syrien und dem Jemen fallen ins Auge, wenn man bedenkt, dass, ähnlich wie in Nordafrika und in den Ländern des Nahen Ostens, die Gesellschaft in Aserbaidschan stark polarisiert ist, zwischen wenigen Reichen und der verarmenden Mehrheit. Aserbaidschan ist ein Land in dem kaum eine staatliche Dienstleistung ohne Schmiergelder geboten wird. Die Zivilgesellschaft ist bis auf ihr Existenzminimum geschrumpft. In die versuchte politische Teilhabe wird mit dem Knüppel dreingeschlagen. Ähnlich wie in Baschar Al-Assad's Syrien bestieg der Sohn Ilham Alijews unmittelbar nach dem Tod seines Vaters den Präsidententhron. Das war die Möglichkeit für die Sippenmitglieder, sich den Ölreichtum des Landes einzuverleiben.
Den langsam anschwellenden Unmut in der Bevölkerung hat das diktatorisch geführte Regime selbst mitverschuldet. Die im Fernsehen täglich laufende Warnpropaganda über menschenfeindliche Wirkungen des Internets und sozialer Netzwerke, die vermeintlich von fremden, feindseligen Mächten ferngesteuert werden, um die unbeschwerte Ruhe der Bevölkerung in Aserbaidschan zu stören, erzeugte eine Gegenwirkung. Bald schlug diese ständige staatliche Kritik an den neuen Medien in Widerstand gegen das Regime um, dessen Angst vor einer einzigen kleinen Manifestation des freien Willens von Menschen ganz offensichtlich wurde.
Der 2003 verstorbene Heydar Aliyev, Vater des jetzigen Staatsoberhauptes, grüßt noch immer von Plakaten. Nach ihm ist auch der Flughafen der Hauptstadt Baku benannt. Foto: Andrea Weiss |
Zu Beginn der Protest in Aserbaidschan glich die Besorgnis der politischen Elite einer apokalyptischen Angst. Man konnte dies an der plötzlichen Verkündung eines Antikorruptionskampfes erkennen. Die Ursachen für den Schmiergeldsumpf schob der Präsident seinem Beamtenstab zu. Die „unerwünschten Elemente“ hätten bei der Ausübung ihrer Dienste ein schlechtes Licht auf die Erfolge der „an sich reformorientierten und erfolgreichen“ Regierung geworfen. Diese rein rhetorische Ansage verwandelte sich schließlich in eine Jagd auf die Mitarbeiter der Ministerien.
Jedes Ministerium pries sich, es habe eine besonders hohe Zahl an Entlassungen vorgenommen um die Korruptionsbekämpfung umzusetzen. Es kann wohl nicht anders als ein versuchter rhetorischer Trick genannt werden, wenn „der Präsident sich Unterstützung von der Bevölkerung wünsche“, während der Volksmund weiß und beständig davon spricht, dass gerade jene Korruptionsbekämpfer, die auch des Präsidenten Umgebung bilden, im Sumpf der Bestechung versinken.
In der Bevölkerung herrschte große Anspannung und man hoffte durch massenhafte Proteste und einen großen Volksauftand das Regime zu Fall zu bringen. Für eine Steigerung der nahezu revolutionären Atmosphäre sorgten die Fernsehbilder aus Tunesien und nachträglich aus Ägypten, die Aserbaidschans Realitäten haargenau widerspiegelten. Dort gelang es der protestierenden Masse einen lange Jahre festsitzenden Herrscher in die Knie zu zwingen so dass er sich mitsamt seiner bewaffneten Garde in sein Schicksal ergeben musste. In den Augen der Aserbaidschaner war es ein Moment des Triumphs über das böswillige Herrschaftssystem. Daran sieht man, welch einem Bedrohungsdruck die faktisch totalitär regierenden Führungen unterliegen, wenn von einem kleinen Revolutionsfunken ein ganzer Brand ausgelöst wird.
Durch die Bilder von den Ereignissen aus Tunesien und Ägypten setzte sich in Regierungskreisen in Baku die Meinung fest, dass das Internet zu dem unkontrollierten Bereich gehört, wo die Umwälzung der Unzufriedenheit in eine Widerstandsbereitschaft am wahrscheinlichsten ist. Fernsehen und politische Presse unterliegen dagegen konventionellen medialen Kontrollapparaten des Regimes. In alle Regionen dürfen ausschließlich regierungsfreundliche TV Sender ausstrahlen. Dagegen bleibt das Internet angesichts der geringen Popularität relativ zensurfrei. Oft auch aus dem einfachen Grund, dass viele Regimetreue der Internettechnologie gar nicht gewachsen sind und sich ihrer nicht bedienen können.
Diejenigen, die die ersten Schritte gemacht haben, waren die informell organisierten jungen Aktivisten beiderlei Geschlechts. Man kann nicht von einer zusammengeschlossenen Gruppe sprechen, denn ihre Mitglieder sind in der ganzen Welt verstreut. Und ihre Aktivität entfaltet sich unter sehr eingeschränkten Bedingungen, und zwar lediglich im Internet, in Blogs und in sozialen Netzwerken.
Ausgesucht wurde für den Zeitpunkt des Protestes der 11. März, im Gedenken an den Rücktritttags von Hüsnü Mubarak einen Monat zuvor. Die Grundidee bestand im Aufruf zum zivilen Ungehorsam. Jeder entscheide selbst, wie er sein Missfallen am „Volkstag“ zum Ausdruck bringe. Blitzschnell war die Nachricht einer angekündigten Demonstration überall verbreitet. Die kühnen, ganz unabhängig organisierten Studenten verbreiteten Flugblätter; in YouTube und Facebook wurden die Solidaritätsgefühle unter Jugendlichen in Aserbaidschan ausgetauscht.
Die beachtliche Mehrheit der Protestierenden bildeten die Stadtbewohner und Studenten, wenngleich Straßenaktionen auch Menschen aus ärmeren Verhältnissen sehr gelegen kamen. Die tragende Kraft der Demonstration sollten die ersten Jungpolitiker der Facebook-Generation bilden. Ihr Markenzeichen ist eine prowestliche Orientierung und der Wunsch nach beschleunigter Integration in Europa, im Sinne der wirklichen Angleichung an europäische Werte, etwas, was dem Alijew Regime schwerfällt. Es will in die Gegenrichtung steuern.
Die Jugend fühlt sich verletzt, wenn ihre Ideale der Demokratie und republikanischer Traditionen missachtet werden. Wie zum Beispiel schon vor ein paar Jahren, als die Behörden auf einem Platz, auf dem ursprünglich ein Denkmal für Resulzade, den ersten Staatsführer der Aserbaidschanischen Demokratischen Republik von 1918 errichtet werden sollte, eine belanglose Vergnügungsfontäne installierten.
Andererseits entgeht kein Erstbesucher in Aserbaidschan den allgegenwärtigen Bildern, Porträts und überdimensionalen Statuen des Präsidentenvaters. Die Jugendlichen verärgert außerdem die unbefriedigende Situation in der Lehre, die an Universitäten herrscht, wo das Unterrichtsschwänzen mit Geldaufwendungen an die Lehrenden kompensiert werden kann. Die Loyalität dem Vorsitzenden gegenüber, die Bestechlichkeit und nicht die Bildungskompetenz sind die Faktoren, die die Jobchancen auf dem aserbaidschanischen Arbeitsmarkt bestimmen. Dass der Bildungssektor trotz des verhältnismäßig größeren Budgets den benachbarten Staaten hinterherhinkt, belegen die Universitätsrankings, wonach aserbaidschanische Hochschulen die allerletzten Plätze einnehmen.
Die Jugend verlangt nach einer Öffnung des Landes und dem Ende der mafiösen Art der Regierungsführung, die den Menschen den autoritären Stil vorschreibt. Als 2010 die engagiertesten Vertreter der jungen Generation um Stimmen bei den Parlamentswahlen warben – ein harter Test für politisches Engagement in Aserbaidschan - wurden ihre Wählerstimmen zugunsten der regimetreuen Kandidaten gezählt.
In einer solchen von Unfreiheit geplagten Gesellschaft fühlt sich jeder, ungeachtet seiner politischen Zugehörigkeit, in die Ecke gedrängt. Das Regime wendet sich mit allen Mitteln gegen die Versammlungsfreiheit und erstickt jede politische Bewegung im Keim. Trotz der Mitgliedschaft im Europarat zählt Aserbaidschan zu den Ländern mit den größten Einschränkungen, was die Versammlungsfreiheit anlangt. Bislang wurden sogar Aktionen untersagt wie das gemeinsame Zeitungslesen im Stadtzentrum, das sich so harmlose Ziele steckt, wie Menschen in ihrer sozialen Verantwortung aufzuklären. Sogar solche Gemeinschaftsaktionen wurden mit roher Polizeigewalt auseinander getrieben.
Blick vom „Qiz qalasi“, dem Jungfrauenturm aus dem 11. Jahrhundert auf die Baku Werft. Foto: Andrea Weiss |
Zu einer Großdemonstration, wie es viele erwartet hatten, ist es bislang nicht gekommen. Vorab wurden schon einige Protestorganisatoren von der Polizei inhaftiert, mit der Absicht, jeglicher Ausbreitung der Erhebungswelle vorzubeugen. Oppositionelle Parteien wurden eines illegalen Umsturzversuches bezichtigt. Auch der journalistisch aktive Elnur Mejidli, der mittlerweile seinen Wohnort nach Frankreich verlegt hat, wurde von der Drohgebärde nicht verschont. Ihm wurde eine Straftat unterstellt, da er angeblich über soziale Netzwerke zum Staatsstreich aufgerufen habe.
Wie übliche haben sich die Provokateure des Regimes unter die Menge gemischt, Angriffe auf die Straßenläden angestiftet, um die ehrlichen Zielsetzungen der Demonstranten zu diskreditieren.
Mittlerweile stieg die Proteststimmung in der Bevölkerung jedoch soweit an, dass lange völlig aus dem öffentlichen Leben ferngehaltene und jeglicher legaler (elektoraler) Unterstützung entbehrende Opposition den Mut zusammennehmen konnte, Forderungen an das Regime zu richten. Sie betrafen die Durchführung demokratischer Wahlen, die Entscheidungsfähigkeit in der Korruptionsbekämpfung bis hin zu einem Regimewechsel.
Das war wahrscheinlich der Moment, als junge Leute und einfache Menschen, ihre aufgestaute Enttäuschung und Wut den führungsschwachen Oppositionsparteien überantworteten. Aber deren Enttäuschung kam während der Demonstrationen gar nicht zur Sprache. Das war auch ein Faktor, warum der Schwung in der Protestbewegung gebremst wurde. Der Opposition fehlte Leitungskraft und Organisationsmoral. Deshalb weitete sich der mit kleineren Gruppen beginnende Widerstand chaotisch aus und es gelang nicht, eine Brücke zwischen den moderaten Kräften der ohnehin marginalisierten Zivilgesellschaft und breiteren Massen zu schlagen.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Bevölkerungszahl von Baku durch Arbeitsmigranten und Bevölkerungszuwanderung aus den besetzten, in und um Bergkarabach liegenden Territorien verdreifacht. Dass diese Bevölkerungsmasse unterschiedlicher Herkunft auch unterschiedlich denkt, ist ein weiterer Grund für den Mangel am solidarisierendem Bewusstsein.
Das Regime verstärkte dagegen seinen Erpressungsdruck auf Oppositionsmitglieder und zwang sie zur Schweigsamkeit oder sogar öffentlichen Fehlereingeständnissen. Wie manipulativ das Regime mit Versammlungsfreiheit umgeht, machte ihre eigens gelenkte, auf die Diffamierung der Oppositionsführer zielende Demo-Maskerade evident, die in schauspielerischer Art und Weise von der Polizei „aufgelöst“ wurde.
Als politische Kraft hat die Opposition ihre Rolle längst verspielt. Die völlig dem politischen Leben entfremdeten oppositionellen Parteien sind eher ein Gefügeelement in dem autoritären Herrschaftssystem, das sich mit wenig offener Kritik dem Manipulationsdruck des Regimes unterwirft.
In den auf die Proteste folgenden Monaten zielte die Regierung mittels fördernder Maßnahmen auf Bedürfnisse breiter sozialer Schichten ab, um die Wahrscheinlichkeit, dass die Zahl der Protestierer steigt, möglichst zu eliminieren. Außerdem bemühte sie sich den sozial bedingten Ausbruch als von außen gesteuerte Aktion hinzustellen. So lauteten die unpräzisen Anschuldigungsworte des Staatsanwalts, der ohne Namen zu nennen behauptete, es wäre das Werk ausländischer Unterstützer gewesen.
Die letzte Wortmeldung zu den Vorgängen kam nach langem Stillschweigen vom Präsidenten. Er bagatellisierte die Demos und machte damit klar, dass die Anliegen der Bevölkerung auch künftig kein Gehör finden werden.
Noch sind es in Aserbaidschan der korrumpierende Präsident und seine Umgebung, die das letzte Wort haben. Es wird noch dauern sein, bis sich das Volk unüberhörbar mit seiner eigenen Stimme zu Wort meldet.
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